16.09.2005

Big Business bittet zum runden Tisch

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Big Business bittet zum runden Tisch

Das neue Zauberwort heißt Global Compact von Christian G. Caubet

Die Geschäftswelt hat ein unmittelbares Interesse daran, den Staaten zu helfen, ihre Ziele im Sinne einer umfassenden und nachhaltigen Entwicklung zu erreichen. Die Verringerung der Armut trägt dazu bei, stabile und sozialverträgliche Märkte zu schaffen und Kaufkraft zu erzeugen, die weiteres Marktwachstum ermöglicht. Sie leistet auch einen Beitrag zur Produktivitätssteigerung und zum Abbau sozialer Spannungen. Und für die Arbeitskräfte bedeutet sie, dass sie gesünder und dynamischer werden.“ Die Sätze stammen aus einer Rede von UN-Generalsekretär Kofi Annan,1 mit der er für eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen UNO und Geschäftswelt plädierte.

Für eine solche Annäherung setzt sich Annan bereits seit Beginn seiner ersten Amtszeit 1997 ein, obwohl er dafür kein ausdrückliches Mandat besitzt. Am 9. Februar 1998 traf er sich mit 25 führenden Vertretern der Internationalen Handelskammer (CCI), die unter anderem Coca-Cola, Goldman Sachs, McDonald’s, Rio Tinto Zinc und Unilever repräsentierten. Im September 1998 veranstaltete der Geneva Business Dialogue unter der Schirmherrschaft des CCI einen „Dialog“ zwischen Vertretern der Geschäftswelt und Repräsentanten nationaler und internationaler Behörden. Annan unterstrich bei dieser Gelegenheit die Notwendigkeit einer stärkeren Zusammenarbeit zwischen UNO und CCI.2

CCI-Präsident Helmut Maucher, Mitglied des Nestlé-Verwaltungsrats und des Europäischen Industriekreises (ERT), benannte als Ziel des Dialogs, „die Spitzen internationaler Unternehmen und die Führer internationaler Organisationen an einen Tisch zu bekommen, um die Erfahrung der Unternehmer und den Sachverstand der Experten für Entscheidungsprozesse im Rahmen der globalen Wirtschaft fruchtbar zu machen“. Weitere Teilnehmer des Treffens waren EU-Finanzkommissar Thibault de Silguy, WTO-Generaldirektor Renato Ruggiero, hochrangige Beamte der Weltbank, UN-Untergeneralsekretär Wladimir Petrowski und Unctad-Generalsekretär Rubens Ricupero.

Auf der Tagesordnung stand die Erarbeitung von Standards, die es den am wenigsten entwickelten Ländern ermöglichen sollen, Auslandsinvestitionen anzuziehen. Dabei wurden sechs Länder auserkoren, und zwar Bangladesch, Äthiopien, Madagaskar, Mali, Mosambik und Uganda. In diesen Ländern sollen gemeinsame Projekte mit British American Tobacco, British Petroleum, Cargill, Coca-Cola, DaimlerChrysler, Nestlé, Novartis, Rio Tinto, Shell, Siemens und Unilever in Angriff genommen werden. Dabei soll den Unternehmen die Aufgabe zufallen, „die Erfahrungen der Vergangenheit und die besten Voraussetzungen zur Schaffung eines für Auslandsdirektinvestitionen günstigen Klimas zu eruieren“.

Dieses Konzept hat sich von der ursprünglichen Zielsetzung der UNO, „den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt aller Völker zu fördern“ (wie es in der Präambel der UN-Charta heißt), ziemlich weit entfernt. Anstatt sich an dieser Leitlinie zu orientieren, hat sich die UNO seit ihrer Gründung zum einen auf die Lösung diplomatischer Probleme und Konflikte konzentriert, zum anderen dazu beigetragen, die Zuständigkeit für Fragen der Wirtschafts- und Entwicklungspolitik auf zahlreiche UN-Unterorganisationen aufzuteilen. Der Wirtschafts- und Sozialrat zum Beispiel, dessen Entscheidungen nicht verbindlich sind, spiegelt vor allem den Minimalkonsens der einflussreichsten Mitgliedstaaten wider. Die Gründung der UN-Handels- und Entwicklungskonferenz (Unctad) 1964, der UN-Organisation für industrielle Entwicklung (Unido) 1966 und des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) 1970 zeigten zwar an, dass man über eine neue internationale Wirtschaftsordnung nachzudenken begann, doch über gemeinsame Entwicklungsziele konnte man keine Einigung erzielen.

