Hirten unter Verdacht
Von Mali bis zur Zentralafrikanischen Republik haben die nomadischen Fulbe viele Feinde
von Rémi Carayol
Seit 2015 sorgen Hirten aus dem Volk der Fulbe für Unruhe in Zentralmali. Staatssekretär Boubèye Maïga, ehemaliger Geheimdienstchef und Verteidigungsminister, erklärte besorgt, der Staat sei „hilflos“. Die Krisen in der Sahelregion, aber auch „das geringe Wissen über die Dynamik von Hirtengesellschaften“ erschwerten alle Versuche, den Flächenbrand einzudämmen.
Konflikte zwischen Ackerbauern und nomadischen Viehzüchtern sind in Afrika nichts Neues. Und die Hirten der Fulbe waren schon oft an Streitereien um Feldschäden, Viehwanderwege und den Zugang zu Wasserstellen beteiligt. Aber in der Vergangenheit blieben die Konflikte meist örtlich begrenzt und dauerten nicht länger als ein paar Tage. Danach zählten beide Seiten ihre Toten.
Seit Beginn der 2010er Jahre mehren sich die Konflikte und fordern immer mehr Todesopfer. Die Gründe sind die Auswirkungen des Klimawandels, der Vormarsch terroristischer Bewegungen und der Waffenhandel in der Sahelzone. Die Fulbe kämpfen dabei für ihre Interessen, doch ihre Forderungen werden auch von den Milizen instrumentalisiert, die in West- und Zentralafrika gegeneinander kämpfen. Die Situation könnte bald außer Kontrolle geraten.
Die Fulbe sind ein mehrheitlich muslimisches Hirtenvolk von mutmaßlich 30 Millionen Menschen (genaue Zahlen gibt es nicht). Die meisten leben in Nigeria (etwa 22 Millionen, siehe den Artikel auf Seite 21), die anderen verteilen sich über Guinea, Senegal, Kamerun, Mali, Niger, Burkina Faso, Tschad, die Zentralafrikanische Republik, Elfenbeinküste, Mauretanien, Gambia und Guinea-Bissau.
Dürreperioden haben in der gesamten Sahelzone, wo die ohnehin geringen Niederschläge in den letzten 40 Jahren um durchschnittlich 20 Prozent zurückgegangen sind, bereits viele tausend Menschen und Millionen Tiere das Leben gekostet. Die Fulbe leiden zudem unter der stetigen Ausweitung der Ackerflächen, wodurch ihre Weideflächen immer knapper werden. Hinzu kommt, dass immer mehr Bauern intensive Tierhaltung betreiben. Die Wanderhirten fühlen sich in einer feindlichen Umgebung, besonders wenn sie durch Länder ziehen, deren Staatsbürger sie nicht sind.
Inzwischen sind viele Fulbe in die fruchtbaren Regionen Zentralnigerias gewandert, die Pufferzone zwischen dem muslimischen Norden des Landes und dem christlichen Süden. Geflohen sind sie nicht nur vor dem Klimawandel, sondern auch vor der Überweidung und der Gewalt der islamistischen Terrororganisation Boko Haram, die seit acht Jahren im Nordosten Nigerias wütet. Und nun streiten die nomadischen, zumeist muslimischen Viehzüchter mit den sesshaft lebenden, zumeist christlichen Ackerbauern um Boden und Wasser – all das in einem Land, in dem Viehdiebstahl, Mord und Zerstörung unbekannte Ausmaße angenommen haben. Die Spannungen haben inzwischen auch die Länder südlich von Nigeria erfasst.
Die politisch Verantwortlichen kümmern sich nicht um diese Probleme, weil sie mit den rebellischen Banden im Nigerdelta1 und im Nordosten des Landes alle Hände voll zu tun haben. Zentralnigeria wird von religiösen Spannungen erschüttert, wie die blutigen Massaker an Christen in der Stadt Jos im Jahr 2010 zeigen. Der dadurch entstandene Hass auf die Muslime traf auch die Hirten der Fulbe, die aus dem Norden gekommen waren. Man warf ihnen vor, mit Boko Haram gemeinsame Sache zu machen, dabei waren sie doch ebenfalls vor den Gräueltaten der Islamisten geflohen.
Muhammadu Buhari, der 2015 gewählte Präsident von Nigeria, ist ein Fulbe. An der Einstellung gegenüber seinem Volk in Nigeria hat sich dadurch jedoch nichts geändert. Der Staatschef tut nicht viel für die Hirten seines Volks. Denn die sind „Land-Fulbe“ mit geringer Schulbildung, während die wenigen „Stadt-Fulbe“ oft einen Hochschulabschluss haben und ein bürgerliches Leben führen.
In der Zentralafrikanischen Republik sind die Fulbe in einen anders gelagerten Konflikt verstrickt, bei dem allerdings die gleichen Komponenten eine Rolle spielen. Als dort nach dem Staatsstreich vom 24. März 2013 der Bürgerkrieg ausbrach, waren die Beziehungen zu den Hirten, die auf der Flucht vor der Trockenheit aus dem Tschad gekommen waren, bereits angespannt. In einem Land, das schon lange kein Staat mehr ist, waren die verschiedenen Gemeinschaften sich selbst überlassen.
