09.03.2017

Vom Schlossherrn und seiner Frau

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Vom Schlossherrn und seiner Frau

Frankreichs Politiker und ihre feudalen Traditionen

von Alain Garrigou

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Müssten unsere Gunst wir teilen, der Graf hätt’ unsere Stimme, die Gräfin unsere Herzen.“ So stand es in einer Wahlkampfbroschüre von Joseph Dominique Adelbert de Pineton, Graf von Chambrun. Im Zweiten Kaiserreich unter Napoleon III. saß er von 1857 bis 1870 für das Departement Lozère in der gesetzgebenden Versammlung.1

Die Entwicklung der parlamentarischen Demokratie im 19. Jahrhundert hatte den französischen Adel keineswegs dazu gebracht, der Politik zu entsagen: Unter der Republik setzte die alte, meist monarchistische Elite alles daran, gewählt zu werden. Die Adligen lebten seit Jahrhunderten im Schloss der Familie und leiteten daraus die Legitimation ab, die Menschen in ihrem Landkreis zu vertreten.

Aus der Verbundenheit der Landbevölkerung mit den Adligen folgte deren Wahl als eine selbstverständliche Bestätigung gesellschaftlicher Autorität. Dafür brachten die Adligen ihr Geld und auch sich selbst in die Aufgabe ein: Sie bestimmten im Rathaus, sie kümmerten sich um die bürokratischen Angelegenheiten der Einwohner, die zumeist Analphabeten waren, sie legten bei den Händlern ein Konto für die Armen an und unterstützten die Wohltätigkeit der Kirche.

Im Schatten dieser adligen Abgeordneten trugen auch deren Gattinnen ihr Scherflein bei. Die Baronin von Mackau zum Beispiel unterstützte ihren Ehemann, einen führenden Politiker der Konservativen Partei: „Sie ist immer in Vimer, wenn der Baron in der Hauptstadt weilt oder durch den Wahlkreis reist. Sie öffnet seine Post, beantwortet sie zuweilen, informiert ihn über ihr Tun, über seine Anhänger und seine Konkurrenten. In seinem Namen empfängt sie Wähler, die ihre Anliegen vortragen. Sogar beim Inhalt der Rundschreiben des Barons an die ­Wähler oder bei der Taktik, die im Land zu verfolgen sei, hat sie die Hand im Spiel, obwohl sie selbst nicht wählen darf.“2

Meistens war die politische Arbeit allerdings viel weniger ausgewogen zwischen Mann und Frau aufgeteilt: Die Schlossherrin unterstützte ihren Gemahl lediglich bei Repräsentationsaufgaben und widmete sich ansonsten der Wohltätigkeit. Die Tochter des Herzogs von Broglie, Pauline Gräfin von Pange, erinnerte sich an die Arbeitsteilung ihrer Eltern: „Ohne dass es auffiel, sorgte mein Vater mit Hilfe diskreter Großzügigkeit für seine Beliebtheit. Meine Mutter kümmerte sich um die Verteilung von Kleidung, Kindersachen und Gutscheinen für Brot und Fleisch im ganzen Wahlkreis. Die Verteilung erfolgte über den Priester.“3

Es gehörte sich, Diskretion zu wahren, aber ganz unsichtbar sollte die Wohltätigkeit natürlich nicht bleiben; sie hatte der Beliebtheit des Gatten zu dienen und seine Wahl zu fördern. Mancher Gatte war vermutlich froh, die Gemahlin mit den Armen, den Kindern, den Nonnen und dem Priester beschäftigt zu sehen, aber die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern war auch nötig, um Großzügigkeit und Nutzen äußerlich voneinander zu trennen.

Die eheliche Zusammenarbeit in diesem politischen Spiel funktionierte so gut, dass reiche bürgerliche Abgeordnete dem Beispiel folgten. Finanziert wurde die nützliche Großzügigkeit selbstverständlich aus eigener Tasche. Die vornehmen Unternehmen demonstrierten damit familiäre Tugenden und Altruismus. Das scheinbar selbstlose Tauschgeschäft funktionierte allerdings nur, solange das Vermögen dafür reichte – und solange das Gesetz es nicht in die Nähe der Korruption rückte.

