11.08.2016

Grüner Himmel

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Grüner Himmel

Die Illusion vom ökologischen Fliegen

von Manfred Kriener

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Es war eine lautlose Weltumrundung. Monatelang glitt das Solarflugzeug SI2 über die Erde, man konnte es auf dem Bildschirm verfolgen. Es hat die Ausmaße einer Boeing 747, doch es ist nur 1,6 Tonnen schwer. Auf der Oberseite der riesigen Tragflächen funkeln blaue Solarzellen, die für den elektrischen Antrieb sorgen. Mitte Juli war SI2 in Kairo angekommen, Ende Juli knallten die Sektkorken, als die letzte Etappe nach Abu Dhabi absolviert war.

Die Schweizer Piloten Bertrand Piccard und André Borschberg waren allein mit der Energie der Sonne einmal rund um den Planeten geflogen. Ihre Botschaft: Fliegen kann sauber und geräuschlos sein. Wenn selbst hirnlose Insekten elegant durch die Lüfte schweben, warum sollte dann der Mensch mit seiner Intelligenz, wenn er fliegen will, für alle Zeiten von kerosinfressenden Monstern abhängig sein?

Im 18. Jahrhundert wurde der Traum vom Fliegen mit den ersten Flugapparaten Wirklichkeit. 250 Jahre später droht er zum Albtraum zu werden. Das Flugzeug ist keine glitzernde Sehnsuchtsmaschine mehr, sondern das umweltschädlichste aller Massenverkehrsmittel. Und der weltweite Flugverkehr wächst rasant. Erkauft wird der Zuwachs mit einem hohen Ausstoß von Kohlendioxid, Stickoxid und zu Eiskristallen verwandeltem Wasserdampf, einem brisanten Cocktail, der zum Beispiel in Deutschland nicht für 3 Prozent, wie gern behauptet wird, sondern für 8 Prozent der Klimalast verantwortlich ist.

Besserung scheint nicht in Sicht. Im Gegenteil: Flugzeughersteller und Airlines erwarten ein „robustes“ Wachstum. Im „Current Market Outlook“ rechnet der US-Konzern Boeing für die nächsten 20 Jahre mit 36.770 neu in Dienst gestellten Flugzeugen. Ein Solarsegler ist mit Sicherheit nicht dabei. Und auch wenn einige Tausend ausrangierte Altmaschinen dann aus den Hangars verschwinden: Das zusätzliche Passagier- und Frachtaufkommen ist schwindelerregend.

Der Passagierverkehr wird jedes Jahr um 5 Prozent, der Frachtverkehr um 4,7 Prozent weiterwachsen. Der innerchinesische Luftverkehr, einer der größten Zukunftsmärkte, soll sogar jedes Jahr um 6,6 Prozent zulegen. Er würde damit bis zum Jahr 2033 von heute 480 Milliarden Passagierkilometern auf fast 3000 Milliarden wachsen – eine Versechsfachung.

Wie soll der Planet das verkraften? Der Ausstoß von Treibhausgasen muss bis zur Jahrhundertmitte bekanntlich um 80 Prozent reduziert werden, um die schlimmsten Klimafolgen für die aufgeheizte Erde zu verhindern. Flugzeugbauer und Airlines scheint das nicht anzufechten. Das Wort Klima kommt in dem 43 Seiten umfassenden Lagebericht von Boeing nicht vor. Auch für die Vokabel Emissionen meldet das Suchsystem „null Treffer“.

Stattdessen versprechen die Flugzeugbauer mit großer Geste weitere Effi­zienz­gewinne: Fortschritte bei Aero­dynamik und Flügeldesign, in der Turbinentechnologie, bei den Werkstoffen und in der Entwicklung von Biosprit, dazu der Trend zu größeren Passagierzahlen je Flugzeug – alles zusammen soll den Kraftstoffverbrauch senken.

Tatsächlich ist das Potenzial für effizientere, also sparsamere Flugzeuge, die uns dem „grünen Himmel“ ein Stück näher bringen sollen, nicht zu unterschätzen – von der besonders strömungsgünstigen Haifischhaut bis zu carbonfaserverstärkten, immer leichteren Flugzeugkörpern. Doch die Zeit drängt, und der technische Fortschritt im Flugzeugbau geschieht nur in kleinen evolutionären Schritten. Wirklich relevante Erfolge zu erzielen wird von Jahr zu Jahr aufwendiger und schwieriger. Um etwa 1,5 Prozent, so die Faustregel, kann der Verbrauch der Flugzeuge von Jahr zu Jahr verbessert werden.

