Afrikanische Machtspiele
Die Teilnehmer an den Kongo-Konferenzen eint nur die Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der Menschen im Kongo von Juan Branco
Die ugandische Hauptstadt Kampala war im August einmal mehr zum Schauplatz eines Maskenballs geworden, wie ihn Diplomaten gern aufführen: Im Rahmen der Internationalen Konferenz über die Großen Seen (CIRGL)1 hatte der Vorsitzende, der ugandische Präsident Museveni, seine Amtskollegen aus dem Kongo und aus Ruanda, Joseph Kabila und Paul Kagame, an einen Tisch gebracht. Dort führten sie Scheinverhandlungen über die Krise, die seit 1996 die Provinz Nordkivu in der Demokratischen Republik Kongo (DRK) fest im Griff hat.
Die Spannung in Nordkivu hatte sich nach einer Meuterei von mehreren hundert Soldaten im Frühjahr 2012 noch einmal verschärft. Die Soldaten bildeten eine mehrheitlich aus Tutsi bestehende Rebellenbewegung, die sich M23 nannte2 und die unter der Hand von Ruanda unterstützt wurde. Sie übernahmen innerhalb weniger Wochen die Kontrolle über den größten Teil des Gebiets. Dabei starben tausende Zivilisten. Dutzende schon vergessener Milizen traten wieder in Erscheinung.
Trotzdem endete die Konferenz von Kampala bloß mit der Feststellung der Staatschefs, dass ihre Positionen unvereinbar seien – und mit einem Abkommen über die Aufstellung „neutraler internationaler Truppen“. Die Vereinbarung diente jedoch lediglich zur Beruhigung der Regierungen in Europa und Amerika, die befürchten, der Konflikt könne zu einem Regionalkrieg eskalieren. Die Kongolesen und die Ruander haben jedenfalls vollkommen unterschiedliche Vorstellungen von diesen internationalen Truppen. Die Kongolesen sehen darin eine Möglichkeit, das Mandat der UN-Mission Monusco (Mission der Vereinten Nationen zur Stabilisierung der Demokratischen Republik Kongo) neu zu verhandeln. Sie wollen ihr das Recht einräumen, von sich aus militärisch einzugreifen. Ruanda hingegen will regionale Truppen, der auch Ruander angehören sollen. Das aber liefe auf eine für die kongolesische Regierung inakzeptable teilweise Kontrolle Ruandas über Nordkivu hinaus.
Die Krise in Nordkivu ist die x-te Wiederholung der Konflikte zwischen dem Kongo und Ruanda seit dem Völkermord an den Tutsi 1994, auf den der Gegenschlag der Patriotischen Front Ruandas (FPR) von Paul Kagame folgte. In dessen Folge waren Millionen ruandische Hutu ins benachbarte Zaire (später Demokratische Republik Kongo) geflohen. Dieser massive Zustrom, den das in Auflösung begriffene Zaire unter dem Diktator Joseph Mobutu gar nicht erst zu bremsen versuchte, spülte auch zahlreiche Anführer der radikalen Bewegung „Hutu Power“ und ihrer völkermörderischen Miliz Interahamwe ins Land. Sie organisierten sich rasch in bewaffneten Gruppen, deren bekannteste bis heute die Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas (FDLR) sind.
Gewalt und Elend in den riesigen Flüchtlingslagern, in denen alle erdenklichen Waffen zirkulierten, bildeten zusammen mit dem Versuch Ruandas und Ugandas, sich die immensen Reichtümer des Kongo anzueignen, eine explosive Mischung. Deren Sprengkraft wurde durch die Machtkämpfe im damaligen Zaire noch gesteigert. 1996 machte sich der kongolesische Oppositionspolitiker Laurent-Désiré Kabila (1941 bis 2001) die Entschlossenheit der ruandischen FPR und der ugandischen Truppen, gegen die Hutu-Milizen zu kämpfen, zunutze. Er brachte erst die Kivu-Provinzen an der Grenze zu Ruanda unter seine Kontrolle und stürzte dann das Regime Mobutu. 1997 übernahm Kabila die Macht im Land. Sein anschließender Bruch mit Kigali löste 1998 den zweiten Kongokrieg aus.3
Noch heute unterstützt Kigali politisch-militärische Bewegungen wie die M23, um Zugriff auf die Bodenschätze des Kongo und einen militärischen Puffer gegen die Hutu-Truppen zu haben. Die DR Kongo ihrerseits setzt auf verschiedene Milizen, um die M23 zu bekämpfen und wenigstens den Anschein aufrechtzuerhalten, sie habe noch die Kontrolle über das Gebiet. Zu den verbündeten Milizen gehörten zeitweilig auch die FDLR von Sylvestre Mudacumura, dem der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) neun schwere Kriegsverbrechen vorwirft.
