Die Sinclair Group – Meinungsmache im Kommandoton
von Eric Klinenberg
Die Sinclair Broadcast Group ist heute der größte Anbieter von Fernsehprogrammen in den USA. Das Unternehmen betreibt 62 TV-Stationen in 29 Einzelstaaten, unter anderem auch in den Staaten, die für die letzten Präsidentschaftswahlen entscheidend waren. In so wichtigen Hochburgen der Demokraten wie New York, Los Angeles und Chicago hat die Sinclair Group keine Sender, stattdessen konzentriert sie sich auf die mittelgroßen Städte. Insgesamt erreicht das Unternehmen etwa 23 Prozent der amerikanischen Fernsehzuschauer. Damit hat sich die Sinclair Group heimlich, still und leise den Deregulierungsschub zunutze gemacht, den die Federal Communication Commission (FCC) angestoßen hat.
Im Wahlkampf von 2004 mischte sich die Sinclair Group erstmals auf spektakuläre Weise in die parteipolitischen Auseinandersetzungen ein. Sie betrieb in ihren Programmen eine Schmutzkampagne gegen den demokratischen Präsidentschaftskandidaten John Kerry, während negative Nachrichten über die Politik von Präsident Bush und den Krieg im Irak nicht vorkamen. „Die Medien machen Politik“, sagt David Smith, Chef der Sinclair Broadcast Group, ganz offenherzig, als er mich in der Unternehmenszentrale in einem Vorort von Baltimore empfängt: „Die Medien wählen die Politiker mit, um sie dann zum Lunch zu verspeisen.“
Das wichtigste Instrument des Mediengiganten ist das Produktionssystem „News Central“. Über dieses vertikale System, das zentral produzierte Fernsehbeiträge in die dezentralen Programme drückt, kann die Sinclair-Führung bestimmen, was die lokalen Sendestationen bringen können – oder auch nicht bringen können. Mit diesem System haben sie so etwas wie einen republikanischen PR-Betrieb geschaffen, der sich als Nachrichtenunternehmen tarnt.
Kernstück des ganzen News-Central-Systems ist der für alle Synclair-Stationen obligatorische tägliche Kurzkommentar von Chefmoderator Mark Hyman in der Sendung „The Point“. Der 47-Jährige ist außerdem Sinclair-Vize hinter David Smith. Er war Offizier bei der US Navy, hat beim Geheimdienst gearbeitet und übt heute bei Sinclair viele Funktionen aus, unter anderem die des Cheflobbyisten. Ansonsten ist Hyman auch noch Vizepräsident des Center for Science-Based Public Policy. Dieser Thinktank produziert ganz erstaunliche „Forschungsergebnisse“. Zum Beispiel die Aussage, dass „die Quecksilberbelastung von Fischen für die Gesundheit der Menschen keine negativen Folgen hat“ oder dass Luftverschmutzung „keine wesentliche Ursache für Asthma sein kann“.1
Mark Hyman marschiert mit geschwellter Brust und flotter Haartolle durchs Büro. Wenn er auf Sendung ist, lässt er einen rechten Spruch nach dem anderen los. Da werden die Franzosen schon mal als „Cheese-eating surrender monkeys“ – das heißt als Käse fressende Kapitulationsaffen – beschimpft und die „progressiven“ Kräfte der USA als „the blame America crowd“ qualifiziert, was ungefähr „die Nestbeschmutzerbande“ heißt. Und kurz vor den Wahlen vom 2. November 2004 behauptete Hyman: „Die Führer der Terroristen wären entzückt, wenn Präsident Bush von Senator Kerry abgelöst würde.“
