08.02.2018

Strom für Afrika

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Strom für Afrika

Mit Unterstützung von IWF, Weltbank und Co versuchen westliche und asiatische Konzerne von der Liberalisierung der afrikanischen Märkte zu profitieren

von Aurelien Bernier

Windkraft aus Marokko PETER LANGROCK/Agentur Zenit
Strom für Afrika
Kasten 1: Export nach Europa?
Kasten 2: Potential Erneuerbare

An Initiativen zur Elektrifizierung Afrikas hat es in den letzten Jahren nicht gefehlt. Die Vereinten Nationen verkündeten 2012 das Programm „Nachhaltige Energie für alle“, das darauf zielt, bis 2030 weltweit den Zugang zu modernen Stromquellen zu gewährleisten, wobei Afrika naturgemäß höchste Priorität genießt.

Im Juli 2013 lancierte US-Präsident Barack Obama bei seinem Besuch in Tansania zusammen mit der Afrikanischen Entwicklungsbank und der Weltbank das Programm „Power Africa“. Es steht unter der Leitung der US-Behörde für Internationale Entwicklung (USAID) und bietet technisches und juristisches Know-how, aber auch Kredite und Finanzinstrumente für die Realisierung nachhaltiger Projekte, vornehmlich durch US-Unternehmen.

Im Oktober 2015 organisierten die G20, kurz vor der UN-Klimakonferenz in Paris, das allererste Treffen der Energieminister aus den Mitgliedstaaten, die dann gleich einen Aktionsplan für Subsahara-Afrika ankündigten. Einen Monat später gründete der ehemalige französische Umweltminister Jean-­Louis Borloo die Stiftung „Énergies pour l’Afrique“, die zum Ziel hat, „600 Mil­lio­nen Afrikanern bis 2025 Zugang zum Stromnetz zu verschaffen“. Als Partner der Stiftung präsentieren sich auf deren Internetseite lauter prominente Unternehmen: Vivendi, Carre­four, Bouygues, Électricité de France (EDF), Dassault, Orange, Schneider Electric, Total, Veolia, Vinci.

Wenig Beachtung fand bei der Pariser Klimakonferenz von 2015 die afrikanische Initiative für erneuerbare Energien (Arei), die von 54 Staaten getragen wird. Diese von der Afrikanischen Union initiierte Koalition will erklärtermaßen erreichen, dass bis 2020 mindestens 10 Gigawatt zusätzlich aus erneuerbaren Energiequellen produziert werden und bis 2030 sogar das Potenzial von mindestens 300 Gigawatt ausgeschöpft wird. Das käme nahezu einer Verzehnfachung der ak­tuel­len Produktion erneuerbarer Energien gleich und würde 50 Prozent zu dem bis 2040 geplanten Wachstum der gesamten Energieerzeugung beitragen. Es würde auch bedeuten, dass die Elektrifizierungsquote des afrikanischen Kontinents erhöht würde, ohne Strom aus zusätzlichen fossilen Energieträgern zu benötigen (siehe Kasten auf Seite 13).

Japan, die EU-Kommission und acht Industrieländer (Deutschland, Frankreich, Italien, Kanada, die Niederlande, Schweden, die USA und Großbritannien) haben 9,4 Milliarden Euro zur Finanzierung der Initiative zugesagt. Trotz der westlichen Geldquellen bleibt nach dem Gründungsdokument der Arei die Auswahl der finanzierten Projekte und ihre Umsetzung den afrikanischen Ländern vorbehalten, wobei afrikanische Unternehmen als Erste zum Zug kommen müssen. Und der Verwaltungsrat der Initiative setzt sich aus hohen Beamten zusammen, von denen eine Mehrheit von den afrikanischen Staaten bestimmt wird.

Im März 2017 schied allerdings Professor Youba Sokona, Vizepräsident des Weltklimarats (IPCC) und verantwortlich für die Abteilung „Projekte“ der Arei, unter Protest aus seinem Amt. Der malische Wissenschaftler kritisierte, die Geldgeber hätten „eine Strategie gebastelt, um den Afrikanern Projekte aufzuzwingen, die automatisch von Europäern ausgewählt werden“. Als Beleg verwies er auf die ersten 19 Vorhaben, die trotz der Einwände afrikanischer Verwaltungsratsmitglieder abgesegnet wurden.

