Ladys in Uniform
Die britische Ausgabe der „Vogue“ und der Zweite Weltkrieg
von Veronica Horwell
Die britische Vogue ist ein Produkt des Ersten Weltkriegs. Als deutsche Torpedos Schiffe auf dem Atlantik bedrohten, die Exemplare des US-Modemagazins für den europäischen Markt geladen hatten, wurde die Zeitschrift zum unwichtigen Frachtgut erklärt. Man brauchte Ersatz, und so erschien im Herbst 1916 die erste Londoner Ausgabe der 1892 in New York gegründeten Zeitschrift.
Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs glaubte man in der Londoner Redaktion, die Front werde so verlaufen wie 25 Jahre zuvor im Nordosten Frankreichs. Man ging wie selbstverständlich davon aus, dass die Pariser Modehäuser trotz Mobilmachung und des Verlusts an internationaler Kundschaft mehr oder weniger normal weiterarbeiten würden. Im Winter 1939, in der Phase des sogenannten Phoney War (Sitzkriegs), setzte man bei der britischen Vogue ungebrochen auf kultivierten Luxus, war pikiert über Frauen in Freizeithosen und wollte nichts von neuen Kleidergewohnheiten in Zeiten des Krieges hören.
Schon bald war auch die Vogue gezwungen, Papier einzusparen. Man reduzierte Auflage und Seitenumfang, doch in Ton und Inhalt blieb das Magazin konsequent konsumorientiert: In Paris lebe „jeder wie im Ritz“, hieß es, und die Einkäufer reisten sogar aus den USA zu den Modeschauen für die Frühjahrskollektion an. Aus London wurde über stilvolle Blitzhochzeiten bereits einberufener Offiziere berichtet. Eine Braut schrieb, das exklusive Warenhaus Harrods würde für 6 Schilling pro Kopf Cocktailpartys ausrichten, bei denen der Champagner bestimmt nicht knapp werde.
Noch war der Militärdienst für Frauen freiwillig. In der Vogue machten sich männliche Autoren über Frauen in der Armee lustig. Ein junger Mann meinte, sie könnten nur einfache Tätigkeiten verrichten, die keine Kopfarbeit verlangten; ein anderer behauptete, Frauen seien für verantwortungsvolle Führungspositionen ungeeignet.
Es erschienen ganze Hefte, in denen vom Krieg höchstens indirekt die Rede war, etwa in den martialischen Namen der neuen Lippenstiftfarben: die hießen zum Beispiel „Fighting Red“, „Victory Red“ oder „Auxiliary Red“ in Anlehnung an den Auxiliary Territorial Service, die Frauenabteilung der Britischen Armee.
Im Mai 1940 versicherte die Vogue ihren Leserinnen, sie könnten problemlos im Schlafwagen an die Riviera reisen, nur die Kriegsgebiete im Nordosten Frankreichs seien natürlich tabu. Ansonsten hielt man sich mit beunruhigenden Mitteilungen zurück: Nur einmal schickte der Modezeichner Eric (Carl Erickson), der mit seiner Familie nördlich von Paris auf dem Land lebte, eine Skizze von seiner Frau, wie sie bei einem Bombenalarm im Keller sitzt und Backgammon spielt, daneben „in steifem Respekt ihre indochinesischen Diener“, einer davon mit Gasmaske in der Hand. Und die Vogue-Redakteurin Lesley Blanch1 , die über alles außer über Mode schrieb, merkte an, dass in London „die Sandsäcke undicht“ seien und allmählich knapp würden.
Doch dann erschien in der Vogue eine Zeichnung von Eric, die nicht, wie erwartet, die Übergangsmode aus Paris zeigte, sondern einen Flüchtlingstreck, darunter in einem klapprigen Wagen die Ericksons. Sie waren vor dem überraschenden Vormarsch der Deutschen geflüchtet und fanden sich auf der Straße inmitten von Frauen mit durchgelaufenen Schuhen und blutigen Füßen wieder, Kinderwagen vor sich her schiebend. Unterwegs erfuhren sie, dass ihr Dorf bombardiert worden war: „Die Frau, die Mutter und die Tochter unseres Fleischers wurden getötet. Der Fleischer hat den Verstand verloren.“ Da war er nun, der Krieg in seiner ganzen Brutalität, neben der Reklame für hermelinbesetzte Mäntel aus kanadischem Eichhörnchenfell („Legen Sie Ihr Geld in Pelzen an!“) und Aufrufen zur Bevorratung mit Dosenmilch.