Was die Zahl der irakischen Opfer des Krieges betrifft, so setzte Hyman viel zu niedrige Schätzungen in die Welt.2 Aber er hat auch ein positives Programm. Er ist für den Krieg im Irak, für die Rechte der Schusswaffenbesitzer und für eine regressive Steuer, die nur noch einen Steuersatz vorsieht, also den Mittelklassen Geld wegnehmen und es den Reichen zuschanzen würde. Und natürlich ist er auch für die Privatisierung der allgemeinen Krankenversicherung (Medicare und Medicaid), die das Ende einer obligatorischen Gesundheitsversorgung von Alten und Armen bedeuten würde.3
Hymans Kommentare mögen beim Publikum noch so schlecht ankommen, die Programmleiter der einzelnen Sinclair-Sender wissen aus Erfahrung, dass sie ihre Bosse besser nicht fragen, ob sie aus Hymans Sendungen oder anderen parteipolitisch geprägten Programmen aussteigen dürfen. Denn David Smith formuliert das medienpolitische Credo der Sinclair-Gruppe ganz ungeniert: „Ein Nachrichtenunternehmen ist eine Diktatur. Jemand muss das Kommando haben.“
Ein Fernsehsender ist eben kein Franchise-Unternehmen
Als CNN von Hyman wissen wollte, warum in der Sinclair-Gruppe die Tochterunternehmen nicht selbst über die Auswahl ihrer Sendungen befinden könnten, lautete die Antwort: „Bei Sears sagt die Konzernspitze doch auch allen Filialen: Ihr verkauft Heimwerkerartikel.“ Für Sinclair ist die Sache klar: „Die Vorstellung, unsere TV-Sender seien eigenverantwortliche Franchise-Unternehmer und die örtlichen Sendebosse sollten selbst entscheiden, welche Programme sie bringen wollen, entspricht einfach nicht den Gegebenheiten.“4
Wie man von ehemaligen wie von noch aktiven Sinclair-Angestellten erfahren kann, hat die Konzernspitze nach dem 11. September 2001 alle Nachrichtenredaktionen gezwungen, einen ihrer Reporter oder Moderatoren zu der Feststellung zu bringen, dass der Sender Präsident Bush und seinen Krieg gegen den Terror unterstütze. Wenn sich ein Mitarbeiter unter Hinweis auf journalistische Grundsätze weigerte, sagte Hyman nichts – sprach den Satz dann aber selbst ins Mikrofon.
Zum Programm von Sinclair kann auch gehören, dass schlechte Nachrichten einfach nicht gesendet werden. So untersagte die Sinclair-Gruppe im April 2004 ihrem Tochterunternehmen ABC, die abendliche Sendung „The Fallen“ zu übertragen, in der Ted Koppel die Namen der im Irak gefallenen US-Soldaten verlas. Ein anderes Beispiel enthüllte Jon Leiberman, der seinen Job als Chef des Washingtoner Büros einbüßte, weil er der Sinclair-Gruppe öffentlich vorwarf, gezielte Wahlpropaganda zu produzieren. Leiberman hatte Hyman auf einer Irakreise begleitet und anschließend berichtet, er habe diesen aufgefordert, über den Folterskandal in Abu Ghraib zu berichten. Hyman habe sich beharrlich geweigert und auf „Druck von oben“ verwiesen. Auch ein ehemaliger Produzent berichtet: „Ich kann mich an mindestens zwei Fälle erinnern, wo er (Hyman) mir gesagt hat, er wolle keinerlei schlechte Nachrichten aus dem Irak. … Es mussten gute Nachrichten sein.“
Die lange Geschichte der Sinclair-Gruppe begann 1971, als Julian Sinclair Smith, der Vater des heutigen Unternehmenschefs David Smith, eine UHF-Frequenz erwarb und in Baltimore den Fernsehsender WBFF gründete. 1986 stiegen Julians vier Söhne – David, Frederick, Robert und J. Duncan – in das Familienunternehmen ein, das sich zu einer großen Fernsehanstalt entwickelte. 1990 traten die Brüder an die Spitze des Unternehmens, das sich fortan Sinclair Broadcast Group nannte.
