Stolz, prekär, Feuerwehr
Über Ethos und Alltag der Pariser Nothelfer
von Romain Pudal
Ganz ehrlich, ich verstehe nicht, was die wollen: Die zünden die Autos von ihren Alten an, die zerstören die Schulen ihrer kleinen Geschwister oder gleich die ganze beschissene Siedlung. Das macht doch keinen Sinn! Was soll das bringen? Bilden die sich ein, sie erreichen was, wenn sie alles in die Luft jagen? Findest du das vielleicht in Ordnung? Irgendwann ist Schluss!“
So schimpften sie im November 2007 in unserem Löschfahrzeug. Nach dem Tod von zwei Jugendlichen, deren Motorrad von einem Polizeiauto in Villiers-le-Bel (Val-d’Oise) umgefahren worden war, herrschte in der Banlieue der Ausnahmezustand: Nächtelang flogen Steine, wurden Polizisten angegriffen, brannte es an allen Ecken. Zum zweiten Mal erlebten wir solche schweren Unruhen. 2005 hatten sie sich lange hingezogen, diesmal war das Auflodern heftig, aber kürzer. Wir reagierten darauf mit Unverständnis und Zorn – weniger mit Angst. Auch ein gewisser Fatalismus machte sich in unsrer Kaserne breit, die in einem Pariser Vorort liegt. Wir bekommen es immer wieder mit solchen Gewaltausbrüchen zu tun.
In dieser Kaserne habe ich als Freiwilliger fünfzehn Jahre lang Dienst geschoben, zusammen mit den Feuerwehrleuten. Die meisten sind weiß, jung und männlich, nur wenige haben einen höheren Abschluss, viele haben lediglich kurze Lehrgänge absolviert. Sie gehören zum proletarischen Teil Frankreichs, der versucht, in die Mittelschicht aufzusteigen.
Ein Pariser Intellektueller gehört hier also nicht gerade zur Norm. Jeder hat seine Vorurteile, und ich bin für sie mehr oder weniger automatisch der Gutmensch, der immer alles entschuldigen will, „wie alle linken Bobos“. Es ist nicht leicht zu erklären, dass die Soziologie keine Rechtfertigungskultur ist. Die Feuerwehrmänner glauben mir nicht, auch der frühere Ministerpräsident Manuel Valls machte keinen Hehl daraus, dass er nicht viel von dieser Disziplin hält.
Die Männer hier sind durch ihren Beruf täglich mit menschlichen Komödien und Tragödien konfrontiert. Mit einem gewissen Sarkasmus, aber durchaus freundlich fordern sie mich auf zu erklären, was sie täglich sehen und erleben: Die Unruhen natürlich, Steinwürfe und Straßenschlachten oder die unangenehmen Begegnungen mit „djeuns“ (jungen Leuten), „wesh-wesh“ (aus dem Arabischen übernommener Gruß unter Jugendlichen), „cas sos“ (Sozialfällen) und, nicht zu vergessen, „TPMGs“1 , zu denen sie Politiker, Manager, Spitzensportler, Filmstars und andere Promis zählen, die sie für rücksichtslose Egoisten halten.
Im Feuerwehrmilieu, einer Gegengesellschaft mit eigenen Codes und Riten, voller Stolz auf den Zusammenhalt und die Solidarität mit allen, die ihr angehören, sind ein starkes Verantwortungsbewusstsein, Opferbereitschaft und Brüderlichkeit fundamentale Werte.
Der Berufsalltag bei der Feuerwehr ist kaum bekannt. Er verschwindet hinter den spektakulären Bildern von Bränden, Katastrophen und nationalen Ehrungen für gefallene Feuerwehrleute. Die gehören natürlich auch dazu, jeder im Einsatz ums Leben Gekommene verdient die Ehre. Aber wenn man genauer hinschaut, sieht man eine andere Art von Heldentum – ein Wort, über das sie lächeln und das sie von sich weisen.
Feuerwehrleute müssen für alle möglichen Situationen eine Lösung finden; sie leisten nicht nur Erste Hilfe; oft müssen sie auch stundenlang reden, trösten, beruhigen oder einfach nur zuhören. Jeden Tag sind sie mit Problemen und Sorgen konfrontiert, die keine lebensbedrohlichen Notfälle sind, sondern das, was unsere Gesellschaft an Verstörungen, Unbehagen und Ängsten hervorbringt.