Elfenbeinküste als Vorreiter der Privatisierung

Darüber hinaus unterzeichneten 200 afrikanische Verbände einen offenen Brief mit dem Titel „Stoppt die Vereinnahmung der Arei durch Europa“. Sie beschuldigen diverse EU-Länder und vor allem Frankreich, dass sie Projekte durchsetzen, die direkt den Interessen ihrer Energiemultis und Ingenieurfirmen dienen. In einem Bericht vom 20. September 2016 hatte die Umweltministerin und Präsidentin der Pariser Klimakonferenz, Ségolène Royal, nicht weniger als 240 Projekte und Programme in Bereichen wie Wasser- und Windkraft, Solarenergie sowie Geothermie identifiziert.1 All diese Initiativen begründen ihre Notwendigkeit mit derselben Diagnose: Die Entwicklung Afrikas wird durch den Mangel an elektrischem Strom gehemmt. Und alle werben mit denselben Bildern von Kindern, deren Lächeln von einer Glühbirne aufgehellt wird. Auch die empfohlenen Instrumente sind weitgehend dieselben: feste Regeln für Geschäfte, Anlage- oder Garantiefonds, Darlehen, Expertisen und anderes mehr. Und natürlich öffentlich-private Partnerschaften (PPP) als obligatorische Form der Projektumsetzung.

Was in den Gründungsurkunden dieser Initiativen so großzügig klingt, verbirgt häufig sehr prosaische Absichten. Seit den 1980er Jahren sind die Strommärkte der westlichen Länder für die Konkurrenz geöffnet. Seitdem führen die Großunternehmen der Branche einen unerbittlichen Wirtschaftskrieg. Dennoch gibt es in Europa und Nordamerika nach wie vor Überkapazitäten, die Wachstumsaussichten sind entsprechend bescheiden. Ganz anders in den afrikanischen Schwellenländern.

Die Expansionsstrategien der ausländischen Konzerne werden von dem Liberalisierungsprozess begünstigt, der in Afrika seit fast 30 Jahren im Gange ist. Im 20. Jahrhundert hatten die meisten Länder des Kontinents Staatsunternehmen gegründet, die bei der Stromproduktion, -beförderung und -verteilung ein Monopol hatten. Diese staatlichen Dienstleister sind häufig unterfinanziert und können daher keine zuverlässige Versorgung garantieren. Anstatt sie zu unterstützen, drängten die Weltbank, der Interna­tio­nale Währungsfonds und die Afrikanische Entwicklungsbank darauf, privatwirtschaftliche Methoden einzuführen und die Märkte schrittweise für die Konkurrenz zu öffnen.

Zwei Bereiche im Stromsektor sind besonders profitabel: die Produktion, also der Betrieb von Kraftwerken, und die Vermarktung der Elektrizität. Für Konkurrenz weniger geeignet ist der kapital- und wartungsintensive Stromtransport, weshalb hier von einem „natürlichen Monopol“ gesprochen wird. Aus neoliberaler Sicht sind deshalb diese drei Bereiche voneinander zu trennen: Stromproduktion und -vermarktung müssen privatisiert werden, das Stromnetz dagegen hat beim (staatlichen) Monopolisten zu verbleiben. Dieselbe Logik hat in Europa zur Aufspaltung staatlicher Unternehmen wie der Électricité de France geführt.

Die Elfenbeinküste war das erste afrikanische Land, das dieses Modell mit Unterstützung der Weltbank einführte. 1990 wurde der 1952 gegründete Staatsbetrieb Énergie Électrique de Côte d’Ivoire durch die Compagnie Ivoirienne d’Électricité (CIE) ersetzt – ein Privatunternehmen, an dem der Staat nur zu 15 Prozent beteiligt ist.

Preisexplosion in Uganda

Heute ist die CIE mehrheitlich in der Hand des französischen Konzerns Era­nove.2 Der erwarb von der ivorischen Regierung die Konzession, die Kraftwerke zu betreiben und auf dem gesamten Staatsgebiet für den Transport, die Verteilung, die Vermarktung, den Import und den Export von elektrischer Energie zu sorgen. Die Stromleitungen allerdings blieben in staatlicher Hand.3 Das ist ein klassisches Beispiel dafür, wie sich mittels „öffentlich-privater Partnerschaften“ Gewinne privatisieren und Verluste auf die Gesellschaft abwälzen lassen.

