13.07.2017

Arlene Foster und die Krokodile

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Arlene Foster und die Krokodile

Die DUP-Chefin und Verbündete Theresa Mays in Belfast PETER MORRISON/ap
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Seit dem 29. Juni sichert die Democratic Unionist Party (DUP) der konservativen Regierung May in London die Mehrheit. Arlene Foster, die umstrittene DUP-Chefin, ist in Enniskillen geboren, ganz in der Nähe von Pettigo. Ihr Vater diente in der Royal Ulster Constabulary, der nordirischen Polizeitruppe, und erlitt während der „Troubles“ durch Schüsse schwere Kopfverletzungen.

Foster, die bis Januar Regierungschefin in Belfast war, hat ihren Wohnsitz nahe beim Anwesen des 1. Viscounts von Brookeborough, der von 1943 bis 1963 Premierminister Nordirlands war. Der Viscount hatte nach Gründung des Nordirischen Staats die protestantischen Arbeitgeber aufgefordert, keine Katholiken anzustellen, weil deren Loyalität zweifelhaft sei. Er selbst rühmte sich, keinen einzigen Katholiken zu beschäftigen. Durch ihre Wahlkreisarithmetik haben die Unionisten von Anfang an für „ein protestantisches Parlament und einen protestantischen Staat“ gesorgt, wie es der erste Pre­mier­mi­nis­ter Sir James Craig schon 1921 gefordert hatte.

Die ehemalige Anwältin Arlene Fos­ter war 2003 für die Ulster Unionist Party (UUP) ins Parlament gewählt worden, dann aber bald zur DUP übergelaufen, die das Karfreitagsabkommen der Parteien im Nordirlandkonflikt von 1998 entschieden ablehnt. 2015 beschimpfte sie, ganz auf der Linie der alten Brookeborough-Arroganz, die Abgeordneten der Sinn Féin und der republikanisch gesinnten SDLP im nordirischen Parlament als „Renegaten“ und „Schurken“. Die DUP blockierte regelmäßig Gesetzesvorhaben, die ihr Regierungspartner Sinn Féin eingebracht hatte, so auch eines für die Ehe für alle.

Unter ihrer Regierung wurden Mittel aus einem Programm für Gemeindezentren in 34 Fällen an Gruppen aus dem Umfeld des radikalen protestantischen Orange Order vergeben, Vereine der katholischen Gaelic Athletic Association wurden hingegen nur zweimal bedacht.1 Und kurz vor Weihnachten 2016 verweigerte der Kulturminister – ein DUP-Mann und Förderer loyalistischer Marschkapellen – einer lokalen Gruppe in Belfast staatliche Zuschüsse für ein Projekt, das 100 Kindern eine Ferienfreizeit mit Lektionen in irischer Sprache bieten sollte. Die DUP behandelt diese Sprache mit demonstrativer Verachtung und blockiert weiterhin ein Sprachgesetz, obwohl sie der Einführung des Irischen schon 2006 zugestimmt hat.2

Solch demonstrative Verachtung wurde zur Routine. Die Politik der DUP unter Foster erweckt den Eindruck, als sei in Nordirland die Herrschaft der protestantischen Mehrheit etabliert. Der Regierungspartner Sinn Féin (SF) wurde praktisch lahmgelegt, aber die Partei wollte das nicht wahrhaben und versicherte bis Ende 2016, dass der Mechanismus der Machtteilung noch immer funktioniere. Dann aber fuhr Foster zusammen mit ihrem damaligen Vize Martin McGuinness im Oktober 2016 nach London, um mit Theresa May über den Brexit zu sprechen. Foster und die DUP waren dafür, McGuinness und die Sinn Féin dagegen.

