Öl im Tschad
Ein fragwürdiger Segen von Anne-Claire Poirson
Erdöl steht bei den Exporteinnahmen des Tschad inzwischen an erster Stelle, noch vor Baumwolle und Gummiarabikum. Im Jahr 2004, im ersten Geschäftsjahr nach Beginn der Ölförderung (offiziell 10. 10. 2003), brachte die Ölausfuhr Deviseneinnahmen in Höhe von umgerechnet 103 Millionen Euro.1 Im Vergleich zum benachbarten Nigeria mit einer Tagesförderung von 2 Millionen Barrel (je 159 Liter) nehmen sich die 200 000 Barrel des Tschad zwar noch gering aus, aber schon in diesem Jahr soll die Fördermenge auf 250 000 Barrel pro Tag steigen.
Hauptsächliches Fördergebiet ist das Doba-Becken im Süden des Landes. 250 Bohrlöcher sind auf den Ölfeldern von Komé, Bolobo und Miandoum geplant, im Umkreis von Doba 25 Bohrlöcher mit Wassereinpressung.2 Auf dem Ölfeld von Komé begann die Förderung Ende Februar 2004; in den folgenden Monaten wurden insgesamt 175 Bohrungen niedergebracht. Die Förderanlagen von Bolobo sind seit August 2004 in Betrieb. Im selben Jahr verkaufte das Betreiberkonsortium aus den US-Multis ExxonMobil und Chevron/Texaco sowie der malaysischen Ölgesellschaft Petronas über 63 Millionen Barrel, hauptsächlich nach Asien und in die Vereinigten Staaten. Andere Ölgesellschaften haben ebenfalls Interesse angemeldet.3
Anders als in den übrigen afrikanischen Ölförderländern4 gibt es im Tschad feste Übereinkünfte über die Verwendung der Einnahmen aus dem Erdöl. Die Weltbank, die das Projekt (Gesamtvolumen: 3,5 Milliarden Dollar) mitfinanziert hat, hatte vorab zur Bedingung gemacht, dass die Einnahmen in „prioritäre Sektoren“ fließen – laut Abkommen zwischen Regierung und Konsortium in die Bereiche Bildung, Gesundheit, ländliche Entwicklung und Infrastruktur. Bisher wurden die Gelder – vor allem wegen der notorischen Langsamkeit der Verwaltung – nur in wenigen Fällen freigegeben. So muss man befürchten, dass die Bevölkerung zumindest kurzfristig nicht von diesen Investitionen profitieren wird. Im Übrigen bezieht sich das Abkommen nicht auf die indirekten Einnahmen (Steuern und Abgaben), die sich auf knapp 45 Prozent der Gesamteinnahmen belaufen und direkt in die Staatskassen des Tschad fließen. Dass das Clanregime diese Gelder zum Wohle der Bevölkerung einsetzen wird, ist mehr als fraglich.
Seit dem Sturz von Diktator Hissène Habré5 im Dezember 1995 setzte General Idriss Déby zwar eine Reihe von demokratischen Reformen um, die jedoch das Problem der Clanherrschaft nicht lösen konnten.6 Die Verfassung, die 1996 per Volksentscheid bestätigt wurde, verankerte das allgemeine Wahlrecht und führte ein Mehrparteiensystem ein. Seit den Parlamentswahlen von 2002 verfügt die Patriotische Heilsbewegung (MPS) des Staatspräsidenten über eine erdrückende Mehrheit; die 27 Oppositionsparteien dienen als demokratisches Feigenblatt. Sie sind vielfach auf einzelne ethnische Gruppen oder Regionen beschränkt und haben weder eine gemeinsame Strategie noch einen charismatischen Führer, der die Bürger gegen die geballte Regierungsmacht mobilisieren könnte.
Idriss Déby hat im Juni dieses Jahres per Volksentscheid eine Verfassungsänderung durchgesetzt, um für eine dritte Amtszeit gewählt werden zu können. Funk und Fernsehen unterliegen strikter Kontrolle, nur die Printmedien genießen eine gewisse Freiheit. Dennoch wurden zwei Journalisten am 18. Juli 2005 zu Freiheitsstrafen ohne Bewährung verurteilt. In der relativ großen Armee7 hat die Ethnie des Präsidenten (Zaghawa) die wichtigsten Leitungsposten fest in der Hand. Die Streitkräfte in ihrer heutigen Größe sind ein Erbe des Bürgerkriegs, der das Land die 1980er-Jahre hindurch spaltete.
