Erz und Rentiere
Welche Zukunft hat Lappland?
von Cédric Gouverneur
Am Rande der Forststraße äsen Rentiere. „Das sind Nachzügler“, erklärt Tor Lundberg Tuorda und bremst ab. „Im Frühling werden sie wieder zur Herde in den Bergen zurückkehren. Die Weibchen kriegen ihre Jungen jedes Jahr auf demselben Berg. Das liegt in ihren Genen.“
Der Same Tuorda besitzt selbst keine Rentiere. In seinem Volk wird die Viehzucht nur noch von jeder zehnten Familie betrieben. Aber der 55-jährige Aktivist kennt sich gut aus mit diesen Tieren, einer halbdomestizierten Hirschart, die eng mit den indigenen Nordeuropäern verbunden ist.
Tuorda berichtet, dass er früher offiziell nur „Tor Lundberg“ hieß: „Meine Großeltern waren ‚unsichtbare Samen‘, wie ich das nenne. Sie waren assimiliert und trugen schwedische Namen. In der Schule habe ich nur Schwedisch gelernt. Erst als Erwachsener hat meine meine ‚persönliche Entkolonialisierung‘ begonnen: Ich habe die samische Sprache gelernt und den ursprünglichen Namen meiner Vorfahren wieder angenommen.“
Lundberg Tuorda stellt das Auto ab, und wir gehen zu Fuß auf dem Forstweg weiter. „Das hier ist kein echter Wald“, erläutert er. „Reine Kiefern- oder Birken-Monokultur. Wenige Arten, wenig Vielfalt. Deshalb gibt es hier für die Rentiere nur wenig zu essen.“ Weiter unten glitzert, inmitten der Moorlandschaft, ein See. Unser Führer zeigt auf einen Stoß von Brettern mit Nägeln, die einmal eine Hütte waren. „Das ist Kallak. Hier haben wir gegen das geplante Eisenerzbergwerk protestiert, bevor die Polizei unser Camp geräumt hat.“ Ein Stück weiter stoßen wir auf bemooste Rundhölzer: die Reste eines Blockhauses.
An den Bäumen ringsherum hängen blaue und gelbe Bänder, zum Zeichen, dass sie von der schwedischen Forstbehörde erfasst sind. „Wir Samen leben hier seit unvordenklichen Zeiten. Nach unserer alten Religion besaß jeder Baum und jeder Bach eine Seele. Wir haben immer in Übereinstimmung mit der Natur gelebt, praktisch ohne Spuren zu hinterlassen. Die Industrie verwüstet alles.“
Norrbotten, die nördlichste und mit fast 100 000 Quadratkilometern größte Provinz Schwedens, ist das Land der Rentierzucht und des Bergbaus. Fast 90 Prozent des gesamten in der EU geförderten Eisenerzes stammt aus diesem Boden. Das staatliche Unternehmen LKAB rühmt sich, täglich Eisenerz für „sechs Eiffeltürme“ zu fördern, das per Bahn zum Ostseehafen Luleå oder auf der berühmten „Erzstraße“ nach Narvik am Europäischen Nordmeer transportiert wird.1
Erz und Rentiere
von Cédric Gouverneur
„Am Fluss Luleälv sind 15 Staudämme gebaut worden, für die Versorgung vor allem von Lokomotiven mit Strom. Wir halten diese Art von Industrieaktivitäten für Kolonialismus. Kallak ist ein Bergwerk zu viel.“ Im Sommer 2013 kampierten hier viele samische Demonstranten, um die Probebohrungen des britischen Unternehmens Beowulf zu behindern. Dabei wurden sie von Globalisierungsgegnern und Umweltschützern aus ganz Schweden und dem Ausland unterstützt. Auch Abgesandte anderer indigener Völker wie der Mapuche aus Chile machten mit.
Die Polizei räumte das Camp, die Bohrungen wurden durchgeführt, aber der Protest geht weiter. In dem 40 Kilometer entfernten Ort Jokkmokk treffen wir den 30-jährigen Carl-Johan Utsi. Er ist Sprecher der Sirges, einer der beiden von dem Bergbauprojekt betroffen Sameby.2 „Wir sind ungefähr hundert Rentierzüchter mit rund 16 000 Stück Weidevieh, die mit den Jahreszeiten zwischen den norwegischen Bergen und der Ostsee ziehen.“ Die Sameby haben nur das Nutzungsrecht, das Land selbst gehört weiterhin dem Staat.
