09.06.2016

Die Obama-Doktrin

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Die Obama-Doktrin

Was die US-Außenpolitik seit 2009 erreicht hat – und was nicht

von Benoît Bréville​

Erwin Wurm, Narrow House, 2010 (Pilane 2015), Mixed Media, 8,80 x 1,10 x 20,30 m Studio Wurm
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Acht Jahre lang konnten die Republikaner Barack Obama und seine Außenpolitik nicht scharf genug kritisieren: „konfus“, „schwach“, „unentschlossen“, „naiv“, „ohne Visionen“, „unerfahren“, ja sogar „feige“ und „verräterisch“. Auch soll der Präsident die Größe und die Glaubwürdigkeit der Vereinigten Staaten verspielt haben, weil er sich weigerte, häufiger Gewalt anzuwenden.

Fast alle republikanischen Kandidaten bei den Vorwahlen für die Präsidentschaftskandidatur hoben bei jeder Gelegenheit hervor, wie sehr Oba­ma die USA gedemütigt habe. Was militärische Interventionen betrifft, hat sich der Ton allerdings gewandelt: Im Dezember 2015 wetterte Ted Cruz gegen die „verrückten Neokonservativen, die in alle Länder des Planeten einmarschieren und unsere Kinder zum Sterben in den Nahen Osten schicken wollen“.1 Auch Donald Trump plant nicht, sich in neue Abenteuer im Nahen Osten zu stürzen. „Wir geben dort Tausende Milliarden Dollar aus, während die Infrastruktur unseres Landes verfällt“, klagte er am 3. März.

Dieser Sinneswandel wird besser verständlich, wenn man die allgemeine Entwicklung der US-Außenpolitik seit 2009 betrachtet. In seiner zweiten Amtszeit wurde Barack Obama vorgeworfen, er betreibe eine Außenpolitik ohne große Leitidee. Anders als die Präsidenten Truman („Eindämmung“ der Sowjetunion), Eisenhower („Domino-Theorie“ und „Rollback“ des Kommunismus), Nixon („Entspannung“ aus einer Position der Stärke), Carter („Menschenrechte“), Reagan (Konfrontation mit dem sowjetischen „Reich des Bösen“) oder auch George W. Bush („Krieg gegen den Terror“) bleibt mit dem Namen Obama keine „historische“ Doktrin verbunden. Seine Außenpolitik stellt sich vielmehr als eine Abfolge bisweilen widersprüchlicher Entscheidungen dar.

2011 machte Obama bei einer Koa­li­tion zum Sturz von Muammar al-Gaddafi in Libyen mit, um sich anschließend nicht mehr um das Land zu kümmern. Er autorisierte gezielte Drohnenangriffe, die nach internationalem wie US-amerikanischem Recht illegal sind. Auf der anderen Seite unternahm er multilaterale diplomatische Initiativen, um ein Abkommen über das iranische Atomprogramm zu erreichen, und traf die mutige Entscheidung, die diplomatischen Beziehungen zu Kuba wieder aufzunehmen.

Jeder Präsident der USA muss unterschiedliche Kräfte und Gruppen berücksichtigen, die seine Außenpolitik beeinflussen wollen: die öffentliche Meinung, die rasch von Isolationismus auf Interventionismus umschwenkt, wenn ein Attentat geschieht oder ein US-Journalist geköpft wird; die Abgeordneten der gegnerischen Partei, die allzu bereit sind, ihm Schwäche vorzuwerfen; seine Berater, Minister und Mitarbeiter; und die Verbündeten der USA, die erwarten, dass Washington ihre Interessen berücksichtigt.

Präsident Obama entscheidet im Gegensatz zu vielen seiner Vorgänger weniger in Kooperation mit Außenminister oder Nationalem Sicherheitsberater, sondern vorwiegend im Kreis seiner engsten Berater, die fast alle um die 50 Jahre alt sind. Benjamin ­Rhodes, Denis McDonough, Mark Lippert haben ihre Karriere also nicht im Kalten Krieg, sondern nach dem 11. September 2001 begonnen und zählen sich zum Lager der Interventionsgegner.