Die Liberalisierung in der Elfenbeinküste hat Schule gemacht, sodass mittlerweile fast alle afrikanischen Länder ihre Strommärkte ganz oder teilweise für private Anbieter geöffnet haben.

2014 beschloss Angola eine Reform des Elektrizitätsmarkts, die von der Afrikanischen Entwicklungsbank mit 800 Mil­lio­nen Euro unterstützt wurde. Mit dem erklärten Ziel, „Wachstum zum Nutzen aller durch die Verstärkung der Reformanstrengungen im Stromsektor zu fördern und die Transparenz sowie Effizienz in der öffentlichen Finanzverwaltung zu erhöhen.“

Doch die ersehnte Kapitalspritze aus dem Ausland kommt die afrikanischen Länder mitunter sehr teuer zu stehen. In Uganda produziert der Staudamm von Bujagali, am Weißen Nil, unweit des Victoriasees, 50 Prozent des nationalen Strombedarfs. Die für 30 Jahre vereinbarte öffentlich-private Partnerschaft zwischen der Regierung in Kampala und dem Anbieter Bujagali Energy Limited hat zu einer Preisexplosion geführt.

2015 kaufte der ugandische Staat den Strom zum Preis von 11 Cent pro Kilowattstunde zurück, obwohl dieser von den staatlichen Wasserkraftwerken des Landes zum Preis von 2 Cent produziert wurde. Bujagali Energy Limited gehört der privaten Entwicklungsagentur des ismailitischen Religionsführers Aga Khan und der US-Gesellschaft ­Sithe Global Power (einer Tochter der Blackstone Group).

Die Deregulierung des Stromsektors in Afrika ist für Investoren aber nicht immer attraktiv. Die werden häufig vom schlechten Netzzugang, von fehlender politischer und Rechtssicherheit und Problemen mit der Zahlungsdisziplin der Kunden abgeschreckt. Man könnte allerdings neue Investoren mit dem Ausbau erneuerbarer Energien anlocken.

Die Kosten für solche Anlagen sinken mit der Verlagerung der Produk­tion von Sonnenkollektoren und Windrädern in Billiglohnländer. Außerdem haben die internationalen Institu­tio­nen die afrikanischen Staaten dazu gedrängt, einen Einkaufstarif nach einem in Europa üblichen Modell einzuführen. Die (fast immer staatlichen) Stromversorgungsunternehmen bieten den privaten Erzeugern von Solar-, Wind- oder Wasserkraft einen garantierten Abnahmepreis, der über dem durchschnittlichen Stromtarif liegt.

Offiziell soll dieser Mechanismus die Stromproduktion ankurbeln. Inoffiziell dient er dazu, die schleichende Privatisierung des Energiesektors zu subventionieren. „Die internationalen Kapitalgeber haben über den Ausbau der erneuerbaren Energien endlich einen passenden Zugang zum afrikanischen Markt gefunden“, frohlockte 2015 Thierno Bocar Tall, damals noch Präsident und Vorstandsvorsitzender der African Biofuel and Renewable Energy Company (Abrec). „Der Bedarf an Investitionen ist gigantisch. Und diese sind dadurch abgesichert, dass die öffentliche Hand als Käufer auftritt und für die Risikoabsicherung solide Lösungen gefunden wurden. Die Kapitalrendite wird im Zuge des technologischen Fortschritts unweigerlich steigen.“4

Zahlreiche im französischen Aktienindex CAC 40 gelistete Unternehmen springen auf diesen Zug auf. Im Juni 2017 ging im Senegal das Solarkraftwerk von Senergy ans Netz. Es liegt 130 Kilometer nördlich von Dakar und ist das größte Projekt dieser Art in Ostafrika. Eigentümer sind neben dem senegalesischen Staatsfonds Fonsis der französische Anlagefonds Meridiam und der Solarstromerzeuger Solairedirect, der zum Engie-Konzern gehört. Auf den Baustellen tummeln sich weitere französische Firmen wie Schneider Electric, die Wechselrichter und Transformatoren liefert, sowie Eiffage oder Vinci.