Von außen ist die relative „politische Stabilität“ unter Druck geraten, seit im Jahr 2003 der Konflikt im benachbarten Darfur ausbrach, wo ein Teil des Zaghawa-Clans lebt.8 Dass Staatspräsident Déby seine Vermittlerdienste bei der Suche nach einem Ausweg aus der Krise anbot, fand gerade innerhalb der eigenen Ethnie, die zu den Hauptopfern des Konflikts gehört, wenig Gegenliebe. Doch auch in den übrigen Teilen des Landes wird protestiert: Beamte streiken, weil sie seit Monaten kein Gehalt bekommen. Auch gegen den Militärzensus gibt es zahlreiche Demonstrationen.
Die Erdölförderung hat die lokale Wirtschaftsstruktur im letzten Jahr tief greifend verändert. Im Berichtsjahr 2004/2005 wuchs der Primärsektor, zu dem auch die Ölförderung gehört, trotz der schlechten Ergebnisse der Lebensmittelerzeugung um 35 Prozent. Doch mit der Fertigstellung der Pipeline zwischen Doba (Tschad) und Kribi (Kamerun) und mit dem Abzug der ausländischen Subunternehmen schwindet die Multiplikatorwirkung des Erdölsektors auf die Bauwirtschaft, den Tiefbau und das Dienstleistungsgewerbe.
Die tief greifenden Veränderungen der Wirtschaft stellen den Tschad vor große Herausforderungen. Zahlreiche Organisationen aus dem In- und Ausland haben in jüngster Zeit die sozialen und ökologischen Auswirkungen der Erdölwirtschaft kritisiert.9 Denn die Folgen der notwendigen Infrastrukturmaßnahmen in dieser traditionell ländlichen Region sind beträchtlich: Entwaldung, Bevölkerungsumsiedlung und das Brachliegen von Feldern. Den Nichtregierungsorganisationen ist es gelungen, nachträglich eine Aufstockung der Entschädigungszahlungen zu erreichen.
Verdunkelung und Bauernfängerei
Laut einem Bericht der französischen Entwicklungsagentur (AFD) hat sich der Aufschwung der Erdölförderung nur begrenzt positiv auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt; offensichtlich wurden besser qualifizierte Arbeiter aus Kamerun oder Asien eingestellt. Die US-amerikanische Organisation Catholic Relief Service meint, dass „der Tschad trotz der Aufmerksamkeit und Unterstützung seitens der Weltbank und anderer Geldgeber noch immer nicht in der Lage ist, die Komplexität einer mehr und mehr vom Erdöl dominierten Wirtschaft zu managen“.10 Auch der Inhalt der Verträge zwischen dem Förderkonsortium und der Regierung sei nach wie vor unbekannt.
Mittlerweile wurde – wenn auch spät – ein aus Regierungsmitgliedern und Vertretern der Zivilgesellschaft bestehendes „Kollegium zur Kontrolle und Überwachung der Erdölressourcen“ (CCSRP) ins Leben gerufen, das die Finanzströme kontrollieren und die Projekte, in die die Gelder fließen, überprüfen soll. Durch diesen zusätzlichen Aufwand sind die Erdöleinnahmen im Juli dieses Jahres verspätet bei der Staatskasse eingetroffen. Die Verabschiedung der gesetzlichen Voraussetzungen für diverse Sonderkonten – die Konten der Förderregion und den „Fonds für die künftigen Generationen“ – verzögerte sich.