Gewiss hat Obama sehr erfahrene Personen auf diplomatische und militärische Schlüsselpositionen berufen: Robert Gates, Leon Panetta und Chuck Hagel ins Verteidigungsministerium, Hillary Clinton und John Kerry ins Außenministerium, deren Stimmen durchaus Gewicht hatten. So konnte Clinton den Präsidenten 2009 überzeugen, in Honduras den Putsch gegen Manuel Zelaya zu unterstützen. Aber in Krisenzeiten wurden sie nicht immer gehört. Wie Robert Gates in seinen Memoiren schreibt, war Obamas Regierung „die weitaus am stärksten zentralisierte und in puncto nationaler Sicherheit die autoritärste seit Richard Nixon und Henry Kissinger“.2

Die ersten Meinungsverschiedenheiten zwischen Obama und seinem Umfeld tauchten im September 2009 beim Thema Afghanistan auf. Während der Präsident versprochen hatte, diesen Krieg zu beenden, argumentierte General Stanley McChrystal, der Kommandeur der Isaf-Truppen in Afghanistan, für den Sieg sei eine Verstärkung der US-Militärpräsenz auf bis zu 40 000 Soldaten erforderlich.

Drei Monate lang versuchten die Außenministerin, der Verteidigungsminister, der CIA-Direktor, der Nationale Sicherheitsberater und der Chef der nationalen Nachrichtendienste, Obama von McChrystals Forderung zu überzeugen. Doch Obama beharrte, dieser Weg diene nicht dem „nationalen Interesse“ der USA. Er wolle nicht eine Billion Dollar für ein langwieriges „Nation Building“ ausgeben.3

Keine dummen Kriege mehr

Vor die Wahl gestellt, die Truppen abzuziehen oder das militärische Engagement unbegrenzt fortzusetzen, wie es General McChrystal verlangte, entschied sich Obama für eine Kompromisslösung: die Entsendung von 30 000 Soldaten für 18 Monate. Die meisten Militärexperten halten diese Lösung für besonders unglücklich, weil die Taliban einfach das Ende dieser Periode abwarten können.

Ähnliche Fragen stellten sich 2011 mit Ausbruch des Arabischen Frühlings. Sollten die USA militärisch intervenieren und Gaddafi stürzen, unter dem Vorwand, ein Massaker in Bengasi zu verhindern? Diesmal reagierte die Umgebung von Obama zurückhaltender, mit Ausnahme von Hillary Clinton. Verteidigungsminister Gates sagte öffentlich, wer eine neue Intervention im Nahen Osten in Erwägung ziehe, solle seinen Kopf untersuchen lassen.4

Doch die Medien machten Druck, andere Regierungen wie die französische und die britische wollten unbedingt losschlagen, und auch im US-Senat forderten der Demokrat John Kerry und der Republikaner John McCain gemeinsam die Einrichtung einer Flugverbotszone. Auch jetzt wählte der Präsident wieder einen Mittelweg: Er stimmte einer Intervention zu, allerdings im Rahmen einer großen Koalition und mit einem Mandat der Vereinten Nationen. Das sah zwar nur die Einrichtung einer Flugverbotszone vor, aber diese Grenze wurde schon bald überschritten.

Die Entwicklung im Fall Libyen hat Obama in seiner Abneigung gegen Militärinterventionen noch weiter bestärkt. Im Konflikt um Syrien forderte er Präsident Baschar al-Assad zum Abdanken auf und bekundete seine Unterstützung für die Rebellen, aber den Einsatz der US-Armee zog er nicht in Erwägung. Das änderte sich im August 2013, als das Assad-Militär beschuldigt wurde, in Vororten von Damaskus Chemiewaffen eingesetzt zu haben. Das bedeutete offensichtlich die Überschreitung der roten Linie, die Obama ein Jahr zuvor gezogen hatte.

