07.09.2017

Gut geschmiert ist viel gewonnen

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Gut geschmiert ist viel gewonnen

Vorläufige Bilanz der Ermittlungen gegen den brasilianischen Industriegiganten Odebrecht

Assunta-Waldburg, The Gateway, 2012, 40 x 60 cm
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Gut gelaunt wie immer trat Emílio Odebrecht, Expräsident des größten brasilianischen Industriekonzerns,1 im Dezember 2016 vor den Staatsanwälten auf, die wegen umfangreicher Korruptionsvorwürfe gegen ihn ermitteln. Die „Operação Lava Jato“ („Operation Autowaschanlage“, da alles mit einer einfachen Geldwäsche-Ermittlung an einer Autowaschanlage begann) hält das Land schon seit drei Jahren in Atem.

Man hätte also eine angespannte Atmosphäre erwarten können, denn Ode­brecht und 76 weiteren Führungskräften seines Konzerns wird vorgeworfen, jahrelang Bestechungsgelder verteilt zu haben. Damit wollte man sich milliardenschwere und überteuerte Bauaufträge sichern, besonders des halbstaatlichen Ölkonzerns Petrobras. Doch der Exboss lächelte und scherzte sogar, als er „umfassende Kooperation“ anbot: Im Gegenzug für sein Schuldgeständnis muss er nicht ins Gefängnis.

Die Zeugenaussage wurde gefilmt und das Video veröffentlicht. Darin versichert Odebrecht, man habe schon immer Schmiergeld zahlen müssen, um an Bauaufträge heranzukommen, in Brasilien genauso wie im Ausland. „Das läuft schon seit 30 Jahren so. Die ganze Presse wusste Bescheid. Warum gerade jetzt diese Enthüllungen?“ – „Irgendwann ist es eben so weit“, antwortet ihm ein Richter, der nicht ins Bild kommt. Da schlägt der Exfirmenchef mit der Faust auf den Tisch und erklärt: „Sehr gut. Sie als junge Staatsanwälte werden die ganze Unterstützung unserer Organisation bekommen. Angefangen bei mir selbst.“

Im Dezember 2016 wurde vor einem New Yorker Bundesgericht ein Vergleich zwischen brasilianischen, US-amerikanischen und Schweizer Justizbehörden geschlossen. Odebrecht soll zwischen 2001 und 2016 Bestechungsgelder in Höhe von 780 Millionen Dollar gezahlt haben. Die Strafe bemaß sich nach den Gewinnen, die der Konzern dank der gut gefüllten Briefumschläge erzielt hatte: 3,36 Milliarden Dollar; ein halbes Jahr später wurde diese Summe auf 2,6 Milliarden Dollar korrigiert. Doch erst im April 2017 erfuhr man, wem, wie und warum Odebrecht diese Geschenke gemacht hatte.

Nachdem die Familie Odebrecht lange alles abgestritten hatte, packte sie schließlich aus, um die Freilassung des 48-jährigen Marcelo zu erwirken. Der Sohn Emílios und letzte Präsident des Konzerns war zu 19 Jahren Haft verurteilt worden. Noch deutlicher wurde das Bild nach der Verhaftung einer Sekretärin, die elf Jahre in der „Schmiergeldabteilung“ des Konzerns gearbeitet hatte. Bei der Operation entdeckte die Polizei eine Liste mit Decknamen, daneben stand jeweils eine ansehnliche Summe. Daraufhin legten plötzlich 77 Manager ein Geständnis ab. „Die Organisation“ war offenbar nicht immer der Inbegriff der „unternehmerischen Tugend“ gewesen, die die Firmensprecher gern im Munde führten.

