Von Menschen und Fledermäusen
Über die Nützlichkeit der biologischen Landwirtschaft
von Claire Lecoeuvre
In der biologischen Landwirtschaft geht es um den Schutz der Ökosysteme und um faire Preise für die Landwirte. Der Einsatz synthetischer Pflanzenschutzmittel führt zwar auf der ganzen Welt zu steigenden Erträgen. Aber er schadet nachweislich der Umwelt und der Gesundheit – weshalb die Skepsis gegenüber dem immer größer werdenden Spektrum an Pestiziden zunimmt.
Seit 20 Jahren verschlechtert sich fast überall die Qualität der Oberflächengewässer und des Grundwassers. Und weil die konventionelle Landwirtschaft Nitrate – auch in Form von Gülle – als Dünger einsetzt und Insekten- und Unkrautvernichter auf die Felder ausbringt, geht auch die Artenvielfalt zurück. „Alle Studien weisen in die gleiche Richtung: Die Zahl der Insektenarten geht zurück“, fasst Axel Decourtye zusammen. Er ist Forschungsleiter am französischen Institut für agrarwissenschaftliche Forschung (Inra).
Im Oktober 2017 stellte eine Studie fest, dass die Biomasse von Fluginsekten in den letzten 27 Jahren an verschiedenen Orten in Deutschland um 76 bis 82 Prozent gesunken ist.1 In Frankreich schwand die Zahl der Vogelarten im ländlichen Raum zwischen 1989 und 2013 um die Hälfte.2 Natürlich ist es nicht leicht, die genauen Gründe für das Vogel- und Insektensterben auszumachen. Die Ausbreitung von Krankheiten, die Vernichtung von Lebensräumen und der Einsatz von Pestiziden zählen zu den meistgenannten Ursachen. Erst Ende Januar schlug die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) ein Freilandverbot für drei Insektizide vor, über das die Mitgliedstaaten am 22. März diskutieren wollen.
Derweil kümmern sich Biolandwirte schon seit Jahren um die Verbesserung der Lebensräume. Ein Schlüsselfaktor ist Diversifizierung: Denn wo mehr Pflanzenarten wachsen, steigt auch die Zahl der Spinnen, Würmer, Käfer, Vögel und sogar Säugetiere. Und sobald mehr Nahrungsquellen zur Verfügung stehen, vermehren sich auch die sogenannten Nützlinge wie Fledermäuse, Igel, Reptilien oder bestimmte Insekten wie Milben, die Schädlinge fressen.
Auch in den Böden hinterlässt der großflächige Einsatz von Pestiziden sowie Stickstoff- und Phosphordüngern Spuren. Die Überdüngung lässt sie versauern und sorgt für starkes Algenwachstum, das zur Algenpest führen kann, wie beispielsweise im vergangenen Sommer an der bretonischen Küste. Synthetische Mittel zur Unkraut- und Schädlingsbekämpfung verseuchen die Böden und zerstören die mikrobielle Flora. In der biologischen Landwirtschaft achtet man auch auf eine ausreichende Abdeckung der Böden, um Erosion zu verhindern. Im Allgemeinen enthalten die Böden auf biologischen Bauernhöfen viel mehr organische Substanz, nämlich 37,4 Tonnen organischen Kohlenstoff pro Hektar (in der konventionellen Landwirtschaft kommt man nur auf 26,7 Tonnen).3
Die Art der Landwirtschaft hat auch eine soziale Komponente. So gibt es in der Biobranche einen höheren Personalbedarf durch die Vielfalt der Produkte, ihre kürzere Haltbarkeit und damit verbundene kürzere Wege zu einer Vielzahl an Verkaufsstellen. Außerdem bietet die biologische Landwirtschaft bei einigen Projekten, die sich für konventionelle Landwirte kaum lohnen würden, eine interessante Alternative. Das erklärt, warum der Anteil der biologisch bewirtschafteten Anbaufläche in Frankreich zwischen 2005 und 2016 von 2 auf 5,7 Prozent gestiegen ist.