Auch der Emissionshandel war ursprünglich darauf angelegt, Sicherheit für die Investoren zu schaffen. Das 1997 verabschiedete Kioto-Protokoll schuf ein System zum Kauf und Verkauf von „Tonnen Kohlendioxidäquivalenten“. Seitdem müssen Unternehmen, die mit ihren Treibhausgasemissionen einen bestimmten Grenzwert überschreiten, entsprechende Emis­sions­rechte kaufen. Umgekehrt werden die Betreiber emissionsarmer Projekte mit Emissionszertifikaten belohnt, die sie verkaufen können.5

Diesem Emissionshandel haben die afrikanischen Länder, unter dem Druck der internationalen Organisationen und der Privatunternehmen, durch hastig erlassene Gesetze den Weg geebnet. Das machten sich auch bestimmte Start-up-Unternehmen zunutze. 2009 gründete ein junger französischer Jurist nach Abschluss seines Studiums das Unternehmen Ecosur Afrique mit Sitz auf Mauritius, das sich auf Beratungsdienstleistungen, Projektentwicklung und den Handel mit Emissionszertifikaten spezialisiert hat. Die Firma heißt mittlerweile Aera, hat ihren Sitz nach Paris verlegt und Emissionszertifikate im Wert von 263 Millionen Euro gehandelt. Und das ist erst der Anfang, meint der Firmengründer, der in Afrika „ein praktisch ungenutztes Reservoir an Emissionszertifikaten“ sieht.6

Solche Bedingungen und dazu sehr niedrige Zinsen und die zahlreichen von den Staaten eingerichteten Entwicklungs- und Garantiefonds tragen dazu bei, private Investitionen für die „Elektrifizierung Afrikas“ zu mobilisieren. Aber die kommen nur, wenn der Strom auch profitabel verkauft werden kann. Dafür gibt es prinzipiell zwei Wirtschaftsmodelle. Das eine besteht im Aufbau kleiner lokaler Netze, die vom nationalen Stromnetz abgekoppelt sind. Das andere basiert auf dem Bau riesiger Kraftwerke, um Skaleneffekte zu erzielen.

2016 hat der internationale Beratungskonzern PricewaterhouseCoopers (PwC) den Report „Electricity be­yond the grid“ vorgelegt. Darin werden unter der Parole „Accelerating access to sustainable power for all“ die Perspektiven der Elektrifizierung für Asien und Afrika analysiert. Fazit: Die Erweiterung der nationalen Stromnetze ist nicht immer bedarfsgerecht, empfohlen wird daher die Entwicklung zusätzlicher Lösungen in Form von Mininetzen oder autonomen Systemen. Nach Ansicht der Privatisierer sollen diese Systeme nicht unter der Ägide der öffentlichen Hand stehen, sondern von privaten Konsortien entwickelt und betrieben werden. Den Investoren winken damit schnelle Profite.

Aber wie bringt man die armen Bevölkerungsschichten dazu, ihren Strom auch zu bezahlen? Dafür sollen die Prepaid-Stromzähler sorgen, die sich in vielen afrikanischen Ländern seit den 2000er Jahren rasant ausgebreitet haben. Bei diesem System begleichen die Verbraucher nicht eine Rechnung für den schon genutzten Strom, sondern bekommen durch Eingabe eines Codes eine begrenzte Strommenge bewilligt. Ist diese ausgeschöpft, wird die Stromverbindung gekappt.

Die Stromversorger gehen sogar noch weiter. In der Elfenbeinküste hat Orange, der führenden Mobil­tele­fon­an­bieter, zusammen mit dem Stromversorger CIE Ende 2015 ein telefongestütztes Prepaid-System eingeführt, das nicht nur Zahlungsausfälle verhindert, sondern auch das manuelle Ablesen der Zähler erübrigt.

Ein Megastaudamm am Kongo

Das zweite rentable Energiemodell setzt – im Gegensatz zu den dezentralen Lösungen – auf Großkraftwerke, um die Produktionskosten zu senken. Angesichts der relativ kleinen Binnenmärkte erfordert dieses Konzept jedoch eine Vernetzung mehrerer Staaten, um den Kreis der Abnehmer zu erweitern. Das Prinzip des Freihandels wird also auf den Elektrizitätssektor erweitert: Der Strom muss ohne gesetzliche oder finanzielle Hindernisse durch grenzüberschreitende Netze fließen können. Bei zwei der 19 Projekte, die von Frankreich und der EU im Rahmen der Arei gefördert werden, handelt es sich um den Bau von Überlandleitungen mit einer Gesamtlänge von 1175 Kilometern.

