14.10.2005

Rezeptur für die zweite Revolution

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Rezeptur für die zweite Revolution

Was aus den Demokratiebewegungen in Osteuropa und Zentralasien zu lernen wäre

von Vicken Cheterian

Wiktor Juschtschenko sieht nicht so aus, wie man sich vielleicht einen Revolutionär vorstellt. Vergeblich wird man nach einem Foto suchen, das ihn als Bartträger mit einer Kalaschnikow im Arm zeigt. Juschtschenko ist ein gutaussehender Mann – jedenfalls war er das, bevor sein Gesicht durch einen Giftanschlag entstellt wurde. Seine Karriere begann er als Banker, anschließend wurde er Chef der ukrainischen Zentralbank und Ministerpräsident. Vor den Präsidentschaftswahlen am 31. Oktober 2004 galt er als der aussichtsreichste Kandidat, doch der damals noch amtierende Präsident Kutschma hatte andere Pläne: Nicht Juschtschenko wollte er als Nachfolger, sondern den amtierenden Ministerpräsidenten Wiktor Janukowitsch, der schlecht Ukrainisch spricht, weil er aus der russischsprachigen Ostukraine stammt. Als dann nach der Stichwahl am 11. November die Wahlkommission verkündete, dass Janukowitsch in Führung liege, ging die ukrainische Opposition auf die Barrikaden. Sie rief zu massivem Protest auf, der im Lauf der kalten Wintermonate in eine Dauermobilisierung von hunderttausenden Demonstranten mündete. Am Ende stand, gemäß dem neuen Modell der „farbigen Revolution“, die „Revolution in Orange“: eine unblutige, gewaltlose Ablösung der politischen Führung durch eine Mobilisierung des Volkes, das sich den Wahlbetrug nicht gefallen lassen wollte. Angeführt wurde das Ganze von einem der rivalisierenden Flügel aus der etablierten Elite.

Auf die Revolutionen in Serbien (2000), in Georgien (2003) und in der Ukraine (2004) folgte im Frühjahr 2005 die „Tulpenrevolution“. Diese brachte in der zentralasiatischen Republik Kirgisien den ersten der in Zentralasien seit Sowjetzeiten amtierenden Machthaber zu Fall. Hier hat das offizielle Endergebnis der Parlamentswahlen die Menschen so aufgebracht, dass sie auf die Straße und im Süden des Landes, in Dschalalabad und Osch, vor die Polizeiwachen und Amtsgebäude zogen. Schon am zweiten Tag der Proteste stürmten Demonstranten in der Hauptstadt Bischkek den Präsidentenpalast. Präsident Askar Akajew floh ins Ausland.

In allen postsowjetischen Republiken geht es um das immer gleiche Problem: Die alten Führer wollen die Macht nicht abgeben, lieber lassen sie einen Wahlbetrug organisieren. Aber die Wähler wollen den Wandel, und wenn der nicht mit Hilfe der Stimmzettel gelingt, dann gehen sie eben auf die Straße.

Die Ähnlichkeiten der Revolutionen, ihr zeitlicher Ablauf und die Symbole, die sie voneinander übernehmen, legen den Eindruck nahe, es gebe hier so etwas wie eine kontinuierliche Entwicklung. Und tatsächlich sind weitere „farbige“ Revolutionen durchaus möglich. So könnten auch die im November bevorstehenden Parlamentswahlen in Aserbaidschan eine Mobilisierung des Volkes und andere Unwägbarkeiten mit sich bringen. Dasselbe gilt für die Präsidentschaftswahlen in Kasachstan im Dezember.

