08.12.2016

Countdown in Kinshasa

zurück

Countdown in Kinshasa

Am 19. Dezember endet die Amtszeit des Präsidenten der Demokratischen Republik Kongo. Doch Joseph Kabila befürchtet einen Machtwechsel und verzögert die Wahlen. Im November einigte er sich mit der parlamentarischen Opposition auf einen Termin im April 2018. Doch die Kongolesen sind skeptisch – und sehr wütend.

von Sabine Cessou

Audio: Artikel vorlesen lassen

Vor der Parteizentrale der PPRD (Volkspartei für Wiederaufbau und Demokratie) weht ein Banner, auf dem in großen Lettern geschrieben steht: „Der Präsident bleibt im Amt.“ Es ist die Antwort auf die Losung der Demonstranten, die „Kabila, hau ab!“ skandieren. Am 19. Dezember endet Kabilas Amtszeit. Doch der Präsident – seit 2001 in der Demokratischen Republik Kongo (DRK) an der Macht – hat offensichtlich nicht die geringste Absicht zu gehen.

Laut Verfassung darf sich der Präsident nach zwei aufeinanderfolgenden Amtszeiten nicht mehr zur Wahl stellen. Aber die muss überhaupt erst einmal stattfinden. Im Herbst behauptete die Regierung, diverse logistische und finanzielle Probleme hätten eine Vorbereitung der Wahl bislang verhindert. Seitdem stützt sich Kabila mit dem Segen des Verfassungsgerichts auf Artikel 70 des Grundgesetzes: „Am Ende seiner Amtszeit bleibt der Präsident der Republik bis zur faktischen Einführung des neu gewählten Präsidenten im Amt.“

Kein Wunder, dass ein Teil der Opposition an der Aufrichtigkeit der Regierung zweifelt, die seit Monaten mit allen Mitteln versucht, ihren Präsidenten an der Macht zu halten. Nachdem Kabila nicht durchsetzen konnte, die Begrenzung der präsidialen Amtszeit abzuschaffen, versuchte er im Januar 2015 in dem zu verabschiedenden Wahlgesetz in letzter Sekunde noch einen Passus einzufügen: Zukünftig sollte vor jeder Wahl eine Volkszählung stattfinden. In dem 77-Millionen-Einwohner-Land hätte das Monate in Anspruch genommen und zu einer Verzögerung auf unbestimmte Zeit geführt – also eine Art „offenes“ Mandat für Kabila geschaffen. Nach tagelangen gewaltsamen Protesten, vor allem in der Hauptstadt Kinshasa, verabschiedete der Senat am 22. Januar 2015 das Wahlgesetz ohne den umstrittenen Passus. Allerspätestens Ende Dezember 2016 sollte die Wahl nun stattfinden.

Polizisten als Brandstifter

Doch im September, als das Ende der Ära Kabila näher rückte, hatte die unabhängige nationale Wahlkommission (Ceni) nur 17 Prozent der vorgesehenen Mittel für die Wahlvorbereitungen erhalten. Am 19. September, dem spätestmöglichen Zeitpunkt, um einen fristgemäßen Wahltermin festzulegen, gingen die Menschen in mehreren Städten zu Tausenden auf die Straße. Obwohl die Kundgebung in der Hauptstadt genehmigt war, schossen die Polizisten in die Menge und töteten mindestens 32 Demonstranten. In der darauffolgenden Nacht wurden die Büros verschiedener Oppositionsparteien von der Polizei in Brand gesteckt. Am nächsten Tag gingen die Menschen wieder auf die Straße. „Das hätten Sie hören müssen, wie sie ‚Boma biso!‘, ‚Tötet uns!‘ auf Lingala, riefen“, erzählt der Schriftsteller In Koli Jean Bofane, der die Ausdauer der Demonstranten bewundert.