Unzählige Einsätze werden von „sonstigen Anfragen“ ausgelöst, die zu Recht so heißen, weil es manchmal schwer zu erklären ist, warum jemand die Notrufnummer gewählt hat: chronisch Kranke, die allein in ihrer Wohnung sitzen und sich umbringen wollen; ein entlassener Manager, der plötzlich ausrastet und seine Nachbarn beschimpft, sodass eine mitfühlende Seele befürchtet, dass er sich „etwas Schlimmes antut“; oder alte Menschen, die mitten in der Nacht anrufen, weil sie aus dem Bett gefallen sind. In all diesen Situationen muss die Feuerwehr ausrücken, Verständnis zeigen und beruhigen. Ehrensache, dass die Männer ihre eigenen Empfindungen unterdrücken und versuchen, ruhig zu bleiben und zu lächeln.
Die alte Dame mit dem Wasserschaden
Diese Mitmenschlichkeit regt sich insbesondere dann, wenn die Verwaltung auf die Vorschrift pocht, dass Einsätze, sofern es sich nicht um einen Notfall handelt, gebührenpflichtig sind und dem Anrufer in Rechnung gestellt werden müssen: ein Wespennest beseitigen, eine Tür aufbrechen, einen nicht akut Kranken transportieren und Ähnliches. Bei den Fortbildungen wird eine ganze Batterie von Argumenten aufgefahren: die Finanzierung, die Eigenverantwortung unserer Mitbürger, deren Sensibilisierung für wirkliche Notsituationen. Die Teilnehmer fühlen sich nicht angesprochen, wie ihre belustigten oder misstrauischen Mienen und ihre abwesenden Blicke erkennen lassen. Flüsternd reißen sie Witze: „Wie beim Einkaufen: So, junge Frau, das macht dann soundso viel ...“
Und dann kommt der Ernstfall: Überschwemmung in der dritten Etage eines heruntergekommenen Hochhauses, im Wohnzimmer einer verzweifelten alten Dame steigt das Wasser. Der erfahrene Kollege und ich pumpen es ab. Klarer Fall, die uralte Waschmaschine hat versagt. „Müssen wir nicht das Formular für gebührenpflichtige Einsätze ausfüllen?“, flüstere ich eilfertig. Jerômes strenger Blick lässt mich verstummen. „Bin ich Ihnen etwas schuldig?“, fragt die Rentnerin am Ende unseres Einsatzes besorgt. „Nicht doch, auf keinen Fall!“, antwortet er mit breitem Lächeln. „Wir sind die Feuerwehr, das ist umsonst, wissen Sie? Außerdem können Sie nichts dafür, Sie haben schon genug Scherereien. Na gut, wir hätten gern ein Glas Wasser nach getaner Arbeit!“ Als wir die Geräte in den Laster räumen, erklärt mir Jérôme: „Hast du gesehen, wie sie lebt? Sie hat keinen Cent! Ich denke nicht daran, solche Leute zur Kasse zu bitten. Du musst selbst sehen, was für ein Feuerwehrmann du sein willst. Ich bin altmodisch, ich bin dazu da, den Leuten zu helfen, und nicht, Rechnungen zu schreiben.“
Die Frage der Kommerzialisierung und Rationalisierung dieser öffentlichen Dienstleistung hat sich in den letzten fünfzehn Jahren immer wieder gestellt, in Form von eben jenen Gebühren, Materialkosten oder einem festgelegten Zeitbudget für jede Art von Einsatz. Dabei wissen die Männer nie, was sie erwartet, wenn sie ausrücken. Keiner möchte seine Hilfeleistung quantifizieren, seine Empathie in Zeitwerten messen oder sich Vorgaben beziehungsweise Vorwürfe machen lassen, wie stark man sich während eines Einsatzes engagieren oder wie viel Material man dabei verbrauchen darf. Ich habe erlebt, wie sich Kollegen aufregten: „Wir konnten doch beim Transport nicht auf die Brandwundenkompresse verzichten! Da können wir den Leuten auch gleich sagen, sie sollen auf ein Stück Holz beißen, bis sie im Krankenhaus sind!“
Diese Anteilnahme, Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft lassen sich mit den Worten Pierre Bourdieus so zusammenfassen: Sie sind die linke Hand des Staates. Die Hilfe und der Beistand, die Feuerwehrleute im Alltag leisten, sind der Grund dafür, warum dieser Beruf nach diversen Umfragen einer der angesehensten in Frankreich ist.