Dieser Trend zeigt sich vor allem in der Milchwirtschaft und beim Obst- und Gemüseanbau. „Oft werden die Höfe zunächst aus ökonomischen Gründen umgestellt“, erklärt Marc Benoît, Kovorsitzender des Ausschusses für biologische Landwirtschaft am Inra. „Das hängt mit der berühmten Preisschere zusammen: Die Preise für Nahrungsmittel sinken, aber bei Energie, Dünger und Pflanzenschutzmitteln steigen sie. Die Milchbauern merken, dass Bio besser funktioniert, es ist rentabler.“
Von diesen Erkenntnissen ist allerdings deutlich seltener die Rede als von den gesundheitlichen Argumenten. Um den Einfluss der biologischen Landwirtschaft auf die menschliche Gesundheit einschätzen zu können, sollten wir zunächst fragen, welche Folgen ein direkter oder indirekter Kontakt mit Pflanzenschutzmitteln hat. Denn anders als die Bauern und die Leute, die in der Nähe der Felder wohnen, kommen die Verbraucher nicht damit in Berührung. Da aber die Auswirkungen der biologischen Landwirtschaft weit über den Einzelnen hinausgehen, sollte man ihren Nutzen für die gesamte Bevölkerung bedenken. Halten wir zunächst fest, dass sich ausgerechnet in manchen Biolebensmitteln Spuren von synthetischen Unkrautvernichtern finden: Nach einem Bericht aus dem Jahr 2016 enthalten 45 Prozent der konventionell erzeugten Lebensmittel Spuren von Pestiziden, aber auch 12 Prozent der Bioprodukte.4 Das liegt vor allem an der Verunreinigung durch benachbarte konventionelle Flächen oder während der Verarbeitung.
Bei vielen Unkraut- und Schädlingsbekämpfungsmitteln verursacht der direkte Kontakt Gesundheitsprobleme, von Hautreizungen über Kreislaufstörungen bis hin zu Krebs oder Missbildungen. Für ein Gemeinschaftsgutachten von 2013 haben Experten des französischen Instituts für Gesundheit und medizinische Forschung (Inserm) alle wissenschaftlichen Artikel zu den Gesundheitsfolgen von Pflanzenschutzmitteln ausgewertet.5 „Wir konnten zunächst feststellen, dass Landwirte im Durchschnitt seltener an Darmkrebs erkranken und auch weniger an den Krebsarten, die mit Rauchen in Verbindung gebracht werden. Das hängt jedoch auch vom Alter und von der Art der Tätigkeit ab“, erklärt Pierre Lebailly, Dozent an der Universität Caen-Normandie und Forscher am Centre François Baclesse.
Der Preis des Fortschritts
Die Forscher konnten jedoch Zusammenhänge zwischen dem Einsatz synthetischer Pflanzenschutzmittel und einem erhöhten Risiko für Parkinson, Non-Hodgkin-Lymphome (NHL, bösartige Erkrankungen des lymphatischen Systems), Multiple Myelome (Blutkrebs) oder Alzheimer feststellen. Landwirte, die Unkrautvernichter ausbringen, und Beschäftigte, die solche Mittel herstellen, haben ein um 12 bis 28 Prozent erhöhtes Risiko, an Prostatakrebs zu erkranken, wobei sich noch nicht herausfinden ließ, welche Substanz genau dafür verantwortlich ist. Bei Frauen, die während der Schwangerschaft in Kontakt mit Pestiziden kamen, lässt sich nach derzeitiger Studienlage ein Zusammenhang mit dem Auftreten angeborener Missbildungen und Leukämie vermuten. Besonders Lindan, DDT und Malathion wurden häufig als Auslöser von Non-Hodgkin-Lymphomen identifiziert. In Frankreich sind diese Lymphome sowie Parkinson nach langen Auseinandersetzungen inzwischen als Berufskrankheiten anerkannt.
Die 2005 gestartete Kohortenstudie Agrican, die die Häufigkeit von Krebserkrankungen bei Landwirten über einen Zeitraum von zehn Jahren und mehr untersucht, hat bisher für Landwirte eine gegenüber der übrigen Bevölkerung um 5 bis 30 Prozent höhere Rate von Non-Hodgkin-Lymphomen, Prostatakrebs und Hautkrebs wie Melanomen festgestellt.