David brachte einige Erfahrungen als Medienunternehmer mit. In den 1970er-Jahren hatte er zusammen mit David E. Williams eine kleine Firma namens Ciné Processors betrieben, die Kopien von Pornofilmen herstellte. Williams hat auf meine Fragen bestätigt: „Wir haben den Laden ein Jahr lang betrieben. Wir haben Videotapes zu Filmen umkopiert und dazu einen Soundtrack auf Kasette hergestellt. Wir haben nur mit Pushern aus dem Strippermilieu gearbeitet, die das Zeug unter die Leute brachten.“
Heute betreiben die Smith-Brüder andere Unternehmensprojekte, die zum Teil von ungewöhnlichen Synergieeffekten mit ihrem Fernsehimperium profitieren. David hat in Autoverleihfirmen investiert, die zu den größten Werbekunden in Baltimore gehören, macht also prächtige Profite, wenn diese Firmen Werbezeit bei seinem Sender buchen. Frederick hat eine Immobilienfirma namens Todd Village LLC. Nach dem Bericht eines lokalen Fernsehsenders wurde diese Firma letzten Oktober beschuldigt, Afroamerikaner zu diskriminieren: Sie habe sich geweigert, schwarzen Kaufinteressenten ihre Eigentumswohnungen vorzuführen.5 Außerdem erweckten die Smith-Brüder bei ihren Börsenmanövern den Verdacht auf Insidergeschäfte, weil sie Aktien im Wert von vielen Millionen Dollar knapp unterhalb des Höchstkurses abstießen.
David Smith gibt normalerweise keine Interviews, aber in dem langen Gespräch, das wir in seiner Firmenzentrale führten, sprach er unverblümt über seine Rolle als Medienunternehmer und seine Pläne für die Sinclair-Gruppe: „Letzten Endes haben wir doch alle die gesellschaftliche Verpflichtung, uns zu bemühen, das Richtige zu tun.“
Am wichtigsten sei dabei, parteipolitische Neutralität zu wahren: „Deine Parteipräferenz sollte keinen Einfluss auf deine Geschäfte haben.“ Deshalb legt er größten Wert darauf, seine Position als „politische Mitte“ zu definieren. Das hört sich so lange gut an, bis Smith erläutert, dass von allen großen US-Medienunternehmen nur Sinclair und Fox News die „politische Mitte“ besetzen, während die übrigen 99,9 Prozent auf der Linken angesiedelt seien. Aber auf längere Sicht will es Smith mit Hilfe seines TV-Imperiums schaffen, dass die amerikanischen Medien und die Öffentlichkeit die Welt aus seinem Blickwinkel betrachten.
Smith hat auch ein klares Bild davon, wie ein ausgewogener Nachrichtensender die US-Außenpolitik zu präsentieren habe: „Wir stehen mitten in einem Krieg, ob man das richtig findet oder nicht. Die Regierung hat sich bewusst für den Krieg entschieden, weil sie glaubt, dass dies unserem Interesse am besten entspricht. Deshalb denke ich, dass wir die Verpflichtung haben, hinter unseren Truppen zu stehen. Ich kann nicht guten Gewissens abseits stehen, wenn jemand hunderttausende Menschen darauf verpflichtet hat, mich zu verteidigen.“
Das macht hinreichend klar, warum die Sinclair-Gruppe ihren Sendern nicht gestattet hat, „The Fallen“ zu übernehmen. Doch Smith und Hyman behaupten, das Unternehmen habe die Sendung nur deshalb zensiert, weil die ABC die Namen der im Irak gefallenen GIs „out of context“ verlesen habe: Die Sendung sei bewusst in die Nähe des Datums gerückt worden, an dem sich die peinliche Rede jährte, in der Bush auf dem Flugzeugträger „Abraham Lincoln“ triumphierend sein „Mission Accomplished“ ausgerufen hatte. Diese Erklärung hat ihnen allerdings schon damals kaum jemand abgenommen. Selbst der republikanische Senator John McCain, der im Vietnamkrieg in Kriegsgefangenschaft geraten war, bezeichnete das Bemühen der Sinclair Group, das Kriegsgeschehen zu verharmlosen, als „unpatriotischen Akt“.6
Smith hat größte Mühe, zu erklären, warum sich sein angebliches Eintreten für ausgewogene und neutrale Berichterstattung so gar nicht auf die Summen auswirkt, die er beziehungsweise die Manager der Sinclair Group für den US-Wahlkampf spenden. Als Antwort fragte Smith mit treuherzigem Blick: „Wissen Sie auch, dass ich den Demokraten mehr Geld gebe als den Republikanern?“ Ich wusste das in der Tat nicht.