Als Erste reagierte Lesley Blanch. Fortan gaben ihre leidenschaftlichen feministischen Kommentare den Ton in der Vogue an: „Jede britische Frau wird zur Soldatin werden“, entgegnete sie den männlichen Spöttern, „weil Frauen knallharte Realisten sind!“ Sie erlebten gerade einen historischen Moment, schrieb Blanch: Verwundete, mittellose Flüchtlinge drängten gegen die Festung Britannien, von nun an würden „neue Wertvorstellungen“ gelten.
In dieser Zeit stieß auch die Amerikanerin Lee Miller (1907 bis 1977) wieder dazu, die als junges Mannequin in den 1920er Jahren eine New Yorker Vogue-Ikone gewesen war, bevor sie nach Paris ging und die legendäre Muse und Schülerin von Man Ray wurde. Nach einer Reise durch Südosteuropa war sie kurz nach Kriegsbeginn mit ihrem Freund, dem surrealistischen Künstler und Galeristen Roland Penrose, in London eingetroffen. Die US-Botschaft legte ihr nahe, nach New York zurückzukehren; doch Miller wollte in London bleiben. Im Januar 1940 bewarb sich Miller, die in New York schon ein eigenes Fotostudio besessen hatte, bei der Vogue als Modefotografin.2
Am 7. September begannen die deutschen Luftangriffe auf London. Bis zum 2. November 1940 wurde die Stadt Tag und Nacht ununterbrochen bombardiert. Als in unmittelbarer Nähe der Redaktion die Bomben niedergingen, machte Miller ihre ersten Kriegsfotografien. Die gesamte Herstellung wurde unter Tage verlegt: „Vogue schläft – wie seine Londoner Mitbürger – in einem Luftschutzkeller.“ Zu Weihnachten bewarb das Warenhaus Fortnum & Mason’s einen wollgefütterten Kamelhaarschlafsack.
Die Zerstörungen stellten alles infrage, was der Vogue bis dahin lieb und teuer gewesen war. Das Haus, in dem der eigene Betrieb für Schnittmuster untergebracht war, lag in Schutt und Asche. Da man in den „eigenen vier Wänden nicht mehr sicher“ war, wurden kostbare Besitztümer, die man nicht wie den Familienschmuck überallhin mitnehmen konnte, zur Last. Blanch konnte ihre bescheidenen Schätze nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen und verlor ihr ganzes Hab und Gut: „Gepackte Koffer stehen griffbereit neben unseren Betten oder Hängematten; ein jeder geht mit einem Koffer in der Hand durch die Stadt.“ Es galt auch nicht mehr als Verstoß gegen die Etikette, zu früh zu einer Essenseinladung zu kommen; so konnte man bei den Freunden noch schnell ein Bad nehmen, bevor das improvisierte, mitunter am offenen Feuer zubereitete Mahl fertig war.
Eine Schlossherrin klagte über ihre „langsames Dienstmädchen, das anspruchsvollere Arbeitgeber gar nicht erst eingestellt hätten“; es klang deplatziert, da viele Dienstboten und Zimmermädchen an die Front und in die Munitionsfabriken gegangen waren. Laut Blanch hatten sich die Wertvorstellungen in den 1940er Jahren genauso radikal wie die Landkarte Europas gewandelt, und sie war sich sicher: Die Zukunft gehörte einer „neuen Welt der Rechtschaffenen, wie in den einfachen demokratischen Staaten Skandinaviens“.