Konnten die USA in einer Situation, in der ihre Glaubwürdigkeit auf dem Spiel stand, untätig bleiben? Im Weißen Haus entwickelte sich ein Konsens, dass man Assad „bestrafen“ müsse. „Große Nationen bluffen nicht“, warnte Vizepräsident Joe Biden, der Militärinterventionen generell skeptisch sieht.5 Auch Obama schien überzeugt und forderte das Pentagon auf, mögliche Bombenziele zu identifizieren.

Doch dann machte Obama nach einem Gespräch mit seinem Berater Denis McDonough, der die größten Vorbehalte gegen Militäraktionen hatte, im letzten Moment einen Rückzieher und forderte die Ausarbeitung einer Exitstrategie. Das löste in Frankreich, in Saudi-Arabien, in Israel und in den Golfstaaten einen Sturm der Entrüstung aus. Die Republikaner warfen Oba­ma „Feigheit“ vor, auch viele Demokraten waren aufgebracht. John Kerry erklärte unverblümt, Obama habe sich „übers Ohr hauen“ lassen.6

Tatsächlich stellt diese Entscheidung vom August 2013, die von konservativen Kritikern als Obamas „München“ bezeichnet wurde, einen Wendepunkt in der US-Außenpolitik dar. Erstmals seit 2009 wählte Obama nicht den Weg halber Militäraktionen. Vielmehr handelte er mit Russland ein Abkommen zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffenbestände aus und beendete die Übung, auf jede „Provokation“ der USA militärisch zu reagieren.

Das war eine erneute Bestätigung seiner Strategie des „Rückzugs“7 – vom Abzug der Truppen aus dem Irak und Afghanistan über die Verweigerung neuer militärische Einsätze bis zur Kürzung des Militärhaushalts. Damit verfolgte Obama sein zentrales Ziel, die US-Militärpräsenz in der Welt zu reduzieren, um sich ganz auf die inneren Probleme des Landes zu konzentrieren und den destabilisierenden Aktionismus der Bush-Jahre zu überwinden.

Diese Position hat nichts mit Isolationismus zu tun: Die Vereinigten Staaten unterhalten nach wie vor einige Dutzend Militärstützpunkte rund um den Globus, die größte Armee der Welt und einen krakenhaften Geheimdienstapparat. Sie haben innerhalb von sieben Jahren sieben Länder bombardiert (Irak, Syrien, Afghanistan, Libyen, Jemen, Pakistan und Somalia). Und sie mischen sich weiter in die Angelegenheiten anderer Länder ein und versuchen Regierungen, insbesondere in Lateinamerika, zu destabilisieren.8

Die neue Zurückhaltung hat auch nichts mit Idealismus – im Sinne einer neuen globalen Machtbalance – oder mit Pazifismus zu tun. Wie Obama ständig beteuert, ist er keineswegs prinzipiell gegen Kriege, sondern nur gegen „dumme Kriege“, die nicht den Interessen der Vereinigten Staaten dienen und eine negative Kosten-Nutzen-Bilanz aufweisen.

Bei seinem Einzug ins Weiße Haus war Barack Obama entschlossen, das Kapitel des 11. Septembers und seiner Folgen endgültig abzuschließen. Er wollte sich ganz auf Asien konzentrieren, dessen Entwicklung großen Eindruck auf ihn machte und auf die er mit der 2010 verkündeten außenpolitischen „Wende“ reagierte.

Stephen Sestanovich, Professor an der Columbia University, vergleicht die „Neuausrichtung“ nach Asien in ihrer Bedeutung für die Rückzugsstrategie der Regierung Obama mit der Öffnung gegenüber China, die Nixon und Kissinger nach ihrem Rückzug aus Vietnam betrieben. Beide Strategien seien der Beweis dafür, dass die USA nicht dabei seien, „als Großmacht zu verschwinden“, wie es Nixon formulierte.9

Im Fall Obama ging die Neuorientierung zwar mit einigen symbolischen Aktionen einher (Staatsbesuche, Eröffnung einer Militärbasis in Australien, Verstärkung der Pazifikflotte), und sie führte auch zur Unterzeichnung des Abkommens über die Transpazifische Partnerschaft (Trans-Pacific Partnership, TPP) am 4. Februar 2016. Aber das Projekt wurde nicht konsequent zu Ende geführt. Das lag auch daran, dass die USA durch den Arabischen Frühling von 2011 wieder jäh an den Nahen Osten erinnert wurden.