Die Sirges lehnen die Mine kategorisch ab: „Wir haben Beowulf ganz klar übermittelt: Zwischen all den Staudämmen, Straßen und Gleisen, mit den Monokulturen in den Wäldern, dem Tourismus, den Windrädern und den Folgen des Klimawandels verkraftet die Gegend keine zusätzlichen Bergwerke mehr.“ Zu viel sein einfach zu viel. „Die Mine würde unsere Rentierweiden in kleine Parzellen aufsplittern. Die Befürworter des Erzabbaus werfen uns vor, wir seien egoistisch und würden nur an uns und unsere Rentiere denken. Aber wir leben seit Jahrtausenden mitten in der Natur, wir verstehen sie besser als die meisten Menschen. Wir wissen, welche Verantwortung wir tragen, und wir sehen die langfristigen Folgen, die Zukunft unseres Planeten. Die Befürworter des Bergwerks denken nur kurzfristig: an Jobs oder Unternehmensgewinne.“ Beowulf hat 250 direkte und noch einmal so viele indirekte Arbeitsplätze versprochen.
Für die Mine wird das Stadtzentrum verlegt
Jedes Jahr im Februar kommen Zehntausende Touristen zu einem 400 Jahre alten Kunsthandwerkermarkt der Samen. Aber außerhalb der Saison macht das Dorf mit seinen falunroten3 Holzhäusern einen verschlafenen Eindruck. Manche betrachten das Bergwerk daher als wirtschaftliche Chance. Aber offen dafür eintreten will keiner.
Der sozialdemokratische Bürgermeister ist „zu beschäftigt“, um uns zu empfangen, ebenso der samische Vorsitzende der Waldbesitzerkooperative, von der einige ihre Parzellen an Beowulf verkaufen würden. Auch auf der Straße haben die meisten Passanten „keine Zeit“ zu einem Gespräch. Eine Frau, die wir in ihrem Garten antreffen, klärt uns auf: „Wir sind für das Bergwerk. Aber wir können nicht sagen, was wir denken. Wir leben in einem kleinen Ort, hier kennt jeder jeden. Also schreiben Sie nichts, woran man uns erkennt. Wir wollen es uns nicht mit unseren samischen Freunden und Kollegen verderben. Wir verstehen ihren Standpunkt, aber wir haben eben unseren.“
Zwei unterschiedliche Standpunkte, zwei unvereinbare Weltsichten. Die Großeltern dieser nichtsamischen Frau haben sich als „Pioniere“ verstanden. Sie waren in den 1920er Jahren aus dem Süden gekommen, als der staatliche Stromkonzern Vattenfall Staudämme am Luleälv gebaut und allen Arbeit verschafft hat. Aber seit etwa 20 Jahren geht es mit Jokkmokk abwärts: „Die Bevölkerung schwindet, der Tourismus kann die Stadt nicht ernähren. Die jungen Leute ziehen in den Süden.“ Wird das Bergwerk eröffnet, könnten sie hierbleiben, argumentiert die Frau und erregt sich über die ortsfremden Aktivisten, die in Kallak protestiert haben: „Wir haben im Fernsehen gesehen, dass Leute aus Stockholm da waren, ja sogar Engländer und Deutsche. Sie haben unser Problem zu ihrem Problem gemacht und einfach für uns entschieden! Wir brauchen ein Großunternehmen, das hier investiert. Natürlich wäre uns ein Ikea-Markt lieber“, witzelt sie, und ihre Verwandten lachen mit. „Aber hier ist es nun mal ein Bergwerk. Wir nehmen, was wir kriegen können. Wir möchten die Natur gern erhalten, aber haben wir eine Wahl?“
Zwei junge Zeitarbeiter, denen wir in einem Café begegnen, sehen es ganz ähnlich: „Wir jobben ab und zu für Vattenfall, aber ein Bergwerk würde uns mehr Arbeit bieten“, seufzt einer der beiden und meint, die Rentiere sollten doch kein Problem sein, „die müssten doch nur um die Mine herumlaufen!“ Der andere ärgert sich, dass die Leute in der Regel von „Samen“ sprechen; er selbst benutzt bewusst den abwertenden Namen „Lappen“4 .
