Zurück in Tegucigalpa
In Honduras ist das Ergebnis der Wahlen umstritten. Doch Präsident Hernández kontrolliert das Wahlgericht ebenso wie viele andere staatlichen Institutionen. Zudem ist er ein enger Verbündeter der USA, die in ihrem mittelamerikanischen Hinterhof zurückgekehrt sind und Migration und Drogenhandel bekämpfen.
von Sandra Weiss
Etwas lief aus dem Ruder am 11. Mai 2012 an der Karibikküste von Honduras. Der US-Antidrogenbehörde DEA lag ein Bericht vor, wonach in dieser Nacht eine Ladung Drogen auf dem Patuca-Fluss verschifft werden sollte. Die DEA-Agenten beschlossen, die Operation gegen die Drogenhändler selbst in die Hand zu nehmen, zusammen mit einer kleinen Gruppe handverlesener honduranischer Verbindungsoffiziere. Den von der Drogenmafia infiltrierten Sicherheitskräften1 trauten sie nicht über den Weg.
Bei dem Einsatz, an dem vier Black-Hawk-Hubschrauber beteiligt waren, gelang es ihnen ein mit Kokain beladenes Motorboot zu kapern. Als ein weiteres Boot auftauchte, eröffneten die Agenten das Feuer, auch aus einem Hubschrauber kam eine Maschinengewehrsalve. Die Bilanz: vier tote Zivilisten, darunter ein Kind, und sieben Verletzte. Das zweite Boot war ein ganz normales Wassertaxi gewesen.
Zuerst versuchte die DEA, die Verantwortung auf die Honduraner abzuwälzen. Bei einer Untersuchung im US-Kongress behauptete die Behörde dann, die Insassen des Boots hätten ihre Agenten beschossen – was sich später als gelogen herausstellte. Die in den Vorfall verwickelten DEA-Mitarbeiter wurden rasch außer Landes gebracht, den honduranischen Ermittlern wurden Aktenzugang und Zeugenvernehmung verwehrt.2
„Die Nordamerikaner machen hier, was sie wollen, bewaffnete Undercover-Kommandos eingeschlossen“, beklagt sich ein General a. D. bei unserem Gespräch: „Sie haben ihr eigenes Radarsystem in El Salvador installiert und geben nur bestimmte Informationen an uns weiter.“ Nach etwa 20 Jahren Zurückhaltung sind die USA wieder deutlich präsent in ihrem Hinterhof Mittelamerika. Die Vorstellung, dass diese Region zur unmittelbaren Einflussspähre der USA gehöre, geht zurück auf die Monroe-Doktrin aus dem Jahr 1823, als die USA nach und nach die Kontrolle über die ehemaligen Kolonien Spaniens in der Karibik übernahmen.
Hinter der gegenwärtigen Strategie steht Donald Trumps Stabschef im Weißen Haus, John Kelly. Bei einem Treffen mit Diplomaten 2013 sprach Kelly, damals noch General und Chef des Südkommandos,3 klare Worte, wie ein Teilnehmer des Treffen vertraulich erzählte: Das Südkommando sei fortan federführend in der Lateinamerikapolitik. Es werde zwar keine direkten militärischen Interventionen geben, aber Köpfe würden rollen, und wer sich mit der Drogenmafia einlasse, solle sich auf etwas gefasst machen. Diplomatischer formulierte Kelly es voriges Jahr bei einem Treffen des Atlantic Council: Die Sicherheit der USA beginne bereits 1500 Meilen südlich der mexikanischen Grenze. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits Stabschef.
Die US-Botschaft in der honduranischen Hauptstadt Tegucigalpa erstreckt sich über einen ganzen Häuserblock und ist – zwei Kellergeschosse inklusive – größer als das honduranische Kongressgebäude und der Präsidentenpalast zusammen. Alle Sicherheitsagenturen sind hier vertreten, vom Pentagon über die CIA und das FBI bis zur NSA. Und natürlich die DEA. Alle haben aufgestockt; der Platz reicht nicht mehr aus, ein neues Gelände keine zehn Straßenzüge weiter ist bereits angekauft.
Honduras ist zwar eines der ärmsten Länder Lateinamerikas, doch es befindet sich an einer strategischen Position, die schon im Kalten Krieg interessant war: am Scharnier zwischen Nord- und Südamerika. In Palmerola, unweit der Hauptstadt Tegucigalpa, unterhalten die USA seit 1981 eine der größten Militärbasen des Kontinents. Von hier aus wurden in den 1980er Jahren Operationen gegen kommunistische Guerillagruppen organisiert. Und von hier aus soll nun erneut die Region kontrolliert werden, die in den vergangenen 20 Jahren außer Kontrolle geraten ist.
Instabilität, Korruption und Drogenhandel haben sich ausgebreitet,4 die Migration nimmt zu, und linke Regierungen haben Allianzen mit China und Russland geschlossen. Das alles gefährdet aus Sicht der Hardliner im Pentagon und im Weißen Haus die strategischen Interessen der USA.