Schwacher Staat und starke Netzwerke

Die letzten Revolutionen haben nicht nur korrupte und unbeliebte Regierungen wie die in Serbien und Georgien geschasst. Sie haben auch eine neue politische Wirklichkeit geschaffen, mit der sich nun auch die letzten autoritären Regime Osteuropas und Zentralasiens konfrontiert sehen. Derartige „farbige“ Revolutionen, die in der Regel nicht gewaltsam verlaufen, können sich nur in schwachen Staaten ereignen, etwa in Ländern, in denen das Staatsoberhaupt keinen Rückhalt mehr im Volk hat, durch ständige Korruptionsskandale gebeutelt ist und die Loyalität weiter Teile des Staatsapparats eingebüßt hat. Unter solchen Bedingungen konnten die Herrscher die bestehende Ordnung und die Stabilität ihrer Regime nicht mehr aufrechterhalten.

Eine weitere Bedingung war, dass in diesen Ländern oppositionelle Gruppen nicht nur existierten, sondern auch über politische Ressourcen verfügten. In Serbien und Georgien hatten die Oppositionsparteien viele Anhänger, sie konnten offen agieren und hatten bereits Erfahrungen gesammelt, wie man Demonstrationen mit tausenden von Menschen organisiert. Zudem gab es nicht der Kontrolle unterworfene Massenmedien, die ihre eigenen Nachrichten und Perspektiven verbreiten konnten. Die bestehenden Organisationen konnten die Menschen mobilisieren und zugleich über ihre Netzwerke mit gleichgesinnten Kräften im Ausland zusammenarbeiten. All das erklärt auch, warum es zu einer solchen farbigen Revolution etwa in Weißrussland oder in Turkmenistan noch nicht gekommen ist – dort agiert der Staat repressiver, und die Opposition ist schwach und zersplittert.

Schewardnadse in Georgien, Kutschma/Janukowitsch in der Ukraine und Akajew in Kirgisien, sie alle standen vor derselben Situation: Sie waren unpopulär, der Staatsapparat war schwach und demoralisiert, ihre wichtigsten Verbündeten waren auf dem Absprung, und vor den Toren ihrer Paläste demonstrierten die Massen und forderten ihre Ablösung. Keiner der Staatsführer gab der Polizei oder der Armee den Befehl, auf die Demonstranten zu schießen, und alle verzichteten nach Verhandlungen mit den Führern der Oppositionsbewegung auf ihre Machtpositionen. So kam es zu einem unblutigen, gewaltfreien Regimewechsel.

Wer aber sind diese revolutionären Führer? Auch hier fallen Ähnlichkeiten ins Auge. In Georgien hat Michail Saakaschwili, der ehemalige Justizminister in der Regierung Schewardnadse, die Massendemonstrationen angeführt. Seine Verbündeten waren der ehemalige Parlamentspräsident Surab Schwania1 und der damalige Parlamentspräsident Nino Burdschanadse. Diese drei Männer bildeten die Führung des reformistischen Flügels von Schewardnadses „Zivilem Forum“, die sich irgendwann enttäuscht von der Politik ihres Parteiführers abgewandt hatte.

In der Ukraine war Wiktor Juschtschenko Ministerpräsident unter Präsident Kutschma gewesen. Julia Timoschenko hatte als stellvertretende Ministerpräsidentin den lukrativen Energiesektor beaufsichtigt, sich dann aber in kürzester Zeit von einer Führungsfigur des Kutschma-Regimes in die Anführerin der orangenen Revolution gewandelt. Und auch Kurmanbek Bakijew in Kirigisien hatte als Ministerpräsident unter Präsident Akajew gedient. Politiker aus der zweiten Reihe und einige nicht mehr ganz junge Mitglieder der Nomenklatura liefen hier ebenso zur Opposition über, als die Reformen ins Stocken gerieten und es mit der Privatisierungswelle zur Korrumpierung des Regimes kam. Andere fielen den Winkelzügen Akajews zum Opfer wie Bakijew selbst, der gefeuert wurde, als Regierungstruppen das Feuer auf Demonstranten eröffnet hatten.

Als diese ehemaligen Führungsfiguren zur Opposition stießen, begriffen sie schnell, dass der legale Weg an die Macht durch das Regime blockiert war, dass die Wahlergebnisse gefälscht wurden und dass somit als Alternative nur die Mobilisierung der Massen blieb.