Das ist heute ganz anders. Frauen haben aktives und passives Wahlrecht, die private Wohltätigkeit ist verschwunden – zu teuer, zu wenig Prestige, zu wirkungslos –, und die Günstlingswirtschaft wird aus staatlichen Mitteln bestritten. Aber die Gattinnen der Politiker leisten immer noch ihren Beitrag, der je nach Ehemodell mehr oder weniger groß ausfällt. Sie begleiten den Abgeordneten bei offiziellen und gesellschaftlichen Anlässen, treten als Vermittlerinnen auf, schreiben Beileidsbriefe und gehen vielleicht seine Post durch.

Frühere Schlossherrinnen hätten sich womöglich in dem Bild wiedererkannt, das Frankreichs Präsidentschaftskandidat François Fillon von der Tätigkeit seiner Ehefrau Pene­lope zeichnet. Sie habe sich um „Post, Termine, Vorbereitung der Reden im Departement Sarthe und um die Vertretung des Abgeordneten bei lokalen Veranstaltungen“ gekümmert, erklärte er am 6. Februar 2017 bei einer Pressekonferenz. Und sie nimmt, wenn man der Zeitschrift Gala Glauben schenken darf, „am religiösen Leben der Gemeinde teil und besucht kulturelle Ereignisse, wie das Festival für Barockmusik“.4 Es gibt nur einen wesentlichen Unterschied: Früher wurden die Gattinnen nicht bezahlt.

Fillon ähnelt den einstigen Schlossherren in vielerlei Hinsicht, er hat sogar das Herrenhaus von Beaucé in Sarthe, einem Departement mit alter Adelstradition, gekauft und lässt auch das zugehörige Land in Halbpacht bestellen.

Für einen Berufspolitiker, der nie einen anderen Beruf als den des Politikers ausgeübt hat, ist das Gebaren der alten Schlossherren natürlich faszinierend. Eine feudale Lebensführung kostet Geld, das haben viele Grundherren erlebt, die am Ende ihre alten Fami­lien­güter aufgeben mussten. Oft haben neue Reiche ihren Platz eingenommen – und damit Teile des nationalen Erbes gerettet – und oft mussten auch sie ihn wieder räumen.

Es ist immer wieder erstaunlich, wie sehr Neureiche die alte Aristokratie in Ehren halten und deren Gebräuche und Lebensstil nachzuahmen versuchen. So ein Landsitz ist teuer, auch wenn man beim Finanzamt nur die Kosten einer Pariser Wohnung dafür angegeben hat. So teuer, dass der Präsidentschaftskandidat der Konservativen offenbar nichts ausgelassen hat, um Geld auf die Bankkonten seiner Familie zu leiten: Beschäftigung der Ehefrau, Anstellung der Kinder, Beratertätigkeiten.

Als seinerzeit die Baronin von Mackau sich nicht mehr um die Geschäfte ihres Gatten kümmern wollte, bezahlte der Baron einen Sekretär. Fillon hingegen bezahlte seine Frau als Parlamentsassistentin, ein Amt, das die großzügige Republik 1975 eingeführt hatte. Es gab eine Untersuchung. Einige finden, sie sei zu günstig ausgefallen, um unabhängig gewesen zu sein. Andere meinen, sie sei viel zu spät gekommen. Nun interessiert sich die Justiz für die möglicherweise fiktive Tätigkeit von Madame Fillon. Fiktiv ist sie vermutlich, jedenfalls was die üblichen Ansprüche an die Arbeit einer Parlamentsassistentin betrifft. Im Hinblick auf eheliche Aufgabenteilung sieht es freilich anders aus. Fillon hat stets vermieden, seine Frau als Assistentin zu bezeichnen, er spricht lieber von ihrer „Zusammenarbeit“. Genau so war auch die Stellung einer adligen Gattin.

