12.10.2017

Nordkorea: Angst und Gebrüll

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Nordkorea: Angst und Gebrüll

Mit seinen Atomversuchen destabilisiert Pjöngjang die Pazifikregion. Zuletzt verkündete Kim Jong Un Anfang September den erfolgreichen Test einer Wasserstoffbombe. Für das isolierte Regime ist die Bombe die einzige Lebens­versicherung. Soll die Welt Nordkorea als neunte Atommacht akzeptieren?

von Martine Bulard

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Seit fast einem Vierteljahrhundert beschäftigt Nordkorea mit seinem Atomprogramm die Welt. Seinen ersten Atombombentest führte das Land 1993 durch. Seit dem vergangenen Jahr aber hat Diktator Kim Jong Un die Schlagzahl ­erhöht: Innerhalb von nur zwanzig Monaten hat Nordkorea zehn Mit­telstrecken- beziehungsweise Interkontinentalraketen gestartet und nach eigenem Bekunden drei Atombombentests durchgeführt.

Gleichzeitig sendet das Land spektakuläre Bilder von seinen Militärparaden in die Welt (zuletzt am 15. April), bei denen Panzer und Raketen aufgefahren werden, und Kim drohte US-amerikanischen Städten sowie der Pazifikinsel Guam, wo sich eine US-Luftwaffenbasis befindet, mit der vollständigen Zerstörung. Am 14. September legte eine von Nordkorea abgefeuerte Rakete 3700 Kilometer zurück, bevor sie ins Meer stürzte – womit bewiesen war, dass auch die 3400 Kilometer von Pjöngjang entfernte Insel Guam nun innerhalb der Reichweite nordkoreanischer Raketen liegt.

Bislang hat sich Kim Jong Un zwar davor gehütet, seine Raketen tatsächlich in Richtung des US-Außengebiets Guam abzufeuern. Die Japaner allerdings sind bereits mehrmals von den schrillen Sirenen aufgeschreckt worden, die beim Überflug nordkoreanischer Raketen losheulen – denn dabei besteht immer die Gefahr eines unkontrollierten Absturzes.

US-Präsident Donald Trump reagierte auf Kim Jong Uns Provokatio­nen mit schneidigen Worten und Tweets. Am 8. August drohte er Pjöngjang mit „Feuer und Wut, wie es die Welt noch nicht gesehen hat“. Der chinesischen Regierung, die er für schwach hält, drohte Trump am 3. September mit dem Abbruch der Handelsbeziehungen, denn „wer mit Nordkorea Geschäfte macht, kann keine mit uns machen“.

Mehr als 60 Jahre Wettrüsten auf der Halbinsel

Dem neu gewählten südkoreanischen Präsidenten Moon Jae In warf er eine „Appeasement“-Politik gegenüber Pjöngjang vor, die „zu nichts“ führe. Seinem eigenen Außenminister Rex Tillerson bescheinigte Trump Anfang Oktober, er verschwende seine Zeit, wenn er versuche, mit dem Regime in Pjöngjang zu verhandeln.

Vorbei also die Zeiten, in denen Trump verkündete, er sei zu einem Treffen mit Kim bereit, wenn die Umstände es erlaubten.1 Stattdessen drohte er in seiner Rede vor den Vereinten Nationen am 19. September Nordkorea mit „völliger Zerstörung“, sollte das Land seine Atompolitik nicht einstellen. Das US-Verteidigungsministerium und seine Experten spielen seither diverse Kriegsszenarien durch: von einzelnen Militärschlägen bis zu einem ausgewachsenen Krieg. Auch die gezielte Tötung Kim Jong Uns wird erwogen. Allerdings räumen diese Experten auch ein: „Alle Optionen sind schlecht.“2

Falken gibt es überdies nicht nur in Washington: So schrieb Valérie Niquet, Asienexpertin der Pariser Denkfabrik Fondation pour la recherche stratégique, in einem Meinungsbeitrag: „Im Fall Nordkorea ist die militärische Option noch die ungefährlichste.“3 Man kann sich vorstellen, welche Gefühle solche Äußerungen bei den 25 Mil­lio­nen Südkoreanern auslösen, die im Großraum Seoul leben, keine 60 Kilometer von der Grenze zu Nordkorea entfernt. Selbst Steve Bannon, Trumps ehemaliger Strategieberater und eher kein Pazifist, hatte befunden, es gebe keine militärische Lösung dieses Konflikts.4

Und dennoch träumt die Sinologin Niquet in der Manier einer Stabschefin von einer Umgestaltung der gesamten Region. Am Ende blieben ihrer Vorstellung nach ein daniederliegendes Nordkorea ohne Atomwaffen, ein in seine Schranken gewiesenes China, ein in Mitleidenschaft gezogenes Südkorea, das aber zufrieden ist, „weil seine Forderungen nach härtesten Repressalien“ erfüllt wurden, sowie ein in seiner Rolle als Friedensengel bestärktes Amerika. Ganz wie im Irak, möchte man meinen.