Dass diese Revolutionen gewaltlos verlaufen sind, hat die Länder vor Bürgerkrieg und drohendem Zerfall bewahrt. In Georgien war es bereits innerhalb der ersten Monate nach der Unabhängigkeit zweimal zu Bürgerkriegen gekommen: Im Januar 1992 hatte eine breite politische Koalition den ersten frei gewählten Präsidenten Swiad Gamsachurdia aus dem Amt vertrieben, woraufhin seine in den Westen des Landes geflüchteten Anhänger versucht hatten, die Hauptstadt Tiflis zurückzuerobern. In der Ukraine gab es eine ähnliche Gefahr, als parallel zur Mobilisierung des Juschtschenko-Lagers in Kiew und im Westen des Landes die Gegenkräfte im russischsprachigen Osten damit drohten, das riesige, fragile Staatsgebilde auseinander zu reißen. Und auch in Kirgisien könnte die Aufstandsbewegung, die von einem Politiker aus dem Süden angeführt wird und sich gegen einen Präsidenten aus dem Norden richtet, die Nord-Süd-Kluft innerhalb des Landes weiter vertiefen und die Aufteilung der Stammesgebiete noch komplizierter gestalten. Damit könnte Kirgisien am Ende in seiner Existenz gefährdet sein.

Vasgen Manukian sieht alle postsowjetischen Länder „im Stadium einer zweiten Welle revolutionärer Veränderungen“. Manukian sollte es wissen, denn er war einer der führenden Köpfe der armenischen Nationalbewegung, die zu den ersten Massenbewegungen der alten Sowjetunion zählte. Nach der Unabhängigkeit Armeniens war er der erste Ministerpräsident gewesen, danach ging er in die Opposition. Und nach der aus Oppositionssicht gefälschten Präsidentschaftswahl von 1996 stand er an der Spitze der vielen tausend Demonstranten, die das Parlamentsgebäude besetzten. Doch die friedliche armenische Revolution ist damals gescheitert, weil die bewaffneten Streitkräfte eingriffen. Manukian zweifelt nicht daran, dass sich auch in seinem Land das Volk für den politischen Wandel einsetzen würde, um die alten Machthaber loszuwerden, die das umfassende und von Korruption gekennzeichnete Privatisierungsprogramm durchgezogen hatten.

Aus dem frei verfügbaren ideologischen Werkzeugkasten

Für Manukian gibt es eine Koalition von vier Kräften, die den Wandel vorantreiben: die auf Demokratie setzenden Parteien, die reformerischen Kräfte innerhalb des Staatsapparats, die an rechtsstaatlichen Verhältnissen interessierten Unternehmerkreise sowie eine breite Bewegung innerhalb der Jugend.

Wie stark ähneln diese „farbigen“ Revolutionen der klassischen Vorstellung, die durch die Französische Revolution von 1789 und die Russische von 1917 geprägt wurde? André Liebich, Professor für Internationale Geschichte und Politik am Graduate Institute of International Studies in Genf, bewertet die jüngsten Ereignisse in den GUS-Staaten als Nachbeben der Revolutionen zwischen 1989 und 1991: „Am treffendsten ist der historische Vergleich noch mit der Welle von Revolutionen des Jahres 1830 in Frankreich, Belgien, Polen und Italien. Hier gibt es insofern eine Parallele zwischen 1830 und heute, als etwa 15 Jahre nach dem großen politischen Beben ein kleineres erfolgt, das eine Art Anpassungsprozess einleitet – also nicht etwa eine abschließende Transformation, sondern nur eine weitere Korrektur der politischen Ordnung.“ Die jüngsten Revolutionen brachten ebenso wie die von 1989 keine neuen Ideen, meint Liebich: „All diese Revolutionen haben sich aus dem frei verfügbaren ideologischen Werkzeugkasten bedient.“ Gerechtfertigt würden diese Revolutionen einfach damit, dass die Regime endlich „ihre eigenen rhetorischen Versprechen erfüllen“ müssten. Es gehe also nicht darum, die bestehende Staatsordnung durch eine andere zu ersetzen.