„Moralische Größe ist die Basis für materiellen Reichtum“, erklärte Norberto Odebrecht, der Gründer des Fami­lien­unternehmens und Vater von Emílio; die drei stattlichen Bände seiner „Philosophie“ bekommen alle Mitarbeiter zu lesen. Eine gute Führungspersönlichkeit sollte, so meint der große Mann, „ein vorbildliches Leben führen“, das ganz der Firma und „dem Dienst am Kunden“ gewidmet ist. „Heute kann man Norbertos Werke ganz neu lesen“, spöttelt Malu Gaspar, Journalistin bei der Monatszeitschrift Piaui. „Wenn er behauptete, alle Bedürfnisse des Kunden befriedigen zu wollen, hatte er bestimmt auch die Schmiergelder im Sinn.“ Der Konzern war wohl nicht nur dank der „Ode­brecht’schen Unternehmenskultur“ zu einem Riesen herangewachsen, sondern weil er es geschafft hatte, ein ausgeklügeltes Korruptionssystem zu etablieren. Unter Marcelos Geschäftsführung wurde dieses System perfektioniert.

Der letzte Chef der Schmiergeldabteilung, Hilberto Mascarenhas, erläuterte den Richtern, wie die Sache mit den Parallelzahlungen funktionierte. Sie erfolgten über rund 40 Bankkonten, die größtenteils in Steueroasen angelegt waren, außerdem durch einfache Geldkuriere. „Marcelo hat mich 2006 gebeten, die Abteilung umzustrukturieren. Ihm war klar, dass wir die illegalen Zahlungen erhöhen mussten, wenn das Unternehmen wachsen sollte“, erklärte der ehemalige leitende Angestellte.

Eine ganz spezielle Wachstumsstrategie

Ab 2006 wurden alle entsprechenden Zahlungen über eine eigens programmierte Software abgewickelt. Um mögliche Kontrollen zu überlisten, wurden die Zahlungen über Tochterfirmen im Ausland getätigt. Die Beträge liefen anschließend über Steueroasen (Panama, die Jungferninseln und insbesondere den Inselstaat Antigua und Barbuda in der Karibik), aber auch über Banken in Großbritannien, den USA, in Österreich, Monaco und der Schweiz. Von dort aus wurde das Geld auf Konten transferiert, deren Verwalter zwar für Odebrecht arbeiteten, aber nicht beim Konzern angestellt waren. Am Ende landete es, diesmal mithilfe von Geldwechselfirmen, in Brasilien.

Ein weiteres Datensystem, dessen Server in der Schweiz stand, war allein für den Austausch von Nachrichten und E-Mails zwischen den Geldhändlern und der Vertriebsabteilung von Odebrecht eingerichtet worden. Auch hier trugen alle Vermittler Decknamen; ihre wahre Identität kannten nur die Abteilungsleiter.

Das System war so komplex, dass die Ermittler es ohne die Kronzeugenregelung vermutlich nie hätten aufdecken können. Die Summen lagen deutlich höher als vom New Yorker Bundesgericht angenommen. Laut Mascarenhas sollen zwischen 2006 und 2014 insgesamt 3,3 Milliarden Dollar Bestechungsgelder und geheime Zuwendungen an Parteien2 – nicht nur brasilianische – geflossen sein.

„Ich habe Marcelo mehrfach wegen dieser astronomischen Summen gewarnt. Das war mittlerweile geradezu selbstmörderisch, aber seine Antwort lautete stets: weitermachen“, berichtete Mascarenhas im Rahmen seiner „belohnten Kooperation“. Zwei Kurven schnellten schon bald in die Höhe: die der Schmiergelder und die der an Land gezogenen Aufträge. Nachdem die Parallelzahlungen 2006 noch 60 Millionen Dollar betragen hatte, kletterten sie 2013 auf 730 Millionen, während sich der Umsatz von 11,3 auf 41,4 Milliarden Dollar fast vervierfachte.

Neben Marcelo Odebrecht spielte Cláudio Melo Filho eine Schlüsselrolle. Seit 2004 war er offiziell zuständig für „institutionelle Beziehungen“. Er kümmerte sich um die Bestechung von Parlamentariern, damit sie für Maßnahmen stimmten – oder sogar Gesetzesvorlagen einbrachten –, die für den Konzern von Vorteil waren. Die konservative Partei der Brasilianischen Demokratischen Bewegung (PMDB) des amtierenden Präsidenten Michel Temer war der größte Empfänger dieser Zuwendungen. Unter den PMDB-Senatoren fanden sich, wie Melo Filho berichtet, „sowohl die Parlamentarier, die den Interessen der Firma am treuesten ergeben waren“, als auch diejenigen, „die die höchsten Zuwendungen verlangten“. Die Parlamentarier waren käuflich, aber dankbar: 2012 ehrten sie Cláudio Melo Filho mit der parlamentarischen Verdienstmedaille.

