07.07.2016

Die US-Justiz, das große Geld und der Wahlkampf

zurück

Die US-Justiz, das große Geld und der Wahlkampf

von Anne Deysine

Sunah Choi, Wechselrahmen II, 2015, Stahl, digitale Drucke, 96 x 156 x 6 cm
Audio: Artikel vorlesen lassen

Der gegenwärtige Präsidentschaftswahlkampf ist ganz sicher der teuerste in der Geschichte der USA. Schon seit den 1970er Jahren steigen die Ausgaben für Wahlkampagnen auf immer neue Rekordhöhen, aber in den letzten Jahren hat sich diese Entwicklung noch beschleunigt.

2008 summierten sich die Kosten für sämtliche Wahlen – Präsidentschaft, Kongress und Senat sowie in den Kommunen – auf 5,3 Milliarden Dollar (4,7 Milliarden Euro). Das bedeutete gegenüber 2004 eine Steigerung um 27 Prozent.1 Der Kandidat Barack Obama gab davon allein 730 Millionen Dollar aus, doppelt so viel wie George W. Bush vier Jahre zuvor und 260-mal so viel wie Abraham Lincoln 1860.2 Im Jahr 2012 stieg die Gesamtsumme auf über 6,3 Milliarden Dollar, 2,6 Milliarden entfielen auf die beiden Kandidaten für das Präsidentenamt.

Für dieses Wahljahr gibt es erste Schätzungen, die von mehr als 5 Mil­liar­den Dollar allein für das Rennen um den Einzug ins Weiße Haus ausgehen.3 Diese Summen kommen durch eine Form der Wahlkampffinanzierung zusammen, die es natürlichen wie juristischen Personen (also Vereinigungen und auch Unternehmen) erlaubt, ihren bevorzugten Kandidaten großzügig zu unterstützen. Der Kongress hat mehrfach versucht, dieses seit einem Jahrhundert kritisierte System zu verändern, aber die von ihm verabschiedeten gesetzlichen Regelungen wurden anschließend jedes Mal vom Supreme Court verwässert oder ganz ausgehebelt.

Schon Präsident Theodore Roosevelt hatte 1902 in einer Rede zum Thema „Die Kontrolle der Unternehmen“ vor einem übermäßigen Einfluss großer Vermögen auf die US-amerikanische Politik gewarnt. Dennoch hatte er zwei Jahre später keine Skrupel, seine Wiederwahl durch Spenden von Eisenbahngesellschaften, Versicherungen und großen Banken fördern zu lassen. Das löste begreiflicherweise Empörung aus, woraufhin Roosevelt am 5. Dezember 1905 erklärte: „Den Unternehmen sollte es nicht erlaubt sein, Wahlkämpfe finanziell zu unterstützen; die bundesstaatlichen Wahlen sollten staatlich finanziert werden.“ Die Folge war der Tillman Act von 1907, der Unternehmen eine direkte Wahlkampffinanzierung untersagte.

In weiteren Gesetzen von 1910 und 1925 wurden für Wahlkampfspenden und -ausgaben in Wahlkämpfen auf Bundesebene Obergrenzen festgelegt. Aber da es keine unabhängige Institution gab, die die Einhaltung dieser Grenzen überwachte, stand diese Regelung eigentlich nur auf dem Papier. Die Unternehmen gründeten politische Aktionskomitees (PAC), um den Tillman Act zu umgehen, und trugen ihren Angestellten, auf, in solchen PACs Beiträge für bestimmte Kandidaten zu leisten.

Seit dem Federal Election Campaign Act (Feca) von 1971 (der 1974 novelliert wurde) kommen lediglich Kandidaten für die Präsidentschaftswahl in den Genuss staatlicher Wahlkampfgelder. Aber schon 1976 hat der Supreme Court diese Regelung wieder unterminiert, als er im Urteil zum Prozess Buckley versus Valeo das Prinzip der staatlichen Wahlkampffinanzierung zwar bestätigte, die vom Gesetz gezogenen Obergrenzen aber ablehnte: Nach Ansicht der Richter bedeuteten solche Grenzen einen Verstoß gegen die im ersten Zusatzartikel der Verfassung der Vereinigten Staaten garantierte Meinungsfreiheit.