Nach dem Referendum musste die DUP einräumen, dass über die Parteikasse mehrere hunderttausend Pfund nach England geschleust worden waren, um dort die Brexit-Kampagne zu unterstützen. Foster hat die Affäre überstanden, indem sie alles eisern leugnete, ähnlich wie schon bei einem anderen Skandal von 2012, der die Staats­kasse rund 500 Millionen Pfund kosten wird: Damals hatte das von ihr geführte Ministerium für Unternehmen, Handel und Investitionen ein Anreizsystem zur Förderung erneuerbarer Energien eingeführt, das zu exzessivem Missbrauch einlud.3

Als die Sache Ende 2016 ans Licht kam, war für McGuinness das Maß voll: Anfang Januar reichte er seinen Rücktritt ein, weil er „die Arroganz der DUP“ nicht mehr hinnehmen wollte. Damit ist das Konstrukt der Machtaufteilung zwischen Protestanten und Katholiken zusammengebrochen. Seitdem spricht die Sinn Féin über ihren Expartner so wie eine misshandelte Frau, die gerade ihrer Ehehölle entronnen ist.

Foster keilte zurück und erklärte: „Wenn man ein Krokodil füttert, wird es immer wiederkommen und mehr verlangen.“ Damit begründete sie ihre Entscheidung, die Zustimmung zum Sprachgesetz zurückzuziehen. Die Katholiken waren über den Krokodil-Vergleich natürlich erbost. Foster legte nach mit düsteren Warnungen, dass jede Stimme für Sinn Féin eine Stimme für Gerry Adams4 sei, der immer noch entschlossen auf ein vereintes Irland hinarbeite.

Viele Unionisten sehen im Brexit eine Chance, das allmähliche Dahinschwinden der Grenze zu verhindern, das für sie einer schleichenden Vereinigung Irlands gleichkommt. Dagegen preist Enda Kenny, Exregierungschef der Republik Irland5 , die Römischen Verträge als „eines der größten Friedensabkommen der Geschichte“ und argumentiert, ohne diese europäische Gründungsurkunde gäbe es auch das Karfreitagsabkommen nicht. Der prominente irische Journalist Fintan O’Toole ist der Ansicht, mit Letzterem sei Nordirland „zu einer Art Mini-EU“ gemacht worden: zu einem Staatswesen, dessen Funktionieren nicht auf Selbstbehauptung beruhe, sondern auf „schmerzlichen Kompromissen und schwieriger Konsensbildung“.

Genau das entspricht nicht Fosters Stil. In ihrem Wahlkampf stellte sie die Leute vor eine simple Alternative: Sollen die Unionisten herrschen oder die Republikaner?

Nordirlands eiserne Protestantin

Die Krokodile schnappten zurück. Nach der vorgezogenen Wahl vom 2. März wurden die Abgeordneten der erfolgreichen Sinn Féin von begeisterten Anhängern gefeiert – in Krokodilskostümen. Und ein Ex-IRA-Mann rief der grimmig blickende Arlene Foster beim Verlassen des Parlaments hinterher: „See you later, alligator.“

Die Unionisten hatten erstmals seit der Teilung Irlands ihre Mehrheit im nordirischen Parlament verloren. Die DUP kam auf 28 Sitze gegenüber Sinn Féin mit 27. (Bei den Wählerstimmen lag die DUP mit 28,1 Prozent nur 0,2 Prozentpunkte vor SF.) Die Parteien, die gegen den Brexit sind, wie die SDLP und die linksliberale Alliance, gewannen Stimmen hinzu und kamen auf über 50 Prozent.

Die Grenze zwischen dem Norden und der Republik Irland wird derzeit tagtäglich von etwa 30 000 Menschen überquert, die ihren Arbeitsplatz auf der anderen Seite haben. Bauern in der Grenzregion sind von Fördermitteln der EU abhängig. Die auf der gesamten Insel wichtige Industrie um die Pferderennen funktioniert nur mit offener Grenze. Und auch der innerirische Handel ist längst Teil einer globalisierten Wirtschaft. Chinesische Babys trinken Milch von nordirischen Kühen, die zur Verarbeitung in die Republik gebracht wird und dort das EU-Gesundheitszertifikat bekommt.