Die US-Agenten sind wieder da
Die Rückkehr auf den Hinterhof fand gemäß einer neuen Doktrin in sanftem Gewand statt: „Allianz für den Wohlstand“ heißt das Programm, das noch 2014 unter Präsident Barack Obama für die drei nördlichen Länder Mittelamerikas (Guatemala, El Salvador, Honduras) aufgelegt wurde. „Das Programm hat drei Achsen“, erläutert der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler Alberto Arene aus El Salvador: „Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit und die Förderung der Wirtschaft durch Privatinvestitionen.“
Auch die europäischen und lateinamerikanischen Bündnispartner sind eingespannt; während die USA vor allem Geld für Rüstung und Ausbildung der Sicherheitskräfte bereitstellen, übernehmen die EU-Partner Entwicklungsprojekte und leisten Hilfe zur Rechtsstaatlichkeit. So wird zum Beispiel die UN-Kommission gegen Straffreiheit in Guatemala (Cicig)5 zum Großteil aus EU-Geldern finanziert. Ihr Pendant in Honduras, die Unterstützungsmission gegen Straffreiheit und Korruption (Maccih), untersteht der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), in der die USA seit dem Kollaps von Venezuela wieder mehr Einfluss gewonnen haben.
Die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ist mit 23 internationalen und 79 lokalen Mitarbeitern im Land vertreten und finanziert mit 65 Millionen Euro vor allem Projekte in den Bereichen Bildung und Forstwirtschaft. Ein Teil der Hilfe wird über eine merkwürdige Dreieckskooperation mit Mexiko abgewickelt, das die Migration aus Mittelamerika nach Norden aufhalten soll.6
Auch die Europäische Union hat Honduras zum Schwerpunktland in Mittelamerika auserkoren. Die Europäische Investitionsbank gehörte bis vor Kurzem zu den wichtigsten Geldgebern für dortige Infrastrukturprojekte – bis der Mord an der honduranischen Umweltaktivistin Berta Cáceres 2016 die Kreditvergabe vorübergehend stoppte. Seit 2007 hat die EU Honduras rund 450 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, zum Teil für bestimmte Projekte, zum Teil aber auch als direkte Hilfe für die hoch verschuldete Staatskasse – Gelder, die einem Bericht des europäischen Rechnungshofs zufolge oft in dunklen Kanälen versickerten und ihre Ziele zum Teil verfehlten.
Für die USA hatte sich die Gelegenheit für die Rückeroberung ihres Hinterhofs mit dem Umsturz im Jahr 2009 ergeben. Damals wurde der sozialliberale Präsident Manuel Zelaya von der wirtschaftlichen Elite und dem Militär aus dem Amt gejagt, weil er zu sehr mit dem sozialistischen Venezuela kokettiert und eine Volksabstimmung zur Verfassungsänderung angesetzt hatte, die seine Wiederwahl ermöglicht hätte.
Über die Verwicklung der USA in diesen Staatsstreich gibt es seither immer wieder Spekulationen. Gründe dafür bestanden durchaus: Zelaya hatte sich durch seine außenpolitische Allianz mit dem linken Alba-Bündnis7 von Washington entfernt und die USA massiv kritisiert. Beunruhigt registrierten die Geheimdienste auch die zunehmende Zahl von Drogenflugzeugen vor allem kolumbianischer und venezolanischer Herkunft, die an der honduranischen Atlantikküste landeten und dort die Fracht umluden, um sie auf dem Landweg weiter nach Guatemala und Mexiko zu transportieren.
„Die Überflutung der USA mit Drogen halten einige US-Konservative für ein Komplott, eine Art subversiven Rachefeldzugs der Linken“, sagt der General a. D.
Ganz aus der Luft gegriffen ist das nicht: In den 1980er Jahren äußerte dergleichen etwa Carlos Lehder, Mitbegründer des kolumbianischen Medellín-Kartells und ein belesener Verehrer Che Guevaras. Dass die US-Botschaft 2009 über die Umsturzpläne der Militärs im Bilde war, ist seit der Enthüllungen durch Wikileaks klar; doch offenbar gab es Meinungsverschiedenheiten zwischen den Falken im Pentagon und dem US-Außenministerium.8 Eine aktive Rolle bei der Vorbereitung und Umsetzung habe die US-Botschaft nicht gespielt, das sagen Augenzeugen von damals im Gespräch.
Die Elite hat die Finger im Drogengeschäft
Doch der Druck der USA war entscheidend, dass die Interimsregierung die Wahlen im November 2009 anberaumte, aus denen der konservative Porfirio Lobo als Sieger hervorging. Unter dessen Präsidentschaft begann die DEA ihre Präsenz in Honduras auszubauen und Informationen zu sammeln, die ein klares Bild ergaben: „Die politische Elite war von der Mafia kooptiert oder unterwandert“, sagt der Jesuit Ismael Moreno, Programmdirektor bei Radio Progreso, einem der wenigen kritischen Medien in Honduras. Die Drogenmafia hatte enormen Einfluss gewonnen.
