08.03.2018

Londons leere Luxustürme

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Londons leere Luxustürme

von Rowland Atkinson

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Die Walze, die den Reichen dieser Welt die Wege ebnet, rollt weiter durch die Stadt. Aber sie hat sich verlangsamt. Die Zeiten, in denen Häuser für 5 bis 15 Millionen Pfund den Besitzer wechselten, scheinen fürs Erste vorbei. Die Londoner Makler haben inzwischen akzeptiert, dass Immobilien, nicht zuletzt aufgrund der unkalkulierbaren Auswirkungen des Brexit, wieder an Wert verlieren.

Versprachen sie früher nur Gratisfernsehen und Tiefgaragenplätze, um Käufer anzulocken, bieten sie bei Spitzenobjekten wie The Mansion im zentralen Viertel Marylebone mittlerweile Clubmitgliedschaften und eine Luxuslimousine samt Chauffeur an.

Trotz des schwächelnden Markts bleibt der Bauboom ungebrochen. Die jüngste Erhebung von Luxuswohntürmen in London verzeichnete für 2016 die Fertigstellung von 26 solcher Gebäude und den Baubeginn von 48 Neuprojekten. Politiker und Führungskräfte werden nicht müde, von der Großartigkeit und Unverwundbarkeit Londons gegenüber zukünftigen Risiken zu schwadronieren.

Doch wer sich die Welt mit Verweis auf blendende Zahlen bei Brutto­so­zial­pro­dukt und Wertschöpfung schön­redet, vertuscht die an den Kapazitätsgrenzen operierende Infrastruktur Londons, die schlechten Schulen, die Gewalt in bestimmten Quartieren und vor allem den Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Der Fluch der gängigen ­Finanzierungsmodelle für den Neubau von Wohnungen besteht darin, dass sie die Investitionsentscheidungen immer weiter von den Bedürfnissen der Armen und Ausgegrenzten wegtreiben.1

Die meisten der derzeit in London zum Verkauf stehenden Neubauten sind Wohnhäuser (89 Prozent)2 ; davon wurden zwischen 2014 und 2016 gut 13 Prozent an Kunden aus Übersee veräußert, in den Innenstadtbezirken waren es sogar 36 Prozent. Die Käufer aus dem Ausland sind überwiegend Investoren, die die Wohnungen entweder vermieten oder als Vermögensanlage erwerben. Der letzten relevanten Zählung zufolge waren 2011 nur 3,5 Prozent der Wohnungen in London verwaist. Bei Neubauten ist der Leerstandsanteil allerdings ungleich höher: In der City of London beträgt die Rate 25 Prozent, in Westminster 19 Prozent, in Kensington und Chelsea (dem Bezirk, in dem der Grenfell Tower ausbrannte) 14 Prozent.

Auch die Belegungszahlen sprechen eine deutliche Sprache: Von den Wohnungen im Wert von 1 bis 5 Millionen Pfund sind nach den geltenden Kriterien 39 Prozent unterbelegt, ab 5 Millionen sind es 64 Prozent. Ein Skandal angesichts der historischen Knappheit an bezahlbarem Wohnraum und der wachsenden Obdachlosigkeit.

Viele Londoner befürchten bereits, zu viert in einem Zimmer hausen zu müssen, derweil staatliches Wohngeld in den Taschen skrupelloser Vermieter landet, die verzweifelten Mietern Räume von der Größe einer Gefängniszelle anbieten.3

Wohin das schmutzige Geld fließt

Bei den Eliten in Politik und Wirtschaft wächst unterdessen die Sorge um die Legitimität ihrer Position und des Wirtschaftssystems, das von ihnen gefördert wird. Die Gewissenlosigkeit der Konzerne, die Steuerhinterziehung durch die Vermögenden und immer neue Fälle von Wirtschaftskriminalität liefern Schlagzeilen, die den frommen Glauben, der Kapitalismus sei für alle da, infrage stellen. In Teilen Westlondons geht das Gerücht um, dass kriminelles Kapital eine künstliche Nachfrage nach Bauprojekten erzeugt, für die in Wirklichkeit kaum ein Bedarf besteht.

Vielleicht speisen sich diese Gerüchte aus einem Klassenressentiment, das herrscht, seit in Notting Hill und Knightsbridge die alternative Boheme der 1980er und 1990er Jahre durch herzlosere Neureiche ersetzt wurden. Jedenfalls sollte man, statt über wurzellose Weltbürger zu klagen, genauer auf das schmutzige Geld schauen, das nach London fließt. 2016 schätzte die National Crime Agency (NCA), dass im Vereinigten Königreich jährlich zwischen 36 und 90 Milliarden Pfund gewaschen werden.

Noch deutlich höher dürfte die Summe sein, die in London und an anderen Orten Großbritanniens in Immobilien investiert wird, um so andernorts Steuern zu vermeiden oder zu hinterziehen. Laut einer Schätzung von 2016 besitzen über 30 000 Unternehmen, die in Steuerparadiesen registriert sind, im Vereinigten Königreich Immobilien im Wert von insgesamt 170 Milliarden Pfund.

Solche Offshore-Firmen halten zum Beispiel 25 Prozent am St George Wharf Tower im Bezirk Vauxhall; im Fall des Luxuskomplexes One Hyde Park in Knightsbridge und anderer Vorzeigeprojekte dürften die Eigentumsverhältnisse ähnlich aussehen.

