Tomaten aus der Sahara
Algerien nutzt riesige Wasservorkommen unter der Wüste für den Aufbau einer landwirtschaftlichen Industrie
von Pierre Daum
Die Nationalstraße 83 zwischen Tébessa und Biskra führt durch Landschaften von seltener Schönheit. Auf den Hochplateaus zwischen den Ausläufern des Aurès-Gebirges im Norden und den Nementscha-Bergen im Süden gibt es nichts als Steine, Sand und Staub. Wir befinden uns 450 Kilometer südlich von Algier, am Rande der riesigen Weiten der Sahara. Die Wüste ist hier bereits zu spüren; im Sommer ist die Hitze unerträglich, und die Farben beschränken sich auf Gelb und Grau, mit vereinzelten rosa Einsprengseln. Nirgends ist etwas Grünes zu sehen, denn auf einem Boden, der so arm an organischer Materie ist, und unter einem Himmel, aus dem es so selten regnet, wächst fast nichts.
Doch hier und da, am Ende einer Querstraße und manchmal nur ein paar Meter neben der Nationalstraße, bietet sich ein überraschender Anblick: Lange Reihen von Gewächshäusern tauchen auf, Tausende halbrunde Tunnel aus Plastikfolie, die sich bis zum Horizont erstrecken. Darunter, im feuchtwarmen Klima, Reihen von Tomatenpflanzen der robusten Sorte Tofane. Die leuchtend roten Früchte sind groß und perfekt rund.
Seit einigen Jahren kommen alle Tomaten, die in Algerien zwischen Dezember und März gegessen werden, aus der Gegend um die Oasenstadt Biskra in der Region der Ziban-Berge. Der Großteil der Produktion verteilt sich auf die beiden Anbaugebiete El Ghrous im Westen der Stadt und M’Ziraa im Osten. 2014 erreichte die Tomatenproduktion in den Ziban-Bergen rund 300 000 Tonnen. Das ist fast ein Drittel der gesamten algerischen Jahresproduktion.1
Diese fad schmeckenden, schnell verderblichen Wintertomaten können in den traditionellen Anbaugebieten im Norden des Landes (Tipasa, Mostaganem, Skikda, Annaba) nicht kultiviert werden, weil es dort im Winter zu kalt wird. Und in der kalten Jahreszeit ist der Anbau besonders rentabel, weil es keine Konkurrenz gibt. In Algier oder Oran kostet das Kilo dann bis zu 100 Dinar (85 Cent) – ziemlich viel für algerische Verhältnisse, trotzdem wächst die Nachfrage beständig. Im Sommer, wenn die Saisontomaten auf den Markt kommen, die auf den offenen Feldern im nördlichen Flachland angebaut werden, fällt der Preis um die Hälfte oder sogar um zwei Drittel.
Aber wie ist es möglich, in der Wüste Tomaten anzubauen? Die Antwort lautet: dank Dünger und Brunnen. Die Nährstoffarmut des Bodens wird durch den massiven Einsatz chemischer Düngemittel ausgeglichen, vor allem Stickstoff, Phosphat und Kalium. Beim Tomatenanbau in der algerischen Sahara handelt es sich zwar nicht um eine sogenannte Hors-Sol-Produktion, die ganz ohne Einsatz von natürlichem Bodenmaterial auskommt, doch das Prinzip ist ähnlich: Die Wurzeln der Tomatenpflanzen dringen nur oberflächlich in den sandigen Untergrund ein, der ihnen kaum Nährstoffe liefert. Entgegen allen Vermutungen ist hier Wasser im Überfluss vorhanden: Man muss nur ein bisschen graben.
Oberflächlich ist die Sahara sehr trocken, doch unter der Erde lagern riesige Wasservorkommen. Schätzungen zufolge führt das Grundwassersystem der nördlichen Sahara (Système Aquifère du Sahara Septentrional, Sass), das sich von Algerien über Tunesien bis nach Libyen erstreckt, etwa 60 000 Milliarden Kubikmeter Wasser. Der Großteil dieser Lagerstätten wurde vor einigen tausend Jahren eingeschlossen und verteilt sich auf mehrere hermetisch voneinander abgetrennte Schichten. Die am tiefsten gelegenen Reservoirs liegen zwei Kilometer unter der Erde, doch manche lagern auch leicht zugänglich in einer Tiefe von 10 bis 300 Metern. Für 20 000 Euro kann jeder seine eigene Bohrung durchführen und mit dem Wasser sein Stück Wüste fruchtbar machen.2
Geschmacksneutrales Gemüse aus dem Folientunnel
„Zurzeit ist der Süden eine Goldmine!“, sagt der 40-jährige Mohamed Sami Agli. Er kommt aus einer der einflussreichen Familien in der Region und ist Repräsentant des Forum des chefs d’entreprises (FCE), des wichtigsten algerischen Arbeitgeberverbands. „Man kann hier wirklich viel Geld verdienen. Der Staat bietet Hilfen, und dazu kommt noch die Steuerbefreiung. Ein Traum für Investoren! Die kommen übrigens aus allen möglichen Ländern.“
Dass sich die „Plastikkulturen“ (Anbau unter Folientunnel) um Biskra rasant ausgebreitet haben, liegt sowohl an privaten Initiativen als auch am Einsatz des Staats. „Auch wenn man den Eindruck hat, dass der Staat hier nicht präsent sei – in Wirklichkeit ist er der wichtigste Akteur bei der Entwicklung der Sahara-Landwirtschaft“, sagt Tarik Hartani, Leiter einer Forschergruppe an der Universität Tipasa, die sich auf die algerische Agrarwirtschaft spezialisiert hat. Es sei der Staat, der die notwendigen Voraussetzungen schaffe, indem er Straßen baue, die Stromversorgung sicherstelle, große Bohrungen durchführe und Kanäle anlege.