Seit dieser Entscheidung müssen sich nur diejenigen Kandidaten an die Obergrenzen halten, die staatliche Wahlkampfunterstützung annehmen; alle anderen dürfen so viel ausgeben, wie sie wollen. Das hatte zur Folge, dass die Bewerber um das Präsidentenamt zunehmend auf staatliche Gelder verzichteten.

George W. Bush zum Beispiel nahm 2004 bei den Vorwahlen für die repu­bli­kanische Kandidatur keine staatliche Unterstützung an, um bei seinen Wahlkampfausgaben nicht an die Obergrenze von 37 Millionen Dollar gebunden zu sein. Aber wie sein Kontrahent John Kerry akzeptierte er staatliche Gelder für den Präsidentschaftswahlkampf (74 Millionen Dollar) und damit auch die Obergrenze für seine gesamten Ausgaben.

Staatliche Gelder unerwünscht

Auf staatliche Unterstützung für den Präsidentschaftswahlkampf hat erstmals Barack Obama bei seiner Kandidatur 2008 verzichtet, und zwar entgegen seiner Aussagen bei den Vorwahlen. Damit konnte er so viel ausgeben, wie er bekommen konnte. Seine Entscheidung bedeutete das Ende der staatlichen Kampagnenfinanzierung; kein Kandidat hat sie seither noch in Anspruch genommen.

Die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen durch den Supreme Court ist praktisch eine „Deregulierung durch Rechtsstreit“: Die wenigen Schranken, die der Kongress aufgerichtet hat, werden wieder niedergerissen. Ein Beispiel: Der 2002 verabschiedete Bipartisan Campaign Reform Act (oder McCain-Feingold Act) sollte den Einsatz von soft money beschränken. So nennt man die Gelder, die nicht unter das Wahlkampffinanzierungsgesetz fallen, für die also keine Obergrenzen gelten, weil sie nicht direkt an einen Kandidaten fließen. Die Wirkung dieser Bestimmung wurde erstmals 2003 durch die Entscheidung im Klageverfahren des konservativen Senators Mc­Con­nell eingeschränkt und später vor allem 2010 durch das Urteil im Verfahren Citizens United.

Der Richterspruch entschied einen Streit zwischen der US-Behörde für Wahlkampffinanzierung (FEC) und der konservativen Vereinigung ­Citizens United, die das Recht forderte, im Kabelfernsehen einen kritischen Spot über Hillary Clinton zu schalten. Am 21. Januar 2010 entschied der Supreme Court mit fünf gegen vier Stimmen, das Prinzip der Meinungsfreiheit verleihe juristischen Personen das gleiche Recht wie natürlichen Personen, ihre Ansichten zum Ausdruck zu bringen.4 Mit anderen Worten: Vereinigungen, Gewerkschaften und Privatunternehmen dürfen künftig in unbegrenzter Höhe Geld ausgeben, um Wahlwerbung zu produzieren und zu verbreiten.

Damit waren alle Barrieren für die direkte Finanzierung von Kandidaten durch Unternehmen beseitigt und die Obergrenzen für private Spenden zu Fall gebracht. Übrig blieb nur eine allerletzte Schranke: Die Zuwendungen der PACs dürfen nicht direkt an einen Kandidaten fließen, sondern nur indirekt über Strukturen, die vom Wahlkampf des Kandidaten unabhängig sind (die sogenannten Super-PACs). Darüber hinaus gibt es Mechanismen, die garantieren sollen, dass die Höhe der Zahlungen offengelegt werden.

Dieses Urteil wahrte zwar den Buchstaben, aber ganz bestimmt nicht den Geist des Gesetzes. An der Spitze der Super-PACs stehen häufig enge Freunde oder ehemalige Mitarbeiter des Kandidaten; ihre Unabhängigkeit ist also reine Fiktion. Bei der Gruppe Right to Rise USA, die bei den republikanischen Vorwahlen 2016 das Geld für Jeb Bush einsammelte, hatte Mike Murphy das Sagen, der früher Wahlkampfberater von John McCain und Mitt Romney war, also zwei früheren republikanischen Bewerbern um das Präsidentenamt.

