Ein Land und sein Pferd
Am 17. September beginnen in Turkmenistan die 5. Asian Indoor & Martial Arts Games, an denen 62 Länder von Afghanistan bis Vanuatu teilnehmen. Und im Logo der Spiele: das Profil eines Achal-Tekkiners
von David Garcia
Sieben Reiter preschen über die Pferderennbahn von Aschgabat, der Hauptstadt Turkmenistans. Vorneweg galoppiert Gurbanguly Berdymuchammedow, der autoritäre Herrscher der zentralasiatischen Republik. Kaum hat der Sieger das Ziel erreicht, bricht sein Pferd, ein Achal-Tekkiner, unter ihm zusammen.
Dabei ist gerade diese Pferderasse berühmt für ihre Schnelligkeit und Ausdauer. Achal-Tekkiner sollen in knapp einer Woche bis zu 1000 Kilometer zurücklegen können. Nach den Skeletten zu schließen, die man in skythischen Gräbern fand, hat sich die älteste Pferderasse der Welt – sie existiert seit etwa 2500 Jahren – kaum mit anderen Rassen vermischt.
Bukephalos, das legendäre Schlachtross von Alexander dem Großen, soll ebenfalls aus diesem ruhmreichen Geschlecht stammen – so erzählt es jedenfalls die turkmenische Landesgeschichte. Seinen Namen hat das Pferd von einem der mächtigsten Stämme Turkmenistans, den berittenen Tekke aus dem Akhal-Tal bei Aschgabat.
Auch auf dem grün unterlegten, mit Ähren und weißen Blümchen geschmückten Staatswappen steht das Tier im Zentrum. Rund um die naturalistische Darstellung eines Achal-Tekkiners sind fünf ovale Teppichmuster gruppiert, die jeweils für eine turkmenische Provinz stehen.
Die jungen Nationen Zentralasiens, die sich vor nicht einmal 30 Jahren von der sowjetischen Vormundschaft befreit haben, betonen stets die gemeinsamen Symbole. Der Achal-Tekkiner gibt Berdymuchammedow die Gelegenheit, sein Land aufzuwerten. Allerdings ist der Übergang zwischen Pferdekult und präsidialer Selbstinszenierung fließend. In der Hauptstadt hat sich der Herrscher in einem vergoldeten Reiterstandbild verewigt und blickt von einem 20 Meter hohen Marmorsockel auf seine Untertanen herab.
Seit seinem Amtsantritt 2007 hat Berdymuchammedow mehrere Werke zum Ruhm des Pferdegotts veröffentlicht. Schon sein Vorgänger Saparmurat Nijasow hatte den Achal-Tekkiner zu Propagandazwecken genutzt. Berdymuchammedow treibt die Sache nur noch etwas weiter, indem er auf den Pferdesport als Wirtschaftsfaktor setzt.
Das spiegelt sich auch bei den Mitte September bevorstehenden Asian Indoor & Martial Arts Games wider. Turkmenistan hat noch nie so eine bedeutende internationale Sportveranstaltung ausgerichtet. 5000 Sportler und Sportlerinnen werden erwartet, die in 21 Disziplinen antreten. Und zum ersten Mal gehört dazu auch die Reitkunst. Héloïse Ghirardi vom Internationalen Pferdezüchterverband für Achal-Tekkiner ist darüber sichtlich erfreut: „Präsident Berdymuchammedow hat vom asiatischen Olympia-Komitee die Erlaubnis bekommen, Reitsportarten ins Wettkampfprogramm aufzunehmen.“
Berdymuchammedow, der auch als Bauherr lieber klotzt als kleckert, ließ innerhalb eines Jahres fünf neue Pferderennbahnen bauen, für jede Provinz eine. Geplant ist ein Wettbewerb, bei dem die Jockeys ausschließlich Achal-Tekkiner reiten, und irgendwann soll es dann auch einen internationalen Grand Prix geben.
Mit dem jährlichen Pferdefest-Rennen, das Berdymuchammedow gleich nach seinem Amtsantritt initiierte und an dem er auch selbst als Jockey teilnimmt, ist ein Anfang gemacht. Das Pferdefest ist auch eine der seltenen Gelegenheiten, zu denen sich das international isolierte Land öffnet und Gäste aus aller Welt empfängt.