Doch dieser mühsam errungene Fortschritt hinkt den Steigerungsraten im Flugverkehr hoffnungslos hinterher: 1,5 Prozent Verbesserung gegenüber 5 Prozent Wachstum. Unterm Strich werden die Effizienzgewinne von den schnell steigenden Passagier- und Frachtzahlen also mehr als aufgefressen, weil ganz einfach immer mehr Flugzeuge am Himmel sind. So wird die Klimabilanz des internationalen Flugverkehrs insgesamt mit jedem weiteren Jahr schlechter.

Natürlich ließe sich auch das Luftraummanagement verbessern. Wenn Umwege durch gesperrte Lufträume vermieden werden, wenn die Maschinen beim Anflug seltener „im Stau stehen“, das heißt keine langen Warteschleifen fliegen müssen, dann kann der Kraftstoffverbrauch von derzeit 3 bis 5 Liter auf 100 Passagierkilometer (je nach Flugzeugtyp, Strecke, Auslastung und so weiter) noch weiter gesenkt werden. Doch das alles wird bei Weitem nicht ausreichen, um die Kli­ma­emissionen des Luftverkehrs auch nur konstant zu halten, geschweige denn zu reduzieren, wie es eigentlich nötig wäre.

Die Zunahme des Flugverkehrs wird hingenommen, als sei sie ein Naturgesetz. Gerade für die junge und mittlere Generation in den westlichen Ländern gehört das Fliegen zu den Selbstverständlichkeiten ihres Lebensstils. Die Welt rückt zusammen, wir besuchen andere Länder und Kontinente, erweitern unseren Horizont, erleben die Freiheit, große Distanzen mit einer Geschwindigkeit von fast 1000 Kilometer pro Stunde zu überwinden. Heute New York, morgen Peking. Und schließlich fliegen wir ja alle, oder?

Nein, tun wir nicht. Man stelle sich nur einmal vor, die zweieinhalb Milliarden Chinesen und Inder würden ähnlich viel fliegen wie Deutsche, Schweizer oder US-Amerikaner. Und statistisch sind selbst für Deutsche Flugreisen immer noch ein seltenes Ereignis mit durchschnittlich maximal einem Flug im Jahr. Eine Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen für den Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft zeigt, dass nur 32 Prozent der SPD-Wähler und nur 36 Prozent der CDU-Wähler in den letzten zwölf Monaten geflogen sind.

Einsame Spitzenreiter in dieser Statistik sind ausgerechnet die Wähler der Grünen mit 49 Prozent. „Bahn predigen, Business fliegen“, lautet der hämische Kommentar in der Presse2 zum Mobilitätsverhalten der Umweltpartei und ihrer Wähler. Die sind jünger, gebildeter und verdienen besser als der Durchschnitt – typische Merkmale, die mit einer häufigen Nutzung des Flugzeugs assoziiert werden. Fehlt den grünen Vielfliegern womöglich das kritische Bewusstsein? Eigentlich nicht. Gerade Grünen-Wähler, auch das zeigt die Umfrage, kennen die Klimafolgen des Flugverkehrs sehr genau, besser als die Wähler der Christ- oder Sozialdemokraten.

Da es die Grünen sind, die so oft ins Flugzeug steigen, war es wohl nur konsequent, dass die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin ein spektakuläres Kooperationsprojekt startete. Partner war ausgerechnet der Flugzeug- und Rüstungskonzern Airbus. Im Juni hielt man eine gemeinsame Pressekonferenz ab: Klimakiller Airbus-Group und Klimaschützer Ralf Fücks, Vorstand der Böll-Stiftung, saßen Seite an Seite und legten eine gemeinsame Broschüre vor. Einige Umweltaktivisten und grüne Politiker gifteten heftig gegen die enge Umarmung mit dem Flugzeugbauer. Der Umweltverband Robin Wood erklärte grundsätzlich: „Wer dem Klima helfen will, soll weniger fliegen, alles andere ist Quark.“