Auch John Dunbar vom überparteilichen Center for Public Integrity (CPI) und Doug Weber vom Center for Responsive Politics (CRP) kommen zu einem anderen Befund, nachdem sie Smith’ Wahlkampfspenden überprüft haben: Auf Bundesebene hat Smith unverhältnismäßig viel mehr an die Republikaner gespendet, insbesondere auch vor den letzten Präsidentschaftswahlen vom November 2004. Das Management der Sinclair Group hat sogar noch einseitiger die Rechte unterstützt. Nach einem CPI-Bericht flossen von den Spendengeldern des Konzerns seit 1998 mehr als neun Zehntel an die Republikaner.
Die Tatsache, dass die Nachrichten und Kommentare in den Sinclair-Programmen entweder auf der konservativen Parteilinie oder noch weiter rechts liegen, kann Smith nicht überzeugend erklären. Auf die Frage, warum er nicht progressive Sendungen als Gegengewicht zu den konservativen Formaten wie „The Point“ oder „Get This“ bringt, wiegelt er ab: „ ‚The Point‘, das sind doch nur zwei Minuten innerhalb einer einstündigen Nachrichtensendung, selbst der Wetterbericht ist länger.“ Sein Partner Hyman hatte kurz zuvor jedoch getönt, die meisten Zuschauer der lokalen Abnehmer des Sinclair-Programms würden ihn besser kennen als die Nachrichtensprecher der Lokalsender.7
Wenn Wetterfrösche woanders sitzen, als man meint
Mittlerweile haben die Bosse der Sinclair Group ihre Kontrolle über den Senderverbund und das News Central System weiter gefestigt. Die Zentralisierung wird von der Sinclair-Wetterredaktion auf die Spitze getrieben. Die besteht aus acht bis zehn Leuten, die in Hunt Valley sitzen, wo sie mit dutzenden von Atlassen arbeiten, regionale Karten studieren und die Aussprache von Orten üben, die sie noch nie gesehen haben.
Jeder Redakteur produziert täglich die Wetterberichte für drei bis fünf Städte. Dahinter steckt ein ökonomisches Prinzip, erklärt Hyman: „Einen Wetterbericht hat man in ein paar Minuten zusammengebaut. Deshalb sind die Wetterredakteure immer diejenigen, die PR-Termine wahrnehmen, die von den Sendern zu den Provinzjahrmärkten und den Schulfesten geschickt werden. Wir aber haben gesagt: Warum sollen die Wetterleute stattdessen nicht den ganzen Tag Wetter machen? Den Zuschauern ist es egal, ob der Wettermensch in einem Studio in Oklahoma City steht oder hier.“
Kritiker der TV-Unternehmen halten eine derart vorgetäuschte Lokalpräsenz für glatten Betrug. Gravierender ist jedoch etwas anderes: Bei extremen Wetterlagen können die Beobachtungen eines Meteorologen vor Ort und seine genaue Kenntnis der lokalen Geografie den Gemeinden und ihren Bürgern besser helfen, angemessene Schutzmaßnahmen zu treffen. Kritiker verweisen darauf, dass sich die Sinclair Broadcast Group im Rahmen ihrer lokalen Sendelizenzen zu Lokalberichterstattung verpflichtet hat, und zwar besonders in Krisenzeiten. Angesichts der bisherigen Erfahrungen befürchten sie, dass Sinclair die betroffenen Fernsehzuschauer gerade dann nicht angemessen bedienen kann, wenn es am dringlichsten wäre.