Der Vogue- und Hoffotograf Cecil Beaton, der als kaltherziger Snob galt, wandelte sich zu einem einfühlsamen Kriegsberichterstatter, der sich über das lakonische Understatement seiner Landsleute freute, das sich so wohltuend von der Hysterie zu Beginn des Ersten Weltkriegs abhob. Aus einem Kommandoraum der Royal Air Force zitierte er die letzte Funkmeldung einer Bomberbesatzung: „Flugzeug verliert über den Alpen an Höhe. Grüße und Küsse.“ In der Vogue erschienen Beatons Berichte über den Luftkrieg umrahmt von Kleinanzeigen für maßgeschneiderte Korsetts.
Emanzipation ohne Strümpfe
Die Kleiderrationierung von 1941 empfand man bei der Vogue als modische Befreiung. Mit Unterstützung des Handelsministeriums warb das Magazin für einen minimalistisch ausgestatteten Kleiderschrank mit wenigen, aber sorgfältig gepflegten, maßgeschneiderten Kleidungsstücken als Inbegriff von gutem Stil und aufrechter Haltung. Die Vogue begeisterte sich für die sparsam produzierte, praktische „Utility“-Kollektion, die führende Londoner Designer entworfen hatten und die zu festen, fairen Preisen verkauft wurde, da „die Zurschaustellung von Reichtum heutzutage unangemessen wäre“.
Viele Frauen, die in der Kriegsindustrie arbeiteten, sparten Geld und Bezugsscheine für die Anschaffung eines robusten Utility-Kostüms, zu dem manche ein patriotisches Tuch („Dig for Victory“, „Homeguard“) trugen. Die reichen Damen hatten, wie Blanch berichtete, mangels Personal, Briketts und Zeit ihr herrschaftliches Wohnen aufgegeben und lebten nur noch in einem Raum, meistens in der Küche. Statt mehrgängiger Menüs gab es Gemüseeintopf oder belegte Brötchen vom Imbissstand.
Auch die Körperpflege war angesichts der Rationierung von Seife und (meist kaltem) Wasser eine Herausforderung – und ein Luxus. Blanch verachtete die reichen Drückeberger, die die Rationierung von Lebensmitteln und Kleidung umgehen konnten, und bezeichnete eine Dame und deren Töchter, die in einem Hotel in Bournemouth Schokoladenkekse verspeisten, als „Auslaufmodell, das an all den komplizierten Vorkriegsnormen festhält, die heute nichts als Ballast sind“.
Blanch schrieb Reportagen über Frauen in Uniform, und Miller, die zur produktivsten Modefotografin der Vogue avancierte, machte die Fotos dazu. Im Herbst 1941 erschienen ihre Beiträge über den weiblichen Marinedienst (Women’s Royal Naval Service, WRNS), die Frauenabteilung der Britischen Armee (Auxiliary Territorial Service, ATS) und die weibliche Hilfstruppe bei der Luftwaffe (Women’s Auxiliary Air Force, WAAF), wo Frauen auch an technologischen Entwicklungen arbeiteten und die Erfahrung machten, dass „ihre einst verachtete Neigung zu Mathematik und den Naturwissenschaften auf einmal hoch im Kurs“ stand.
Blanch verteidigte das Recht der Frauen auf Arbeit und lobte ihre Anstrengungen: „Du kannst sie nicht hetzen oder schikanieren“, zitierte sie einen kommandierenden Offizier, „aber du kannst ihnen vertrauen.“ In einem Leitartikel heißt es, man hoffe, dass die staatlich finanzierten Kinderkrippen und Schulspeisungen nach dem Krieg nicht gleich wieder abgeschafft werden.
Darüber hinaus äußerte sich die Vogue nur selten zu den materiellen Folgen der allgemeinen Mobilmachung. Nur einmal ging man scherzhaft auf den Beveridge Report ein, den großen Plan für die Nachkriegszeit zum Aufbau eines modernen Wohlfahrtsstaats.3 Dabei vertrat auch die Vogue die fortschrittlichen Ideen, denen Beveridges Vorschläge ihre breite Zustimmung verdankten: Seid praktisch, forderte sie ihre Leserinnen auf, lasst eure nackten Beine von der Sonne bräunen oder nehmt Kaliumpermanganat; verzichtet, außer im Winter, auf unnötige Strümpfe. Seid neugierig – sät, erntet und esst auch ungewohntes Gemüse wie Auberginen, Zucchini, Sauerampfer und Pilze; die Kochrezepte in der Vogue, die sich zwar eher an Leserinnen auf dem Land richteten oder Leute, die Zugang zu nichtrationierten Lebensmitteln hatten, klingen, abgesehen von dem „kleinen Fingerhut Margarine“ zum Anbraten, verblüffend modern.