Man könnte natürlich sagen, gut, es ist ihr Beruf, sie haben ihn gewählt und werden für ihren Altruismus ja auch bezahlt. Aber das trifft nur für eine Minderheit von 20 Prozent zu, die fest angestellt ist. 80 Prozent der Feuerwehrleute in Frankreich, fast 200 000, sind Freiwillige, die nach Zeitaufwand vergütet werden (5 bis 8 Euro pro Stunde im Durchschnitt für die einfachen Feuerwehrleute, die den direkten Kontakt zur Bevölkerung haben). Reich wird man davon nicht. Es ist eine magere Aufwandsentschädigung für ein starkes Engagement: Der freiwillige Feuerwehrmann muss in Übung bleiben, indem er ständig Bereitschaftsdienste macht (24 Stunden, manchmal mehr, auch nachts, auch am Wochenende) und die obligatorischen Fortbildungen besucht. Er ist zu regelmäßigen Gesundheitstests, Sporttraining und Feuerwehrübungen verpflichtet. Körperlicher Verschleiß ist ein Teil des Berufs.
Dennoch ist die Aufwandsentschädigung verlockend. Sie muss nicht versteuert werden und wird am Monatsende ohne Abzüge für Versicherungsbeiträge überwiesen. So kann der Freiwilligendienst schnell einen beachtlichen Teil der monatlichen Einnahmen ausmachen. Diesen beunruhigenden Trend zum Nebenverdienst bei Festangestellten beobachte man schon seit einigen Jahren, schrieb ein Gewerkschafter. Immer mehr Feuerwehrleute, besonders Jüngere oder prekär Beschäftigte, bestreiten ihren Lebensunterhalt über diese Zusatzdienste. Und umgekehrt erhoffen sich viele Freiwillige, dass sie das Aufnahmeverfahren bestehen, um in ihrem Traumberuf die Vorteile einer Festanstellung zu erlangen: regelmäßige und progressive Entlohnung, Arbeitnehmerrechte, Anspruch auf Weiterbildung, Prämien und Rente. Aber die Anzahl der Stellen ist begrenzt, und noch schwieriger ist es, im Departement seiner Wahl stationiert zu werden.
Deshalb suchen sich die meisten einen nicht minder prekären Job, der ihren Kompetenzen entspricht, wie Rettungsschwimmer, Brandschutzbeauftragter, Rettungssanitäter oder Krankenwagenfahrer. Oft arbeiten sie in mehreren Teilzeitjobs oder befristet als Aushilfen. Ihre berufliche Zukunft ist nicht sehr rosig. „Ohne die Freiwilligen würde unser ganzes System zusammenbrechen. Sie können weder unter humanen noch haushaltspolitischen Gesichtspunkten ersetzt werden“, schrieb der damalige Bildungsminister Luc Ferry in seinem Bericht für Präsident Sarkozy.2
Angesichts der ständigen Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen stellt sich die Frage: Wie lange noch müssen sich Prekäre um noch Prekärere kümmern? Und welche politischen Folgen kann das haben? Schon heute gibt es offenkundig einen Rechtsruck bei dem Teil der Bevölkerung, der ständig vom Abrutschen in die Armut bedroht ist. Manche Feuerwehrleute sehen sich unverblümt als die Müllmänner der Gesellschaft. Sie seien nicht nur ständig in Kontakt mit den sozial Schwächsten, in manchen Wohngebieten müssten sie sich auch noch anpöbeln lassen.
Es gibt diese Bedrohungen und Beleidigungen, das lässt sich nicht leugnen, aber sie sind nicht die Regel. Viel auffälliger sind die Spannungen zwischen den jungen Erwachsenen innerhalb der Unterschicht. Die eigene prekäre Erfahrung führt nicht dazu, das schlechte Benehmen anderer zu entschuldigen. Seit den Unruhen von 2005 und 2007 ist das gegenseitige Unverständnis und Misstrauen gewachsen. Die Feuerwehrleute standen damals an vorderster Front und waren mehr oder weniger überfordert.3 Die massive moralische und politische Verurteilung der Revolten in den Medien hat deutliche Spuren hinterlassen.