Bis November 2004 waren von einem Offshore-Treuhandkonto bei der Citibank11 nur 44 Milliarden CFA-Franc (68 Mio. Euro) in den Tschad transferiert worden. Die Verzögerungen verursachten große Budgetprobleme. Der Grund: Der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank und die Europäische Union hatten ihre Haushaltszuschüsse eingestellt, da der Tschad mit der Rückzahlung seiner Auslandsschulden im Verzug war. So kam es zu zusätzlichen Spannungen, und die geplanten Investitionen der öffentlichen Hand mussten verschoben werden
Obwohl der Weltmarktpreis im vorigen Jahr zeitweise auf bis zu 67 Dollar je Barrel stieg, erzielte das Öl aus dem Tschad nur einen durchschnittlichen Marktpreis von 27 Dollar. Deshalb beliefen sich die staatlichen Erdöleinnahmen – ihr Anteil am Exporterlös des Konsortiums ist vertraglich auf 12,5 Prozent festgelegt12 – auf lediglich 103 Millionen Euro.
Dass der Weltmarkt für Tschad-Öl so viel weniger bezahlt, stößt in N’Djaména auf heftige Kritik. Die Ölgesellschaften begründen dies mit der vergleichsweise minderen Qualität des Tschad-Öls: Zähflüssiges Rohöl fließe langsamer durch die Pipeline und erhöhe dadurch die Transportkosten. Resultat: Ein Abschlag von 6 bis 9,8 Dollar pro Barrel zwischen dem ersten und dem zweiten Halbjahr 2004. Die Regierung hat ein Audit in Auftrag gegeben, um Licht in die Preisgestaltung zu bringen. „Beschiss, Verdunkelung und Bauernfängerei“, betitelte der Präsidentenpalast die Presseerklärung.
Der Tschad braucht dringend Mittel für die Entwicklung seiner Infrastruktur. Der Elektrizitätsbedarf der Hauptstadt ist nur zu knapp 12 Prozent gedeckt, häufige Stromabschaltungen sind die Folge. Auch die Wasserversorgung ist oft unterbrochen. Es gibt nur wenige geteerte Straßen, und allein in der Hauptstadt sind 15 Kilometer Straße in Bau. Die Verwaltungsgebäude sind mehr als baufällig.
Im Gesundheits- und Bildungsbereich fehlt es an Material und qualifiziertem Personal. In der Landwirtschaft sind einige Sektoren, die noch immer mit vorindustriellen Methoden produzieren (Baumwolle und Gummiarabikum), den modernen Anforderungen kaum gewachsen. Andere Agrarsektoren wie die Viehwirtschaft bedürfen stärkerer staatlicher Kontrolle, da der grenzüberschreitende Viehhandel mit Nigeria zu 80 Prozent in den informellen Sektor fällt und dem Staat damit jährliche Einnahmen in Höhe von 1 Milliarde CFA-Franc entgehen. Darüber hinaus wäre die Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse wie Erdnüsse, Mangos und Vieh zu fördern.
Das aus den Erdöleinnahmen finanzierte Budget für öffentliche Investitionen wurde im vorigen Jahr nicht völlig ausgeschöpft. Nur 42,3 Millionen Euro der zur Verfügung stehenden 56,2 Millionen Euro fanden Verwendung, weil die Ministerien nicht hinreichend in der Lage sind, langfristige sektorielle Projekte zu planen. Im Unterschied zu anderen afrikanischen Ländern wechselt das Personal in den Ministerien im Tschad häufig, ein Minister bleibt im Durchschnitt nicht länger als sechs Monate im Amt. Daher sind sie auch nur mäßig engagiert, weshalb das Kontrollkollegium bislang nur wenige Projekte überprüft und vorgeschlagen hat.
Insgesamt wurden in den „prioritären Sektoren“ im vorigen Jahr 36 Projekte überprüft und genehmigt, 8 davon mit Vollfinanzierung. Der Löwenanteil mit 35,1 Millionen Euro (23 Milliarden CFA-Franc) entfiel auf den öffentlichen Straßenbau, während die Ministerien für Gesundheit, Viehzucht und Landwirtschaft, die im öffentlichen Ausschreibungswesen wenig bewandert sind, nur einen verschwindenden Teil des Erdölsegens für sich verbuchen konnten.