Auf dem Boulevard Triomphal, der Hauptverkehrsader von Kinshasa, bewegt sich eine dichte Menschenmenge. Jean-Marie, Maler und Chemiker, um die 40, trocknet sich die Stirn und redet sich seinen Ärger von der Seele: „Wir bezahlen 725 Dollar Schulgeld im Jahr. Nur zwei meiner vier Kindern können lernen. Ein Land, das seine Jugend nicht zur Schule schickt, hat keine Zukunft!“ Er sympathisiert mit der ­Union für Demokratie und sozialen Fortschritt (UDPS), der größten kongolesischen Oppositionspartei, und will auf jeden Fall am 19. Dezember um Mitternacht auf die Straße gehen, um Präsident Kabilas Rücktritt zu fordern.

Zu allem entschlossen ist auch ein junger Mann im dunklen Anzug und weißen Hemd, der mit seinem strengen Seitenscheitel dem Unabhängigkeitskämpfer und ersten Ministerpräsidenten der DRK, Patrice Lumumba (1925–1961), frappierend ähnlich sieht: Der 19. Dezember 2016 werde in die Geschichte eingehen, sagt der junge Mann, der seine Furcht vor den tödlichen Schüssen überwinden will und bereit ist, zu kämpfen: „Das ist doch kein Leben!“, ruft er wütend. „Immer nur Reis mit etwas Palmöl. Viele Kongolesen werden Ihnen sagen, dass sie lieber nach einem guten Leben jung sterben wollen, als die Zeit auf Erden wie ein Zombie totzuschlagen!“

Countdown in Kinshasa

von Sabine Cessou

In der fünften Etage eines Hochhauses drängen sich Journalisten und Aktivisten vor dem Büro des Abgeordneten Delly Sesanga. Der Vorsitzende der Partei L’Envol, die sich dem Anti-Kabila-Bündnis Rassemblement (Sammlung) angeschlossen hat, empfängt jeden Besucher einzeln. „Die Opposition darf keine Kampfparolen ausgeben“, sagt er. „Im Gegenteil: Wir müssen die erhitzten Gemüter besänftigen, um das totale Chaos zu verhindern. Wir sitzen auf einem Pulverfass. Kabila muss weg!“ Und dann erzählt er, wie Kabilas alter Gegenspieler, der 83-jährige UDPS-Vorsitzende Étienne Tshisekedi, bei seiner Rückkehr aus dem zweijährigen Exil am 26. Juli 2016 von rund einer Million Menschen in Kinshasa begrüßt wurde. Tshisekedi brauchte sechs Stunden für die zehn Kilometer vom Flughafen bis nach Hause.

Im vornehmen Viertel Gombe, nur wenige Straßen von der PPRD-Zentrale entfernt, residiert der im April von der Afrikanischen Union eingesetzte Vermittler Edem Kodjo in einem Fünf­sternehotel und bemüht sich um eine Lösung des kongolesischen Konflikts. Nach langwierigen Verhandlungen gelang es dem früheren Premierminister von Togo, die Regierung und einen kleinen Teil der Opposition an einen Tisch zu bringen. Am 1. September begann der Nationale Dialog über die Wahlen, den Tshisekedi und andere oppositionelle Schwergewichte jedoch boykottieren. Sie halten die Gespräche für ein Ablenkungsmanöver und fordern Kabilas sofortigen Rücktritt.

Am 17. Oktober einigten sich die Regierung und ein Teil der parlamentarischen Opposition darauf, die Präsidentschaftswahlen auf April 2018 zu verschieben und eine Übergangsregierung zu bilden, an deren Spitze ein Vertreter der Opposition stehen soll. Am 17. November wurde Samy Badibanga, der Fraktionsführer der UDPS, zum Premierminister ernannt – gegen den Willen seines Parteivorsitzenden und Intimfeinds Étienne Tshisekedi.