Mit Ausnahme einiger stahlharter Konservativer lehnt die große Mehrheit der Südkoreaner angesichts der ab­sehbaren Folgen die militärische Op­tion ab. Präsident Moon Jae In hat zwar

die Stationierung des US-Raketenabwehrsystems Thaad akzeptiert, die er nach seinem Amtsantritt am 10. Mai zunächst gestoppt hatte.

Aber er hat von US-Präsident Trump auch verlangt, dass dieser keine Entscheidungen trifft, ohne sich vorher mit Seoul zu beraten. Nach Angaben eines Mitarbeiters aus dem südkoreanischen Vereinigungsministerium beabsichtigt Moon sogar, Nordkorea humanitäre Hilfe zukommen zu lassen; die Rede ist von 8 Millionen Dollar, die über internationale Organisationen wie Unicef oder das Welternährungsprogramm fließen sollen.5 Moon Jae In selbst sagt, er setze auf eine Doppelstrategie aus Härte und Dialog. Doch indem er sich die Sicht der USA zu eigen macht, verspielt der südkoreanische Präsident jede Glaubwürdigkeit.

„Präsident Moon Jae In hat auf dem Fahrersitz Platz genommen, allerdings sitzt er im falschen Auto“, sagt Park Sun Song, Professor am Institut für Nordkorea-Studien an der Dongguk-Universität von Seoul. Der Präsident solle lieber Druck auf Washington ausüben, um die USA von ihrem Alles-oder-nichts-Kurs abzubringen, meint Park. Denn Nordkoreas Diktator werde auf gar keinen Fall einfach aufgeben. Es sei unmöglich, einen Konflikt friedlich zu lösen, wenn man dessen Ursprung nicht verstehe.

So komisch es auch klingt: Pjöngjang hat Angst, und zwar nicht vor Südkorea, sondern vor den USA. Das Regime hält eine US-Invasion für möglich, deren Ziel es wäre, die Regierung des Landes zu beseitigen, das die USA als „Schurkenstaat“ bezeichnen. Atomwaffen sind aus der Sicht des Regimes die einzige Lebensversicherung – eine Trumpfkarte des Schwachen gegenüber der militärischen Supermacht USA.

Weil der Irak eben nicht über diese gefürchtete Waffe verfügte, erlebte das Land die US-Invasion und seine Zerstörung. So jedenfalls erklärt es Pjöngjang allen, die es hören wollen. Man mag den Fall Iran dagegenhalten. Mit Teheran verhandelte Washington, obwohl das Land an der Schwelle zur Atommacht stand. Und Libyen wurde 2003 wieder in die Reihe der respektablen Staaten aufgenommen, nachdem das Land zuvor auf sein Atomwaffenprogramm verzichtet hatte. Darauf erwidert ein Gesprächspartner aus Nordkorea, der anonym bleiben will: „Man weiß, wohin das geführt hat, was all die Versprechen wert waren. Wir haben nicht all diese großen Opfer gebracht, um so zu enden.“ Dem libyschen Beispiel will man in Pjöngjang jedenfalls nicht folgen.

Tatsächlich besteht das Problem der nuklearen Proliferation auf der Koreanischen Halbinsel nicht erst seit dem derzeit regierenden Vertreter der Kim-Dynastie. „Oft wird vergessen, dass es die USA waren, die 1958 erstmals Atomwaffen auf die koreanische Halbinsel brachten“, schreibt der US-Historiker Bruce Cumings.6 Damit war – fünf Jahre nach dem gnadenlosen Krieg zwischen dem Norden und dem Süden – das Wettrüsten auf der koreanischen Halbinsel eröffnet.