Auch beim Städtebau plädierte die Zeitschrift für Innovationen. 1943 veröffentlichte sie einen Artikel von zwei jungen Architekten, Antony und Susan Cox, über den Wiederaufbau Großbritanniens nach dem Krieg. Die beiden waren für einen radikalen Neuanfang zum Wohl der Bevölkerung und meinten, man müsse erst einmal Ordnung in das Chaos bringen, „das wir selbst zugelassen haben, bevor auch nur eine Bombe fiel“. Es war der Zeitpunkt, als sozialdemokratische Positionen jenseits der Parteipolitik populär wurden.
Als 1944 praktisch alle Warenbestände aus der Vorkriegszeit aufgebraucht waren – es gab zum Beispiel einen akuten Mangel an Gummibändern für Unterhosen – und Großbritannien die Truppen aus den USA und Kanada für die geplante Invasion in der Normandie versorgen musste, wurde es noch enger. In der Vogue standen nun Anleitungen zum Flicken von Mottenlöchern und Vorschläge, wie man aus abgelegten Kleidern Kindersachen schneidert. Die künstliche Spannung, die früher vor jeder neuen Kollektion aufgebaut wurde, war nichts gegen den Nervenkitzel, den die neuen, aus der Not geborenen Ideen auslösten. Blanch malte das Bild einer besseren Zukunft, in der „Komfort nicht nur ein Luxus für wenige, sondern ein selbstverständliches Recht für alle“ sein werde. Sie machte konkrete Vorschläge, empfahl zum Beispiel Jobvermittlungen, bei denen man stunden- oder tageweise Arbeitskräfte mit besonderen hauswirtschaftlichen Fertigkeiten anheuern könnte, oder lokale Stationen, bei denen man rund um die Uhr saubere Wäsche oder Pakete abholen könnte.
Blanch befürchtete, dass die Frauen nach dem Krieg, wenn ihre Arbeitskraft nicht mehr gebraucht werde, mit einem „Schulterklopfen abgespeist“ werden und sie ihre hart erkämpfte Gleichstellung „in einem plötzlichen Anfall von Fräuleinhaftigkeit“ wieder aufgeben. Sie war der Meinung, dass die Männer zu Hause viel mehr mitanpacken sollten: „Niemand findet etwas dabei, wenn eine Frau ihren Lebensunterhalt verdient und nebenher den Haushalt schmeißt. Aber wie herzergreifend und heldenhaft wirkt es immer noch, wenn ein Mann dasselbe tut.“
Lee Miller, die seit dem 30. Dezember 1942 eine Akkreditierung als Kriegsberichterstatterin für die US-Truppen hatte und seitdem stets Uniform trug, wollte unbedingt dabei sein, wenn die Alliierten in der Normandie landeten. Audrey Withers, die Chefredakteurin der Londoner Vogue, beauftragte sie mit einer Reportage über die Feldlazarette in der Normandie, die erst im September 1944, also zwei Monate nach ihrer Ankunft, in der New Yorker und Londoner Ausgabe erschien.
Aufgrund von Verzögerungen wurden in einer der nächsten Ausgaben gleich zwei Beiträge von Miller abgedruckt: einer über die Befreiung von Paris (19. bis 25. August 1944) und der andere über die Belagerung von Saint-Malo (5. bis 8. August). Dort war Miller, nachdem sie mit dem Jeep falsch abgebogen war, auf einmal weit und breit die einzige Fotografin. Als die US-Soldaten, „denen die Handgranaten wie Spangen von Cartier am Gürtel hingen“, die Zitadelle stürmten, hatte sie den Krieg „ganz für sich allein“.
