Der Tschad und seine großen Freunde
Das autoritäre Regime von Präsident Déby baut mithilfe Frankreichs und der USA seine regionale Macht aus
von Delphine Lecoutre
Lange galt der Tschad als armer, instabiler Binnenstaat. Doch das Bild hat sich in den letzten Jahren gewandelt: Heute wird das Land als aufstrebende Regionalmacht wahrgenommen, die im Kampf gegen den Dschihadismus in der Sahelzone und Zentralafrika unverzichtbar ist. Das autoritäre Regime von Präsident Idriss Déby Itno, der seit über einem Vierteljahrhundert an der Macht ist, wird zwar regelmäßig von NGOs wegen Menschenrechtsverletzungen kritisiert,1 kann aber auf die Unterstützung der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich und der USA zählen.
Der Tschad ist ein wichtiges Bindeglied zwischen dem Sudan und der Sahelzone. Zudem gilt er „als einer der relativ stabilen Staaten an der ‚Frontlinie‘, die Afrika vom Sudan bis in die Casamance-Region im Süden Senegals durchzieht“, erläutert der Geograf Géraud Magrin. „Nördlich dieser Linie liegen die vom Islam dominierten Gegenden, im Süden das mehrheitlich animistische oder christliche Afrika.“2
Verstärkt wird die strategische Position zwischen Schwarzafrika und der arabischen Welt dadurch, dass ernstzunehmende Konkurrenten fehlen und dass in der an Bodenschätzen reichen Region viele Staaten von innenpolitischen Spannungen erschüttert werden; das betrifft insbesondere die Demokratische Republik Kongo (DRC), die Zentralafrikanische Republik und Burundi.3
Mit Frankreich verbindet den Tschad eine mehr als 100 Jahre alte Beziehung, die das Land auch nach der Unabhängigkeit 1960 stets gepflegt hat. Im Januar 2013 entsandte N’Djamena eine 2000 Mann starke Truppe zur Unterstützung der französischen Operation „Serval“, mit der die dschihadistische Offensive im Norden Malis aufgehalten werden sollte. Im August 2014 wurde sie von der Operation „Barkhane“ abgelöst, deren Hauptquartier in N’Djamena liegt, wo auch ein Teil der 3000 Soldaten, 200 Panzerfahrzeuge und 6 Kampfflugzeuge stationiert sind, die Frankreich im Tschad unterhält.
Die Beziehungen zwischen beiden Ländern sind von intensivem diplomatischem Austausch sowohl auf Minister- als auch auf Präsidentenebene geprägt. Paris zeigt sich seinem Bündnispartner gegenüber erkenntlich: Ohne die logistische Unterstützung aus Frankreich hätte die aus dem Sudan kommende bewaffnete Opposition Präsident Déby bereits 2008 gestürzt.
Die dschihadistische Gefahr spielt dem Tschad in die Hände. Er konnte sich in der militärischen Auseinandersetzung mit der islamistischen Terrorgruppe Boko Haram als regionale Führungsmacht etablieren. Nigeria, das im Mai 2013 im Norden des Landes den Notstand verhängt hatte, sowie Kamerun wurden in den Hintergrund gedrängt, obwohl beide Staaten im Kampf gegen Boko Haram viel Geld und Personal eingesetzt hatten.4
Am 30. Juli 2015 verabschiedete das tschadische Parlament ein Antiterrorgesetz, mit dem die erst wenige Monate zuvor abgeschaffte Todesstrafe wieder eingeführt wurde. Mit Ausnahme von Ruanda und Angola verfügt zudem kein anderer zentralafrikanischer Staat über eine vergleichbare militärische Kampfkraft: Zwischen 1990 und 2003 wuchs die Armee des Tschad von 17 000 auf 25 350 Mann. 2011 beliefen sich die Militärausgaben des Landes auf 6,6 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts, während es in Angola (2012) 5,2 Prozent und in Ruanda (2014) nur 1,1 Prozent waren.5
Die Armee hat den Ruf, im Wüstenkampf besonders erfahren zu sein. Ihre Soldaten werden in den Tibesti- und den Ennedi-Bergen, aber auch in der Grenzregion zu Darfur ausgebildet. Dank dieser Kenntnisse konnte sie sich als Partner Frankreichs in geografisch vergleichbaren Kriegsschauplätzen durchsetzen, etwa im malischen Ifoghas-Gebirge.
Den Mythos ihrer Unbesiegbarkeit begründete ein Ereignis im September 1987: Damals nahmen 2000 tschadische Soldaten die libysche Luftwaffenbasis Maaten al-Sarra ein, obwohl die libyschen Truppen deutlich in der Überzahl und besser ausgestattet waren. Dieser Sieg zwang General Muammar al-Gaddafi zu Verhandlungen.