Beide Leitungen stehen im Zusammenhang mit dem äußerst umstrittenen Staudammprojekt Grand Inga in der Demokratischen Republik Kongo. Das riesige Land verfügt über rund 40 Prozent der afrikanischen Wasserkraftressourcen, weshalb es häufig als Wasserspeicher Afrikas bezeichnet wird. Das kongolesische Megaprojekt soll doppelt so viel Strom produzieren wie Chinas Drei-Schluchten-Kraftwerk, das bislang den Weltrekord hält.

Die Weltbank, die Afrikanische Entwicklungsbank und USAID beteiligen sich an der Finanzierung der Machbarkeitsstudie für das Bauwerk, das zwischen 80 und 100 Milliarden Dollar kosten wird. Dabei sind nur 20 Prozent der erzeugten Strommenge für den Binnenmarkt bestimmt, der Rest soll exportiert werden – über Hochspannungsleitungen mit einer Gesamtlänge von 15 000 Kilometern.

In der Region gibt es zwar schon Staudämme, aber die Anlagen haben nie richtig funktioniert. Weil die Folgeinvestitionen für die Wartung ausblieben, sind mehrere Turbinen außer Betrieb. Deshalb läuft jetzt die Modernisierung der bestehenden Anlagen parallel zum Bauprojekt Grand Inga. Als größte Stromabnehmer des Megakraftwerks kämen die Minen in der kongolesischen Provinz Katanga infrage, aber auch die Bergwerke in Südafrika, das seit Jahren unter gravierendem Strommangel leidet. Weil die Regierung in Pretoria Ende der 1990er Jahre die Privatisierung des staatlichen Stromerzeugers und -verteilers Eskom plante, vernachlässigten sie weitere Investitionen, trotz der Hinweise der Eskom-Manager auf die steigende Binnennachfrage. In der Folge häuften sich die Stromausfälle.

In einem Weltbank-Report von 2015 wird die Frage gestellt, „wie ein sehr energieintensiver Kunde und Strom-Großabnehmer wie etwa die Bergbauindustrie ihr Engagement beim Ausbau des Energieangebots verstärken und dazu beitragen könnte, den Zugang zur Stromversorgung auszuweiten und private Geldgeber für diesen Energiesektor zu gewinnen“.7 Die für die Wirtschaft Afrikas äußerst wichtige Bergbauindustrie benötigt sehr viel Strom, der je nach Anlage 10 bis 25 Prozent der Betriebskosten ausmacht.8

Die Unternehmen haben in der Regel die Wahl, ihren Strom über das nationale Netz zu beziehen oder selbst zu produzieren. Im letzteren Fall kostet die produzierte Kilowattstunde deutlich mehr: durchschnittlich 25 Cent gegenüber 6 Cent für Strom aus dem na­tio­nalen Netz. Doch wegen der ­häufigen Netzausfälle ist die Eigenproduk­tion letzten Endes weitaus rentabler, weshalb sich die Unternehmen eigene Wärmekraftwerke zulegen, die mit Kohle oder Öl betrieben werden.

Die Weltbank favorisiert einen Ansatz, der Bergbauindustrie und Stromerzeugung direkt kombiniert: Wenn der größte Abnehmer die Stromerzeugung weiter ankurbelt, werden noch mehr private Investitionen in die Stromerzeugung und -übertragung gelenkt. Davon würde die Wirtschaft gleich doppelt profitieren: Die Energieunternehmen würden sich rentable Märkte in Afrika erschließen, und die Bergbauunternehmen könnten ihre Betriebskosten senken. Damit verweist der Bericht indirekt auf eine langfristige Vision : Angesichts der steigenden Weltmarktpreise für Metalle und Erze kann die Erhöhung der Stromerzeugungskapazitäten dazu beitragen, die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen auf dem afrikanischen Kontinent zu beschleunigen.9