Millers surrealistisch geschulter Blick beeinflusste auch ihre Kriegsreportagen; so kombinierte sie eine Aufnahme von extravagant gekleideten Pariserinnen mit einem Foto der kapitulierenden deutschen Truppen vor zerstörten Loire-Brücken. In Paris hungerten die Leute, doch die Modeschöpfer präsentierten schon wieder ihre ersten Kollektionen, während sich die Tuchhändler, weil sie keine Briketts zum Heizen hatten, in ihre eigenen Stoffe hüllten. „Die Befreiung ist nicht dekorativ“, notierte Miller, bevor sie mit den Alliierten die französische Hauptstadt verließ, um über die Schlachten im winterlichen Elsass-Lothringen zu berichten, wo sich die Soldaten im Schnee mit Bauerngardinen tarnten.
Miller war nicht zu bremsen – immer weiter trieb es sie mit ihrem Freund, dem Fotografen David Sherman, quer durch Europa. Als Hitler am 30. April 1945 in Berlin Selbstmord beging, verbrachten sie gerade ein paar Tage in seiner Münchner Wohnung am Prinzregentenplatz 16 und fotografierten sich gegenseitig in der Badewanne.4
Im befreiten Konzentrationslager Buchenwald sahen sie die verbrannten Knochen von verhungerten Gefangenen und die unglaublich mageren Überlebenden; am 3. Mai 1945 standen sie vor dem brennenden „Führerhorst“ in Berchtesgaden. Die Buchenwald-Fotos erschienen in der Vogue in Randspaltengröße, neben einer Empfehlung aus dem Ernährungsministerium zum Einkochen von Hagebuttensirup und einer Modestrecke, aufgenommen an einem englischen Strand, wo der Stacheldraht inzwischen wieder abgebaut war.
Um jede Seite wurde gefeilscht, selbst Recyclingpapier war knapp. Großbritannien hatte nach dem Krieg ein Handelsdefizit von 1,2 Milliarden Pfund angehäuft; und die Steigerung der Exporte ging nun auf Kosten des einheimischen Konsums: „Wir sehnen uns ebenso sehr nach dem Verkauf wie Sie sich nach dem Kauf“, hieß es in einer Anzeige für Damenunterwäsche.
Am 5. Juli 1945 gewann Labour mit 49,7 Prozent der Stimmen die Unterhauswahlen. Offensichtlich traute man den Sozialisten den Wiederaufbau des Landes eher zu als den Tories unter dem Kriegshelden Churchill. Die Vogue veröffentlichte ein vorsichtiges, aber freundliches Porträt über den neuen Labour-Premier Clement Attlee.
Und was würde, aus der Perspektive eines Modemagazins, die Zukunft bringen? Mit der Rückkehr der Baumwolle sei erst einmal nicht zu rechnen, hieß es. Denn wer habe schon Lust, in eine seit Langem kriselnde Industrie wieder einzusteigen, die zudem bekannt sei für schlechte Arbeitsbedingungen und mickrige Löhne? Synthetikfasern seien dagegen im Kommen. Cecil Beaton empfand den Schlankheitswahn der 1920er Jahre angesichts der Hungerbilder aus dem Krieg als geradezu abstoßend und meinte, weibliche Kurven würden ein Comeback feiern.
Und was würde aus dem Radio werden, dem wichtigsten Medium der Kriegszeit? Die bevorstehende Einführung des Fernsehens werde „den Rundfunk letztendlich zu Grabe tragen“, prophezeite die Vogue. A. L. Rowse, der damals noch linke Historiker und Autor von „Mr. Keynes und die Arbeiterbewegung“, fragte sich in der Zeitschrift, wie man die alte Gesellschaftsordnung heute überhaupt noch verteidigen könne. Angesichts der durch das Kapital verursachten Verheerungen, insbesondere in Architektur und Sozialwesen, fiel ihm nicht viel Positives dazu ein, und er konstatierte: Die Zukunft gehört dem schön gestalteten sozialen Wohnungsbau.