Alles in allem verrieten die von der Justiz befragten Odebrecht-Manager 415 Mandatsträger aus 26 (von 35) Parteien, in 21 (von 26) Bundesstaaten, darunter die letzten fünf PräsidentInnen Brasiliens: José Sarney, Fernando Collor de Mello, Fernando Henrique Cardoso, Luiz Inácio Lula da Silva und Dilma Rousseff.

Auch der amtierende Präsident Michel Temer wird in den Aussagen mehrfach erwähnt, aber er darf laut Verfassung für Handlungen, die vor seiner Amtszeit liegen, nicht angeklagt werden. Acht Minister seines Kabinetts sowie seine beiden engsten Berater stehen auf der Liste. Zudem fielen die Namen der Präsidenten des Senats und der Abgeordnetenkammer, von 28 Senatoren, 48 Abgeordneten und 12 Gouverneuren. Im Laufe seiner Vernehmung gab Marcelo Odebrecht an, der Partei der Arbeiter (PT) zwischen 2008 und 2015 umgerechnet 100 Millionen Euro, zusätzlich zu den offiziellen Wahlkampfspenden, überwiesen zu haben.

„Die Expräsidenten Lula und Dilma wussten von unserer Unterstützung, aber sie haben nie direkt Geld verlangt“, erklärte er. „Amigo“ – so soll Lulas Deckname auf den Kontoauszügen von Odebrecht gelautet haben. Der „Freund“ mag sich nicht persönlich bereichert haben, profitiert hat er wohl trotzdem: Es gab Zuwendungen für sein Institut und seine Vorträge sowie für die Renovierung eines Landhauses, das ihm nicht gehörte, das er aber nutzte. Lula selbst bestreitet die Vorwürfe.3

Unterschlagungen in mindestens zwölf Ländern

Aécio Neves, der glücklose Kandidat der Partei der Brasilianischen Sozialdemokratie (PSDB) bei der letzten Präsidentschaftswahl, soll 50 Millionen Euro für seinen Wahlkampf erhalten haben, während seine Partei im Bundesstaat São Paulo Schmiergelder verlangte: 2 Prozent von der Auftragssumme für die Metrolinie 2, außerdem 4 Millionen Euro für den Wahlkampf von Gouverneur Geraldo Alckmin in den Jahren 2010 und 2014. Die PMDB strich ihrerseits Bestechungsgelder im Senat ein, in dem sie die stärkste Partei war, „eine Tatsache, die Michel Temer bekannt war“, versichert Melo Fi­lho. In Rio de Janeiro finanzierte die regierende PMDB ihre Wahlkampagnen über den Bau von Sportstätten für die Olympischen Spiele 2016.

Die Justiz muss nun zwischen denjenigen unterscheiden, die Bestechungsgelder annahmen, um sich persönliche Vorteile zu verschaffen (wie der ehemalige Parlamentspräsident Eduardo Cunha, der Bankkonten in der Schweiz besaß), und denen, die wie Antonio Palocci im Auftrag ihrer Partei gehandelt haben. Letzterer war von 2003 bis 2006 Finanzminister. Der für den Mammutprozess zuständige Bundesrichter Sérgio Moro verurteilte Pa­locci zu 12 Jahren Haft, weil er für die schwarzen Kassen der PT (Partei der Arbeiter) verantwortlich gewesen sein soll, was der Betroffene bestreitet.