Massina – das Königreich der Hirten
Als immer mehr Straßenräuber und bewaffnete Gruppen auftauchten, änderten die Hirten ihre Routen, und es kam zu Zusammenstößen mit den Ackerbauern. Und die kämpfen heute nicht mehr mit Macheten und alten Gewehren, sondern mit Kalaschnikows, die sie bei den zahlreichen Waffenhändlern in der Region kaufen. Ein Angehöriger der Fulbe aus dem Tschad mischte in dem Konflikt mit: Der Expolizist Baba Laddé, der sich gegen das autoritäre Regime von Präsident Idriss Déby erhoben hatte, behauptete, er vertrete die Fulbe-Hirten der Zentralafrikanischen Republik. Gleichzeitig erpresste er Schutzgeld von ihnen und stahl ihr Vieh.
Schließlich ergab er sich, bedrängt von den Armeen des Tschad und der Zentralafrikanischen Republik, und kehrte 2012 nach N’Djamena zurück. Aber einige Kämpfer seiner Bewegung, der Volksfront für die Wiederaufrichtung (FPR), weigerten sich, mit ihm zu gehen. Als 2013 der Krieg ausbrach, schlossen sie sich den Rebellen des offiziell aufgelösten muslimischen Bündnisses Séléka an und kämpften gegen die christlichen Anti-Balaka-Milizen.3
Inzwischen setzt Ali Darassa, ein ehemaliger Angehöriger der FPR, den Kampf von Baba Laddé fort. Er ist Chef der Union für Frieden in der Zentralafrikanischen Republik (UPC) und behauptet seinerseits, die Fulbe-Hirten zu vertreten, die er mit Waffen ausgerüstet hat. Denen werden nun zahllose Gräueltaten im Nordwesten und im Zentrum des Landes vorgeworfen: Dörfer wurden in Brand gesetzt und geplündert, Zivilisten wahllos getötet. Diese Massaker haben die Feindseligkeit gegenüber den Fulbe geschürt, die nun unterschiedslos ins Visier gerieten.
Die Fulbe machen einen erheblichen (aber schwer zu beziffernden) Anteil der 463 000 Flüchtlinge aus, die aus der Zentralafrikanischen Republik in Nachbarländer geflohen sind. Dieser Zustrom führt wiederum gelegentlich zu neuen Spannungen mit der lokalen Bevölkerung, wie beispielsweise 2014 in Kamerun, als viele Hirten mit ihren Tieren ins Land strömen.
In der Zentralafrikanischen Republik rauben ehemalige Séléka-Kämpfer den gebliebenen Fulbe-Hirten regelmäßig ihre Tiere, die oft deren einziger Besitz sind. Viehdiebstahl ist, einem UN-Bericht zufolge, „für die Séléka eine wichtige Einnahmequelle“.2 In der Hauptstadt Bangui begegnet man den Fulbe mit einer gewissen Feindseligkeit. Nicht selten hört man Sätze wie: „Die Muslime sollen dahin zurückgehen, wo sie hergekommen sind.“ Manche Politiker warnen sogar vor einer – höchst unwahrscheinlichen – Verbindung der ehemalige Séléka zu den Dschihadisten Westafrikas.
Das Gespenst eines „Dschihad der Fulbe“ nimmt in Zentralmali Gestalt an. In diese Region kommen viele Hirten, die Wanderweidewirtschaft betreiben. Hier gründeten die Fulbe im 19. Jahrhundert ihr theokratisches Königreich Massina.
Über die letzten zwei Jahre haben sich dschihadistische Gruppen, die früher den Norden Malis unsicher gemacht haben, bis in die Gegend von Mopti ausgebreitet, wo die Lage mittlerweile außer Kontrolle geraten zu sein scheint. Dutzende Kämpfer, zumeist Fulbe, verbreiten Angst und Schrecken. Sie berufen sich auf Hamadoun Koufa, den Anführer der Katiba Massina, einer bewaffneten Gruppe, die sich 2015 mit den Islamisten von Ansar Dine (Unterstützer des Glaubens) verbündete. Im Februar 2016 schloss sich Katiba Massina der Gruppe zur Unterstützung des Islam und der Muslime an, die wiederum aus dem Zusammenschluss mehrerer islamistischer Gruppierungen im Sahel hervorgegangen ist, die unter dem Banner von al-Qaida kämpfen.
Gezielte Attentate und bewaffnete Angriffe häufen sich, ebenso Überfälle auf Dörfer. Wie Human Rights Watch berichtet, sind seit Anfang des Jahres bei Gräueltaten von islamistischen Gruppen, Selbstverteidigungsmilizen und auch, wenngleich in geringerem Umfang, der malischen Armee, die eigentlich für die Wiederherstellung der Ordnung sorgen soll, mindestens 52 Menschen umgekommen, 10 000 sind ins Landesinnere geflohen.