In seinen Gesprächen mit dem Journalisten Jeffrey Goldberg lässt Oba­ma einen gewissen Überdruss, ja fast schon ein Desinteresse gegenüber dieser Region erkennen, die er offenbar für einen hoffnungslosen Fall hält. Dagegen macht er seine Wertschätzung für die Menschen in Asien, Afrika und Lateinamerika deutlich, denen er zugute hält, dass sie „nicht dauernd darüber nachdenken, wie sie Amerikaner umbringen können, und stattdessen überlegen, wie sie eine bessere Bildung bekommen, wie sie etwas Wertvolles schaffen können“.

Die USA haben mehr Gelder für den „Wiederaufbau“ Afghanistans ausgegeben, als nach 1945 in den Marshallplan flossen, der 16 europäischen Ländern auf die Beine helfen sollte.10 Gleichwohl ist es in Afghanistan nicht gelungen, auch nur ein Minimum an Ordnung zu schaffen. Und im Fall des Irakkriegs und der Intervention in Libyen fällt die Bilanz auch nicht besser aus. Diese Serie von Misserfolgen hat Oba­ma am Ende zu der Einsicht gebracht, dass die Macht seines Landes begrenzt ist: Die USA können nicht alles, und vor allem können sie nicht den Nahen Osten nach ihren Vorstellungen gestalten.

Seit dem Zweiten Weltkrieg wechselten sich Phasen, in denen die Vereinigten Staaten überzeugt waren, die Welt regieren zu können, mit Phasen des Zweifels ab. Nach der Euphorie am Ende des Kriegs machte sich in den 1950er Jahren Skepsis breit: Man zweifelte an den eigenen Fähigkeiten, die Ausbreitung des Kommunismus zu verhindern, der mit der Revolution in China und dem Aufstieg der UdSSR zur Nuklearmacht große Fortschritte gemacht hatte.

Das darauffolgende Jahrzehnt war von der Rückkehr der hegemonialen Versuchung geprägt. John F. Kennedy sagte in seiner Amtsantrittsrede am 20. Januar 1961: „Wir werden jede Last tragen, jede Prüfung annehmen und jeden Freund unterstützen. Wir werden uns jedem Gegner entgegenstellen, um den Fortbestand und den Triumph der Freiheit zu sichern.“

Vom Nahen in den Fernen Osten

Die 1970er Jahre brachten den USA nicht nur steigende Zinsen, eine wachsende Verschuldung der privaten Haushalte und zwei Ölpreisschocks, die eine Wirtschaftsflaute auslösten. Sie erlebten auch das Desaster in Vietnam und die Ausweitung des sowjetischen Einflusses in Asien und Afrika, was die Schwachstellen ihrer militärischen Dominanz aufdeckte.

Der Council on Foreign Relations ermittelt seit 1964 den Prozentsatz der US-Bürger, die der Meinung sind, ihr Land solle sich „in erster Linie um seine eigenen Angelegenheiten kümmern“. 1973 war diese Rate auf 43 Prozent gestiegen. 2013 ergab die Umfrage einen neuen Rekordwert von 52 Prozent. Zudem meinten im März 2014 nur 30 Prozent der Befragten, die USA sollten Polen verteidigen, falls es von Russland angegriffen werde; und selbst Großbritannien wollten lediglich 56 Prozent retten. Eine breite Zustimmung ergab sich in den Umfragen lediglich für die Drohnenangriffe und für die Bombardierung von Stellungen des IS, die nach der Einnahme von Mossul und der Enthauptung des Journalisten James Foley im August 2014 begonnen hatte.