Am 1. Juni 2017 gaben dann Odebrecht-Manager in mindestens 12 Ländern Unterschlagungen zu. Betroffen waren Venezuela, die Dominikanische Republik, Panama, Peru, Argentinien, Ecuador, Guatemala, Mexiko, Kolumbien, Angola, Mosambik – und Frankreich. Bereits 2008 hatten Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und Lula da Silva einen Vertrag über den Verkauf von Technologie für den Bau von Atom-U-Booten unterzeichnet. Beteiligt sein sollten sowohl Odebrecht als auch die französische Firma Direction des constructions navales (DCNS); im Mai 2017 reiste eine Abordnung der französischen Staatsanwaltschaft nach Brasília.

Im Gegenzug für seine Kooperation hofft der Skandalkonzern, weiter Geschäfte machen zu können. Schließlich scheint es in einigen Ländern mit der Unabhängigkeit der Justiz nicht weit her zu sein. So muss Perus (links stehender) Expräsident Ollanta Humala, wie im Juli angeordnet, für 18 Monate in U-Haft, obwohl die größten Odebrecht-Bauvorhaben in die Amtszeiten der konservativen Präsidenten Alan García und Alberto Fujimori fielen, die aber beide nicht behelligt wurden. Der Exchef von Odebrecht-Peru ist, wie er selbst zugegeben hat, mit García befreundet – in seinem Geständnis erwähnt er den Politiker nie.

Und warum ließ die brasilianische Justiz am 31. Juli die Aussagen des Chefs von Odebrecht-Venezuela an die Tageszeitung O Globo durchsickern? Das Unternehmen soll den Wahlkampf von Präsident Nicolás Maduro mit 35 Millionen Dollar und den seines Kontrahenten Henrique Capriles mit 15 Millionen Dollar finanziert haben.

Die Odebrecht-Gruppe legt Wert darauf, dass die Enthüllungen geheim bleiben, da es sonst schwierig für sie wird, an neue Aufträge heranzukommen. Seit drei Jahren hat Petrobras 23 brasilianischen Unternehmen, gegen die Ermittlungsverfahren laufen, darunter auch Odebrecht, verboten, sich an Ausschreibungen zu beteiligen. Außerdem untersucht das Transparenzministerium derzeit noch, wer bei Odebrecht eigentlich die juristische Verantwortung trägt. Solange die Untersuchung läuft, bekommt Odebrecht keinen neuen öffentlichen Auftrag. Nun droht angeblich die Pleite. Der Konzern hat in drei Jahren 100 000 Mitarbeiter entlassen. Ende 2016 hatte er nur noch 80 000 Beschäftigte; sein Auftragsbuch schrumpfte zusammen, mehrere Geschäftszweige mussten verkauft werden, um Schulden abzubauen.

Für Bruno Brandão von der Organisation Transparency International Brasilien ist Odebrecht unhaltbar. Er kennt das Argument, dass Korruptionsermittlungen die Wirtschaft schwächen. Dabei müsste Brasilien gestärkt aus dieser Krise hervorgehen. Dass Brasilien nach wie vor eines der Länder mit der größten Ungleichheit ist, liegt Brandão zufolge „an der unguten Nähe zwischen den wirtschaftlichen und politischen Eliten und am ständigen Austausch von Gefälligkeiten, wie ihn die Odebrecht-Manager beschreiben“.

1 Der Konzern ist in den Bereichen Hoch- und Tiefbau, Wasserwirtschaft, Agrarindustrie, Immobilien, Rüstung, Transport und Logistik, Versicherungswesen, Umwelt sowie Petrochemie tätig.

2 Siehe Lamia Oualalou, „Parlamentarismus auf brasilianisch“, Le Monde diplomatique, November 2015.

3 Im Juli 2017 verurteilte der Richter Moro den ehemaligen Präsidenten zu neuneinhalb Jahren Haft wegen Korrup­tion. Er hielt es für erwiesen, dass Lula eine Wohnung als Geschenk angenommen hatte, die die Baufirma OAS – die nichts mit Odebrecht zu tun hat – für ihn renoviert hatte. Der Vorwurf stützt sich ausschließlich auf „belohnte Kooperation“ von OAS-Mitarbeitern.

Aus dem Französischen von Regine Schmidt

Anne Vigna ist Journalistin in Rio de Janeiro.

Le Monde diplomatique vom 07.09.2017