Bei den Demokraten wird der Super-PAC Priorities USA Action, der Hillary Clinton unterstützt, von Guy Cecil geführt, der 2008 ihr Wahlkampfleiter war.5 Auch die Regeln für die Offenlegung der Gelder wurden bereits im März 2010 wieder aufgeweicht, als das Berufungsgericht des District of Columbia zahlreiche Ausnahmen vom Gebot der Transparenz zuließ.6

Abgeordnete kaufen

Die Entscheidung im Citizens-United-Verfahren wurde seit Beginn der Primaries für die aktuellen Präsidentschaftswahlen massiv kritisiert. So bezeichnet etwa Donald Trump, der vor allem Wähler mobilisieren will, die sich als Feinde des Establishments sehen, die Kongressabgeordneten als „Marionetten im Sold von Lobbys und Interessengruppen“.7 Als Beweis führt er an, dass er selbst häufig Abgeordnete mit Wahlkampfspenden gekauft habe: „Ich spende allen. Sie brauchen mich nur anzurufen, und ich gebe ihnen Geld. Und wissen Sie, wenn ich zwei oder drei Jahre später etwas will, rufe ich sie an, und sie haben mich nicht vergessen. Es ist wirklich ein verrottetes System.“8

Trump prangert also Methoden an, die er selbst viele Jahre praktiziert hat. Wobei er nun behauptet, er selbst sei dank seines eigenen Riesenvermögens vor solcher Einflussnahme geschützt.

Bernie Sanders geißelt seit Beginn seiner politischen Karriere den Einfluss des Geldes auf die US-amerikanische Politik, wobei auch er auf das Urteil im Fall Citizens United verweist. Die Entscheidung zugunsten dieser republikanischen Lobbygruppe wertet er als Beleg für einen Zusammenhang zwischen der wachsenden Ungleichheit in den USA und der Art der Wahlkampffinanzierung: Weil die Kongressabgeordneten von der Wall Street und von Interessengruppen finanziert wären, würden sie Gesetze zugunsten der Superreichen und der Unternehmen verabschieden.

Genauer erläutert Sanders seine Einschätzung auf seiner Wahlkampf-Website: „Vor sechs Jahren hat der oberste Gerichtshof mit der Entscheidung im Fall Citizens United den Reichen dieses Landes gesagt: ,Ihr besitzt bereits den größten Teil der amerikanischen Wirtschaft. Jetzt geben wir euch die Möglichkeit, die Bundesregierung zu kaufen, das Weiße Haus, den Senat, die Gouverneurssitze, die Gesetzgeber der Bundesstaaten und die juristische Gewalt in den Bundesstaaten, wo die Richter gewählt werden.“9

Für den Fall seiner Wahl hat sich der Sozialist Sanders verpflichtet, solche Richter für den Supreme Court zu ernennen, „deren Priorität es sein wird, die Entscheidung über Citizens United rückgängig zu machen, und die begreifen, dass politische Korruption nicht nur dann vorliegt, wenn Geld gegen eine Dienstleistung getauscht wird“.

Sanders schlägt zudem einen neuen Verfassungszusatz vor, in dem die Kompetenzen des Kongresses und der Bundesstaaten bei der Regelung der Wahlkampffinanzierung festgelegt werden. Doch eine solche Reform erscheint derzeit angesichts der Polarisierung im Kongress so gut wie unmöglich, weil sich die für eine Verfassungsänderung erforderlichen Mehrheiten (zwei Drittel der Stimmen in beiden Häusern und drei Viertel der Bundesstaaten) nicht finden würden.

Paradoxerweise hat die Entscheidung im Verfahren Citizens United für den laufenden Wahlkampf kaum irgendwelche Folgen. Nach Angaben der FEC hat Donald Trump bis zum 21. April 2016 „nur“ 48,3 Millionen Dollar eingesammelt – wovon 36 Millionen aus seinem persönlichen Vermögen stammen sollen – und wird von keinem Super-PAC unterstützt.10 Dennoch hat er Jeb Bush, dessen Schatztruhe mit 150 Millionen Dollar gefüllt war, in den Vorwahlen klar abgehängt.