Die Tochtersender der Sinclair Group haben nicht nur zu wenig Meteorologen, auch für die normalen Lokalnachrichten produzieren sie mit minimalem Personalaufwand immer nur das Allernötigste. Um die Produktion zu automatisieren und die Lohnkosten niedrig zu halten, setzen die Sinclair-Sender auf Roboterkameras, digitale Bearbeitungssysteme und vorfabrizierte Nachrichtenspots. Laut Hyman hat die Sinclair-Gruppe etwa drei Dutzend Leute entlassen. Die Angaben der einzelnen TV-Stationen ergeben ein anderes Bild. Und die Listen der Organisation JournalismJobs.com verzeichnen für die Zeit zwischen Februar 2001 und Januar 2002 für die Sender der Sinclair-Gruppe 229 Entlassungen.
Schnöde Motive im Nachrichtengeschäft
Tatsächlich hat die PR-Rhetorik der Sinclair-Gruppe mit der Realität nicht viel zu tun. Zum Beispiel behauptet Mark Hyman, sein Unternehmen habe das News-Central-Modell ersonnen, um billige Nachrichtensendungen für solche Stationen zu ermöglichen, die vorher überhaupt keine Lokalnachrichten gebracht haben. Das trifft zwar für einige Orte zu. Aber man hat auch Fernsehsender aufgekauft, die lebendige Nachrichtenprogramme hatten, um anschließend das Personal zusammenzustreichen und die Programme – gegen heftige Proteste der lokalen Bevölkerung – in Abnehmer der News-Central-Produktionen zu verwandeln. In St. Louis etwa ist die gesamte Nachrichtenabteilung dichtgemacht worden, seit Oktober 2001 sind die Lokalnachrichten ganz abgeschafft.
Hyman räumt ein, dass „bestimmte Motive“ den Einstieg ins Nachrichtengeschäft erklären: „Auf den typischen Märkten kaufen 30 bis 35 Prozent der Kunden ihre Werbezeiten nur für die Lokalnachrichten. Wenn man also aufs Geld schaut, so fragt man sich doch, ob man in ein Geschäft einsteigen will, wo man nur um 70 Prozent der Werbedollars konkurriert.“ Noch klarer äußerte sich Smith gegenüber Mediaweek: „Das ist ein riesiger Umsatzbrocken, und wenn unsere Sender keine Nachrichten bringen, sind wir aus dem Geschäft draußen.“8 Die Sinclair-Gruppe braucht diese Umsatzquellen, weil sie aufgrund ihrer aggressiven Einkaufsstrategie mit riesigen Schulden belastet ist. Denn bei den Umsatzzahlen ist sie mit 736 Millionen für 2002 und mit 739 Millionen für 2003 gegenüber anderen Sendergruppen in Rückstand geraten.