Die Pferdebegeisterung des turkmenischen Präsidenten blieb auch einem gewissen Hervé Barjot nicht verborgen. Der französische Besitzer eines Rennstalls in Irland witterte ein lukratives Geschäft und bot dem turkmenischen Präsidenten 2012 seine Dienste an. Berdymuchammedow, der sich sonst nicht gern in die Karten schauen lässt, öffnete dem hartnäckigen Barjot nicht nur die Tore zum Präsidentenpalast, sondern auch zu seinem Gestüt, das Anlass zu Spekulationen liefert. Als er die Gegeneinladung Barjots zum Prix de l’Arc de Triomphe annahm – einem der prestigeträchtigsten internationalen Pferderennen –, hatte er allerdings eine Bedingung: Er bestand darauf, dass auch ein turkmenischer Jockey an dem Rennen teilnimmt. In Begleitung seiner 40-köpfigen Gesandtschaft, die in traditionellen turkmenischen Gewändern erschien, erregte der Gast auf der Zuschauertribüne von Longchamp einiges Aufsehen.
Zu Barjots Bedauern trugen die französisch-turkmenischen Annäherungen keine Früchte. Der Geschäftsmann hatte wohl von einem großen Coup geträumt, nach dem Vorbild des Pariser Baukonzerns Bouyges, der in den vergangenen 20 Jahren für 2,5 Milliarden Euro 67 Gebäude in Turkmenistan hochgezogen hat.1 Als das Geschäft mit Berdymuchammedows Vorgänger Nijasow seinerzeit angebahnt wurde, spielte ein Achal-Tekkiner ebenfalls eine wichtige diplomatische Rolle.
1993 stattete Präsident François Mitterrand der jungen Republik seinen ersten Staatsbesuch ab und bekam als offizielles Geschenk ein prächtiges turkmenisches Pferd. Anstatt es jedoch direkt in die staatlichen Gestüte zu überführen, wurde der Rappe namens „Gend Jim“ Alexandre Gros anvertraut, einem leitenden Mitarbeiter der französischen Reitsportföderation, der es heimlich ins Château Souchy-la-Briche bringen ließ.
Der größte Tierschützer lebt im Exil
In diesem Schloss südlich von Paris traf sich Mitterrand mit seiner Geliebten Anne Pingeot. Die gemeinsame Tochter Mazarine war offensichtlich eine Pferdenärrin und bekam, wie sich später herausstellen sollte, von ihrem Vater das kostbare turkmenische Tier geschenkt. Dank der hartnäckigen Recherche von Jean-Louis Gouraud, der mindestens 20 Bücher zum Thema Pferde geschrieben hat, erfuhr die französische Öffentlichkeit im November 1994 überhaupt zum ersten Mal von Mitterrands Tochter Mazarine, die damals immerhin schon 20 Jahre alt war.
Der bis dahin kaum bekannte beziehungsweise in Vergessenheit geratene Achal-Tekkiner wurde daraufhin zum Liebling aller Reitsportfans, und auch die Mächtigen dieser Welt rissen sich darum. „Bei einem Paris-Besuch fiel dem marokkanischen König Hassan II. in einer Zeitschrift ein Foto von Gend Jim auf“, erzählt Alexandre Gros. Mitterrand sollte ihm genau so ein Pferd beschaffen, verlangte der König. Später hat Gros den Hengst Ajdar, den Mitterrand auf Staatskosten im Kaukasus erwarb, für Hassan II. sogar noch eingeritten.
Schon Iwan der Schreckliche soll vom Achal-Tekkiner fasziniert gewesen sein, der als besonderes Geschenk so manche folgenreiche diplomatische Annäherung ermöglicht hat. Michail I., der erste Romanow auf dem russischen Zarenthron, soll mehrere Pferde von einer persischen Botschaft bekommen haben. Und 1956 schenkte Nikita Chruschtschow der britischen Königin einen Achal-Tekkiner.
Vielen anderen Achal-Tekkinern wurde der Parteichef der KPdSU allerdings zum Verhängnis. „Chruschtschow hat sie ins Schlachthaus geschickt“, fasst Geldi Kjarisow knapp zusammen. Als Generaldirektor von Turkmen Atlary, einer für Pferde zuständigen Behörde, hatte Kjarisow von 1997 bis 2002 den Rang eines Ministers inne – womit er der weltweit einzige Minister war, der sich um nichts anderes als Pferde zu kümmern hatte. Wir trafen ihn in Prag, wo er seit 2016 im Exil lebt. Der sportliche Mittsechziger hat sein Leben dem Schutz der Achal-Tekkiner gewidmet und kennt natürlich auch ihre ganze Geschichte.