Ein Gedicht als moralischer Leitfaden
Viele Feuerwehrleute sorgen sich um ihre Familien. Die öffentlichen Schulen, in denen, wie einer sagt, „mein Sohn der einzige Weiße in seiner Klasse sein wird“, möchten sie ihren Kindern ebenso ersparen wie den schlechten Umgang im benachbarten Problemviertel. Wenn sie keine Bildung besitzen, die sie ihnen weitergeben können, sehen sie ihre Zukunft besonders düster. Manche Berufsfeuerwehrleute betrachten sich als eine Art soziales Wunder. „Ich habe kein Diplom, aber mit Zusatzdiensten verdiene ich mehr als ein Lehrer! Das ist doch irre!“, höre ich oft. Doch sie fürchten, dass sich dieses Wunder bei ihren Kindern nicht wiederholen wird: „Heute brauchst du für alles ein Diplom, sogar als Straßenfeger!“
Weil sie stolz darauf sind, ohne lange Ausbildung, durch körperliche Arbeit, Härte und Einsatz zu beruflichem Erfolg gelangt zu sein, verurteilen viele Feuerwehrleute gnadenlos diejenigen, „die das System ausnutzen“: die Sozialfälle ebenso wie die Reichen. Auch die Vorwürfe gegen François Fillon wegen der Scheinbeschäftigung seiner Ehefrau und Kinder werden sich negativ auswirken. „Ich habe geschuftet, um zu kriegen, was ich habe. Nicht so sehr in der Schule, zugegeben, aber seit ich 18 bin, mach ich einen Job, in dem ich 14 Stunden in Bereitschaft sein muss, mit Wochenenddienst und allem. Wenn du siehst, was die alles kriegen, Wohnung, Krankenversicherung, Sozialhilfe – und keine Steuern! Warum sollen die auch nur einen Finger krumm machen?“, fragt Lorenzo, ein 30-jähriger Freiwilliger.
„Und was machen wir mit der illegalen Einwanderung? Sobald es eine Abschiebung gibt, gehen die Gutmenschen auf die Straße! Begreifen die denn nicht, dass wir mit unseren Steuern die ganzen Sozialleistungen bezahlen und dass wir die Unternehmen ins Ausland treiben? Alles wird durch die Hilfen verschlungen, die Sozialleistungen für Leute, die es nicht verdienen“, ergänzt ein anderer Kollege, der von sich sagt, er sei „eindeutig rechts, aber überhaupt nicht rechtsextrem, Katholik, aber nicht praktizierender“. Dergleichen hört man oft. Die Argumente sind ein mehr oder weniger klares Bekenntnis zu Leuten wie Laurent Wauquiez, dem stellvertretenden Generalsekretär der Republikaner, der erklärte, das System der Sozialhilfe sei „das Krebsgeschwür der Gesellschaft“. Damit traf er bei den Feuerwehrleuten einen Nerv, weil sie ihre Ideale und ihre Ethik verletzt sehen.
Kein Wunder, dass die kritischen Kommentare der FN-Chefin Marine Le Pen über die Privilegien des Establishments und der Sozialhilfeempfänger auch hier auf offene Ohren stoßen. Die Entwicklung der letzten 15 Jahre einfach nur als Rechtsruck zu bezeichnen, unterschlägt die Auseinandersetzungen, Zweifel und Seitenwechsel, die da stattgefunden haben. Oft werden rassistische Bemerkungen mit dem Ethos der Feuerwehr und deren Dienst an der Gesellschaft gekontert. Aber es ist nicht zu leugnen, dass die allgemeine Verschlechterung der Lebensbedingungen und das Sperrfeuer rassistischer, nationalistischer und antiintellektueller Äußerungen verheerende Schäden angerichtet haben.
Der Begriff „Rechtsruck“ ist auch deshalb zweifelhaft, weil er impliziert, das einfache Volk sei früher links gewesen und wende sich nun den Werten der Rechten zu. Das politische Angebot der Linken passt nur selten zu den Erwartungen der Feuerwehrleute. Sie finden, dass die Intellektuellen und Linken sich vor allem für kulturelle Werte einsetzen, dass sie die Öffnung von Grenzen, die Aufnahme von Ausländern und das Versorgen der Ärmsten gut finden. Und dass sie mit ihren Diplomen und ihrer Bildung angeben und große Reden schwingen, bei denen sich die Kollegen ausgeschlossen fühlen.