In Russland, Europa und den USA haben sich die Medien bislang kaum mit dem Charakter dieser Revolutionen beschäftigt bzw. mit den realen Gegebenheiten, die einen gewaltlosen Wandel ermöglicht haben. Für sie stand vielmehr die Frage im Vordergrund, welche Rolle ausländische Kräfte gespielt und wie die geopolitischen Gewichte sich seitdem verschoben haben. Dabei ging es vornehmlich – zumal in Russland und Frankreich – um die Rolle Washingtons, die viele als entscheidende Initialzündung für diese revolutionären Prozesse betrachten. Ganz ähnlich sehen es viele Journalisten in den USA, die Präsident Bushs Strategie als großen Erfolg feiern, weil sie im Nahen Osten und anderswo demokratische Verhältnisse durchsetzen könne.2

Nun lässt sich kaum beurteilen, wie stark die Betonung der großen „demokratischen Mission“ die US-Außenpolitik tatsächlich geprägt hat. Andererseits ist klar, dass die Länder des Nahen Ostens und die postsowjetischen Republiken so unterschiedliche Probleme sowie soziale und politische Strukturen haben, dass jeder Versuch, die politische Entwicklung in den beiden Regionen auf einen Nenner zu bringen, nichts als Propaganda ist.

Darüber hinaus sind inzwischen in all diesen Transformationsländern viele neue und einflussreiche Nichtregierungsorganisationen entstanden. Sie werden zumeist von internationalen Geldgebern finanziert und sollen sich für freie Marktwirtschaft und demokratische Verhältnisse einsetzen. Inzwischen wird jedoch Kritik an der Relevanz der langfristigen Ziele laut. Viele Beobachter fragen sich auch, ob es richtig ist, den NGOs ein effizientes Arbeiten abzuverlangen, wie man es von kommerziellen Unternehmen kennt.3 Die politischen Entwicklungen in Georgien und in der Ukraine haben die wachsende Kritik an den vom Westen geförderten Veränderungsprozessen in der eurasischen Region verstummen lassen. Und das Image der NGOs begann sich zu verändern. Diese gelten heute nicht mehr als isolierte, vom Westen abhängige Subkultur innerhalb ihrer eigenen Gesellschaften, sondern als ein Instrument des revolutionären Wandels. Zuweilen werden sie sogar als „demokratische internationale Brigaden“ bezeichnet und etwa wie folgt charakterisiert: „Diese Revolutionäre besitzen ein einzigartiges Know-how, um die Despoten des Ostens zu stürzen: eine subtile Mischung aus gewaltloser Strategie, Marketing und Fundraising.“4 Andere beschreiben die NGOs als ein Mischprodukt aus der neuen Dissidentenkultur des Ostens und der Konsumkultur des Westens.

Bewunderung wie Verunglimpfung dieser NGOs nehmen inzwischen fantastische Dimensionen an. So erklärte der Chef des russischen Geheimdienstes FSB, Nikolai Patruschew, die ausländischen NGOs seien Tarnorganisationen von Agenten, die auf die Revolution in Weißrussland und anderen GUS-Staaten hinarbeiteten.5 Folglich wird ihre Arbeit von den Regierungen der GUS-Staaten immer stärker behindert.

Kmara, Pora und das Geld aus Washington

Es stimmt, dass beispielsweise das Open Society Institute (eine Soros-Stiftung) oder das National Democratic Institute die Aktivitäten von Jugendbewegungen wie Kmara in Georgien und Pora in der Ukraine6 finanziell unterstützen. Doch diese Gruppen spielten in den politischen Entwicklungen eine zweitrangige Rolle. Entscheidend waren die gut organisierten Oppositionsparteien, die innerhalb des Staatsapparats selbst Unterstützung fanden. Ohne diese Parteien wäre die Ablösung der Regierung nicht so glatt und gewaltlos über die Bühne gegangen.