Merkwürdig ist, dass sich Joseph Kabila bisher nicht ein einziges Mal öffentlich zu den gewaltsamen Demonstrationen geäußert hat und kein Wort über die vielen Toten und Verletzten verlor. Der ehemalige Generalstabschef Kabila war erst 30 Jahre alt, als er 2001 die Nachfolge seines ermordeten Vaters an der Spitze des schwer regierbaren Landes antrat. Vier Jahre zuvor hatte Laurent-Désiré Kabila den langjährigen Diktator Mobutu (1965–1997) gestürzt und sich selbst zum Präsidenten ernannt.

Joseph Kabila hat keinen Plan B

In seiner ersten Amtszeit beendete Joseph Kabila den Zweiten Kongokrieg (1998–2002), in den neun afrikanische Staaten involviert waren und der Hunderttausende, wenn nicht sogar mehrere Millionen Todesopfer gefordert hat.1 Einer der Auslöser des Kriegs war, dass sich Laurent-Désiré Kabila nach dem Genozid an den Tutsi 1994 von seinen ruandischen Paten losgesagt hatte. Nach harten Verhandlungen erklärte sich Joseph Kabila damals bereit, die Macht mit den verschiedenen Kriegsparteien zu teilen, und unterzeichnete 2002 das unter Südafrikas Führung zustande gekommene Abkommen (Sun City Agreement).2

Bei seinen ersten Präsidentschaftswahlen 2006 erhielt Kabila 58 Prozent der Stimmen. Doch das Ergebnis war umstritten.3 2007 stürmten Soldaten die Residenz seines Rivalen Jean-­Pierre Bemba, weil der sich geweigert hatte, seine Privatarmee in die regulären Streitkräfte einzugliedern. 2011 wurde Kabila mit 49 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Bei dieser Wahl gab es nachweislich massive Fälschungen. Der UN-Sicherheitsrat, die USA, Frankreich, Belgien und die EU mahnten schon damals an, Kabila solle sich an die Verfassung halten und seine Nachfolge einleiten. Doch der Präsident wollte keinen „Anweisungen“ von Fremden folgen, wie er sich ausdrückte. Viele kongolesische Beobachter sind ebenfalls der Meinung, dass die internationale Gemeinschaft hier mit zweierlei Maß misst. Auf Kabila werde Druck ausgeübt, während die benachbarten Potentaten nicht behelligt würden.4

US-Außenminister John Kerry hat Kabila mehrfach gewarnt, er schade seinem Land und verliere den Kontakt zur Jugend (zwei Drittel der Bevölkerung sind unter 25 Jahre alt). Am Rande des ersten USA-Afrika-Gipfels im August 2014 empfing Kerry in Washington neben Kabila drei weitere afrikanische Staatsoberhäupter zu Einzelgesprächen und appellierte an ihre Einsicht, die vorgeschriebene Amtszeit nicht zu überschreiten.

Drei Monate später musste der Präsident von Burkina Faso, Blaise Com­pao­ré, nach 27 Jahren an der Macht zurücktreten; die junge Protestbewegung von Ouagadougou jubelte. In Burundi hatte die Opposition das Nachsehen. Hier setzte sich Präsident Nkurunziza unter Einsatz massiver Repression durch und brach im Juli 2015 das Gesetz, um seine dritte Amtszeit anzutreten. Auch in der Republik Kongo kam es zu heftigen Protesten, als Denis Sassou-Nguesso, der mit einer Unterbrechung von fünf Jahren seit 1979 an der Macht ist, im Oktober 2015 ein Verfassungsreferendum erzwang, um sich im März 2016 mit einem offiziellen Stimmenanteil von 60,2 Prozent wiederwählen zu lassen.