Wie der britische Historiker Perry Anderson gezeigt hat, sind Interventio­nismus und Isolationismus zwei Varianten desselben amerikanischen Nationalismus. Die erste Variante legitimiert die Hegemonie der USA mit Verweis auf den Universalismus, der den mes­sia­nischen Ehrgeiz begründet, die ganze Welt auf den rechten Weg zu bringen. Dagegen betont die isolationistische Variante die eigene Ausnahmestellung und die Notwendigkeit, den einzigartigen Charakter einer Gesellschaft zu bewahren, die etwas Besonderes in der Welt darstellt.11

Vor dem Zweiten Weltkrieg dominierte der Isolationismus, der dann aber während des Kalten Kriegs im konservativen Lager fast keine Rolle mehr spielte. Erst nach dem Zerfall der Sowjetunion erlebte er eine Renaissance, und zwar in zweierlei Form: als Forderung nach einem konsequenten Rückzug, wie sie etwa der libertäre Republikaner Ron Paul vertritt, oder als konservativer Antiinterventionismus, wie ihn Patrick Buchanan propagiert, der sowohl Nixon als auch Reagan als Berater diente. „Wenn wir nicht aufhören, uns wie das Britische Empire zu verhalten“, schrieb Buchanan 2006, „werden wir auch enden wie das Britische Empire.“12

Diese zweite Strömung, die in den 1990er und 2000er Jahren nur eine marginale Rolle spielte, bekam unter Präsident Obama neuen Auftrieb. Sie artikuliert sich über das Cato Institute und die Zeitschrift The American Conservative, die Buchanan 2002 als Plattform des Widerstands gegen den Irakkrieg gegründet hat. Die Anti­in­ter­ven­tio­nisten verweisen auf die Katastrophen in Afghanistan und im Irak, thematisieren aber auch die wirtschaftliche und soziale Krise in den USA. Angesichts der Verschuldung der öffentlichen Haushalte sprachen sich tatsächlich auch einige Republikaner dafür aus, die Militärausgaben eher zu kürzen, als auf dem bisherigen Niveau zu halten. Und im August 2011 fand sich sogar im Kongress eine Mehrheit für einen Sparplan („budget sequestration“), der im Etat des Pentagon Kürzungen in Höhe von 1 Billion Dollar über einen Zeitraum von zehn Jahren vorsieht.

Bestätigt wird diese neue Tendenz auch durch den Erfolg des Kandidaten Trump, der sogar für einen Rückzug der USA aus der Nato plädiert, weil diese Organisation „überholt“ sei und zu viel koste. Sie ist außerdem ein Indiz für die wachsende Kluft zwischen den Wählern, die eher zu einem Rückzug neigen, und dem außenpolitischen Establishment, das deutlich zu interventionistischen Positionen tendiert. Das gilt für die einflussreichsten Thinktanks, für die Führungsetagen im Pentagon und im Außenministerium wie auch für die Leitartikler des Wall Street Journal und der Washington Post und die Kommentatoren bei Fox News oder CNN.

„Das außenpolitische Establishment besteht fast vollständig aus rechten Neokonservativen und linksliberalen Interventionisten“, befand vor zwei Jahren der Politologe Benjamin H. Friedman vom Cato-Institut.13 Soweit sie Republikaner sind, haben die meisten dieser altgedienten Berater angekündigt, dass sie einen Kandidaten Donald Trump nicht unterstützen werden. Einige von ihnen wollen sogar für Hillary Clinton stimmen.

Die demokratische Bewerberin hat den Irakkrieg wie auch die Luftangriffe in Syrien und Libyen befürwortet; sie fand die Verhandlungsführung mit dem Iran zeitweise zu nachgiebig und hat nicht gezögert, Obama zu kritisieren, seit sie nicht mehr Außenministerin ist. Neuerdings hat Clinton ihre Wortwahl zwar abgeschwächt und damit auf die Angriffe ihres Konkurrenten Bernie Sanders reagiert, der zum Flügel der Kriegsgegner bei den Demokraten gehört. Doch sie ist und bleibt die Kandidatin, die Interventionen am klarsten befürwortet und bei der außenpolitischen Elite Amerikas am besten ankommt.