Ein lokaler Abgeordneter, der sich nach Bamako in Sicherheit gebracht hat und anonym bleiben möchte, sagt dazu: „In diesen Gebieten hat der Staat keine Kontrolle mehr. Die Schulen sind geschlossen, die Beamten verkriechen sich, und die Armee schaut weg.“ Angesichts der allgemeinen Unsicherheit sind alte Spannungen zwischen den Fulbe, den Bambaras und den Dogon wieder aufgeflammt, jede Volksgruppe hat ihre eigene Selbstverteidigungsmiliz aufgestellt.
Da die islamistische Gewalt die ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht, gerät die soziale Dimension der Konflikte leicht in Vergessenheit. In der Sahelregion Malis wird oft gesagt, es gebe keine terroristischen Fulbe, sondern nur aufgebrachte Fulbe. Ihr Aufstand hängt mit dem anhaltenden Niedergang der wichtigen Wirtschaftsregion Mopti zusammen: Der Tourismus leidet unter der schlechten Sicherheitslage, Ackerbau und Viehzucht unter den wiederkehrenden Dürreperioden. Immer wieder kam es zu Zusammenstößen.
2012 kontrollierten dann die Islamisten den Norden Malis und zerstörten Heiligtümer in der Wüstenstadt Timbuktu. Seit die Unabhängigkeitskämpfer und die Dschihadisten auf den Plan getreten sind, wenden sich die Leute kaum mehr an traditionelle Autoritäten, um Auseinandersetzungen zu schlichten, sondern eher an bewaffnete Kräfte.
Die Fulbe hatten zuvor jahrelang darüber geklagt, dass ihre Weideflächen auf dem Land der Dogon immer kleiner würden und sie andernorts Überfälle von Tuareg-Banditen zu fürchten hätten. Sie beschlossen damals, sich unter den Schutz der neuen Herren des Gebiets zu stellen, der Männer von der Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika (Mujao), einer mit al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQMI) verbundenen Gruppe, deren ideologische Vorstellungen sie allerdings nicht teilten.
Nach dem Rückzug der Dschihadisten im Januar 2013 nach der französischen Militärintervention3 verlegten sich einige wieder auf Viehdiebstahl, andere schlossen sich den Selbstverteidigungsmilizen an, wieder andere gingen zu Katiba Massina. Das geschah aus finanziellen Gründen, religiöser Überzeugung oder auch aus Protest: gegen die Übergriffe der malischen Armee und gegen die Fulbe-Aristokratie. Denn die Wanderhirten der Fulbe werden seit dem Ende des 19. Jahrhunderts politisch und wirtschaftlich immer mehr an den Rand gedrängt, auch innerhalb ihres eigenen Volks. In ihren Augen boten die jüngsten Ereignisse eine Chance, Gesetze und Lasten abzuschütteln (Bodenordnung, inoffizielle Steuern und so weiter). Und in Hamadoun Koufa haben sie einen Mann gefunden, der sich für ihre Anliegen starkmacht.
Koufa ist ein fundamentalistischer Prediger aus dem Volk der Fulbe. Die jungen Leute hören sich seine Reden auf ihren Mobiltelefonen an. Seit 30 Jahren wettert er gegen die Privilegien der einflussreichen Familien, die Korruption der lokalen Amtsträger und die Komplizenschaft der Fulbe-Eliten, die seiner Ansicht nach die einfachen Hirten ausplündern. Viele Menschen in Zentral-Mali, die Opfer von ungerechter Behandlung oder Erpressung geworden sind, erhoffen sich von ihm, dass er ihnen zu einer Entschädigung verhilft.
Die Fulbe leben – bei allen Unterschieden zwischen den einzelnen Ländern – doch alle unter relativ ähnlichen Umständen. Staatssekretär Boubèye Maïga hält es für möglich, dass sie sich, da sie untereinander Kontakte pflegen, dem Islamismus zuwenden. Aber von einer einheitlichen Bewegung der Fulbe kann kaum die Rede sein. Es steht eher zu befürchten, dass in den ländlichen Gebieten der Sahelstaaten, in denen die Staatsgewalt schwach ist, immer wieder Unruheherde aufflackern – wie in Burkina Faso, wo in der nördlichen Provinz Soum im Dezember 2016 eine neue dschihadistische Gruppierung namens Ansaroul Islam aufgetaucht ist. Sie besteht hauptsächlich aus Fulbe und wird von einem Prediger angeführt, der Hamadoun Koufa eng verbunden ist.
1 Siehe Jean-Christophe Servant, „Das Öl des Zorns“, Le Monde diplomatique, April 2006.
3 Siehe Simone Schlindwein, „Zentralafrika erstickt am Hass“, Le Monde diplomatique, April 2014.
Aus dem Französischen von Ursel Schäfer
Rémi Carayol ist Journalist.