Bei jeder großen Demo kommt es in Kinshasa zu Plünderungen chinesischer Geschäfte. Peking gilt als Stütze des Regimes, obwohl der wichtigste Handelspartner der DRK stets beteuert, sich nicht in die inneren Angelegenheiten befreundeter Länder einzumischen. Im Januar 2015 wurde die große Kundgebung gegen Kabila erstmals nicht nur von oppositionellen Parteien organisiert. Jugendliche verbreiteten den Aufruf auch über Face­book – bis die Behörden nach dem Vorbild Gabuns während der umstrittenen ­Präsidentschaftswahl im August 2016 den Zugang zum Internet kappten. ­Unmittelbar darauf begannen sich wichtige Verbündete von Kabila abzuwenden.

Einer von ihnen ist Moise Katumbi, 51, Sohn einer Kongolesin und eines griechischen Juden. Katumbi ist ein Geschäftsmann, der in die Politik gewechselt ist, ähnlich wie der „Joghurtkönig“ von Madagaskar, Marc Ravalomanana, oder der Baumwollmagnat Patrice Talon, der im März 2016 die Präsidentschaftswahlen in Benin gewann. Katumbi hat sein Vermögen mit Transport und Logistik gemacht. Sein Fußballverein Tout Puissant Mazembe verschafft ihm große Popularität. Nachdem er 2006 Kabilas Wahlkampf finanziell unterstützt hatte, wurde er Gouverneur der Bergwerksprovinz Katanga, einer der reichsten Regionen des Landes. Im Oktober 2015 trat er nach Manipulationen der Regierung von seinem Amt zurück, schloss sich der Opposition an und erklärte, die Verfassung sei ein „Geschäft“, in das er „investiert“ habe.

Katumbi hatte sich in Katanga einige Achtung erworben – ein Gouverneur, der die Finanzen im Griff hat und Schulen und Krankenhäuser baut. Nach seinem Bruch mit Kabila verbündete er sich mit Étienne Tshisekedi, um die Opposition hinter sich zu vereinen und für seine Kandidatur zu gewinnen. Die Behörden versuchten mit allen Mitteln, öffentliche Auftritte von Katumbi in der Hauptstadt zu verhindern, wie etwa im Mai 2016 anlässlich der Trauerfeier für den „König des kongolesischen Rumba“ Papa Wemba oder bei der riesigen Demonstration von Oppositionellen am 31. Juli.

Katumbi, der inzwischen im Exil lebt, wurde wiederholt wegen Steuerbetrugs oder der Rekrutierung von Söldnern angeklagt. Nachdem er im Juni 2016 wegen „betrügerischer Immobiliengeschäfte“ in Abwesenheit zu drei Jahren Gefängnis verurteilt wurde, kann er eigentlich nicht mehr gewählt werden, was ihn aber nicht daran hindert, das Verfahren anzufechten.

Joseph Kabila ist heute 45 Jahre alt und hat angeblich weder einen Plan B noch goldene Rente noch irgendeinen einträglichen Posten in Aussicht. Der erste gewählte Präsident einer Demokratie, die gerade ihr zehnjähriges Bestehen gefeiert hat, wiederholt die Fehler der Vergangenheit. Seine Imagepflege überlässt Kabila früheren Mobutisten, wie seinem umtriebigen Minister für Kommunikation und Medien, Lambert Mende Omalanga, oder Tryphon Kin-Kiey Mulumba, Minister für „Beziehungen zum Parlament“ und Anführer einer Bewegung mit dem vielsagenden Namen „Kabila Désir“.

Ein westlicher Diplomat vermutet, dass der Staatschef, der stets eine kugelsichere Weste trägt, „überzeugt ist, eines Tages ermordet zu werden wie sein Vater“. Kabila denke immer noch wie ein Widerstandskämpfer, der nicht in der Lage ist, sich ein Leben jenseits der Macht vorzustellen. Er sei wie besessen von der Idee, er als Sohn des Mzee (der Weise), wie der Beiname seines Vaters lautete, besitze eine Art historische Legitimität. Als Bewahrer einer ererbten Macht fühle er sich persönlich berufen, die DRK wiederaufzubauen.