Die Auseinandersetzung um Kallak war in den schwedischen Medien ein großes Thema, doch ob das Vorhaben verwirklicht wird, ist noch unklar. Im Oktober 2015 erteilte die staatliche Bergbaubehörde zwar ihre Genehmigung, aber die Regierung hüllt sich in Schweigen, zum großen Ärger von Beowulf. Das Unternehmen hat bereits zweimal schriftlich protestiert, im November 2015 und im März 2016. Offenbar spielt Stockholm auf Zeit, da sie zwischen ihrer überwiegend sozialdemokratischen Wählerschaft in Norrbotten5 und den Interessen ihres grünen Koalitionspartners hin- und hergerissen ist. Aber von der Erkundung bis zum Beginn des Erzabbaus vergehen ohnehin in der Regel 15 Jahre.
200 Kilometer weiter im Norden liegt Kiruna, das größte Eisenerzbergwerk der Welt. Anfang des 20. Jahrhunderts zog die schnell wachsende Stadt Kolonisten aus ganz Schweden an. Heute arbeiten etwa 2000 der 18 000 Einwohner beim Staatskonzern LKAB, aber der Erzabbau erzeugt zusätzlich eine größere Zahl indirekter Arbeitsplätze. Das Bergwerk reicht unter den Häusern über 1400 Meter tief in die Erde. Um Bodensenkungen zu vermeiden, wie sie in der Nachbarstadt Malmberget bereits eingetreten sind, soll das Stadtzentrum nun um drei Kilometer verlegt werden. Die Einwohner haben sich offenbar schon damit abgefunden: „Ohne Mine gibt es keine Stadt“, sagt ein junges Paar, das bei LKAB arbeitet. „Deshalb muss wohl die Stadt umziehen, damit wir weiter arbeiten können.“
Das Ausmaß dieses Vorhabens zeigt, wie wichtig der Bergbausektor für Schweden ist. „Das war schon immer so“, meint Andreas Lind, Leiter der Wirtschaftsbehörde in der Provinz Norrbotten. „Ende des 19. Jahrhunderts wurden für den Bau der Erzbahn Luleå-Narvik 13 Prozent des Staatshaushalts ausgegeben.“ Nach dem von der konservativen Regierung Carl Bildt durchgebrachten Erzgesetz von 1992, das den Bergbau für die private Konkurrenz öffnete, können sich ausländische Firmen an den Prospektionsarbeiten beteiligen. Kritiker des Gesetzes beklagen, dass es die Industrie begünstige.6 Die Konzessionen werden von der staatlichen Bergbaubehörde (Bergsstaten) vergeben, die dem Geologischen Forschungsinstitut von Schweden (SGU) untersteht.
Schweden will seine Stellung als wichtigste Bergbaunation Europas weiter ausbauen. Bis 2030 könnten aus den heute 16 aktiven Bergwerken des Landes bis zu 50 werden.7 Das Volumen der geförderten Erze könnte von 68 Millionen Tonnen (2011) auf 150 Millionen Tonnen anwachsen, die Hälfte davon Eisenerz.
Andreas Lind rechtfertigt diese Politik: Europa verbrauche derzeit 20 Prozent des weltweit geförderten Eisenerzes, fördere aber selbst nur 4 Prozent, davon neun Zehntel in Schweden. „Es ist doch besser, wenn das Eisenerz von hier kommt als aus Ländern, wo die Standards für Umweltschutz, Arbeits- und Menschenrechte niedriger sind.“ Außerdem habe, beteuert Lind, für die Regierung der Umweltschutz eine höhere Priorität als die Rentabilität einer Mine: „Natürlich haben Bergwerke eine Auswirkung auf die Umwelt, wenn auch nur eine geringe. Das ist leider der Preis, den wir für unseren Lebensstil zahlen müssen.“
Angesichts des Widerstands „mancher Samen“ befürwortet der Politiker einen Kompromiss: „Schweden ist das Land des Konsenses. Es ist traurig, was in Kallak passiert ist, mit all diesen professionellen Aktivisten, die angereist kamen, um die Lager zu polarisierten. Sie wollten Norrbotten zum Schlachtfeld machen. Wir müssen eine Lösung finden, die die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt: der Rentierhirten, der Bergleute, der Industrie und des ganzen Landes.“
Die Samen wollen Autonomie
Das samische Parlament, der Sametinget, tagt in Kiruna. Geschaffen wurde er 1993, ein paar Jahre nach den samischen Parlamenten in Norwegen und Finnland. Er ist sowohl eine Behörde als auch eine gewählte Vertretung. Seine Sprecherin Marie Enoksson erklärt: „Täuschen Sie sich nicht: Der Sametinget ist ein Parlament ohne wirkliche Macht. Unsere 31 Abgeordneten kommen nur dreimal im Jahr zusammen. Sie können ihre Meinung äußern, aber der Staat ist nicht verpflichtet, sich danach zu richten.“
Der Gesetzestext stellt ausdrücklich fest, es handle sich um eine Institution, die nicht „anstelle des Landtags oder des Gemeinderats oder in Konkurrenz zu diesen Institutionen tätig werden darf“. Als Behörde verfügt der Sametinget über einen Haushalt von 38,5 Millionen Kronen (4,1 Millionen Euro), die vor allem für Kultur- und Sprachförderung und die Rentierzucht bestimmt sind.