Der lange Zeit vergessene afrikanische Strommarkt bringt nicht nur Energiemultis aus dem Westen zum Schwärmen. Chinesische Unternehmen haben in diesem Sektor allein im Jahr 2015 Verträge mit einem Investitionsvolumen von mehr als 13 Milliarden Dollar unterzeichnet. Damit werden 30 Prozent der neuen Stromerzeugungskapazitäten in Subsahara-Afrika von China finanziert. Wenn man Südafrika herausrechnet, steigt der Anteil dieser Investitionen auf 46 Prozent, sodass fast jedes zweite zusätzliche Megawatt chinesisch ist.10

Peking setzt in Afrika vornehmlich auf Wasserkraft, zunehmend aber auch auf Sonnen- und Windenergie. Zugleich bereitet man sich schon auf die nächste Etappe vor: Afrika soll nuklear werden. Als die chinesische Regierung im Januar 2017 eine Reduzierung ihrer Auslandsinvestitionen ankündigte, wurden strategisch wichtige Sektoren explizit ausgenommen, insbesondere die Atomenergie. Die China General Nuclear Power Group (CGN) schloss im März 2017 einen Vertrag mit Kenia ab. Für 2025 ist die Inbetriebnahme eines 1000-Megawatt-Atomkraftwerks geplant, dazu der Bau weiterer Anlagen mit einer Leistung von 4000 Megawatt bis 2030.

Über ihre Tochter Taurus Minerals ist die CGN seit 2012 Mehrheitseignerin der Husab-Uranmine in Namibia. Zudem kontrollieren chinesische Investoren das Bergbauunternehmen, das die Uranminen von Azelik im Norden Nigers betreibt. Bis heute haben neun afrikanische Länder (Ägypten, Nigeria, Algerien, Marokko, Uganda, Kenia, Niger, Ghana und Tunesien) ihre Absicht erklärt, in die zivile Nutzung der Kernenergie einzusteigen. Das wollen allerdings nicht nur die Chinesen nutzen. Ihre wichtigsten Konkurrenten sind Russland, das bereits in Ägypten und Nigeria engagiert ist, und natürlich (siehe nebenstehenden Kasten) Unternehmen aus Frankreich und anderen EU-Staaten.

1 Siehe, „Initiative africaine pour les énergies renouvel­ables“, COP21, www.ladocumentationfrancaise.fr/var/storage/rapports-publics/164000607.pdf.

2 Zu Eranove gehören die früheren Anlagen von Bouygues in Afrika, die ab 2008 an den Anlagefonds Emerging Capital Partners (55,9 Prozent) und an den AXA-Konzern (18,6 Prozent) verkauft wurden.

3 Dabei können auch andere, „unabhängige“ Stromerzeuger das Netz beliefern. Diese unterliegen etwa hinsichtlich der Tarifgestaltung nicht denselben Regelungen.

4 Énergies Africaines, Nr. 2, Genf, März/April 2015.

5 Siehe Aurélien Bernier, „Monopoly mit dem Weltklima“, Le Monde diplomatique, Dezember 2007.

6 Énergies Africaines, Nr. 3, Mai/Juni 2015.

7 Weltbank, „The Power of the Mine: A Transformative Opportunity for Sub-Saharan Africa“, Washington, D. C., 5. Februar 2015, www.worldbank.org.

8 Zwischen 2002 und 2012 ist der Anteil Afrikas am Bergbausektor von 10 auf 17 Prozent der globalen Produktion gestiegen. In Burkina Faso, in der Demokratischen Republik Kongo, in Guinea, in Mauretanien, in Mosambik und in Sambia entfallen mehr als die Hälfte der Exporte auf die Bergbauindustrie.

9 Ein Fall von Energieproduktion für die Bergbauindustrie ist aus politischen Gründen problematisch: Marokko will die Ausbeutung der Phosphatminen in der Westsahara künftig mit „alternativem“ Strom aus Siemens-Windanlagen betreiben, obwohl die Vereinten Nationen die Herrschaft Marokkos über die Westsahara nie anerkannt haben. Siehe die Publikation von Western Sahara Resource Watch, „Powering the Plunder“, 2016, www.wsrw.org.

10 „Boosting the Power Sector in Sub-Saharan Africa – China’s Involvement“, Internationale Energieagentur, Paris 2016.

Aus dem Französischen von Markus Greiß

Aurélien Bernier ist Journalist.

Export nach Europa?