Andere Studien beschäftigten sich näher mit dem Insektenvernichter Chlorpyrifos, der im Fall eines Kontakts während der Schwangerschaft die Gehirnentwicklung des Embryos beeinträchtigen kann. „Inzwischen besteht kein Zweifel mehr, dass DDT und Chlorpyrifos gefährlich für die Gehirnentwicklung sind“, erklärt Philippe Grandjean, Epidemiologe an der Süddänischen Universität. „Aber es gibt über 100 Pestizide, die das Gehirn schädigen können. Wir brauchen viel mehr Beweise, um ganz sicher zu sein. Es gibt schon zahlreiche Untersuchungen, aber meist hatten die Probanden Kontakt mit mehreren Substanzen, deshalb ist es so schwierig, ein einzelnes Pestizid als Verursacher auszumachen.“
Die tatsächlichen Gesundheitsschäden durch Pflanzenschutzmittel lassen sich schon aufgrund fehlender Daten kaum ermitteln. Die Beeinträchtigungen sind oft schwer zu erkennen und meist auch nicht eindeutig zuzuordnen, weil die Betroffenen nur niedrigen Dosierungen ausgesetzt waren. In Frankreich hat man sich zudem mehr als 30 Jahre für solche Fragen gar nicht interessiert, weil sie als „der Preis des technischen Fortschritts in der Landwirtschaft galten“.6
Seit den 1980er Jahren belegen Studien immer wieder, dass die Qualität von biologisch erzeugten Lebensmitteln höher ist. „Sie zeigen, dass Bioprodukte mehr Carotinoide, Fettsäuren und Vitamin E enthalten“, erklärt Denis Lairon, emeritierter Forschungsdirektor und Ernährungsspezialist am Inserm. Im Oktober 2017 erschien eine Metastudie, die die Erkenntnisse zusammenfasst.7 „Aus den am besten abgesicherten Forschungsergebnissen geht hervor, dass Obst und Gemüse aus Biolandbau mehr Polyphenole enthält und weniger giftiges Cadmium. Aber die Unterschiede sind nicht sehr groß“, erklärt Axel Mie, einer der Verfasser des Artikels.
Die im Zusammenhang mit Pflanzenschutzmitteln auftretenden gesundheitlichen Probleme haben eine lange Geschichte. Die ersten in der Landwirtschaft eingesetzten chemischen Substanzen, die Ende des 20. Jahrhunderts verstärkt in die Diskussion gerieten, waren arsenhaltige Chemikalien, die in Pestiziden und Futterzusatzstoffen verwendet wurden. In Frankreich wurde Bleiarsenat – nach mehreren Einschränkungen – erst 2001 endgültig verboten.
Inzwischen sind viele gefährliche Substanzen EU-weit verboten. Für manche Leute ist damit schon der Beweis erbracht, dass die Regulierung chemischer Produkte doch bestens funktioniert. Doch solche Rückzieher erfolgen oft erst sehr spät, und die Stoffe wirken auch noch jahrelang weiter. Auf den Antillen beispielsweise, wo das Insektizid Chlordecon 1993 – drei Jahre später als im Mutterland Frankreich – verboten wurde, sind die Böden und Gewässer bis heute damit verseucht. Und das von der EU 2003 verbotene Herbizid Atrazin ist bis heute in den meisten Gewässern nachweisbar.
Bislang hat noch jedes Verbot am Ende zur Genehmigung neuer Pestizide geführt, die als weniger gefährlich gelten. Die sind aber keine echte Alternative, sondern einfach anders giftig. „Man hat zwar die Stoffe verboten, die sich in tierischem Gewebe anreichern, aber die neuen haben eine Affinität zu Wasser. Das heißt, sie reichern sich vor allem im Boden an“, erläutert Axel Decourtye.
Die öffentlichen Gesundheits- und Verwaltungssysteme, in deren Zuständigkeit die Risiken des Pestizideinsatzes liegen, stehen unter finanziellem Druck und kommen daher nicht recht in die Gänge. Dabei sprechen alle wissenschaftlichen Erkenntnisse für ein schnelles Umsteuern zu einer nachhaltigeren Produktionsweise im Agrarsektor.
2 „Évolution de l’abondance des oiseaux communs“, Französisches Umweltministerium, 24. Oktober 2014.
5 „Pesticides: effets sur la santé. Synthèse et recommandations“, Inserm, Paris, Juni 2013.
Aus dem Französischen von Sabine Jainski
Claire Lecoeuvre ist Journalistin.