Im Geheimen und mit Unterstützung der Sowjetunion entwickelten die Nordkoreaner die notwendigen technischen Fähigkeiten, unterzeichneten aber 1985 den Atomwaffensperrvertrag (Nichtverbreitungsvertrag, NVV). Der Zusammenbruch seines engsten Verbündeten, der Sowjetunion, war der ausschlaggebende Grund für Pjöngjangs Entscheidung, seinen Nuklearsektor tatsächlich zu entwickeln. Nachdem US-Präsident George H. Bush den Vorschlag Kim Il Sungs (Großvater des derzeitigen Regenten) zurückgewiesen hatte, Verhandlungen über einen formalen Friedensvertrag und einen Nichtangriffspakt aufzunehmen, startete Nordkorea 1993 erstmals eine Rakete.7

Als Bill Clinton das Amt als US-Präsident antrat, war er bereit, Pjöngjang anzugreifen, schloss dann aber 1994 doch einen Rahmenvertrag mit beachtlichen Eckpunkten: Abschaltung und Versiegelung des Atomreaktors von Nyongbyon und Überwachung dieser Anlage; Gründung eines Konsortiums, zu dem Nord- und Südkorea, die USA, Japan und die EU gehören sollten und das zwei Atomkraftwerke mit Leichtwasserreaktoren bauen sollte, um den nordkoreanischen Energiebedarf zu decken; Nahrungsmittel- und Öllieferungen; Fortsetzung der Verhandlungen mit dem Ziel einer Normalisierung der Beziehungen.

Kim und Xi trafen sich nie

Doch keiner dieser Punkte wurde umgesetzt, man blieb im Stadium ewiger Diskussionen stecken. Als Pjöngjang 1997 die Aufnahme in die Asiatische Entwicklungsbank beantragte, um sein Wachstum zu finanzieren, legten Washington und Tokio ihr Veto ein.

„Kaum hatte Nordkorea begonnen, sich ein wenig zu öffnen, fand es sich isoliert und erdrückt durch internationale Sanktionen wieder“, schreibt der Journalist Philippe Pons über diese Phase.8 US-Präsident George W. Bush, der 2001 in Weiße Haus einzog, kappte schließlich alle Verbindungen zu Nordkorea. Vorangegangen war eine Serie von Manipulationen und Gerüchten – darunter der frei erfundene Vorwurf, Nordkorea finanziere den internationalen Terrorismus.9

Amerikas Konservative waren zu dem Zeitpunkt überzeugt, das unter einer Hungersnot leidende Nordkorea werde ohne die Unterstützung der Sowjetunion unter dem Druck von Sanktionen zusammenbrechen. Doch diese Rechnung ging nicht auf. Die nordkoreanische Bevölkerung – lebenslang indoktriniert durch aggressive nationalistische Parolen – stützte die Führung in Pjöngjang. Und die setzte alsbald wieder auf die Nuklearkarte.

2003 trat Nordkorea aus dem Atomwaffensperrvertrag aus und verweigerte jegliche Kontrolle durch Inspekteure der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO). Drei Jahre später führte es seinen ersten unterirdischen Atomtest durch – und nahm damit den entscheidenden Schritt auf dem Weg zur Bombe. Damit waren auch die Sechs-Parteien-Gespräche10 gescheitert, die Peking nach dem Rückzug Pjöngjangs aus dem NVV angestoßen hatte.

Bei einem erneuten Anlauf im Februar 2007 wurde jedoch eine Einigung erzielt: Das Atomkraftwerk Nyongbyon wurde abgeschaltet und die IAEO-Inspektoren durften ihre Kontrollen wieder aufnehmen, im Gegenzug erhielt Nordkorea Öllieferungen und einige der Sanktionen wurden aufgehoben. Doch erneut zeigte sich die Bush-Regierung unerbittlich, verweigerte Nordkorea die Anerkennung als normaler Staat und lockerte ihr Embargo nicht. Und erneut reagierte Nordkorea nuklear mit einem zweiten unterirdischen Atomtest im Mai 2009, auf den wiederum eine Phase der Spannungen folgte.

2012 kam ein weiteres brüchiges Abkommen zustande (Stopp der Urananreicherung und Verzicht auf Raketentests, im Gegenzug Nahrungsmittellieferungen). Und so ging es weiter: Bei jeder neuen Wendung erhöhte Nordkoreas Regierung den Einsatz.