Bei den tschadischen Streitkräften handelt es sich jedoch um eine „Zweiklassenarmee“, erklärt die Politologin Marielle Debos: „Auf der einen Seite stehen Eliteeinheiten, die in Mali gegen die al-Qaida im islamischen Maghreb und deren Verbündete sowie im Tschadbecken gegen Boko Haram kämpfen. Diese gut trainierte und gut ausgerüstete Truppe wird von Frankreich und den USA finanziell unterstützt. Beide Verbündeten verschließen die Augen vor den brutalen Praktiken der Kämpfer und stören sich nicht daran, dass den Einheiten hauptsächlich Vertraute Präsident Débys angehören.“ Die reguläre Armee hingegen, deren Soldaten aus verschiedenen ethnischen Gruppen und politischen Milieus stammen, verfüge nur über wenig Mittel.6
Die tschadische Truppe ist auch für ihre Übergriffe berüchtigt, vor allem in der Zentralafrikanischen Republik, wo tschadische Soldaten 2014 auf Zivilisten geschossen haben.7 Die Beziehung zu Paris scheint darunter nicht zu leiden. Auch das „Verschwinden“ von mehr als 20 Soldaten, die sich während der Präsidentschaftswahl im April geweigert haben sollen, für Déby zu stimmen, hat der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian bei seinem Besuch in der tschadischen Hauptstadt Ende April mit keinem Wort erwähnt.
N’Djamena agiert schon seit Längerem als Interventionsmacht in Afrika. Im September 1998 entsandte der Tschad 2000 Mann in die DRC, um Laurent Désiré Kabila zu unterstützen. Seine Armee nimmt an den UN-Friedensmissionen in der Zentralafrikanischen Republik (bis 2014) und in der DRC teil. Mitte der 2000er Jahre verstärkte das Land auch seine Präsenz innerhalb der Afrikanischen Union (AU), vor allem durch die Nominierung eines AU-Botschafters, der sich in den Diskussionen des Ausschusses der Ständigen Mitglieder (Corep) und insbesondere in den strategisch wichtigen Debatten im AU-Sicherheitsrat stark engagierte. Zudem sitzt ein tschadischer Militärberater im AU-Generalstabsausschuss und ist an den Planungen für Friedensmissionen der Afrikanischen Union beteiligt.
Auf diese Weise versucht Débys Regime, auf Augenhöhe mit den starken Staaten des Kontinents zu kommen, etwa mit den Wirtschaftsmächten Nigeria und Südafrika, aber auch mit Algerien, Ägypten, Äthiopien, Angola oder Senegal, die militärisch sehr aktiv sind.
Im Rahmen des Kampfs gegen den Terrorismus und die grenzüberschreitende Kriminalität unterhält die Kommission der AU ein Verbindungsbüro in der tschadischen Hauptstadt. Zudem führt N’Djamena den Vorsitz bei der G 5 Sahel, in der Burkina Faso, Mali, Mauretanien, der Niger und der Tschad ihre Sicherheitszusammenarbeit koordinieren. Durch den Verweis auf seine Rolle als „friedensstiftende Macht“ gelang es dem Tschad, von 2014 bis 2016 als nichtständiges Mitglied in den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gewählt zu werden.
Als Mitglied der Zentralafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (CEEAC)8 spielt der Tschad die Rolle des französischsprachigen Vermittlers und interveniert damit auch im Westen des Kontinents, außerhalb seines traditionellen Einflussbereichs. 2011 gehörte das Land zu der AU-Expertengruppe (zusammen mit Südafrika, Burkina Faso, Mauretanien und Tansania), die eine Lösung für die Wahlkrise in der Elfenbeinküste finden sollte. Damals befürwortete N’Djamena den Vorschlag Nigerias, militärisch einzugreifen.
Inzwischen ist der Tschad zu einer unverzichtbaren Größe für die regionale Diplomatie geworden. Er trägt zur Vernetzung Zentralafrikas mit dem Westen des Kontinents bei. 2012 erhielt N’Djamena einen Beobachterstatus bei der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (CEDEAO)9 , um die Zusammenarbeit der beiden Regionen im Antiterrorkampf zu verbessern.
Die Außenpolitik von Präsident Déby wird weitgehend vom teils bewaffneten Kampf gegen die Opposition bestimmt, die Rückzugsgebiete in Darfur und der Zentralafrikanischen Republik besitzt. Letztere steht besonders im Fokus, weil in der Grenzregion im Süden des Tschad Ölfelder liegen.
