08.12.2016

Die Paten von Paraguay

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Die Paten von Paraguay

In der Provinz Amambay kämpfen Politiker und Wirtschaftsbosse um die Kontrolle über den Drogenmarkt

von Sandra Weiss

Bewaffnet zum Schutz des eigenen Dorfes vor der Mafia SANDRA WEISS
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Wo die Politik aufhört und das Geschäft beginnt, ist bei Para­guays Präsident Horacio Cartes nicht immer klar. Vor einigen Wochen erst kaufte der Multimillionär drei Hotels der Sheraton-Kette1 und erweiterte auf diese Weise seinen Geschäftsbereich, der sich bislang auf Banken, Viehzucht, Getränke, Medien und Tabak erstreckte. Mit dieser Investition steht er nicht allein: Seit gut zwei Jahren schießen besonders in der Hauptstadt Asunción Einkaufszentren, Luxusboutiquen und Bürotürme wie Pilze aus dem Boden. Vor den Clubs im schicken Osten Asuncións drängen sich samstags Stretchlimousinen und Sportwagen.

Der Rest Lateinamerikas kriselt. Nach Schätzungen des Weltwährungsfonds (IWF) wird die Region dieses Jahr sogar in die Rezession rutschen2 – nur das südamerikanische Binnenland boomt. Die durchschnittlichen Wachstumsraten liegen bei 5 Prozent jährlich. Doch können Soja und Rindfleisch – die beiden Hauptexportprodukte – diesen Konsumrausch erklären? Soja bringt dem Land jährlich knapp 1,6 Milliarden US-Dollar Devisen ein, Rindfleisch 1,1 Milliarden US-Dollar. Das zweitgrößte Exportprodukt hingegen taucht in keiner Statistik auf: Drogen. Nach Schätzungen der nationalen Antidrogenbehörde Senad werden in Paraguay jährlich 1,5 Milliarden US-Dollar mit Kokain und Marihuana erwirtschaftet.

Das Epizentrum des Drogengeschäfts liegt 500 Kilometer nordöstlich der Glitzertürme, in der Provinz Amamabay, der Grenzregion zu Brasilien. Eingezäunte Rinderweiden erstrecken sich bis zum hügeligen Horizont. Ab und zu unterbricht ein verschlossenes Tor einer Hacienda das Einerlei. Am Polizeiposten von Ypy Ta, wo vier schläfrige Beamte Geländewagen und den einen oder anderen Laster durchwinken, endet die Schotterstraße. Danach gibt es nur noch improvisierte Pisten – staubtrocken im Sommer, schlammig im Winter. Ohne Vierradantrieb ist man hier aufgeschmissen. Dahinter beginnt das Niemandsland, das Reich der Drogenbarone.

Amambay ist eines der größten Anbaugebiete für Marihuana in Südamerika. 20 000 Bauern bewirtschaften nach Senad-Schätzungen rund 5500 Hektar.3 Bis zu dreimal pro Jahr wird geerntet. Mit Marihuana verdienen die Bauern dreimal so viel wie mit Tomaten oder Zitrusfrüchten, die Kartelle holen die Ware direkt bei den Bauern ab, die sich keine Sorgen um den Transport machen müssen.

So einsam die Gegend vom Boden aus anmutet: Der Luftverkehr ist äußerst lebhaft. Das GPS zeigt Dutzende von Landepisten im Umkreis von 100 Kilometern an. Tag und Nacht starten und landen Kleinflugzeuge – bis zum Anschlag beladen mit Drogen, Waffen und Bargeld. „Ja, die sind hier viel unterwegs“, erzählt einer der Polizisten leutselig. „Sie fliegen zu den Haciendas. Die gehören fast alle Brasilianern, aber der Kongresspräsident Roberto Acevedo hat hier auch ein Anwesen.“

Bis zu einem Dutzend solcher Flieger hat der Fotograf Luis Vera auf Reisen entlang der knapp 500 Kilometer zwischen Asunción und der Provinzhauptstadt von Amambay, Pedro Juan Caballero, schon gezählt. Einen davon hat Vera sogar beim Entladen der Ware fotografiert „Zu erkennen sind die Schmuggelmaschinen an ihrem riskanten Tiefflug, mit dem sie die brasilianischen Radarstationen austricksen“, erzählt er. Die einzige paraguayische Radarstation ist seit Jahren defekt.

Klammheimlich hat sich die Grenzregion zu einem der größten Drogenumschlagplätze der Welt entwickelt. Geheimdiensten zufolge gibt sich hier die Crème de la Crème der interna­tio­nalen Verbrechersyndikate ein Stelldichein: Araber, Italiener, Chinesen, Russen, vor allem aber Brasilianer. Und seit Kurzem wird offensichtlich neu ausgefochten, wer hier das Sagen hat: 2015 kam die Provinz auf 94 Morde pro 100 000 Einwohner – ein Zustand wie im Krieg.