5 Milliarden CFA-Franc wurden auf das Budget von 2005 übertragen, für das bei einer erwarteten Erdölförderung von 80 Millionen Barrel Einnahmen in Höhe von 125 Milliarden CFA-Franc (190 Millionen Euro) eingeplant sind. Dass die Finanzressourcen nicht ausgeschöpft werden, ist freilich nicht allein die Schuld des Tschad. Die Weltbank, die das Erdölprojekt koordiniert, hat es versäumt, das örtliche Verwaltungspersonal hinreichend zu schulen, und sich aus dem Entscheidungsprozess längst völlig zurückgezogen. Überhaupt haben es die ausländischen Geldgeber jahrelang vernachlässigt, die öffentliche Verwaltung in Afrika auszubilden und einzubinden.
Die Idee, die Erdöleinnahmen gezielt zur Förderung der „prioritären Sektoren“ zu verwenden, könnte durchaus ein wirksames Mittel sein, um die Armut durch Steuerung der öffentlichen Investitionen wirksam zu bekämpfen. Doch durch das derzeitige Vergabesystem hat die Weltbank indirekt Einfluss auf die Verwendung der Erdöleinnahmen, da sie an der Einrichtung der Entscheidungsinstanzen (des Kontrollkollegiums und der beiden Geschäftsbanken) mitwirkt.
Ungelöst ist im Übrigen auch das Problem, wie ein Staat wie der Tschad lernen kann, derart große Summen zu verwalten. Derzeit jedenfalls hat das Land nicht die technischen und personellen Voraussetzungen, um adäquate öffentlichen Projekte zu entwickeln.
Fußnoten: l Die folgenden Wirtschaftszahlen stammen von der Bank von Zentralafrika (BEAC). Für weiterführende Informationen zum Thema Erdöl im Tschad siehe auch die Website www.erdoel-tschad.de sowie den jüngsten Bericht von amnesty international („Contracting out of human rights: The Chad-Cameroon pipeline project“, 7. 9. 2005). 2 Bei dieser Fördertechnik wird zunächst das Öl-Wasser-Gemisch getrennt. Das Wasser wird aufbereitet – von Sand und anderen Festpartikeln gereinigt –, anschließend werden rund 10 Prozent in den Ölbrunnen gepresst, um die Fließeigenschaften von sehr zähflüssigem Öl zu verbessern. 3 Im Frühjahr 2004 erhielt ein Konsortium aus der kanadischen Ölgesellschaft Encana, der britischen Cliveden und der China National Petroleum Corporation die Genehmigung zur Erforschung, Exploration und Förderung der Erdölbestände im Tschad. Der Erdölkonzern Total Elf, der sich 1999 zurückgezogen hatte, soll Interesse an der nordöstlichen Grenzregion zu Libyen angemeldet haben. 4 Dazu Jean-Christophe Servant, „Stille Offensive. Das Interesse der USA an den Erdölvorkommen Afrikas“, Le Monde diplomatique, Januar 2003. 5 Gegen Hissène Habré laufen bei der belgischen Justiz Ermittlungen wegen Menschenrechtsverletzungen. Siehe www.hrw.org/french/themes/habre.htm. 6 Dazu Pierre Conesa, „Tschad. Ein fiktiver Staat und konkrete Interessen“, Le Monde diplomatique, Mai 2001. 7 30 000 bis 50 000 Mann bei einer Bevölkerung von 8 Millionen Einwohnern. 8 Dazu Jean-Louis Peninou, „Eskalation im Westsudan. Als die Reiter Gewehre erhielten“, Le Monde diplomatique, Mai 2004; Gérard Prunier, „Sudan. Aggressoren zahlen sich aus“, Le Monde diplomatique, Februar 2005. 9 Es handelt sich um die Organisationen Survie, Agir Ici, Greenpeace, Environmental Defense Fund, Les Amis de la Terre, Cefod und die kamerunische Ecovox. 10 Catholic Relief Service, „Le pétrole tchadien, miracle ou mirage“, zitiert nach „Pétrole: une ONG s’inquiète“, www.hrw.org/french/themes/habre.htm. 11 Solche von internationalen Finanzorganisationen geführten Konten liegen immer bei Banken außerhalb des betreffenden Staates. 12 Die Abgaben werden mit jeder Ölgesellschaft einzeln ausgehandelt und liegen zwischen 10 und 20 Prozent der Exporterlöse.
Aus dem Französischen von Bodo Schulze Anne-Claire Poirson ist Wirtschaftswissenschaftlerin.