Das Vereinigte Königreich und Irland sind für Waren und Dienstleistungen beider Seiten ungeheuer wichtige Märkte. Durch die EU wurde die Integration zwischen Nordirland und der Republik gerade im Bereich der Dienstleistungen stark gefördert. Zum Beispiel müssen Krebspatienten im äußersten Norden der Republik zur Behandlung nicht mehr nach Sligo an die Westküste fahren, sondern können in nur einer Stunde ein Krankenhaus im nordirischen Derry erreichen. Die Krankentransporte sind grenzübergreifend koordiniert, und die Polizei kann zumindest Sexualverbrecher auf der anderen Seite verfolgen.

Die nordirische Sinn Féin ist keine begeisterte Befürworterin der EU, und beim Brexit-Referendum hat sie ihre Wähler nicht für ein „Remain“ mobilisiert. Aber heute steht sie an die Spitze derer, die gegen die Auswirkungen des Brexit für Irland agitieren. Dabei drückt sie sich nicht immer vornehm aus. Im Europäischen Parlament zum Beispiel erklärte die Sinn-Féin-Abgeordnete Mar­ti­na Anderson an die Adresse der britischen Premierministerin: „Theresa, du kannst dir deine Art von Grenze – ob hart oder weich – da hinstecken, wo keine Sonne scheint, aber nach Irland wirst du sie nicht bringen.“

Jahrelang war Sinn Féin die einzige Partei, die ein vereinigtes Irland anstrebte, aber heute sagen auch der irische Regierungschef und die Führung der irischen Fianna Fáil, dass die Vereinigung ein Weg sein kann, Nordirland in der EU zu halten.

Garrett Carr schildert in seinem Buch „The Rule of the Land“, in dem er über seine Wanderungen entlang der irischen Grenze berichtet, eine Unterhaltung mit einem Bauern. Auf die Frage, ob es beschwerlich sei, an der Grenze zu leben, antwortete ihm der Mann: „Sagen wir mal so. Ich hätte nichts dagegen, wenn du sie einfach mitnehmen würdest.“ Carr stellt sich daraufhin vor, er würde die Grenze aufwickeln wie das Kabel eines Rasenmähers.

Die Zusicherungen von Theresa May, es werde eine „reibungslose Grenze“ mit elektronischen Über­wa­chungs­an­lagen geben, nimmt ihr kaum jemand ab. Eine Freundin von mir, die im Norden lebt und bei einem von der EU finanzierten Gemeindezentrum im Süden arbeitet, befürchtet, dass die Grenze in die Köpfe der Menschen zurückkehrt. Und damit die alten Fragen: Wer sind Sie? Wo kommen Sie her? Haben Sie einen Ausweis bei sich? Was ist der Zweck Ihrer Reise? ⇥Susan McKay

1 Siehe Irish Times, 4. April 2017: www.bbc.com/news/uk-northern-ireland-38622869.

2 Das Gesetz wurde im sogenannten St.-Andrews-Abkommen vereinbart, das im Oktober 2006 zwischen den Regierungen in London und Dublin und allen Parteien Nordirlands ausgehandelt wurde. Über den Sprachenstreit siehe den BBC-Bericht vom 28. Juni 2017: www.bbc.com/news/uk-northern-ireland-38601181.

3 Die Förderungsbedingungen ermöglichten einem weit größeren Personenkreis als beabsichtigt, große Geldsummen in Anspruch zu nehmen.

4 Gerry Adams ist seit 1983 ist Vorsitzender von Sinn Féin in Nordirland, das Karfreitagsabkommen und folgende Friedensvereinbarungen hat er mit ausgehandelt. Adams wird vorgeworfen, Mitglied der IRA gewesen zu sein, was er bestreitet.

5 Kenny gab am 2. Juni das Amt des irischen Regierungschefs (irisch: Taoiseach) ab, nachdem er schon von der Spitze seiner (rechtsliberalen) Partei Fine ­Gael zurückgetreten war. Beide Ämter übernahm Leo Varadkar, der damit zum ersten schwulen Regierungschef Irlands wurde.

© London Review of Books, für die deutsche Übersetzung Le Monde diplomatique, Berlin

Le Monde diplomatique vom 13.07.2017