Diese Titanenaufgabe hatte er seinem (ehemaligen) Premier Augustin Matata Ponyo anvertraut, einem Technokraten und Exfinanzminister, der sich für einen Regierungspolitiker in der DRK vor ein paar Monaten überraschend offen geäußert hat: „Es nützt nichts, wenn man in einer der ärmsten Nationen der Welt auf das Potenzial des Landes und seine Reichtümer verweist“, kommentierte er einen brutalen Widerspruch in der DRK: gewaltige Rohstoffvorkommen und gleichzeitig eine Bevölkerung, die zu den ärmsten der Erde zählt. Im Human Development Index (HDI) des UN-Entwicklungsprogramms steht das Land auf Platz 176 von 188, auf der Rangliste für Kindersterblichkeit auf Platz 5.

Damals schien sich Ponyo stellvertretend für viele Politiker seiner Regierung richtiggehend zu schämen: „Sie sagen offen, dass sie nicht da sind, um Schulen zu bauen, sondern um Geld zu machen“, kritisierte er und fürchtete, dass sein Investitionsplan in der politischen Krise untergehen werde: „Die Wirtschaft mag weder Gewehre noch das Geräusch von Stiefeln.“

Zwischen 2010 und 2015 schien die DRK noch auf einem guten Weg zu sein: Das Wirtschaftswachstum lag bei durchschnittlich 7 Prozent, das Land erreichte die dritte Stufe (den Completion Point) der Initiative zur Entschuldung hochverschuldeter Entwicklungsländer (HIPC) und bekam einen Schuldenerlass von 10 Milliarden Dollar. Die Hyperinflation war überwunden, die Preissteigerung belief sich seit 2010 auf durchschnittlich 2 Prozent; und der Wechselkurs stabilisierte sich bei 1000 kongolesischen Francs pro Dollar (85 Prozent der wirtschaftsbezogenen Transaktionen werden in Dollar getätigt).

Zwischen 2013 und 2015 kamen 2 Milliarden Dollar Auslandsinvestitionen ins Land, was allerdings nicht viel ist, verglichen mit den 42,5 Mil­liar­den, die im ganzen subsaharischen Afrika investiert wurden. Die meisten Gelder, und zwar vor allem das in die Minen im Ostkongo investierte chinesische Kapital, trugen nach Angaben der Weltbank 2015 ein Prozentpunkt zum Wachstum bei.

Zu den aktuellen Baustellen gehören Straßenbauprojekte, Trinkwasserversorgung, Erneuerung des Eisenbahnnetzes, die Steigerung der Kapazität der Wasserkraftwerks Inga (siehe den Beitrag von Lea Frehse auf Seite 16 f.) und die Ausrüstung des 80 000 Hektar großen Agro-Industrieparks Bukanga-Lonzo, den der kongolesische Staat mit privaten Partnern aus Südafrika in der Provinz Bandundu errichtet. Zwischen 2005 und 2012 hatte sich das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner nach Angaben des IWF noch verdoppelt, wenn auch auf einem niedrigen Niveau (485 Dollar im Jahr).

Der Geheimdienst sitzt am Nebentisch

Auch Ponyos Nachfolger, Samy Badibanga, zeichnete damals ein düstereres Bild: „Die politische, ökonomische und soziale Krise erhöht die Gefahr eines Flächenbrands. Unsere Universitäten produzieren nichts als Arbeitslose.“ Laut IWF liegt die Armutsquote bei 82 Prozent (der kongolesische Staat gibt 64 Prozent an) und die Arbeitslosenquote bei 88 Prozent (43 Prozent nach Regierungsangaben); die Lebenserwartung stagniert bei 51 Jahren und die Kindersterblichkeit (88 auf 1000 Lebendgeburten) liegt im afrikanischen Durchschnitt (89). Wie viele Beobachter unterstreicht auch Badibanga die strukturelle Instabilität einer Wirtschaft, die vom Export von Rohstoffen abhängig ist, deren Kurse seit 2014 fallen. Die kongolesische Zentralbank rechnet für 2016 mit einem Wachstum von höchstens 5,1 Prozent (siehe Artikel unten von Dominic Johnson).