Das gilt auch für die Qualität der Berichterstattung. Hyman hebt gern die staatsbürgerliche Leistung hervor, die sein Unternehmen angeblich mit dem News Central System erbringt. So meint er etwa in vollem Ernst: „Wir wollen eher über lokale Themen berichten, über den Bürgermeister etwa, über den Stadtrat, den Schulausschuss oder das Amt für öffentliche Arbeiten … und nicht die sexy Reportagen, nicht die aufregendsten Storys.“
Ein Forschungsprojekt an der University of Southern California (USC), das die Wahlberichterstattung in verschiedenen Gegenden verglichen hat, kam zu einem ganz anderen Resultat: Die Sender der Sinclair-Gruppe brachten typischerweise weniger und kürzere Berichte als ihre Konkurrenten. Bei einer Anhörung vor dem Senatsausschuss für Handelsfragen berichtete ein Mitarbeiter des Projekts am Beispiel der Stadt Greenville in South Carolina, der Sender WLOS der Sinclair Gruppe habe in den sieben Wochen vor der Kongresszwischenwahl von 2002 in der Hauptsendezeit 40 Wahlberichte gebracht, ein Konkurrenzsender dagegen 146.9
Für eines steht bei einem Sinclair-Unternehmen jedoch immer genug Sendezeit zur Verfügung: für eine Attacke auf die Demokraten. Das erklärt auch, warum Smith und Hyman so scharf auf den umstrittenen Dokumentarfilm „Stolen Honor“ (Gestohlene Ehre) von Carlton Sherwood waren, in dem John Kerry beschuldigt wurde, den Krieg der USA in Vietnam verlängert zu haben. Nur wenige Tage nachdem die Sinclair Gruppe den Film gekauft hatten, ließ sie ihre Sender wissen, sie müssten den Streifen in der Hauptsendezeit platzieren. Das galt natürlich auch für die zwanzig Sender in den besonders umkämpften Staaten. Ein Mitarbeiter von News Central hat mir berichtet: „Sie haben uns gesagt, es handle sich um die Show von Mark Hyman und er werde als Gastgeber auftreten. Erst später teilte man unseren Stationen mit, sie sollten einen Sendeplatz für das Special frei machen.“
Am 9. Oktober berichtete die Los Angeles Times, Sinclair wolle den Film über die „Gestohlene Ehre“ Kerrys kurz vor dem Wahltag ins Programm heben. Die Medienaufsichtsorgane waren alarmiert. Und Kerrys Wahlkampfleitung forderte den nationalen Wahlausschuss auf, das Programm als illegale Sachspende der Sinclair Group an die Republikanische Partei zu bewerten.10
Ein für Kandidat Kerry möglichst schädlicher Auftritt
Medienkritische Gruppen organisierten einen Werbeboykott. Die Investmentbank Lehman Brothers ließ verlautbaren, die Entscheidung in Sachen „Stolen Honor“ sei „finanziell wie politisch potenziell schädlich“ und stufte die Glaubwürdigkeit der Sinclair Group herab. Auch die Rating-Agentur Moody’s reduzierte ihre Unternehmenseinschätzung von „stabil“ auf „negativ“.11 Die Sinclair-Aktien fielen daraufhin um 17 Prozent, was einem Kapitalverlust von 105 Millionen Dollar gleichkam. Wichtige institutionelle Investoren forderten das Unternehmen auf, das Programm abzusetzen. Am 19. Oktober drohte der Investmentberater Glickenhaus & Co. damit, seine Sinclair-Aktien abzustoßen oder eine Klage gegen das Unternehmen anzustrengen, weil es seine politischen Prioritäten über die Verantwortung gegenüber den Aktionären stelle.
Auch in der Nachrichtenredaktion der Sinclair Group löste die Kontroverse ein kleines Beben aus. Die Mitarbeiter bei News Central sahen durch die Entscheidung des Managements ihren journalistischen Ruf beschädigt. Im privaten Kreis klagten sie, die Dauerpräsenz Hymans in der Redaktion wirke einschüchternd und die Programmmacher seien verängstigt. Während des Wahlkampfs und des Irakkriegs, meinte einer, „hat man uns in der Redaktionskonferenz mitgeteilt, welche Beiträge wir fahren sollen“.