Mit dem Argument, man müsse sich endlich wieder auf das eigene Land konzentrieren, begründen sowohl Barack Obama als auch Donald Trump ihre fehlende Kriegsbegeisterung. Gemeinsam ist beiden auch die Idee, dass Washingtons Verbündete – von Saudi-Arabien über die Golfstaaten, Deutschland und Japan bis Frankreich – sich nicht immer nur auf Amerika verlassen dürfen, sondern einen eigenen Beitrag zur Stabilisierung des internationalen Sicherheitssystems leisten müssen. Und obwohl beide sich entschlossen zeigen, Israel zur Seite zu stehen und den IS unschädlich zu machen, sind sie sich paradoxerweise doch auch einig, dass der Nahe Osten für die amerikanischen Interessen keine zentrale Bedeutung mehr habe.

In wirtschaftlicher Hinsicht ist das sicher richtig, aber aus moralischem und politischem Blickwinkel sind Fragen angebracht: Können die USA von einem Tag auf den anderen entscheiden, dass sie eine Führungsrolle nicht mehr haben wollen, die sie sechzig Jahre lang auch mit Waffengewalt erkämpft haben? Können sie sich ohne Gewissensbisse und ohne – finanzielle wie diplomatische – Kompensation von einer Region abwenden, zu deren Destabilisierung sie ständig beigetragen haben?

Für Jeremy Shapiro von der Brookings Institution, die auch das US-Außenministerium berät, ist die entscheidende Frage nicht, ob es im Nahen Osten Frieden gibt, sondern ob Washington in die „Abwesenheit von Frieden eingebunden“ bleibt. In der Geschichte kann man nicht einfach Tabula rasa machen. Die USA bleiben auch dann, wenn sie künftig keine US-Soldaten mehr in der Region stationiert haben, verantwortlich für das Chaos, das sie angerichtet haben.

1 Tim Alberta und Eliana Johnson, „Many GOP foreign-policy leaders are suspicious of Ted Cruz“, National Review, New York, 14. Dezember 2015.

2 Robert Gates, „Duty: Memoirs of a Secretary at War“,New York (Knopf) 2014.

3 Bob Woodward, „Obamas Kriege. Zerreißprobe einer Präsidentschaft“, München (DVA) 2011.

4 Greg Jaffe, „In one of final addresses to army, Gates describes vision for military’s future“, The Washington Post, 26. Februar 2011.

5 Zitiert bei Jeffrey Goldberg, „The Obama doctrine“, The Atlantic, Washington, D. C., April 2016.

6 Jeffrey Goldberg, siehe Anmerkung 5.

7 Colin Dueck, „The Obama Doctrine: American Grand Strategy Today“,New York (Oxford University Press) 2015.

8 Siehe Mike Davis, „Wendepunkt 9/11, Verfall und Untergang des Imperium Americanum“, Le Monde diplomatique, Oktober 2011.

9 Stephen Sestanovich, Maximalist. America in the World from Truman to Obama, New York (Knopf) 2014.

10 Inflationsbereinigte Zahlen. Vgl. Ian Bremmer, „Superpower. Three Choices for America’s Role in the World“,New York (Penguin) 2015.

11 Perry Anderson, „American Foreign Policy and Its Thinkers“, London (Verso) 2015.

12 Patrick J. Buchanan, „Why are we baiting Putin?“, 9. Mai 2006: www.antiwar.com.

13 Benjamin H. Friedman, „The state of the Union is wrong“, Foreign Affairs, New York, 28. Januar 2014.

Aus dem Französischen von Ursel Schäfer

Le Monde diplomatique vom 09.06.2016, von Benoît Bréville​