Pedro Juan Cabellero liegt direkt an der Grenze und ist von ihrer brasilianischen Zwillingsstadt Ponta Pora nur durch eine Straße getrennt. Die meisten ihrer Bewohner sind „Brasiguayos“ – Menschen, die Ausweispapiere beider Länder besitzen. Grenzposten oder patrouillierende Militärs? Fehlanzeige. Hier kann sich jeder frei bewegen, zwischen Motorrädern und dunkel verglasten Geländewagen, eskortiert von bewaffneten Bodyguards. Jorge Rafaat hatte ständig 30 solcher Leute um sich. Zweimal war der 56-Jährige schon Anschlägen entkommen. Den ersten vereitelten seine Leibwächter; die Angreifer ließen bei ihrer wilden Flucht ein ganzes Kriegsarsenal zurück. Rafaat, Chef der Libanesenmafia, hatte es sich mit vielen verscherzt. „Wer hier Geschäfte macht, muss den Libanesen einen Anteil zahlen“, weiß der brasilianische Journalist Najar Tubino. Und das passt nicht allen.

Besonders das brasilianische Verbrechersyndikat Erstes Hauptstadtkommando (Primer Comando da Capital, PCC) versucht seit einiger Zeit, das Drogengeschäft ganz unter seine Kontrolle zu bekommen. Rafaat wusste das. Doch am 15. Juni 2016 halfen ihm weder seine Bodyguards noch sein gepanzerter Hummer.

Am frühen Abend, auf einer Kreuzung mitten in der Stadt, schnitten mehrere Geländewagen seinem Konvoi den Weg ab; drei Dutzend Angreifer eröffneten das Feuer aus Maschinengewehren und Panzerfäusten, wie auf einem Video zu sehen ist.4 Über 400 Patronenhülsen Kaliber 0.50 zählte die Polizei, die eine halbe Stunde später eintraf.

In den Tagen danach gingen Geschäfte Rafaats in Flammen auf – darunter Reifenläden, Sicherheitsfirmen und eine Medizin-Akademie. Wenige Monate später wurden viele seiner Vertrauensleute erschossen – darunter der Bürgermeister der 141 Kilometer entfernten Grenzstadt Bella Vista und eine Verwandte.

Wenn paraguayische Journalisten wissen wollen, worum es im Drogenkrieg gerade geht, ergreift früher oder später immer Roberto Acevedo das Wort: Der ehemalige Gouverneur der Provinz und Inhaber von Radio Amambay hat ein Attentat überlebt, für das er Rafaat verantwortlich machte; derzeit sitzt er als Senator der Authentisch Liberalen Partei für Amambay im Kongress, dessen Präsident er ebenfalls ist.

Acevedo zufolge steckt hinter dem Attentat auf Rafaat der Statthalter des PCC in Paraguay, Jarvis Pavão, der in einer Luxuszelle in Asunción inhaftiert ist. Rafaat habe die Auslieferung Pavãos betrieben, das sei das Tatmotiv, behauptet Acevedo. Das kann man glauben oder auch nicht. Die Fronten im Drogengeschäft wechseln, die Verstrickungen mit Politik und Wirtschaft sind für niemanden ein Geheimnis – sie bleiben dennoch straflos.

Rafaat, der in Brasilien in erster Instanz zu 47 Jahren Haft wegen Drogenhandels und organisierter Kriminalität verurteilt worden war, blieb bis zu seinem nächsten Verfahren auf freiem Fuß. In Pedro Juan Caballero amtierte er als honoriger Vorsitzender der örtlichen Handelskammer. Im Prozess sagte unter anderem der Bürgermeister der Grenzstadt aus – für Rafaat.

Als im April 2014 in Nord­pa­ra­guay der Sohn eines Großgrundbesitzers entführt wurde, bat Präsident Cartes Rafaat um Hilfe – und es war ausgerechnet Jarvis Pavão, damals noch ein guter Freund des Libanesen, der „aus Mitleid“, wie er sagte, die 500 000 Dollar Lösegeld zahlte. Solche Zustände wären in vielen anderen Ländern zumindest erklärungsbedürftig.

Die Familie Acevedo selbst hat Recherchen der Zeitung ABC zufolge Millionen auf Schweizer Konten geparkt.5 Die habe man mit Tankstellen verdient, einer Konzession von Fahd Yamil, erklärte der Kongresspräsident. Yamil ist so etwas wie der Großvater der libanesischen Mafia. Er war in den 1970er und 1980er Jahren der Pate von Amambay und schmuggelte alles, was Geld brachte – Zigaretten, Benzin, Waffen, Alkohol, Drogen –, unter der schützenden Hand des Diktators Alfredo Stroessner und seiner Colorado-Partei.6 Sein Geschäftspartner war die graue Eminenz und der spätere Staatschef in der Übergangszeit zur Demokratie, General Andrés Rodríguez.

Im Zuge der Demokratisierung in den 1990er Jahren begann der Richter Adalberto Fox mit ersten ernsthaften Ermittlungen in Amambay. Als er anfing, auch gegen Fahd Yamil zu ermitteln, wurde er versetzt. „Pedro ­Juan ist eine Narco-Gesellschaft, alle leben davon oder sind bestochen“, sagt der Richter in dem Dokumentarfilm „Droge und Banane“.7 Bis heute lebt der alte Pate unbehelligt in Pedro Juan Caballero. Acevedo gilt als einer seiner Protegés.

