Das mörderische Geschäft mit der Wasserkraft
Eine internationale Kommission untersucht derzeit in Honduras den Mord an Berta Cáceres. Die Umweltaktivistin vom Volk der Lenca kämpfte wie viele andere in Mittelamerika gegen den Bau von Staudämmen in indigenen Gebieten. Die Förderung erneuerbarer Energien und der Handel mit Umweltzertifikaten hat für die Landbevölkerung der ganzen Region fatale Folgen.
von Cécile Raimbeau
In San Francisco de Ojuera arbeiten die staatlichen Ordnungskräfte eng mit den Sicherheitsdiensten und lokalen Helfern des Energieunternehmens DESA (Desarrollos Energéticos) zusammen. Die Stadt liegt im Osten von Honduras, am Gualcarque-Fluss. Hier baut die DESA im Gebiet der indigenen Lenca den Staudamm Agua Zarcas, eines der größten Wasserkraftwerke des Landes.
Gegen dieses Projekt hat die Umweltaktivistin Berta Cáceres, Gründerin des Zivilrats der Volks- und Indigenenorganisationen von Honduras (Copinh), eine breite Opposition organisiert. Bis sie im März 2016 ermordet wurde. Als dringend tatverdächtig gilt unter anderem der Sicherheitschef der DESA.1 Dennoch gehen die Bauarbeiten weiter, die Proteste auch. Polizei und Militär gehen immer härter gegen Demonstranten vor, willkürliche Verhaftungen sind an der Tagesordnung.
Im August 2009, keine zwei Monate nach dem rechten Staatsstreich gegen Präsident Manuel Zelaya,2 wurde in Honduras ein Gesetz verabschiedet, das die Vergabe von Konzessionen für ein Drittel der Wasserreserven des Landes ermöglicht. Bis Sommer 2010 wurden bereits 40 Konzessionen vergeben. Seither eskalieren die Proteste. Dabei wurden 109 Menschen getötet, die gegen Staudämme, Bergwerke, Forst- oder Landwirtschaftsprojekte protestiert hatten.3
Honduras ist für Umweltschützer ein extrem gefährliches Land. Aber das gilt für ganz Mittelamerika, wo in den letzten zehn Jahren 40 Aktivisten umgebracht wurden, die gegen Staudammprojekte kämpften.4 Einer von ihnen war Atilano Román Tirado, der Anführer von mexikanischen Bauern, die wegen des Picachos-Damms umgesiedelt wurden. Der Mord geschah am 14. Oktober 2014 während einer Live-Radiosendung, die Zuhörer hörten die Schüsse. Allein 13 Tote gab es in Guatemala, darunter zwei Kinder der indigenen Maya Q’eqchi aus Monte Olivo.
In ganz Mittelamerika profitiert die herrschende Oligarchie von den boomenden Investitionen in Wasserkraft, die durch Kredite der Weltbank, der Interamerikanischen Entwicklungsbank und der Zentralamerikanischen Bank für Wirtschaftsintegration massiv gefördert wird. Mit dabei sind auch die Töchter europäischer Finanzinstitute, die den Privatsektor in den Ländern des Südens unterstützen, etwa die deutsche DEG (eine Tochter der Kreditanstalt für Wiederaufbau), die französische Proparco oder die niederländische FMO. Diese halbstaatlichen Unternehmen haben keine Skrupel, über komplizierte Geschäftsmodelle mehr oder weniger diskret mit Pensionsfonds und multinationalen Konzernen zu kooperieren.
Angetrieben von Klientelismus und Spekulation, schießen in ganz Mittelamerika die Staudammprojekte wie Pilze aus dem Boden: 111 in Panama, 60 in Costa Rica, über 30 in Nicaragua, mindestens 40 in Honduras, etwa 20 in El Salvador, mehr als 50 in Guatemala wie in Mexiko.
All diese geplanten oder im Bau befindlichen Projekte gehören zu einem großen Programm für regionale Integration, dem Mesoamerika-Projekt. Es handelt sich um die jüngste Version des umstrittenen Puebla-Panama-Plans5 von 2001, der die bestehenden Ungleichheiten mittels Freihandel bekämpfen sollte und einen massiven Ausbau der regionalen Infrastrukturen vorsah.
Das neue Projekt setzt nun im Kampf gegen den Klimawandel auf erneuerbare Energien. Dabei müssen alle Wasserkraftwerke an die neue, 1800 Kilometer lange Stromtrasse angeschlossen werden, die von Panama bis Guatemala sechs Länder durchquert. Zu den Aktionären dieses Verbundnetzes der mittelamerikanischen Länder (Sistema de Interconexión Eléctrica de los Países de América Central, Siepac) gehören die staatlichen Stromversorger oder Netzbetreiber der betroffenen Länder, die gerade allesamt privatisiert werden, aber auch der italienisch-spanische Energiemulti Endesa-ENEL.