Als dann zwischen 1980 und 1990 die neoliberalen Visionen die Oberhand gewannen, verlagerte sich das Gravitationszentrum der Entscheidungen über wirtschaftliche und soziale Fragen immer mehr in Richtung UN-unabhängiger Organisationen3 vor allem zu der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds4 und der Welthandelsorganisation. Die UN-Generalversammlung blieb fortan außen vor. Bezeichnend war auch, dass die Unctad 1993 ihr einstiges Vorhaben aufgab, einen Verhaltenskodex für multinationale Konzerne zu entwickeln.

Auf dem Davoser Weltwirtschaftsforum im Januar 1999 schließlich schlug der UN-Generalsekretär den versammelten internationalen Wirtschaftsführern vor, einen „Globalen Pakt der Vereinten Nationen“ abzuschließen. Ziel dieses Vorschlag sollte es sein, das Verantwortungsbewusstsein der Unternehmen für eine „sozial- und umweltverträglichere globale Wirtschaft“ zu schärfen. Mit der Unterzeichnung eines solchen „Global Compact“ verpflichten sich die Firmen zur Einhaltung von zehn Grundsätzen. Zu ihnen gehören die Achtung der Menschenrechte, die Anerkennung der Gewerkschaftsfreiheit, die Abschaffung von Zwangs- und Kinderarbeit, die Beseitigung von Diskriminierung am Arbeitsplatz, das Vermeiden von Gefährdungen der Umwelt und der Kampf gegen Korruption und Bestechung.

Als Gegenleistung winkt den Unterzeichnern eine verstärkte Zusammenarbeit mit den UN-Sonderorganisationen – dem UN-Hochkommissariats für Flüchtlingsfragen, der Uned, der Onudi und dem UN-Umweltschutzprogramm – sowie mit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Der offizielle Startschuss für die Initiative erfolgte am 26. Juli 2000 in New York. Die Frage des Investitionsschutzes wird in den Prinzipien des Global Compact zwar nicht angesprochen, doch die Erörterungen im Rahmen der Welthandelsorganisation lassen vermuten, dass die Frage demnächst wieder Gegenstand internationaler Verhandlungen sein wird.

Im März 1999 gelangten Informationen über die Planung eines „Weltfonds für nachhaltige Entwicklung“ an die Öffentlichkeit. Dieser Weltfonds soll dem Vernehmen nach beim UN-Entwicklungsprogramm angesiedelt sein. Dabei soll die UNDP den mitwirkenden Firmen den Marktzugang zu 135 Länder gewährleisten. Zu den Wirtschaftsbereichen, die für dieses Programm der Nachhaltigkeit in Frage kommen, zählen der Ausbau des ländlichen Telefon- und Stromnetzes und der Aufbau von Mikrofinanzorganisationen. Das Projekt befindet sich jedoch immer noch im Planungsstadium.

Im Juli 2000 haben die Staats- und Regierungschefs auf dem Jahrtausendgipfel der UNO konkrete „Millenniumsziele“ beschlossen, zum Beispiel die Halbierung der Zahl von Menschen, die weniger als einen Dollar pro Tag haben, bis zum Jahr 2015, oder eine Grundschuldbildung für alle Kinder, auch in der Dritten Welt.5 Solche Ziele sind angesichts der beschriebenen Entwicklung wohl Schnee von gestern.

Fußnoten: 1 Botschaft des UN-Generalsekretärs an das Regionaltreffen des „Global Compact“ in Jamshedpur, Indien, 8. März 2005, www.un.org/apps/sg/sgs tats.asp?nid=1339. 2 „Kofi Annan: UN and private sector need each other“, www.iccwbo.org/home/news_archives/1998/un_and_private_sector.asp. 3 Dazu Stephane Hessel, „Un conseil de sécurité économique et social“, Le Monde diplomatique, Juli 2003. 4 Dazu Isabelle Grunberg, „Was wird aus dem IWF?“, Le Monde diplomatique, September 2000. 5 Siehe „Millenniumserklärung der Vereinten Nationen“, verabschiedet von der Generalversammlung der Vereinten Nationen zum Abschluss des vom 6. bis 8. September 2000 abgehaltenen Millenniumsgipfels in New York 2000, www.runic-europe.org/german/sg/millennium/millenniumerklaerung.pdf.

Aus dem Französischen von Bodo Schulze Christian G. Caubet ist Professor für Rechtswissenschaften an der Universität von Santa Catarina in Brasilien.

Le Monde diplomatique vom 16.09.2005, von Christian G. Caubet