Seine begüterten Vorgänger auf ihren Landsitzen machten gern geltend, dass sie Abgeordnetendiäten und Bezüge gar nicht nötig hätten. Nicht wie die Emporkömmlinge, die von der Politik lebten. Üppig lebte man allerdings nicht davon: Die im März 1849 eingeführte Vergütung betrug zunächst 25 Franc pro Sitzungstag. Die am besten bezahlten Arbeiter erhielten damals 5 Franc täglich. 1906 verlangten die republikanischen Abgeordneten mit ihrer parlamentarischen Mehrheit und unter Berufung auf den massiv abgewerteten Franc eine Erhöhung ihrer Bezüge – und prompt wurde der Plenarsaal zum Schauplatz heftiger Aus­ein­andersetzungen. Die Frage Unentgeltlichkeit oder Entschädigung wurde zu einer prinzipiellen Entscheidung.

Diese Schlacht ist inzwischen längst und endgültig entschieden. Überall auf der Welt erhalten Parlamentsabgeordnete Geld. Es ist sogar verboten, auf diese Bezüge zu verzichten – außer in den USA, wo Präsident Donald Trump nur einen Dollar im Jahr verdienen will. Demokratie impliziert, dass auch die Ärmsten Wahlämter innehaben können und dass wenigstens diese Ämter nicht den Reichen vorbehalten bleiben. Eine schwierige Aufgabe, wie an der aktuellen Zusammensetzung der Parlamente zu erkennen ist. Darüber hinaus wäre herauszufinden, wie hoch angemessene Bezüge denn wären. Diese für ein Abgeordnetenstatut zentrale Frage wurde oft angesprochen, aber nie wirklich geklärt.

In Zeiten der Berufspolitiker ist das Ehrenamt nicht mehr angesagt. Nicht einmal für eine Schlossherrin, die den größten Teil ihrer Zeit damit verbringt, sich um Haus und Kinder zu kümmern. Viele Politikprofis vermitteln – nicht in Worten, aber in ihrem Handeln – die Auffassung: Wenn wir schon von der Politik leben, dann wollen wir auch gut leben!

Wer eine solche Einstellung hat, sollte allerdings darauf verzichten, den Bürgern Moralpredigten zu halten. Sie tun es trotzdem. Mit welcher Legitimität kann ein gewählter Volksvertreter von den Wählern Opfer verlangen, wenn er mit öffentlichem Geld lebt wie ein Schlossherr und sein politisches Amt auf äußerst undurchsichtige Weise mit seinem Streben nach Reichtum verbindet?

In der Vergangenheit war an die Ausübung von Macht nicht zu denken, wenn man nicht reich war. Die Besessenheit von materiellem Erfolg, die unsere Gegenwart beherrscht, hat den Bruch mit dieser Vergangenheit deutlich relativiert. Das Rad wird zurückgedreht. Viele Abgeordnete sind, zumindest was das Einkommen ihrer Ehefrauen zu Hause betrifft, zu Anhängern des bedingungslosen Grundeinkommens geworden. In ihren Parteiprogrammen steht davon allerdings nichts.

1 Yves Pourcher, „Les Maîtres de granit. Les notables de Lozère du XVIIIe siècle à nos jours“, Paris (Olivier Orban) 1987.

2 Éric Phélippeau, „L’Invention de l’homme politique moderne“, Paris (Belin) 2002.

3 Comtesse Pauline de Pange, „Comment j’ai vu 1900“, Paris (Grasset) 1962.

4 www.gala.fr/stars_et_gotha/penelope_fillon.

Aus dem Französischen von Claudia Steinitz

Alain Garrigou ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Paris-Ouest-Nanterre. Autor von „La Politique en France de 1940 à nos jours“, Paris (La Découverte) 2017.

Le Monde diplomatique vom 09.03.2017, von Alain Garrigou