Vielflieger und Vielversprecher

Fücks verteidigt die Liaison: Der Austausch mit der Luftfahrtbranche sei „lohnend“, die fruchtbaren Gespräche hätten gezeigt, dass es „durchaus einen Grundkonsens gibt, wohin die Reise gehen soll“. Fücks will die Trendwende, das Fliegen müsse nachhaltiger werden. Bis 2050 solle der Luftverkehr komplett klimaneutral sein. Auch Airbus-Chef Tom Enders gibt artig seine Versprechen ab: Bis 2050 wolle man die Schadstoffemis­sio­nen um 90 Prozent, den CO2-Ausstoß um 75 Prozent und den Fluglärm um 65 Prozent senken.1

Ein kritischer Experte wie Karl Otto Schallaböck, der fast sein ganzes Wissenschaftlerleben lang beim Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie den Flugverkehr analysiert hat, schüttelt angesichts solcher Prognosen nur den Kopf. Schallaböck glaubt den Versprechen der Branche nicht mehr. Auch der Algenbiosprit, ein neues Lieblingsprojekt von Airbus, tauge nicht zum Klimaretter. Biokraftstoffe könnten die verheerenden Begleiterscheinungen des Flugverkehrs nicht aufheben.

Die wahre Ökobilanz des Flugverkehrs wird oft verschleiert. So wird immer wieder argumentiert, der Flugverkehr sei (in Deutschland) nur für 3 Prozent der Kohlendioxidemissionen verantwortlich. Die Zahl ist nur dann richtig, wenn man ausschließlich das Kohlendioxid einbezieht. Aber man darf die anderen Treibhausgase und -effekte nicht unterschlagen: Allein die nur teilweise sichtbaren Schleier- und Zirruswolken, die aus den Abgasen der Jets entstehen, tragen stärker zur Erwärmung der Erde bei als der gesamte CO2-Ausstoß der Maschinen. Dazu kommen noch Rußpartikel und Stickoxide.

Um zu ermitteln, wie stark der Flugverkehr das Klima belastet, muss der reine CO2-Ausstoß mit dem Faktor 2,7 multipliziert werden – so der geschätzte Näherungswert der Klimawissenschaftler. Damit werden aus relativ harmlos anmutenden 3 Prozent schnell real existierende 8,1. Im globalen Maßstab machen die CO2-Emissionen des Flugverkehrs rund 2 Prozent aus, in Wirklichkeit also 5,4 Prozent. Sollte der Luftverkehr tatsächlich so schnell wachsen wie prognostiziert, könnte er noch vor dem Ende dieses Jahrzehnts die Klimaauswirkungen des Autos übertreffen.

Doch während das Auto – ebenso wie Kraftwerke, Industrieanlagen und Gebäude – Gegenstand der Klimapolitik geworden ist, bleibt das Flugzeug außen vor. Durch die Befreiung von Kerosin- und Mehrwertsteuer wird die Branche seit Jahrzehnten mit Milliardenbeträgen subventioniert.

Warum aber kann gerade der Luftverkehr seiner ökologischen Zähmung immer wieder entkommen? Es sei der viel zitierte „Traum vom Fliegen“, der diesen Mobilitätssektor „emotional so stark aufgeladen hat“, sagt Schallaböck, zudem würden die militärischen Verknüpfungen der Branche unterschätzt, ebenso der traditionell starke Einfluss der Luftfahrtlobby auf die Politik. Schließlich sind viele Airlines aus staatlichen Luftfahrtgesellschaften hervorgegangen.

Tatsächlich gelang es der Branche bis heute, alle Versuche einer wirkungsvollen klimapolitischen und ökologischen Regulierung abzuwürgen und ihre Privilegien zu verteidigen. Auch im Koalitionsvertrag der deutschen Bundesregierung wird ein seltsam unterwürfiger Ton angeschlagen: „Wir werden den Luftverkehrsstandort Deutschland stärken und setzen uns für den Erhalt seiner internationalen Wettbewerbsfähigkeit ein.“ Nachtflugverbote werden trotz der oft unzumutbaren Lärmbelastung für die Anwohner grundsätzlich abgelehnt. Und bei der Einführung ordnungspolitischer Maßnahmen im Luftverkehr wolle man auf „die Folgen für die Mobilität in Deutschland“ achten. Mit anderen Worten: Man will nicht das Klima, sondern das Flugzeug beschützen.