Die Ankündigung von „Stolen Honor“ als Nachrichten-Sondersendung brachte für Jon Leiberman, den Chef des Washingtoner Studios, das Fass zum Überlaufen: „Ich hatte dem Chef schon gesagt, dass das eine Katastrophe für unsere Leute hier wäre, weil wir in Zukunft nicht mehr an wichtige Informationen rankommen würden. Ich wollte jedenfalls nicht, dass mein Gesicht dabei auftaucht.“ Aber Smith reagierte nicht. Also stand Leiberman in der Redaktionskonferenz auf und sagte: „Es ist absolut lächerlich, dass wir so was Nachrichten nennen sollen, nur um die Sache aufzuwerten.“ Das war gewagt, aber Leiberman tat es auch für seine Kollegen: „Ich wusste, die Leute hatten die gleiche Empfindung wie ich, nur dass sie nichts sagten.“ Ehemalige Mitarbeiter Leibermans bestätigen, dass sie Angst hatten, ihren Job zu verlieren oder auf einem zunehmend monopolisierten Medienmarkt als „Informant“ zu gelten.
Kein „goldener Handschlag“ für den Starreporter
Leiberman entschloss sich, seine Bedenken öffentlich zu machen. Er rief den Medienberichterstatter der Baltimore Sun an, in der Hoffnung, dass eine Debatte auf lokaler Ebene die Sinclair-Leute zwingen könnte, ihre Pläne zu ändern. Am Montagmorgen verbreitete sich Leibermans Story rasch über das Internet. Am Nachmittag riefen ihn die Sinclair-Chefs an und bestellten ihn binnen einer Stunde in die Zentrale. Da wusste Leiberman, was passieren würde: „Ich packte also meine Sachen und fuhr ins Hunt Valley hinauf. Hier sagte man mir, mein Verhalten sei falsch gewesen. Und ich sei gefeuert, weil ich interne Informationen aus der Sonntagssitzung an die Medien weitergegeben hätte. Mein Gehalt und alle sonstigen Leistungen wurden sofort ausgesetzt, ich bekam auch keine Abfindung, nicht einmal für meine nicht genommenen Urlaubstage. Sie eskortierten mich zu meinem Auto, ließen mich meine Jacken- und Hosentaschen leeren und behandelten mich wie einen Kriminellen. Und das war’s. Seitdem hab ich das Gebäude nur noch von weitem gesehen.“
Doch mit der Entlassung ihres Starreporters waren die Sinclair-Manager ihre Probleme noch nicht los. Tags darauf drohte Glickenhaus & Co. mit einer Aktionärsklage. Und institutionelle Investoren forderten das Unternehmen auf, den umstrittenen Filmbeitrag aus dem Programm zu nehmen.12
Nur wenige Stunden später faxte die Sinclair-Gruppe eine Erklärung an Glickenhaus & Co.: Man werde „Stolen Honor“ nicht in voller Länge ausstrahlen, sondern nur eine Sendung über den Einfluss der Medien auf die Wahlen bringen. Sie trug den Titel „Eine Kriegsgefangenenstory: der politische Druck und die Medien“ und lief am 22. Oktober über 40 der 62 Sinclair-Sender. Die Einschaltquote war schlecht, und die meisten Kritiker fanden die Sendung relativ neutral, aber auch langweilig. Medienbeobachter wie Media Matters oder Free Press werteten den Rückzieher immerhin als kleinen Erfolg. In ihren Augen unterstrich der Kampf um „Stolen Honor“ die Bedeutung der Federal Communication Commission (FCC), die lange ohne öffentliche Kontrolle vor sich hin gearbeitet hatte.
Die öffentliche Debatte um die Politik der Sinclair Group passt den großen Medienunternehmen gar nicht. Sie wollen mit ihrem Druck auf die FCC dafür sorgen, dass die Kommission in den kommenden Jahren die Bestimmungen ändert, die der Eigentümerseite Beschränkungen auferlegt. Blair Levin, ehemals Mitglied der FCC und Manager des Medienunternehmens Legg Mason, meint dazu nur: „Deregulierung spielt sich im Allgemeinen ohne viel Aufhebens ab.“ Doch die kritische Medienbewegung ist erwacht und hat gelernt, wie man die Öffentlichkeit alarmieren kann.