Die herrschenden Sozialisten haben einen Jérôme Cahuzac4 nach oben gebracht, „den größten Schurken Frankreichs“, wie ihn die Feuerwehrleute nennen, und einen Emmanuel Macron, der als Wirtschaftsminister die Arbeiterinnen einmal herablassend als Analphabetinnen bezeichnet hat. Die stolzen Nothelfer wollen sich von den Politikern nicht andauernd „Lektionen erteilen“ lassen, die diese selbst nicht befolgen.
Am zweiten Jahrestag der Rückkehr eines Sozialisten in den Élysée-Palast sagte José zu mir: „Na, was denkst du jetzt, nach zwei Jahren Hollande? Du hast ihn doch gewählt, stimmt’s? Wie alle Profs, oder? Und, Herr Professor, hast du das Gefühl, dass sie die Politik machen, die du wolltest? Jetzt, wo du gesehen hast, was sie machen, hast du hoffentlich kapiert, dass es auch links Blödmänner gibt!“ Und triumphierend rief er: „Gegen die Banken, die Manager, den Arbeitgeberverband machen wir dies und machen wir jenes! Und was ist passiert? Nichts! Findest du nicht, dass sie euch wie Grünschnäbel über den Tisch gezogen haben? Vergesst das nicht, wenn ihr rumlauft und andere belehrt!“
Wenn die Politiker über Victor Hugo, die Französische Revolution oder Rosa Luxemburg reden, schalten die Kollegen ab. Das ist keine antiintellektuelle Haltung, aber sie zeigt, dass es dringend notwendig ist, die Verbindung zwischen verschiedenen intellektuellen Positionen und den Sprechern des Volkes wieder herzustellen. Davon hängt unsere politische Zukunft ab.
Lange nährte sich der Widerstand der Feuerwehrleute gegen die neoliberale Logik und gegen reaktionäre und rassistische Einstellungen aus einer starken und stabilen Ethik, auf die mich meine ersten Mentoren oft hingewiesen haben. Sie waren stolz, im echten, edelmütigen Sinn des Wortes Dienst an der Allgemeinheit zu leisten. „Altruismus, Effizienz, Diskretion“ sind die Leitbegriffe der Feuerwehrleute. Deshalb soll auch jeder Neue Abdon Robert Cassos5 poetisches Bekenntnis auswendig lernen: „Ich will weder deine Philosophie noch deine Religion oder deine politische Einstellung wissen, es ist mir egal, ob du jung oder alt, reich oder arm, Franzose oder Ausländer bist. Wenn ich mir erlaube, dich zu fragen, was dein Schmerz ist, so nicht aus Neugier, sondern um dir besser zu helfen.“
Der Niedergang des öffentlichen Dienstes, die seit der Ära Sarkozy entfesselte rassistische Sprache und die Verarmung der Mittelschicht und der unteren Schichten, die in eine immer ungewissere Zukunft blicken: Das alles richtet großen politischen Schaden an. Die ungleiche Verteilung des ökonomischen, sozialen, kulturellen Kapitals und die ökonomische und berufliche Unsicherheit bestimmen die Klassenkämpfe von heute. Regierungen und Kommentatoren reden diese Kämpfe klein oder vergessen sie.
Karl Kraus schrieb in der Zeit des aufkommenden Faschismus: „Die Welt verwundert sich des Volkes: kein Wunder, daß sich das Volk der Welt verwundert. Stellt sie die Täter vor die Tat, so machen sie große Kinderaugen, wie der Wolf, dem man das Märchen vom Wolf erzählte. Denn sie haben, was sie Böses taten, doch so gut gemeint und können nicht fassen, daß man sie so arg verkennt.“6
1 Tout pour ma gueule, auf Deutsch etwa: Alles in meinen Schlund.
2 Bericht der Kommission „Ambition volontariat“, La Documentation française, Paris 2010.
5 Kommandant der Feuerwehrbrigade von Paris von April 1967 bis August 1970.
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
Romain Pudal ist seit 2002 freiwilliger Feuerwehrmann und Soziologe am Centre national de la recherche scientifique (CNRS). Autor von: „Retour de flammes. Les pompiers, des héros fatigués?“, Paris (La Découverte) 2016.