Seit 1993 hat der UN-Sicherheitsrat nicht weniger als zwölf Resolutionen zu Nordkorea verabschiedet. Entgegen einem verbreiteten Irrglauben hat China allen diesen Resolutionen zugestimmt – nur einmal, 1993, enthielt es sich der Stimme. Andererseits ist China nicht gerade übereifrig, wenn es um die Durchsetzung der Sanktionen geht.

Das Handelsvolumen zwischen China und Nordkorea hat in den vergangenen Jahren jedenfalls weiter zugenommen, von 3,46 Milliarden Dollar im Jahr 2010 auf 6,53 Milliarden im Jahr 2013. Für 2016 wurde ein geringer Rückgang auf 6,05 Milliarden Dollar verzeichnet. Seit Mitte Februar 2017 kauft China nun keine Kohle mehr von Nordkorea, es folgten Importstopps für Textilien und Fisch. Peking hat sich allerdings geweigert, seine Öllieferungen nach Nordkorea ganz einzustellen – genau das hatte US-Präsident Trump gefordert.

Die Beziehungen zwischen Peking und Pjöngjang sind seit jeher kompliziert. Im Koreakrieg (1950–1953) verteidigte China die schiere Existenz seines kleinen Nachbarn um den Preis von einer Million chinesischen Gefallenen. Doch trotz eines oft engen Einvernehmens ist das Verhältnis auch von kaum verhohlenem Hass geprägt. Um seine Unabhängigkeit zu sichern, hat sich Pjöngjang mal der Sowjet­union, mal Chinas bedient. Heute verlässt sich Kim Jong Un allein auf sich selbst. Seit seiner Machtübernahme 2011 und dem Amtsantritt des chinesischen Präsidenten Xi Jinping 2013 sind sich die beiden Staatschefs noch nie begegnet – ein Novum in der Geschichte der beiden Länder.

Nordkoreas Machthaber hat in seinem Umfeld all jene ausgeschaltet, die der Sympathie für China verdächtig waren. Dazu gehörte auch Kim Jong Uns eigener Onkel Jang Song Thaek, Nordkoreas Nummer zwei. Ihn ließ der junge Diktator 2013 verhaften und hinrichten. All das bedeutet, dass Peking über weit weniger Druckmittel gegen Nordkorea verfügt, als viele vermuten.

Die Frage, wie man mit dem unliebsamen Nachbarn umgehen soll, wird inzwischen auch in China offener diskutiert. Das war lange ein Tabu. „Chinas Sanktionen fehlt es an Kraft und Kohärenz. Bislang sind sie ineffizient und zu schwach“, sagt Zhang Liangui, Professor an der zentralen Parteischule der KP.11 Solche eindeutig kritischen Äußerungen sind jedoch immer noch selten. Professor Shi Yinhong von der Pekinger Volksuniversität glaubt wie viele andere: „China hat auf Druck der USA mehr und mehr Zugeständnisse gemacht – bis es jeglichen politischen Spielraum verloren hat.“

In Peking heißt es, das Militär wolle nur ungern mitansehen, wie die Regierung Pjöngjang fallen ließe – was womöglich zur Folge hätte, dass US-Truppen entlang des Flusses Yalu stationiert würden, der natürlichen Grenze zwischen China und Nordkorea.

Vor dem XIX. Kongress der Kommunistischen Partei Chinas, der am 18. Oktober beginnt, manövriert Xi Jinping mit äußerster Vorsicht. Die regierungsnahe Global Times erinnerte daran, dass „China und die USA zwar in dem Ziel übereinstimmen, die Koreanische Halbinsel atomwaffenfrei zu machen, sich aber nicht einig über die Mittel sind.“ Washington glaube an eine Lösung der Krise durch immer härtere Wirtschaftssanktionen. Peking sei dagegen überzeugt, dass eine Lösung nur auf dem Verhandlungsweg erreicht werden kann.12

Die Zeitung wiederholte den Vorschlag Chinas über einen „Stopp gegen Stopp“: Nordkorea solle seine nuklearen Anstrengungen und die Raketenforschung einfrieren, im Gegenzug sollten Amerikaner und Südkoreaner auf ihre gemeinsamen Manöver verzichten. Der Vorschlag lief ins Leere.