Noch bedrückender ist das zunehmend repressive Klima – ungeachtet der Meinungsfreiheit, die Opposition und unabhängige Presse immer noch genießen. Die DRK ist berüchtigt für die Brutalität ihrer Sicherheitskräfte. Die USA haben bereits mit ersten Sanktionen reagiert: So wurden im Juni 2016 die Guthaben des Polizeichefs General Célestin Kanyama und im September die von zwei weiteren Generälen eingefroren. Diese vor allem symbolischen Maßnahmen haben jedoch keinen Einfluss auf die internen Kräfteverhältnisse im Land.

Die Biertrinker auf den Caféterrassen im einfachen Stadtviertel Matongé, wo das nächtliche Herz Kinshasas schlägt, haben keine Angst, offen über die Geheimdienstagenten herzuziehen, die unübersehbar am Nebentisch sitzen. Es ist allgemein bekannt, dass oft die Falschen zum Verhör zitiert werden, wie zum Beispiel der bekannte Bildhauer Freddy Tsimba, dessen Werke aus Patronenhülsen oder Mäusefallen nicht ganz unpolitisch sind.

Die „Cité“, wie Matongé und die anderen Viertel im Zentrum von Kinshasa genannt werden, versinkt wegen der häufigen Stromausfälle regelmäßig in Dunkelheit. Dabei verfügt das Land nach China und Russland über das drittgrößte Wasserkraftpotenzial der Welt. Nach Angaben der Weltbank werden nur 2,5 Prozent dieses Poten­zials genutzt. Kinshasa, die Rebellenstadt, leistet auf ihre Art Widerstand, mit einem Mix aus Bier und Rumba, der leicht zu einem Molotowcocktail werden könnte. Kabila muss Kompromisse machen, wenn er ein halbes Jahrhundert nach Mobutus Staatsstreich 1965 ein Eingreifen der Armee verhindern will. Die Präsidentengarde gilt als loyal. Aber wären die 15 000 Soldaten, die zum größten Teil aus den Provinzen Kivu und Katanga kommen, bereit zu schießen? Die Mächtigen haben ihre Kinder in diesem Herbst vorsichtshalber auf ausländische Schulen geschickt – am französischen Lycée von Kinshasa gibt es deutlich weniger Anmeldungen.

Das Signal, das von dem Riesen im instabilen Zentralafrika ausgeht, ist entscheidend für die Zukunft der Demokratie in der Region. Die Kongolesen hatten so sehr gehofft, Ende 2016 den ersten friedlichen Machtwechsel seit der Unabhängigkeit zu erleben. Doch die Opposition um Étienne Tshi­se­kedi beurteilt die politische Einigung vom 17. Oktober skeptisch. Badibanga sei durch seine Berufung schon diskrediert. Auch Moise Katumbi kann sich nicht vorstellen, dass „ein Präsident, der die Verfassung nicht respektiert, einen einfachen Kompromiss respektiert“.

1 Siehe Michel Galy, „Ist es Völkermord?“, Le Monde diplomatique, Januar 2014.

2 Vgl. David Van Reybrouck, „Kongo – eine Geschichte“, Berlin (Suhrkamp Taschenbuch) 2013.

3 Siehe Colette Braeckman, „Die dritte Plünderung des Kongo“, Le Monde diplomatique, Juli 2006.

4 Siehe Tierno Monénembo, „Nkurunziza und andere Potentaten“, Le Monde diplomatique, Dezember 2015.

Aus dem Französischen von Claudia Steinitz

Sabine Cessou ist Journalistin.

Le Monde diplomatique vom 08.12.2016, von Sabine Cessou