Zuerst gingen die lokalen Drogenhändler hoch. Organisiert waren sie in Familienclans, die meist aus Banden von Schmugglern oder Viehdieben hervorgegangen waren, wie die Familie Valle in der Region Copán entlang der Grenze zu Guatemala und die „Cachiros“9 an der Atlantikküste.
Doch die US-Regierung wollte die Hintermänner und die Geldwäscher. Sie erhöhte den Druck auf die honduranische Regierung, die sich lange gegen Auslieferungen gesträubt hatte. Schließlich gab sie nach: Seit 2014 wurden 16 Drogenbosse ausgeliefert. Vor US-Gerichten begannen sie gegen die Zusage von Strafnachlässen auszupacken.
Was folgte, war ein Erdbeben: Fabio Lobo, der Sohn von Expräsident Porfirio Lobo, wurde 2015 von der DEA in Haiti in einen Hinterhalt gelockt und wegen Drogenhandels zu 24 Jahren Haft verurteilt. Danach fiel die Bankiersfamilie Rosenthal, die für die „Cachiros“ 10 Jahre lang Millionen von Dollar gewaschen hatte.
Die Festnahme von Yankel Rosenthal im Oktober 2015 am Flughafen in Miami schlug ein wie eine Bombe. Die Rosenthals sind eine Familie der traditionellen Elite; Yankel Rosenthal war bis kurz vor seiner Festnahme noch Minister im Kabinett von Präsident Hernández gewesen. „Es war ein Warnschuss für die honduranische Elite, ihre Finger aus dem Drogengeschäft zu nehmen“, sagt der Anwalt und Soziologe Miguel Calix. Kurz darauf wurde – wieder auf Druck der USA – ein neues Gesetz zur Parteienfinanzierung erlassen, das unter anderem die zulässige Obergrenze für Spenden drastisch senkt und das Bankgeheimnis aufweicht.
Hernández war bislang nach Auffassung Morenos die Trumpfkarte der USA. Er habe Stabilität garantiert und die Allianz mit den USA aufrecht erhalten. Doch seit der chaotischen Wahl vom 26. November wankt diese Strategie. Nachdem bei der Auszählung zunächst der Kandidat des Oppositionsbündnisses gegen die Diktatur, Salvador Nasralla, mit knapp 5 Prozentpunkten vorne gelegen hatte, wendete sich das Blatt im Laufe einer schleppenden, zeitweise unterbrochenen Auszählung. Weil das Wahlgericht als regierungsnah gilt, erkannte Nasralla die Resultate nicht an. Es kam zu Protesten und Plünderungen, die Regierung verhängte eine nächtliche Ausgangssperre.
Damit droht Honduras anhaltende Instabilität, was den Hardlinern in der US-Regierung in die Hände spielen könnte, die eine direktere Intervention in Mittelamerika fordern. Auch Hernández könnte es an den Kragen gehen. Einer der festgenommenen Drogenbosse behauptete, Hernández’ Bruder Antonio habe ihm bei der Geldwäsche geholfen.10
Rein statistisch hatte der Pakt Hernandez’ mit den USA durchaus Erfolg: Die Gewaltkriminalität ist um knapp ein Drittel gesunken, der Drogentransport durch Honduras hat sich nach der Schätzung von Experten sogar um die Hälfte verringert, seit die USA die Atlantikküste engmaschig überwachen. Gestoppt ist der Drogenhandel freilich nicht – es hat sich nach Informationen aus Polizeikreisen nur an die Pazifikküste verlagert, mit Nicaragua, Guatemala und El Salvador als neuen Umschlagplätzen. Allen drei Ländern sitzt die US-Regierung ebenfalls im Nacken. In Nicaragua hat der Altsandinist Daniel Ortega 2015 die Russen zu Hilfe gerufen und gemeinsame Satellitenstationen und Waffenkäufe vereinbart11 – wie einst im Kalten Krieg.
1 Siehe El Proceso, www.proceso.hn/component/k2/item/53041.html.
2 Siehe www.nytimes.com/2017/07/02/opinion/-dea-honduras-drugs.html.
4 Siehe Juan José Martínez D’Aubuisson, „Graffiti toter Gangster“, Le Monde diplomatique, Mai 2016.
5 Siehe Sandra Weiss, „Die Mutigen von Guatemala“, Le Monde diplomatique, Februar 2016.
6 Siehe blogs.taz.de/latinorama/2016/04/10/merkwuerdige-entwicklungshilfe/.
8 Siehe Robert Naiman, www.huffingtonpost.com/robert-naiman/wikileaks-honduras-state_b_789282.html.
9 Siehe es.insightcrime.org/noticias-sobre-crimen-organizado-en-honduras/cachiros-perfil.
11 Siehe cnnespanol.cnn.com/2017/04/20/lazos-militares-que-se-traen-rusia-y-nicaragua/.
Sandra Weiss ist Politologin und Journalistin in Oaxaca, Mexiko.
© Le Monde diplomatique, Berlin