Laut Russlands Präsident Wladimir Putin „würden die Nordkoreaner eher Gras fressen“, als das Atomprogramm einzustellen. Sein Land, ebenfalls Nachbar Nordkoreas, dort aber weniger präsent, befürchtet die atomare Aufrüstung der Koreanischen Halbinsel und lehnt einen „Würgegriff“ gegen Pjöngjang ab, der auf den Zusammenbruch des Landes hinausläuft.13

Moskau fordert stattdessen direkte Gespräche mit der nordkoreanischen Regierung. Das ist auch die Position von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Doch weil Frankreich (wie in Europa sonst nur noch Estland) Nordkorea niemals als Staat anerkannt hat, kann Paris keinen Einfluss bei der Suche nach Lösungen nehmen.

So unangenehm diese Einsicht auch sein mag – Nordkorea ist dem exklusiven Klub der Atomwaffenstaaten beigetreten, wie einst Indien und Pa­kis­tan. Indien wurde von den USA und den anderen Nuklearmächten offiziell in den Stand eines Atomwaffenstaats erhoben, die Sanktionen gegen das Land wurden beendet. Pakistan dagegen erfuhr diese bevorzugte Behandlung nicht.

Eine solche Willkür stärkt natürlich nicht gerade die Glaubwürdigkeit der Verfechter atomarer Abrüstung. Es ist ein grundlegender Konstruktionsfehler des NVV, dass er fünf Staaten das Privileg einräumt, anderen Verbote aufzuerlegen, die für sie selbst nicht gelten sollen. Genau deshalb ist der Vertrag über das Verbot von Atomwaffen so wichtig, den die Vereinten Nationen am 7. Juli 2017 angenommen haben. Er zielt darauf, dass alle Staaten ihr Atomwaffenarsenal unter Aufsicht zerstören sollen.

Pjöngjang aber verfügt nun erst einmal über eine eigene atomare Abschreckung. Statt deren Abbau zu einer Vorbedingung von Gesprächen zu machen, sollte lieber ein strategischer Dialog über die Anerkennung des Regimes und das Ende seiner Paria-Rolle beginnen, über einen echten Friedensvertrag, einen Nichtangriffspakt und beiderseitige Abrüstung. Es hilft nichts, die Augen davor zu verschließen: Nordkoreas Atomwaffen erschüttern die Ordnung in Asien. Tokio, das derzeit unter dem atomaren Schirm der USA steht, könnte ebenso wie Seoul selbst Atomwaffen entwickeln. Um ein allgemeines atomares Aufrüsten in der Region zu vermeiden, muss neu gedacht und gehandelt werden.

Lee Heajong, Professor für Politik und internationale Beziehungen an der Chung-Ang-Universität in Seoul, formuliert es so: „Wenn wir uns allein auf das Thema Nordkorea versteifen, gibt es keine Lösung. Es geht um den Frieden in einer Region, die eine Besatzung durch Japan, Bürgerkrieg und die Stationierung von US-Truppen erlebt hat“ und die erstarrt sei im Status quo des Kalten Kriegs. Man müsse einen Weg finden zu einer ausbalancierten Koexistenz von Nord- und Südkorea, Japan und China und dabei gleichzeitig die Rolle und die Bedeutung der USA neu bestimmen. Raketen können dabei in keinem Fall helfen.

1 Siehe „Trump says he’d meet with Kim Jong-un under right circumstances“, Bloomberg News, 1. Mai 2017.

2 Marc Bowden, „Here’s how to deal with North Ko- rea. It’s not going to be pretty“, The Atlantic, Juli/August 2017.

3 Le Monde, 6. September 2017.

4 Rubert Kuttner, „Steve Bannon, unrepentant“, The American Prospect, 16. August 2017.

5 NK News, Seoul, 14. September 2017.

6 Bruce Cumings, „A murderous history of Korea“, London Review of Books, 18. Mai 2017.

7 Siehe Martine Bulard „Koreanische Wiedervereinigung – Prinzip und Praxis“, Le Monde diplomatique, Januar 2016.

8 Philippe Pons, „Corée du Nord. Un État-guérilla en mutation“, Paris (Gallimard) 2016.

9 Philippe Pons, „Corée du Nord “, siehe Anmerkung 8.

10 Neben Nordkorea und China waren daran Südkorea, Japan, die USA und Russland beteiligt.

11 Financial Times, 6. September 2017.

12 Global Times, Editorial vom 14. September 2017.

13 Andrei Lankov, „Why Russia may use its veto ­power on new North Korea sanctions“, NK News, 10. September 2017.

Aus dem Französischen von Christian Siepmann

Le Monde diplomatique vom 12.10.2017, von Martine Bulard