„Etwa 9000 erwachsene Samen sind hier als Wähler registriert“, erklärt Frau Enoksson. „Sie müssen dafür beweisen, dass sie Samisch sprechen oder dass mindestens ein Eltern- oder Großelternteil die Sprache beherrscht. Das ist doch ein Witz, wenn man bedenkt, dass der Staat in der Vergangenheit alles getan hat, um unsere Sprache zum Verschwinden zu bringen.“ Lediglich ein Viertel bis die Hälfte der 20 000 bis 40 000 Samen Schwedens sind damit zur Wahl des Sametinget zugelassen. Da in Schweden die Datenerhebung nach ethnischen Kriterien unzulässig ist,gibt es keine genaueren Zahlen.
„Der Staat hat uns nicht die Macht verliehen, Gesetze zu erlassen, wir dürfen nur unsere Meinung zu sagen“, kritisiert Hanna Sofie Utsi, Mitglied der samischen Grünen-Partei Min Geaidnu („Unser Weg“) und ehemalige Vizepräsidentin des Sametinget. „Ich trete für die Selbstbestimmung unseres Volks ein. Wir sind ein Teil dieses Landes, wir sind schwedische Bürger, aber wir sind keine Schweden. Deshalb möchte ich, dass wir über unsere Zukunft und unsere Angelegenheiten entscheiden, wie es beispielsweise die Inuit in Kanada tun.“8 Dennoch hält sie den Sametinget nicht für überflüssig: „Wir haben daraus ein Instrument gemacht, das weitaus mächtiger ist, als es der Staat je wollte. Wir haben Fortschritte erzielt, vor allem im Bereich der samischen Sprache.“
Schweden hat die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker (UNDRIP) von 2007 unterzeichnet. In Artikel 3 wird das Recht auf Selbstbestimmung postuliert, was aber keinen verpflichtenden Charakter hat.9 Zudem hat das Königreich Schweden das Übereinkommen Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) von 1989 nicht ratifiziert, das die Eigentumsrechte indigener Völker an ihrem Land und ihren Bodenschätzen festschreibt. „Der Sametinget darf zu Kallak nichts sagen“, erklärt Maria Enoksson. „Wir dürfen uns in den Entscheidungsprozess nicht einschalten. Nur die beiden betroffenen Samebys, Sirges und Jåhkågasska, werden ‚zu Rate gezogen‘.“
Einer der Vertreter des Sameby von Jåhkågassk ist Rickard Länta. Wir treffen den Mann mit dem Irokesenschnitt beim Kongress des Schwedischen Samenverbands (Svenska Samernas Riksförbund oder SSR), der Vereinigung der Rentierzüchter, die zu diesem Anlass in ihrer bunten traditionellen Tracht auftreten.
Der SSR und der Sametinget halten ihre Versammlungen jedes Jahr im Mai zeitgleich in Kiruna und im 800 Kilometer entfernten Östersund ab. Das Verhältnis zwischen beiden Organisationen ist abgekühlt bis eingefroren. Das samische Parlament beschuldigt den SSR, er kümmere sich nur um die Rechte der Züchter, während die SSR dem Parlament seinen Doppelstatus vorwirft.
Die Erderwärmung bedroht die Rentiere
Was den Fall Kallak betrifft, äußert sich Länta wenig optimistisch, zumal sich auch andere Samebys mit Bergbauprojekten herumschlagen müssen (Semisjaur-Njarg, Vapstens, Voernese). Der Staat und die Unternehmen haben die Zeit auf ihrer Seite, meint Länta: „Sie werden das Bergwerk eröffnen. Wenn der Eisenpreis steigt, sehen die Leute nur noch das Geld. Sogar manche Samen.“ Aber für Länta ist Geld kein Ziel an sich: „Die Rentiere, das ist ein Lebensstil. Unsere Freiheit!“
Matti Berg, ein großgewachsen Mann mit grauem Zopf im Nacken, ist der Vorsitzende des Sameby von Girjas. Sein Name ist wie sein Gesicht in ganz Schweden bekannt. Am 3. Februar 2016 gewannen sein Sameby und die SSR nach sechs Jahren einen Prozess gegen den Staat. Sie konnten sich ein Recht zurückerobern, das die Samen bis 1986 besessen hatten: die Entscheidung darüber, wer auf ihrem Territorium fischen und jagen darf.