Der Erfolg dieser Revolutionen lässt sich – zum Teil jedenfalls – durch die strategischen Interessen der USA, die Gelder aus Washington und den Beitrag der amerikanisch ausgebildeten Aktivisten erklären. In der Tat zeigt sich am politischen Wandel in Georgien und der Ukraine ein wachsender Einfluss der USA, während der Einfluss Moskaus in seinem „nahen Ausland“ seit sowjetischen Zeiten deutlich zurückgegangen ist. Die jüngsten Versuche des Kreml, die Wahlen in Georgien und in der Ukraine zu beeinflussen, haben das erneut belegt. Doch auch hier sollte die geopolitische Dimension nicht überschätzt werden, denn langfristig betrachtet, handelt es sich eher um eine graduelle Korrektur als um einen radikalen Wandel. Georgien bezieht seit 1997 Militärhilfe von den USA und hat schon 2001, noch unter Schewardnadse, US-Experten ins Land geholt, um bei der Umstrukturierung der Streitkräfte mitzuwirken. Desgleichen hat die Ukraine noch unter Präsident Kutschma Soldaten in den Irak entsandt, die unter Juschtschenko wieder zurückgeholt wurden. Und der neue Präsident plante noch vor kurzem, eine Pipeline für die Einfuhr von iranischem Erdgas zu bauen. Auch dieses Vorhaben, das weder Moskau noch Washington gefallen konnte – und dann auch aufgegeben werden musste – ist ein Ausdruck der geostrategischen Realitäten.

So hoch die „farbigen“ Revolutionen die Fahne der Demokratie zunächst auch halten mögen, sie bringen nicht automatisch mehr Demokratie und mehr „Freiheit“ für die Bürger. In Georgien fällt die Bilanz zwei Jahre nach dem Antritt der neuen Regierung alles andere als positiv aus. Zur Rosenrevolution kam es, als die Opposition die Ergebnisse der Parlamentswahlen anzweifelte, was dann zum Sturz des Präsidenten führte.7 Zwei Monate danach wurde Michail Saakaschwili mit 96 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt. Und in den anschließenden Parlamentswahlen eroberte seine Partei 135 von 150 Sitzen – womit das nachrevolutionäre Georgien wieder zu einem Einparteienstaat wurde.

Heute klagen Menschenrechtsorganisationen, dass in den Polizeigefängnissen nach wie vor gefoltert wird,8 und Journalisten lasten der neuen Regierung an, dass die Unabhängigkeit der Medien und die Medienvielfalt eingeschränkt wurden. Besonders heftig kritisiert werden die Methoden im Kampf gegen die Korruption ehemaliger Regierungsvertreter. So wurden einige ehemalige Amtsinhaber und der alten Regierung nahe stehende Geschäftsleute verhaftet und der Korruption bezichtigt, dann aber nach Zahlung größerer Summen wieder freigelassen. Das Geld floss in den Staatshaushalt. Wichtige Erfolge hat die Rosenrevolution erzielt, indem sie die korrupte Verkehrspolizei reformiert und die Steuereinnahmen erhöht hat. Außerdem verpflichtete sich Moskau auf einen Zeitplan für den Rückzug aus den beiden verbliebenen exsowjetischen Militärstützpunkten, die bis 2008 an Georgien zurückgegeben werden.

Der spektakulärste Erfolg aber gelang in der Adscharien-Frage: Die autonome Republik geriet samt der reichen Hafenstadt Batumi wieder unter das Regiment der georgischen Zentralregierung, und der auf Unabhängigkeit bedachte adscharische Führer Aslan Abaschidse wurde abgesetzt. Gescheitert ist dagegen der Versuch, das abtrünnige Südossetien gewaltsam unter Kontrolle zu bringen. Zusammenfassend könnte man sagen, dass die Rosenrevolution in Georgien eher zur Stärkung des Staats als zum Aufbau eines demokratischen Systems geführt hat.