Trotz allgemeiner Entrüstung zeigen die jüngsten Daten, dass die NCA sich lediglich bei einem von 300 Immobilienverkäufen, bei denen ausländisches Bargeld im Spiel war, zu einer Untersuchung der Finanzquellen veranlasst sah. Wer die Immobilienseiten der Financial Times studiert, kann dort hochpreisige Liegenschaften entdecken, die mit Bitcoins bezahlt werden können. Es ist offensichtlich, dass solche Kapitalflüsse kaum nachzuvollziehen sind.

Laut dem Direktor der NCA ist der gesamte Londoner Immobilienmarkt durch Geldwäsche in eine Schieflage geraten. Wie hoch der Aufschlag ist, den gewöhnliche Bürger bei Kauf oder Miete einer Wohnung deshalb zahlen müssen, weiß niemand. In einer Stadt, die den Reichen gehört, werden die eigentlichen Bewohner enteignet und aus ihren Sozialwohnungen vertrieben, die dann abgerissen und durch Neubauten ersetzt werden, die nur noch ein Minimum an erschwinglichem Wohnraum enthalten.

Die Kosten-Nutzen-Rechnung für die Londoner Wirtschaft und Gesellschaft sollte auch all jene Menschen einbeziehen, die durch diese ­Ent­wicklung wohnungslos geworden sind.

Erst kürzlich haben Londons Bezirksverwaltungen die Genehmigung zur Errichtung weiterer 26 000 Luxuswohnungen zum Preis von jeweils über 1 Million Pfund erteilt. Das entspricht ungefähr der Gesamtanzahl der jährlich in London neu gebauten Wohnungen. Folglich wird es, wie gegenwärtig prognostiziert, 2025 ebenso viele Haushalte geben, die bei Privatanbietern mieten, wie solche, die über Eigentum verfügen.4 Die Anzahl der Sozialwohnungen wird infolge der historisch hohen Verkäufe und der Einschnitte beim öffentlichen Wohnungsbau weiter fallen.

Der Anteil vermieteter Sozialwohnungen in London beträgt heute 23 Prozent; 1981 waren es noch 35 Prozent. Dennoch lag die Produktionskapazität der von der Presse häufig als ineffizient angefeindeten Sozialwohnungsbaugesellschaften 2015 bei 8000 Wohnungen – verglichen mit den 16 000 von der Privatwirtschaft fertiggestellten Wohneinheiten eine durchaus respektable Zahl. Der eigentliche Ausfall waren die Kommunen mit lediglich 130 neu gebauten Wohnungen.

Allmählich scheinen die politisch Verantwortlichen die Notwendigkeit zur Bereitstellung bezahlbaren Wohnraums zu erkennen, selbst wenn dies hieße, Grundbesitz zu enteignen – ein Vorschlag der Labour Party, den auch einige konservative Politiker hinter vorgehaltener Hand gutheißen.

Im Augenblick begeistern sich alle für die Idee, den öffentlichen Wohnungsbau durch staatlich garantierte Darlehen anzukurbeln. Diese Strategie soll zu mehr Wohnraum für Geringverdiener und zu qualitativ hochwertigen, aber bezahlbaren Wohnungen mit Mieterschutz führen. Was kann daran schlecht sein?

Die Zeit der Begünstigung von Verträgen mit Privatanbietern, die wenig einbringen, aber Investoren gegenüber Mietern bevorzugen, ist vorbei. Private Finanzierungsmodelle gelten mittlerweile als teuer, ineffizient und undemokratisch. Die Labour-Politikerin Claire Kober, Ratsvorsitzende des Bezirks Haringey, musste wegen des öffentlichen Zorns über ihre ohne jede Bürgerbeteiligung ausgearbeiteten Pläne zum Abriss hochwertiger Mietwohnungen zurücktreten.

Anstelle der abgerissenen Sozialbauten sollte in Partnerschaft mit einem australischen Immobilienkonzern auf dem freien Markt zu veräußernde Apartments errichtet werden. Londons Oberbürgermeister Sadiq Khan (Labour) hat versprochen, künftig alle Mieter von sanierungsbedürftigen Sozialbaukomplexen in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Solche Zusicherungen können allerdings nicht die Befürchtung zerstreuen, dass in Zeiten schrumpfender Etats auch der Handlungsspielraum zur Bewältigung der Wohnungskrise eingeengt ist.

Die Austeritätspolitik hat die ärmeren Haushalte geschwächt und dem Privatkapital mit seinen vorgefertigten Lösungen Tür und Tor geöffnet. Doch erst recht nach dem jüngsten Zusammenbruch von Carillion, einem Privatunternehmen mit Jahreseinnahmen von 5 Milliarden Pfund, das sich umfangreiche Staatsaufträge in Bauwirtschaft und kommunalen Dienstleistungen gesichert hatte, herrscht großes Misstrauen gegenüber der Kultur einer staatlich gemästeten Privatwirtschaft, die zur Lösung der Wohnungskrise gänzlich ungeeignet ist.

1 John Christensen und Nick Shaxson, „The finance curse“, Tax Justice Network, London, 2013.

2 Alison Wallace, David John Rhodes und Richard Webber, „Overseas investors in London‘s new-build housing market“, University of York Centre for Housing Policy, 2017.

3 Tom Wall, „Rogue landlords making millions out of housing benefits“, The Guardian, 13. Januar 2018.

4 „Housing in London: 2017“, Greater London Authority, 2017.

Aus dem Englischen von Robin Cackett

Rowland Atkinson ist Vorsitzender von Inclusive Societies an der Universität Sheffield und Mitherausgeber von „Building Better Societies: Prooting Social Justice in a World Falling Apart“, Polity Press (London) 2017.

© Le Monde diplomatique, London

Le Monde diplomatique vom 08.03.2018, von Rowland Atkinson