Bernie Sanders konnte insgesamt 200 Millionen Dollar aufbringen, die vor allem aus kleineren Spenden von über 2 Millionen Einzelpersonen stammen. Seine Konkurrentin Hillary Clinton (280 Millionen Dollar) nutzte dagegen alle verfügbaren Mittel einschließlich zweier Super-PACs, außerdem „un­an­ständige“ Initiativen, wie der Schauspieler George Clooney ein Fundraising-Dinner nannte, das er für die demokratische Kandidatin organisierte: 350 000 Dollar kostete ein Gedeck für zwei Personen. Was Donald Trump betrifft, so wird er vielleicht doch noch die Spenden eines Super-PAC in Anspruch nehmen, um der Flut negativer Wahlwerbung zu begegnen, die von Clintons Umfeld finanziert wird.

Die Kandidaten für das Präsidentenamt gehen bislang noch relativ sparsam mit ihren Wahlkampfgeldern um. Sehr deutlich zeigen sich die Konsequenzen des Urteils in Sachen Citizens United dagegen bei den Wahlen zu Senat und Repräsentantenhaus und auf kommunaler Ebene. Dabei haben vor Kurzem gewählte Politiker – wie der republikanische Abgeordnete David Jolly aus Florida und der demokratische Abgeordnete Steve Israel aus New York – die massiven Zwänge des Fundraising kritisiert. Sie verweisen auf Stu­dien, die zeigen, dass die Abgeordneten mehr Zeit für das Auftreiben von Geld verwenden als für ihre eigentliche Aufgabe, Gesetze zu machen. Nach David Jolly besteht „die Arbeit als neues Mitglied des Kongresses darin, 18 000 Dollar pro Tag heranzuschaffen“.11

Bei Wahlen auf lokaler Ebene ist „dark money“ – das Geld, das von den Transparenzvorschriften nicht erfasst wird – nach Einschätzung der Politologin Jane Mayer allgegenwärtig. Und wenn es dazu benutzt werde, einen Gegner zu Fall zu bringen, könne es wahlentscheidend sein.12 Bestätigen können das die Brüder Koch. Die beiden einflussreichen stramm rechten Milliardäre wollen bei den Wahlen des Jahres 2016 für ihre Kandidaten 900 Millionen Dollar springen lassen.

1 Jeanne Cummings, „2008 campaign costliest in US history“, 5. November 2008, www.politico.com.

2 Umgerechnet in Dollars von 2011. Vgl. Dave Gilson, „The crazy cost of becoming president, from Lincoln to Obama“, Mother Jones, San Francisco, 20. Februar 2012.

3 Amie Parnes und Kevin Cirilli, „The $5 billion presidential campaign?“, The Hill, Washington, D. C., 21. Januar 2015.

4 Siehe dazu Robert W. McChesney und John Nichols, „Aux États-Unis, médias, pouvoir et argent achèvent leur fusion“, Le Monde diplomatique, August 2011.

5 David Sirota und Andrew Perez, „Hillary Clinton says she does not coordinate with Super-PAC she reportedly raised money for“, 12. Februar 2016, www.ib­times.com.

6 Urteil im Verfahren Speech Now.org gegen die Federal Election Commission, 26. März 2010.

7 Jill Ornitz und Ryan Struyk, „Donald Trump’s surprisingly honest lessons about big money in politics“, ABC News, 11. August 2015.

8 Zitiert in Andrew C. McCarthy, „The ,anti-establishment‘ candidate boasts his history of bribing politi­cians“, The National Review, New York, 25. Januar 2016.

9 „Getting big money out of politics and restoring democracy“, www.berniesanders.com.

10 Der FEC müssen alle drei Monate Berichte über Spenden und Ausgaben vorgelegt werden; zuletzt am 21. April.

11 Zitiert in Norah O’Donnell, „Are members of Congress becoming telemarketers?“, CBS News, 24. April 2016.

12 Jane Mayer, „Dark Money. The Hidden History of the Billionaires Behind the Rise of the Radical Right“, New York (Doubleday) 2016.

Aus dem Französischen von Ursel Schäfer

Anne Deysine ist Professorin für Rechtswissenschaften an der Universität Paris Ouest Nanterre La Dé­fense und die Autorin von „La Cour suprême des États-Unis. Droit, politique et démocratie“, Paris (Dalloz, Reihe „Les sens du droit“) 2015.

Le Monde diplomatique vom 07.07.2016, von Anne Deysine