Ausverkauf der Wasserrechte in Honduras
„Das Ziel ist, einen wettbewerbsfähigen regionalen Strommarkt zu schaffen, der den Anbietern jedes Landes offensteht, ob sie nun selbst Energie erzeugen oder nur verkaufen“, erklärt uns Giovanni Hernandez, Geschäftsführer der Regionalen Kommission für das Verbundnetz (CRIE) mit Sitz in Guatemala-Stadt. Dieser große Strommarkt ermögliche grenzüberschreitende Energieimporte und -exporte, die das Wirtschaftswachstum in einem „Win-win-Szenario“ ankurbeln sollen. Die Logik ist klar: Der Wettbewerb zwischen Privatunternehmen soll den Kunden besseren Service zu günstigeren Preisen garantieren.
Die Gegner der Staudämme in den Ländern entlang der Siepac-Trasse verweisen darauf, dass diese Versprechen nicht eingehalten werden. Zudem beklagen sie den Verlust an Souveränität, der mit den Konzessionsvergaben einhergeht. Abgesehen von Costa Rica, wo soziale Bewegungen seit 20 Jahren um den Erhalt des öffentlichen Sektors kämpfen, ist die Stromproduktion in den Ländern Mittelamerikas bereits zu 80 Prozent privatisiert. Dabei haben sich große Multis (AES, ENEL, Gas Natural Fenosa, TSK-Melfosur, Engie) und regionale Unternehmen (Grupo Terra, Lufussa) die größten Marktanteile in der Energieerzeugung wie auch in der Kundenversorgung gesichert.6
In Guatemala, wo die Privatisierung des Energiesektors 1996 mit dem Wiederaufbau nach dem Bürgerkrieg einherging, können viele Bauern inzwischen ihre Stromrechnung nicht mehr bezahlen, obwohl sie pro Haushalt nur zwei oder drei Glühbirnen haben. „Die Stromkosten verschlingen über 20 Prozent ihrer Einkünfte“, sagt Thelma Cabrera, die Vorsitzende des Komitees für ländliche Entwicklung (Codeca). „In 20 Jahren ist der Preis für eine Kilowattstunde so sehr gestiegen, dass der Strom hierzulande der teuerste von ganz Mittelamerika ist.“ Im Jahr 2015 verlangte der (zur britischen Actis-Gruppe gehörende) Stromversorger Energuate 25 US-Cent pro Kilowattstunde. Dieser Tarif liegt um das 2,5-Fache höher als der durchschnittliche Strompreis für Privathaushalte in den übrigen Ländern Mittelamerikas.
Aus Protest und um ihre Forderung nach Rückverstaatlichung der Stromkonzerne durchzusetzen, verweigern die Codeca-Mitglieder die Bezahlung ihrer Stromrechnungen und zapfen das Stromnetz heimlich an. Zwischen 2012 und 2014 wurden 97 Menschen meist bei Demonstrationen inhaftiert, 220 verletzt und 17 getötet.7
In San José, der Hauptstadt von Costa Rica, besuchen wir die Siepac-Betreibergesellschaft EPR. Deren Finanzdirektor Luis Manuel Buján Loaiza gibt zwar zu, dass die Privatisierung noch nicht die erhofften Preissenkungen gebracht habe. Aber das werde sich mit dem Bau weiterer Staudämme ändern: „Wasserkraft ist derzeit die Energieform, die am kostengünstigsten zu produzieren ist, und das sollte sich auch für die Kunden auswirken.“ Gerade in Costa Rica zeigt sich jedoch das Gegenteil: Bis 2013 stiegen die Tarife rasant, seitdem verharren sie auf sehr hohem Niveau. Und die Privathaushalte zahlen die höchsten Preise der ganzen Region, obwohl bereits 72 Prozent des Stroms mit Wasserkraft erzeugt werden.8
Costa Rica will dem Beispiel Guatemalas folgen, das derzeit der größte Stromexporteur in Mittelamerika ist. Die Bevölkerung, die für Großprojekte umgesiedelt wird oder die Zerstörung ihrer Umwelt hinnehmen muss, hat davon keinerlei Nutzen. Das Land ist bereits Selbstversorger und erzeugt 97 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Quellen. Jetzt soll der größte Staudamm in der Region dazukommen, mit einem Stausee, der über 6800 Hektar auf dem Territorium der indigenen Naso fluten würde.
Die Folgen erläutert Jorge Lobo, Professor für Biologie an der staatlichen Universität von Costa Rica: „Allein durch seine Größe würde dieser Stausee, El Diquís genannt, so viel Methan freisetzen – also Treibhausgas, das durch die Zersetzung der überschwemmten tropischen Vegetation entsteht –, dass er kaum umweltfreundlicher wäre als ein Heizkraftwerk.“ Obwohl die Wasserkraftwerke erneuerbare Energie erzeugen, haben vor allem die großen Stauseen erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt: Fruchtbare Böden werden überschwemmt, Erosionprozesse beschleunigt, natürliche Wasserläufe und Ökosysteme verändert, die Artenvielfalt wird reduziert.