Matti Berg sieht darin einen wichtigen Schritt zur Selbstbestimmung über das Land der Samen und womöglich zur Verhinderung der Bergwerke: „In meinem Sameby wollen mehrere Unternehmen Erkundungen betreiben. Wir müssen auch nein sagen können. Ihr anderen Westler bewertet alles nur nach wirtschaftlichen Maßstäben. Aber für uns hat ein intakter Berg viel mehr Wert als einer, der durch eine Mine verschandelt ist.“
Der Prozess sorgte für erbitterte Diskussionen: Als sich der Ton immer mehr verschärfte, veröffentlichten 59 schwedische Wissenschaftler und Universitätsangehörige am 11. Juni 2015 einen offenen Brief in der Tageszeitung Dagens Nyheter, in dem sie dem Staat vorwarfen, Argumente zu benutzen, die an „die Zeit der Rassenbiologie“ erinnerten.
Der juristische Sieg des Sameby heizt die Spannungen weiter an: Im Fischereiladen von Kiruna äußern sich junge Kunden erleichtert, dass der Staat Berufung einlegt. Sie kommentieren sauer: „Fischfang und Jagd sind doch die wichtigsten Gründe, warum man hierherzieht. Wenn die Samen jetzt gewinnen und das Recht durchgesetzt wird, dann werden sie die Preise für die Lizenzen diktieren.“ Und die sind bislang ziemlich günstig.
„Wer wird hier eigentlich diskriminiert?“, kommentieren ältere Jäger und Fischer. „Warum sollten die Samen mehr Rechte haben als wir? Weil ihre Ahnen vor unseren da waren? Wir sind doch alle hier geboren!“
Die Rentierhirten haben auch noch einen anderen Gegner: den Klimawandel. „Neuerdings regnet es im Winter“, erzählt Länta. „Das Wasser gefriert, dann fällt Schnee darauf, dann regnet es wieder. Im Schnee können die Rentiere äsen, indem sie den Schnee beiseite scharren. Aber das Eis, das können sie nicht brechen. Also müssen wir Futter kaufen.“
Länta verweist auch auf die Verluste durch Bären, Luchse und vor allem durch Vielfraße, aber auch durch Kollisionen mit Autos und Zügen: „Eine Familie braucht 600 Tiere, um zu überleben. Wenn man davon 30 Prozent einbüßt, dann reichen die Geburten nicht aus, um die Verluste zu kompensieren, und man geht pleite.“ Aber ohne ihre Herden seien die Samen verloren, wie die nordamerikanischen Indianer nach dem Gemetzel an den Bisons in den 1870er Jahren. „Meine Kinder“, sagt Rickard Länta, „wollen genauso leben wie ich, aber ich weiß nicht, ob sie das noch können.“
In einer Kneipe in Kiruna hängt der 21-jährige Olaf nach einem langen Arbeitstag ab. Der junge Same stammt aus einer Familie von Rentierzüchtern. Voller Stolz führt er auf seinem Smartphone ein Video vor, das ihn am Steuer eines Motorschlittens zeigt, hinter ihm seine Herde. „Vierhundert Tiere“, erzählt er. „Aber es ist schwer geworden, von der Viehzucht zu leben.“ Er zeigt noch weitere Fotos, und auf denen ist er als Baggerfahrer in einem Schacht zu sehen.
„Ich komme gerade aus dem Bergwerk. Ich arbeite halbtags dort“, berichtet er ein wenig beschämt. „Ich habe keine andere Wahl. Aber wenn ich unter Tage bin, dann denke ich nur an eines: an meine Berge und meine Rentiere.“ Klimawandel und Bergbau könnten am Ende trotz allen Widerstands dafür sorgen, dass das seit Urzeiten bestehende Leben der Samen mit ihren Rentieren zu Ende geht.
2 Gemeinschaft von Rentierzüchtern, die an ein bestimmtes Weide- und Durchzugsgebiet gebunden ist.
3 Farbe, die ursprünglich aus dem Abraum der Kupfermine von Falun hergestellt wurde.
Aus dem Französischen von Sabine Jainski
Cédric Gouverneur ist Journalist.