Zu einem besonderen politischen Lehrstück geriet der Versuch der EU, die Fliegerei zum Jahresbeginn 2012 in den Emissionshandel einzubeziehen. Obwohl 80 Prozent der Emis­sionsrechte von vornherein verschenkt wurden und die EU auf die Hälfte der Einnahmen aus Flügen außereuropäischer Airlines verzichten wollte, scheiterte der Vorstoß kläglich, und Brüssel machte einen großen Schritt rückwärts. Auf Druck der USA, Chinas, Russlands und Indiens, die im Ernstfall mit der Verweigerung von Überflugrechten gedroht hatten, war die EU immer weiter zurückgerudert. Jetzt werden nur noch Flüge innerhalb der EU vom Emissionshandel erfasst.

Erst 2020 soll ein neues „marktbasiertes System“ zur internationalen Emissionsbegrenzung in Kraft treten, das von der Zivilluftfahrtorganisation ICAO entwickelt wird. Ziel dieser UN-Organisation ist es, das Wachstum des zivilen Luftverkehrs zu fördern. Dennoch: Ab 2020 soll der Ausstoß der Klimagase im Luftverkehr angeblich nicht weiter steigen. Wie das angesichts steigender Flugzahlen funktionieren soll, vermag niemand zu sagen.

Auch der 2005 in Kraft getretene Klimavertrag von Kioto hat den Luftverkehr weitgehend verschont und die Begrenzung der Treibhausgasemi­ssio­nen der ICAO überantwortet. Schon die bloße Berechnung dieser Emis­sio­nen ist kurios: Den EU-Ländern werden nämlich nur die Emissionen der innerstaatlichen Flüge angelastet, die von Start bis Landung auf beziehungsweise über dem eigenen Territorium herausgeblasen werden. Der internationale Flugverkehr, der weit mehr als 90 Prozent der Emissionen verursacht, wird dagegen nicht einbezogen.

Was bleibt aber, wenn die Lobby­interessen zu mächtig sind und die Politik versagt? Richtig: Flugpassagiere mit grünem Gewissen können versuchen, sich mit einer Ausgleichszahlung an die 2004 gegründeten Organisation Atmosfair aus der Affäre zu ziehen. Bei dieser Klimaschutzorganisation zahlen Flugpassagiere freiwillig eine von den zurückgelegten Flugkilometern abhängige Summe, eine Art Entschädigung, die dazu verwendet wird, Klimaprojekte in Entwicklungsländern auszubauen und auf diese Weise CO2 zu sparen. Wer bei Atmosfair seine Flugdaten zur Berechnung des Klimaablasses eintippt, erhält nicht nur den Kompensationsbetrag angezeigt, sondern auch einige wertvolle Informationen.

Ein Beispiel: Der einfache Flug von Frankfurt am Main nach Montreal im Airbus 350 verursacht für eine Person 3050 Kilogramm CO2, das ist bereits deutlich mehr als das Budget von 2300 Kilogramm, das jedem Erdenbürger im Jahr zusteht. Es entspricht den Emis­sio­nen eines Kühlschranks, der 30 Jahre läuft. Oder einem über 18 Monate gefahrenen Mittelklasseauto. Der Klima­obolus für diesen Flug beträgt milde 70 Euro.

Atmosfair leistet zwar gute Aufklärungsarbeit, doch seine Wirkung ist minimal. Im ganzen Geschäftsjahr 2015 wurden knapp 3 Millionen Euro an Klimaschutzbeiträgen eingenommen. Das ist kein Tropfen, das ist ein Wassermolekül auf den immer heißer werdenden Stein. Freiwillige Kompensationszahlungen können die Misere nicht stoppen. An einer politischen Regulierung und Begrenzung des Luftverkehrs führt letztlich kein Weg vorbei. Irgendwann muss auch die Klimapolitik das Fliegen lernen und die Schwerkraft des einfachen Weitermachens überwinden.

1 www.boell.de/de/2016/06/01/pressemitteilung-air­bus-group-und-heinrich-boell-stiftung-stellen-positionen-zum-gruenen-fliegen-vor.

2­ David Böcking, „Reiseverhalten von Grünen-Wählern“, Spiegel, 12. November 2014.

Manfred Kriener ist Umweltjournalist in Berlin.

© Le Monde diplomatique, Berlin

Le Monde diplomatique vom 11.08.2016, von Manfred Kriener