„Ist es sinnvoll, im Kampf gegen die Erderwärmung immer mehr Wasserkraftwerke zu bauen, ohne das energiefressende und zerstörerische Entwicklungsmodell selbst auf den Prüfstand zu stellen?“, fragt der Vorsitzende des Umweltbunds von Costa Rica, Mauricio Álvarez. Seine Organisation kritisiert die offiziellen Schätzungen zum Energieverbrauch, die den Bau der Staudämme rechtfertigen sollen.
Der umkämpfte Projekt Barro Blanco in Panama
Diese Berechnungen scheren sich nicht um Energiesparkonzepte, sondern gehen von der weiteren Expansion einer äußerst energieintensiven Bergbau- und Rohstoffwirtschaft aus, die die Umwelt verschmutzt und mörderische soziale und territoriale Konflikte auslöst.
Der Staudamm Barro Blanco im Territorium Ngöbe-Buglé in Panama würde gerade so viel Energie produzieren, wie eine einzige klimatisierte Shoppingmall benötigt. Trotz des jahrelangen intensiven Widerstand der betroffenen Ngöbe-Bevölkerung werden wahrscheinlich drei Dörfer evakuiert, die nach Fertigstellung des Staudamms überflutet werden.
Die Kette von Staudämmen, die regionale und internationale Unternehmen entlang der Siepac-Trasse planen, entstehen auf dem Land – und gegen den Willen – der indigenen Völker. Dabei sind deren Rechte auf „Konsultation“ und „freiwillige, in Kenntnis der Sachlage erteilte vorherige Zustimmung“ gleich doppelt festgeschrieben: in der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker und im ILO-Übereinkommen 169 über eingeborene und in Stämmen lebende Völker, die von den meisten amerikanischen Staaten ratifiziert wurden.
Die Ngöbe gehen seit diesem Sommer wieder auf die Straße. Sie kritisieren die Registrierung des Staudamms Barro Blanco für den im Kioto-Protokoll verankerten Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung (CDM). Dieses von der UNO unterstützte System des CO2-Handels fördert die Finanzierung von Projekten zur Erzeugung erneuerbarer Energien durch die reichen Industrieländer: Wasserkraftwerke im Süden können das nicht ausgestoßene Kohlendioxid in CO2-Zertifikate (CER) umwandeln und an CO2-Erzeugerländer verkaufen, damit diese ihre hohen Emissionen kompensieren können. „Dafür werden Projekte registriert, die weniger Treibhausgase ausstoßen sollen als die Energieerzeugung aus fossilen Brennstoffen“, erläutert Professor Lobo. Der tatsächliche Energiebedarf der Länder zähle bei dieser Registrierung kaum „und die Meinung der Bevölkerung vor Ort schon gar nicht“. Lobo fürchtet die Waldrodungen, welche die reiche Artenvielfalt Mittelamerikas bedrohen.
Die Ngöbe haben sich mit ihrer Beschwerde an den CDM-Aufsichtsrat gewandt. Berta Cáceres hatte bei dieser UN-Behörde nichts erreichen können. Deren Tochter Bertita sagt heute: „Wir brauchen internationale Solidarität, die Bürger der Europäischen Union müssen Druck auf Firmen, Banken und Regierungen ausüben. Meine Mutter ist nicht umsonst gestorben, ihr Kampf muss verstärkt weitergehen.“
Das Medienecho nach dem Mord hat mehrere internationale Kreditgeber wie IWF und Finnfund dazu bewogen, sich aus dem Agua-Zarca-Projekt zurückzuziehen. Das deutsche Unternehmen Voith Hydro hat die Lieferung von Turbinen bis zum Ende des Gerichtsverfahrens eingefroren. Aber die ausländischen Investoren sind noch weit davon entfernt, die Zustimmung der Menschen vor Ort einzuholen, bevor sie regionale Projekte unterstützen.
1 www.theguardian.com/world/2016/nov/15/berta-caceres-murder-honduras-international-investigation.
2 Siehe Maurice Lemoine, „Machtfrage Honduras“, Le Monde diplomatique, September 2009.
3 Global Witness, „On dangerous ground“, Bericht vom 20. Juni 2016.
7 Codeca, „La privatización del derecho a la energía eléctrica“, Oktober 2014.
8 Zahlen von Cepal, „Centroaméria: estadisticas del subsector eléctrico“, 2014.
Aus dem Französischen von Sabine Jainski
Cécile Raimbeau ist Journalistin.