Ein typisches Beispiel für die taktischen Manöver Kabilas war die Ankündigung am 11. April dieses Jahres, den ehemaligen Anführer der von Ruanda unterstützten Tutsi-Rebellengruppe CNDP, Bosco Ntaganda, genannt „Terminator“, verhaften zu lassen. Dieser war 2006 vor dem Internationalen Strafgerichtshof wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt worden. Dennoch hatte ihn Kabila im März 2009 – im Zusammenhang mit der Reintegration der CNDP-Kämpfer in die reguläre kongolesische Armee – zum General ernannt.
Nichts als leere Absichtserklärungen
Ntaganda spielte eine wichtige Rolle bei den umstrittenen kongolesischen Wahlen im Dezember 2011, indem er dafür sorgte, dass die Kivu-Provinzen „den Richtigen wählten“. Die durch Drohungen und Gewalt gesteuerte Stimmabgabe erwies sich als ausschlaggebend für den Ausgang der Wahlen. Der wichtigste Oppositionskandidat Etienne Tshisekedi weigerte sich, den Wahlsieg Kabilas anzuerkennen. Auch die Europäische Union, die die Wahlen mit 250 Millionen Euro unterstützt hatte, äußerte scharfe Kritik.
Mit der Aufzählung von „hundert Gründen“, warum Ntaganda festgenommen werden sollte, wollte Kabila der internationalen Staatengemeinschaft ein Signal des Wohlverhaltens senden, ohne jedoch konkrete Taten folgen zu lassen. Dabei war allgemein bekannt, wo sich Ntaganda aufhielt. Die Verantwortlichen der Monusco trafen ihn regelmäßig beim Tennis. Nach der Erklärung des Präsidenten wurde er zwar schließlich umstellt. Doch er kam in den Genuss eines plötzlichen fünftägigen „Waffenstillstands“, der ihm erlaubte, sich nach Ruanda abzusetzen. Dort rief er am 6. Mai zusammen mit dem ebenfalls vor dem Internationalen Strafgerichtshof angeklagten Laurent Nkunda und seinem früheren Adjutanten Sultani Makenga die M23 ins Leben.
Der ruandische Präsident Kagame bestritt zwar jede Beteiligung, hatte in Wirklichkeit aber seine Finger im Spiel. Weil er von der illegalen Ausbeutung der Bodenschätze in den Provinzen Kivu und Ituri profitiert – sie trägt fast ein Viertel zum Bruttosozialprodukt seines Landes bei – und zugleich die Hutu-Miliz FDLR endgültig loswerden wollte, unterstützte er die Gründung der M23 und stellte ihr Leute und Material zur Verfügung.
Die erdrückenden Belege für diese Zusammenarbeit4 riefen internationale Missbilligung hervor und bedrohten den weiteren Zufluss der Hilfsgelder, von denen Ruanda abgängig ist. Der US-amerikanische Botschafter Stephen Rapp drohte ruandischen Politikern mit Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof. Frankreich verurteilte die M23 sowie jede ausländische Unterstützung dieser Bewegung, ohne jedoch explizit Ruanda zu erwähnen. In dieser Situation versuchte Kagame, Zeit zu gewinnen. Er stimmte daher der Aufstellung einer internationalen Truppe zu, die ohnehin nicht funktionieren würde. Bisher ist lediglich Tansania bereit, dafür Soldaten zu entsenden.
Auch Südafrika verurteilte auf dem Gipfeltreffen der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas (SADC) – die im Jahr 2005 den Beitritt Ruandas abgelehnt hatte – im August die ruandische Unterstützung für die Aufständischen. Dass diese Entscheidung so spät fiel, hat mit der Annäherung zwischen Pretoria und Kigali zu tun, die sich noch im Januar in der Teilnahme Kagames an den Feierlichkeiten zum hundertsten Jahrestag der Gründung der südafrikanischen Regierungspartei ANC gezeigt hatte. Mit seiner Entscheidung auf dem SADC-Gipfel kehrte Südafrika zu seiner traditionellen Position zurück und rückte wieder an seinen historischen Verbündeten Kongo heran, was Kabila nach mehreren Monaten relativer Isolation wieder politischen Auftrieb gab.
Trotz intensiver Bemühungen ihres Außenministers Raymond Tshibanda hat die DR Kongo Mühe, Unterstützung von ihren traditionellen Verbündeten zu erhalten – jedenfalls wenn es um mehr als Absichtserklärungen und rein formale Verurteilungen geht. Das ebenfalls an der Konferenz über die Großen Seen (CIRGL) beteiligte Angola spricht sich – ebenso wie übrigens Uganda – mittlerweile für direkte Verhandlungen der kongolesischen Regierung mit M23 aus.