Fox sagt außerdem, der Kongress sei „eine halbkriminelle Vereinigung“. Und in der Tat finden in dem modernen Parlamentsgebäude am Paraguay-Fluss seltsame Dinge statt: Ein Gesetz zur Transparenz von Wahlkampffinanzierung dümpelt vor sich hin – dafür wurde eine Gesetzesinitiative eingebracht, um die Auslieferung von Drogenhändlern zu verbieten. Und eine auf Angaben des Senats zurückgehende Liste mit einer Reihe verdächtiger „Narco-Abgeordneter“ verschwand in der Versenkung – folgenlos. Oder zumindest beinahe folgenlos: Einer der Beschuldigten wurde fünf Monate später erschossen.8

Und dann ist da noch der unternehmerfreundliche Präsident. Die 150 000 US-Dollar, die die Feierlichkeiten zum Gründungsjubiläum der Colorado-Partei kosteten, bestritt Cartes Presseberichten zufolge aus eigener Tasche. Seine Biografie hat einige dunkle Kapitel. Wegen krummer Devisengeschäfte verurteilt, verbrachte er fünf Monate im Gefängnis. Im Jahr 2000 wurde auf einer seiner Haciendas ein brasilianisches Kleinflugzeug beschlagnahmt – mit 20 Kilogramm Kokain und 343 Kilo Marihuana an Bord.

In einem vom brasilianischen Sender O Globo zitierten Bericht der US-amerikanischen Drogenpolizei DEA wird die Amambay-Bank, die Cartes gehört, mit Geldwäsche in Verbindung gebracht, auch die Wikileaks-Depeschen bekräftigen diesen Verdacht. Ein wichtiger Kunde der Bank ist Fahd Yamil. Cartes’ Onkel, Juan Domingo Viveros Cartes, ist ein vorbestrafter Narco-Pilot, der erst in Brasilien, dann in Uruguay mit Drogenladungen erwischt, in seine Heimat abgeschoben und dort wieder auf freien Fuß gesetzt wurde.9

Die USA, die sich sonst gern in die Drogenangelegenheiten anderer Länder einmischen, schweigen bislang. Im jüngsten Bericht des US-Außenministeriums zum Drogenhandel heißt es lapidar, Paraguay sei einer der größten Marihuanaproduzenten Lateinamerikas und ein Transitland für Kokain – in jedem Zeitungsbericht steht mehr. Der nächste Satz könnte eine Erklärung sein, warum das die US-Amerikaner nicht weiter bekümmert: Zielländer der Drogenexporte seien die Nachbarstaaten sowie Europa.

Aus diplomatischen Kreisen hört man noch eine zweite Erklärung: Cartes zeige sich den außenpolitischen Anliegen der Vereinigten Staaten gegenüber sehr willfährig. Etwa, was die Auflagen für US-Agrarmultis wie Cargill oder Monsanto betrifft, die Millionen Tonnen Gensoja anbauen lassen und praktisch steuerfrei nach Asien exportieren.

Außerdem dient das Land als konservatives Bollwerk gegen die sozialistischen Regierungen Südamerikas. Fraglich ist allerdings, wie lange Cartes in dieser Funktion noch gebraucht wird: Im vorigen Jahr wurde in Argentinien der konservative Mauricio Macri zum Präsidenten gewählt, in Brasilien hat nach der Amtsenthebung von Dilma Rousseff ebenfalls die alte unternehmerfreundliche Elite wieder das Sagen.

1 ultimahora.com/grupo-cartes-compro-el-sheraton-el-aloft-y-otro-hotel-construccion-n1027181.html.

2 AFP, 4. Oktober 2016.

3 laprensa.com.ar/NotePrint.aspx?Note=291669.

4 youtube.com/watch?v=XaPYCZiVhqc.

5 abc.com.py/nacionales/el-caso-que-revelo-fortuna-de-los-acevedo-596253.html.

6 Mit Ausnahme von vier Jahren (2008–2012) unter der Präsidentschaft des Befreiungstheologen Fernando Lugo regiert die Colorado-Partei bis heute in Para­guay. Lugo verlor die Präsidentschaft durch ein äußerst umstrittenes Amtsenthebungsverfahren. Vgl. Gerhard Dilger, „Der perfekte Putsch“, Le Monde diplomatique, April 2013.

7 youtube.com/watch?v=WbQ4Kbo2l4E.

8 resumenlatinoamericano.org/2016/06/28/paraguay-18-casos-que-revelan-el-profundo-vinculo-entre-el-narcotrafico-y-la-politica/.

9 elobservador.com.uy/papacho-el-narcopiloto-tio-del-presidente-paraguayo-quedo-libre-n866427.

Sandra Weiss ist Politologin und Journalistin in Puebla, Mexiko.

© Le Monde diplomatique, Berlin

Le Monde diplomatique vom 08.12.2016, von Sandra Weiss