Die Revolution in der Ukraine dagegen gab dem Volk die Chance, ein korruptes Regime abzuwählen. Und sie hat das negative Image der Ukraine im Ausland korrigiert und das Thema Ukraine auf die europäische Tagesordnung gesetzt. Viel mehr kann die neunmonatige Revolution allerdings nicht vorweisen.

Inzwischen ist auch die neue Führung in Korruptionsskandale verstrickt – fatal für die Begeisterung der Menschen, die bislang vergeblich auf die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen warten. Der Korruptionsverdacht, der innerhalb der Regierung entbrannte Machtkampf und die Auseinandersetzungen um die Kontrolle des Energiesektors haben schließlich dazu geführt, dass Präsident Juschtschenko am 8. September Ministerpräsidentin Julia Timoschenko und ihr Kabinett entließ. Ob es ihm auf längere Sicht gelingt, die Zügel wieder selbst in die Hand zu nehmen, wird sich erst bei den Parlamentswahlen im März 2006 herausstellen.

Für Ronald Suny, Historiker und Experte für die exsowjetischen Länder an der Universität Chicago, steht ohnehin fest, dass es sich bei den farbigen Revolutionen keineswegs um revolutionäre gesellschaftliche Prozesse handelt, sondern um Umbrüche innerhalb des politischen Systems. Für Georgien und die Ukraine ist deshalb nicht viel mehr zu erhoffen als eine Zukunft, in der demokratische Wahlen zuverlässig und geordnet ablaufen und in der nicht jeder Wechsel an der Staatsspitze wieder eine neue Revolution nötig macht.

Fußnoten: 1 Nach der Revolution wurde Schwania Ministerpräsident und damit zum zweiten Mann im Staat. Er starb im Februar 2005 an einer Gasvergiftung, die nach dem offiziellen Untersuchungsbericht auf einen Unfall zurückzuführen war. 2 Zur „Zedernrevolution“ im Libanon siehe Alain Gresh, „Libanons Demokratie ohne Demokraten“, Le Monde diplomatique, Juni 2005. Zu den Schwierigkeiten, die arabische Welt zu demokratisieren, siehe Gilbert Achcar, „Ein Schwarzes Loch. Über die Bürgerrechte in der arabischen Welt“, Le Monde diplomatique, Juli 2005. 3 Siehe dazu: Thomas Carothers, „The End of the Transition Paradigm“, in: Journal of Democracy, Januar 2002; Alexander Cooley und James Ron, „The NGO Scramle“, in: International Security, Sommer 2002. 4 Vincent Jauvret, „Les Faiseurs de révolution“, Le Nouvel Observateur, 25. Mai 2005. 5 Siehe Simon Saradzhyan und Carl Schreck, „FSB Chief: NGOs a Cover for Spying“, Moscow Times, 13. Mai 2005. 6 „Kmara“ bedeutet auf Georgisch „Es reicht“, das ukranische Wort „Pora“ bedeutet „Es ist Zeit“. Entsprechend nennt sich eine ägyptische Bewegung „Kifaya“, was ebenfalls „Genug“ bedeutet. 7 Das gilt auch für Kirgisien, wo im März 2005 ebenfalls Parlamentswahlen anstanden. Nur in der Ukraine vollzog sich die Revolution im Kontext von Präsidentschaftswahlen. 8 Siehe „Torture Still Goes Unpunished“, Human Rights Watch, 13. April 2005. Aus dem Englischen von Niels Kadritzke Vicken Cheterian ist Journalist und Projektleiter von Cimera, einer NGO in Genf, die in der Kaukasusregion, in Zentralasien und auf dem Balkan für die Weiterbildung von Journalisten tätig ist.

Le Monde diplomatique vom 14.10.2005, von Vicken Cheterian