Nach der blutigen Eroberung Turkmenistans durch das Russische Reich im Jahr 1881 war der Pferdebestand, der sich je nach Quelle auf 20 000 bis 100 000 Tiere belaufen haben soll, in kurzer Zeit so stark geschrumpft, dass die Pferderasse kurz vor dem Aussterben war.2 „Für das Zarenreich und später die Sowjetunion war die Vernichtung des starken militärischen Symbols, das die Achal-Tekkiner verkörperten, ein Mittel zur Unterwerfung der Turkmenen“, erklärt Kjarisow. Die berittenen Basmatschi leisteten bis zu ihrer Kapitulation Anfang der 1930er Jahre erbitterten Widerstand.
1988 leitete Kjarisow eine berittene Expedition von Aschgabat nach Moskau, um auf die bedrohte Lage dieser Pferderasse aufmerksam zu machen. Sie brauchten zwei Monate für die 3000 Kilometer lange Strecke. Es war gewissermaßen ein Reenactment von 1935. Für das gleiche Unterfangen waren die Reiter damals 24 Tage länger unterwegs gewesen.
Nach der Unabhängigkeit 1991 erklärte Turkmenistan die Achal-Tekkiner zu Märtyrern der Kolonialzeit. Dass sie fast ausgestorben wären (1980 zählte man nur noch 2100 Exemplare), wurde ausschließlich den Russen und Sowjets angelastet. Dabei war vor allem die Mechanisierung der Landwirtschaft für den massiven Rückgang des Bestands verantwortlich.
Schon 1932 hatten sowjetische Pferdewissenschaftler angefangen, ein Register über die bedrohte Art anzulegen. Dieses Stammbuch erfasst alle „reinen“ (75-prozentigen) Achal-Tekkiner und deren Nachkommen und liefert einen Überblick über die Entwicklungen in der Zuchtbranche. Das Register befindet sich in Rjasan, 185 Kilometer von Moskau entfernt, und wird von einem dem russischen Landwirtschaftsministerium unterstehenden Verein geführt. Die turkmenische Regierung, die keinen Zugriff darauf hat, findet, dass sich Moskau immer noch wie eine Kolonialmacht verhält.
Um an das Register aus Rjasan heranzukommen, gründete der Präsident am 14. August 2010 den internationalen Verband für Akhal-Tekkiner-Pferdezucht und übernahm auch gleich den Vorsitz. Doch die Russen wollten das Stammbuch nicht herausrücken, obwohl in Turkmenistan fast die Hälfte des weltweiten Bestands gezüchtet wird. Der liegt heute Schätzungen zufolge bei 6600 Tieren, von denen nur 1600 in Russland leben. Allein 600 Tiere befinden sich im Privatbesitz von Berdymuchammedow. Der turkmenische Staat hütet seinen Bestand. Der Export von Achal-Tekkinern ist verboten – diplomatische Geschenke ausgenommen.
Allerdings werfen Experten den turkmenischen Behörden eine gewisse Nachlässigkeit vor, zum Beispiel bei der Ausbildung von Fachkräften und der Hygieneaufsicht in den Ställen. „In den vergangenen 15 Jahren hat die turkmenische Regierung die Kontrolle über die Branche sträflich vernachlässigt“, meint der russische Züchter Leonid Babajew, der etwa 60 Achal-Tekkiner besitzt.
2002 wurde Kjarisow auf Befehl des damaligen Staatspräsidenten Nijasow verhaftet – wegen angeblichen Pferdediebstahls. Ausgerechnet der unermüdliche Fürstreiter des Achal-Tekkiners musste für fünf Jahre ins Gefängnis. Seine eigenen 108 Achal-Tekkiner kamen ins Präsidentengestüt.
Kjarisows Pferde waren besonders schön, sagt er. Und vielleicht war das auch sein eigentliches Vergehen: Er hatte mit seinen Zuchterfolgen den Turkmenbaschi („Vater der Turkmenen“) beleidigt; denn nach altem Brauch mussten die turkmenischen Züchter dem Staatsoberhaupt stets ihre besten Pferde überlassen. Das Monopol auf den Pferdehandel besitzt freilich der Staat, und der ist in Turkmenistan gleichbedeutend mit dem Präsidenten.
1 Siehe David Garcia, „Marmor, Gold und Wasserspiele“, Le Monde diplomatique, März 2015.
2 Siehe Jean-Baptiste Jeangène Vilmer, „Turkménistan“, Paris (CNRS Éditions) 2010.
Aus dem Französischen von Inga Frohn
David Garcia ist Journalist und Autor von „Le pays où Bouygues est roi“, Paris (Danger Public) 2006.