Seit Beginn der Ölförderung 2003 ist der Tschad zum neuntgrößten afrikanischen Ölproduzenten aufgestiegen. Déby möchte sicherstellen, dass in Bangui eine Regierung sitzt, die seinen Interessen dient. Er nutzte seinen Posten als Präsident der CEEAC, um den zentralafrikanischen Interimspräsidenten Michel Djotodia im Januar 2014 zum Rücktritt zu drängen – und damit die politische Übergangszeit in der Zentralafrikanischen Republik zu beenden.10 Es gelang ihm auch, den oppositionellen tschadischen Rebellenführer Abdelkader Baba Laddé verhaften und am 2. Januar 2015 ausliefern zu lassen.
Ein weiteres Problem ist die Normalisierung der Beziehungen zum Regime von Omar al-Bashir im Sudan. In den 2000er Jahren führten die beiden Staaten einen Stellvertreterkrieg über Rebellengruppen: Khartum beschuldigte N’Djamena, den Rebellen in Darfur zu helfen, während N’Djamena Khartum vorwarf, die in den Sudan geflüchteten Oppositionellen zu unterstützen.
Der Sturz Gaddafis Ende 2011 und der Anstieg des Ölpreises haben das regionale Gewicht des Tschad weiter erhöht.11 Dennoch bleiben zahlreiche Probleme ungelöst: das Schicksal der tschadischen Arbeitsmigranten in Libyen, die wegen des Bürgerkriegs in ihre Heimat zurückkehren mussten und jetzt ohne Einkommen dastehen; die 20 000 bis 30 000 von Gaddafi rekrutierten tschadischen Soldaten, die heute zwischen Tripolis und Tobruk verstreut sind und dem IS willkommene Verstärkung liefern; und die 4000 bis 5000 tschadischen Gefangenen, die in den Gefängnissen von Misrata dahinvegetieren.
Der Tschad zählt zu den autoritär regierten Staaten Zentralafrikas, deren Präsidenten teils seit Jahrzehnten im Amt sind.12 Déby steht seit über 25 Jahren an der Staatsspitze, am 10. April wurde er für eine fünfte Amtszeit wiedergewählt. Gegen das offizielle Wahlergebnis von 61,56 Prozent protestierten alle sechs Oppositionskandidaten. Sie sprachen von einem „unmöglichen Sieg“ des Präsidenten, der nur dank der „Götter des Diebstahls“ wiedergewählt worden sei. 2005 hatte Déby die Verfassung geändert, um die Begrenzung der präsidialen Amtszeiten aufzuheben und erneut für das höchste Staatsamt kandidieren zu können.
Seine Bilanz ist jedoch nicht gerade überzeugend: Im Human Development Index der UN steht der Tschad auf Platz 185 von 188, und die Unruhe im Land wächst. Die seit 2003 dringend erwarteten Erträge aus der Ölförderung scheinen nur den Freunden des Präsidenten und nicht der Bevölkerung zugutezukommen. Daran wird auch die verstärkte Kooperation mit China, das eine Raffinerie, einen Flughafen und das Schienennetz finanzierte, nichts ändern.
Seit 2014 gibt es vermehrt Demonstrationen gegen steigende Lebenshaltungskosten, die verspätete Auszahlung der Beamtengehälter, Misswirtschaft und Repression sowie die Ausschweifungen der Herrscherclique. Nach der Gruppenvergewaltigung eines 17-jährigen Mädchens am 8. Februar 2016 ging eine Welle der Empörung durch das Land. Die Täter waren Söhne von Würdenträgern des Regimes, die als „unantastbar“ gelten.
In den darauf folgenden Protesten von Frauen bündelte sich die Kritik einer ganzen Gesellschaft an der Straffreiheit der Mächtigen. Die Staatsanwaltschaft sah sich gezwungen, Ermittlungen einzuleiten. Für die Menschen, von denen sich ein Großteil sich nur einmal am Tag eine Mahlzeit leisten kann, sind diese Proteste zu einem Symbol für umfassendere Forderungen nach einem besseren Leben geworden.
1 Siehe den Amnesty-Bericht zum Tschad 2015: www.amnesty.org.
3 Siehe Gérard Prunier, „Krieg droht an den großen Seen“, in: Le Monde diplomatique, Februar 2016.
12 Siehe Tierno Monénembo, „Nkurunziza und andere Potentaten“, Le Monde diplomatique, Dezember 2015.
Aus dem Französischen von Sabine Jainski
Delphine Lecoutre ist Politologin an der Business School in Lille und am Centre d’études diplomatiques et stratégiques, Paris; Länderkoordinatorin für Tschad und Zentralafrika bei Amnesty International.