Nach Blanchs Weggang 1945 gab eine neue Stimme den Ton in der Vogue an: „Wir wohnen nicht mehr in der Küche. Hausangestellte sind wieder ein Thema“, erklärte Marghanita Laski gleich in ihrem ersten Beitrag. Man müsse dafür sorgen, dass die widerspenstigen Dienstmädchen wieder an ihren alten Arbeitsplatz zurückkehrten. Mädchen könnten auch eine Ausbildung in der Gastronomie oder als Sekretärin machen; aber auf keinen Fall dürften Frauen den männlichen Kriegsheimkehrern die Jobs wegnehmen.
Laski gehörte zu den wenigen Briten, die es sich schon kurz nach Kriegsende leisten konnten, in Frankreich Urlaub zu machen. Während sie in südlichen Gefilden das gute Essen genoss, konnte man in der Londoner Vogue lesen, dass der Ernährungsminister fürchte, das „National Loaf“, wie das englische Graubrot hieß, müsse demnächst rationiert werden. Europa stünde kurz vor einer Hungersnot. Derweil freute sich Laski, dass „die kleinen Stenotypistinnen, die während des Kriegs mit einer Militärbrosche am Revers“ in den feinen Londoner Restaurants verkehrt hatten, dort nicht mehr auftauchten, seit man wieder Abendgarderobe trug.
Während der britische Staat nach dem Krieg vor dem Bankrott stand, erschienen in der Vogue schon wieder ganzseitige Anzeigen für Luxuslimousinen und Fluglinien. In einer Werbung bekommt eine Frau mit einem Schweißbrenner in der Hand einen Elektroherd dafür, dass sie „in den Hafen ihrer eigenen Küche“ zurückkehrt. Und in einer Kosmetikreklame verspricht eine Braut ihrem Zukünftigen, „wie ein Engel zu kochen, auch wenn ich so aussehe, als könnte ich nicht mal ein weichgekochtes Ei machen“.
Der wiedererwachte Hang zur Distinktion beschäftigte auch das Editorial der Vogue, die ihren Leserinnen aus der Oberschicht zu vornehmer Zurückhaltung riet. Frauen sollten wieder Ladys sein und Hüte tragen. Die ungebührliche Hutlosigkeit, die sich während des Kriegs eingebürgert hatte, fand man auf einmal gar nicht mehr gut. Die „wehenden Locken und losen Mähnen“ müssten gezähmt, glatt gekämmt und unter teuren raffinierten Hüten verborgen werden. Außerdem sollten die Damen möglichst bald wieder Seidenstrümpfe und im Sommer weiße Handschuhe tragen.
Fast jeden Monat erschienen in der Vogue neue Fotos aus Paris. Die Textilbranche begann sich zu erholen, und die Modehäuser experimentierten mit abgesenkten Säumen, taillierten Tellerröcken, runden Schulterpartien und höheren Absätzen. Inspiriert von der extravaganten Pariser Antibesatzungsmode (siehe Kasten) kreierte Christian Dior 1947 seinen New Look, der eigentlich ein Old Look war, wenn man etwa an die Wespentaillen der Dior-Kleider denkt, die an die Korsetts der Belle Époque erinnern.
Abgesehen von den Restriktionen und Sondersteuern konnten sich in Großbritannien die meisten diese Mode sowieso nicht leisten. Doch der elitäre und betont feminine Dior-Stil setzte sich vorerst trotzdem gegen die demokratische und praktische Utility-Mode durch. Und in der Vogue erschienen keine Artikel mehr über schicke Mode für den schmalen Geldbeutel.
2 Siehe Becky E. Conekin, „Lee Miller. Fotografin, Muse, Model“, Zürich (Scheidegger & Spiess) 2013.
Aus dem Englischen von Robin Cackett
Veronica Horwell ist Journalistin.
© Le Monde diplomatique, London. Im Berliner Martin-Gropius-Bau ist noch bis zum 12. Juni die Lee-Miller-Ausstellung zu sehen.