Der zentralafrikanische Präsident François Bozizé wiederum ist von der Rebellion im Tschad in Anspruch genommen, die auf sein Land überzugreifen droht, und muss sich zudem mit einer Jugendrevolte herumschlagen. Aus Angst vor einer Verschwörung hat er kürzlich seinen Finanzminister, der sein Neffe ist, entlassen. Und die Beziehungen zwischen der DR Kongo und Kongo-Brazzaville sind vergiftet durch die Affäre Faustin Munene, einen General Kabilas, der in Brazzaville Asyl als politischer Flüchtling erhalten hat.
Geschwächt, wie sie ist, versucht die Regierung der DR Kongo, im Konflikt in der Provinz Kivu vermittelnd zu wirken. Sie nutzt die schlimme humanitäre Lage in der Region, um den Druck auf Ruanda zu erhöhen. Seit April richten internationale Organisationen und Medien ihre Aufmerksamkeit vor allem auf die Übergriffe der erklärten Feinde des kongolesischen Präsidenten. Dabei treten die Unregelmäßigkeiten bei der Wahl und die zahlreichen Korruptionsvorwürfe gegen Personen in seinem engen Umfeld in den Hintergrund. Mit dieser Strategie ist es ihm gelungen, Zeit zu gewinnen, die Streitkräfte wieder zu sammeln und sich den lokalen Milizen anzunähern. Die Provinzhauptstadt Goma konnte er mit Waffengewalt halten,5 obwohl die Kräfteverhältnisse eher für die M23 sprechen.
2009 machte der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy den Vorschlag, die Demokratische Republik Kongo und Ruanda sollten die Ressourcen der Region gemeinsam verwalten; dies wurde von Kinshasa als eine Beleidigung zurückgewiesen. Tatsache ist jedoch, dass der kongolesische Staat nicht in der Lage ist, die Souveränität über weite Teile seines Landes auszuüben. Unterdessen werden die Bodenschätze Kivus und des Distrikts Ituri, um die es in allen Auseinandersetzungen geht, systematisch geplündert. Von Gold und Diamanten bis zu Kasiterit und Uran: Stets erfassen die staatlichen Behörden lediglich einen verschwindend kleinen Teil der Bergbauaktivitäten.
Gleichzeitig hat die Integration ehemaliger Rebellengruppen in die reguläre Armee auf der Grundlage von Friedensabkommen, mit schönen Beförderungen als Dreingabe, einen Kreislauf der Straflosigkeit in Gang gesetzt, der zu weiteren Rebellionen ermutigt. In einer Region, die wirtschaftlich am Boden liegt, ist Gewalt der einzige Weg, um zu überleben und aufzusteigen und auch auf nationaler Ebene Einfluss zu gewinnen. Alle Hoffnung ruht auf der internationalen Gerichtsbarkeit, weil sie allein in der Lage zu sein scheint, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Aber noch wurden keinerlei konkrete Schritte unternommen.
Die Beziehungen zwischen dem Internationalen Strafgerichtshof und der Afrikanischen Union (AU) waren von Anfang an konfliktgeladen, und mit der Ausstellung des Haftbefehls gegen den sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir haben sie sich weiter verschlechtert: Die AU hat – wie schon beim Haftbefehl gegen Gaddafi – ihre Mitglieder angewiesen, nicht mit dem Gerichtshof zu kooperieren. Dieser Misserfolg wirft ein bezeichnendes Licht auf den afrikanischen Multilateralismus, der allzu oft nur aus persönlichem Zusammenhalt unterhalb der politischen Ebene besteht.
Die DR Kongo ist Schauplatz regionaler Machtkämpfe, so wie sie früher Schauplatz der Auseinandersetzungen von Kolonialmächten war. Das Land, das trotz einer unendlichen Fülle natürlicher Reichtümer im Entwicklungsindex der Vereinten Nationen ganz am Ende steht, befindet sich weiterhin im Zentrum einer blutigen Krise mit ungewissem Ausgang. Seit 1997 sind mutmaßlich zwischen 3 Millionen und 10 Millionen Menschen gestorben. Infolge der Ereignisse seit dem Frühjahr sind mehr als 500 000 Menschen geflohen; außerdem hat es nach Angaben der Hilfsorganisation Médecins du Monde eine neue „Vergewaltigungsepidemie“ gegeben. Seit dem Sommer kommt es auch immer wieder zu Gewalttaten aus ethnischen Motiven.
Im selben Zeitraum folgten drei ergebnislose Gipfeltreffen der Große-Seen-Konferenz CIRGL aufeinander. Die Beteiligten scheinen wieder und immer noch nur eine Gemeinsamkeit zu haben: ihre vollkommene Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der Menschen in der Region.