Ist es möglich, durch erneuerbare ­Energien in Afrika Strom zu erzeugen und in Europa zu verbrauchen? Ja, meint die Deutsche Gesellschaft Club of Rome, die 2009 die Stiftung Desertec gründete, mit dem Ziel, ein riesiges (zu 90 Prozent auf erneuerbaren Energien beruhendes) System zur Stromerzeugung und -über­tragung zwischen Nordafrika, dem Nahen Osten und Europa aufzubauen. In das Projekt sind mehrere deutsche Konzerne involviert, darunter die ­Industrieunternehmen ABB und Siemens, die Energieversorger Eon und RWE, die Rückversicherungsgesellschaft Munich Re sowie die Deutsche Bank.

Als Argument für Desertec wird nicht nur die Verringerung der Treibhaus­gas­emissio­nen ins Feld geführt, sondern auch die Erschließung neuer finanzieller Ressourcen, mit denen die afrikanischen Länder zukünftige Ertragsrückgänge im Öl- und Gasgeschäft kompensieren könnten.

Ziel des Projekts, das nach ersten Schätzungen 800 Milliarden Euro kosten soll, ist es, ab 2050 fast 17 Prozent des europäischen Strombedarfs zu decken. Durch den Ölpreisverfall im Jahr 2014 scheint Desertec aber in einen Dorn­röschenschlaf ­gesunken zu sein. Die Idee, die Stromproduktion in andere Länder zu verlagern, ist jedoch nicht ad ­acta gelegt: Im September 2017 kündigte Nur Energie, ein in London ansässiges und von US-Investoren kontrolliertes Unternehmen, den Bau eines riesigen Solarkraftwerks im Süden Tunesiens an. Es soll Strom für Europa produzieren.

Potenzial Erneuerbare

Ganz Afrika hat eine Stromerzeugungskapazität von 160 Milliarden Watt (160 000 Megawatt, MW); das ist etwa dieselbe Menge, die in Deutschland produziert wird. Zwei Drittel der Kraftwerke befinden sich in den Maghreb-Staaten und in Südafrika, das als einziges afrikanische Land über ein Atomkraftwerk verfügt. Die Anlagen der anderen Staaten liefern 53 000 MW Strom, was etwa der Kapazität Portugals entspricht. Diese Kraftwerke stehen vor allem in den Ländern am Golf von Guinea und in Ostafrika.

Laut amtlichen Statistiken haben 650 Millionen Afrikaner keinen Zugang zu einem Stromnetz. In manchen Staaten liegt diese formelle Elektrifizierungsrate unter 15 Prozent, zum Beispiel in Sierra Leone, Liberia, Burkina Faso, im Tschad, in der Zentralafrikanischen Republik, im Südsudan und in Malawi. Doch diese Prozentzahl erfasst nur die Bevölkerungsteile, die in Gegenden ohne Stromnetz leben. Hinzu kommen aber Verbraucher, die zwar einen Netzanschluss haben, aber kein Geld für regelmäßigen Strombezug.

Ein großes Problem sind auch die zahlreichen Stromausfälle. Die häufigsten Ursachen sind überalterte Anlagen, mangelnde Wartung und der Leistungsrückgang von Wasserkraftwerken in Zeiten der Trockenheit. In vielen Ländern ist daher die Versorgung mit elektrischer Energie nicht gesichert.

2012 stammten 82 Prozent des afrikanischen Stroms von fossilen Energieträgern, wie Öl, Kohle und Gas. Aus Wasserkraftwerken stammten 15 Prozent des produzierten Stroms. Deren gegenwärtiges Produktionsvolumen beträgt jedoch nur 5 Prozent des geschätzten Potenzials der Wasserkrafterzeugung, das schon jetzt zur Hälfte wirtschaftlich rentabel genutzt werden könnte. Die Küstenregionen im Osten und Süden des Kontinents bieten auch sehr günstige Bedingungen für die Nutzung von Windenergie. Und in Ostafrika könnte man große geothermische Felder anzapfen. Gigantisch sind natürlich auch die Möglichkeiten zur Nutzung der Solarenergie, von der alle afrikanischen Länder ungefähr in gleichem Maße profitieren könnten.

Quellen: „Africa’s Power Infrastructure – Investment, Integration, Efficiency“, Weltbank, Washington, D. C., 2011; „Africa Energy Outlook“, Interna­tio­nale Energieagentur, Paris 2014.

Le Monde diplomatique vom 08.02.2018, von Aurelien Bernier