Der algerische Staat hilft auch, indem er die Ansiedlung von Gemüsebauern finanziell unterstützt und Land zur Verfügung stellt. Im Prinzip folgt die Verteilung der Gelder und Parzellen einem festgelegten Verfahren, mit Antragsstellung und Auswahlkommission. In der Praxis weiß jedoch jeder, dass gute „maarifa“ (Beziehungen) immer mehr zählen als ein ordnungsgemäß gestellter Antrag.
Seit zwanzig Jahren, und erst recht in den letzten fünf Jahren, erlebt die traditionell für ihre Datteln berühmte Region um Biskra einen regelrechten Goldrausch. Längst tummelt sich hier ein buntes Gemisch aus lokalen Bauern, algerischen Investoren und Erntearbeitern aus dem Norden des Landes. Hinzu kommen Schwarzarbeiter aus Marokko und Mali. Seit 2009 gibt es auch die riesigen Gewächshäuser, wie auf den kanarischen Inseln. Dabei wird eine Fläche von bis zu 1,5 Hektar mit Plastikfolie überspannt, was etwa 60 000 Euro kostet – eine größere, aber äußerst lukrative Investition.
„In der letzten Saison lag der Tomatenpreis im Großhandel bei 50 Dinar pro Kilo, damit habe ich einen Nettogewinn von 4,25 Millionen gemacht (etwa 50 000 Euro)“, erzählt Nordine, den wir 80 Kilometer westlich von Biskra in der Nähe von M’Ziraa treffen. „Meine Investitionen haben sich innerhalb von einer Saison quasi amortisiert. Ab jetzt mache ich nur noch Gewinn!“
Mitte März, wenn die Zeit der Wintertomaten zu Ende ist, werden Honig- oder Wassermelonen gesät. Auch diese Früchte kommen früher auf den Markt als die Produkte aus den traditionellen Anbaugebieten im Norden Algeriens. Nach einigen Jahren, wenn die Besitzer der Gewächshäuser genug Geld angespart haben, pflanzen sie junge Dattelpalmen. Die sind weniger pflegeintensiv als Tomaten oder Melonen, und ihr Marktpreis ist gleichbleibend hoch (etwa 5 Euro pro Kilo). Zudem bieten sie die Möglichkeit, ins Exportgeschäft einzusteigen: Die berühmte „Deglet Nour“ („Finger des Lichts“), deren „Hauptstadt“ Tolga etwa 40 Kilometer westlich von Biskra direkt neben dem Tomatenanbaugebiet El Ghrous liegt, ist das einzige Nahrungsmittel, das Algerien exportiert. In zwanzig Jahren hat sich die Zahl der Dattelpalmen in Algerien mehr als verdoppelt: Heute sind es rund 18 Millionen, ein Viertel davon stehen in den Ziban-Bergen. Kein Wunder, dass hier manche Leute reich werden.
Besonders deutlich zeigt sich der neue Wohlstand in M’Ziraa. Das Dorf, das noch vor zehn Jahren ein winziger Weiler mit wenigen flachen Häuschen war, vermittelt heute den Eindruck einer wohlhabenden Ortschaft, in der alle Hausbesitzer ihren neuen Reichtum zu Schau stellen. Überall entstehen vier- bis fünfstöckige Wohnhäuser, die so viele Zimmer haben wie ein kleines Hotel.
Im Dezember stehen hier schon um drei Uhr morgens die Lastwagen aus allen Ecken des Landes und warten darauf, dass der neue Großmarkt an der Hauptstraße seine Tore öffnet. Zwei Tage später liegen die Tomaten aus Biskra in den Läden des ganzen Landes; zur Freude der Konsumenten, von denen sich viele noch mit Schrecken an die leeren Regale der 1960er und 1990er Jahre erinnern.
Die Leute aus Biskra würden diese Tomaten allerdings „nie im Leben“ selbst essen. Denn die Renditen, die der Tomatenanbau unter Folientunneln in der algerischen Sahara erzielt, sind nur dank des massiven Einsatzes von Insektengift, Unkrautvernichter, Fungiziden und Bakteriziden möglich.
„Auch in Europa werden chemische Dünger und Pestizide verwendet“, sagt Arezki Mekliche von der Agrarwissenschaftlichen Hochschule (École nationale supérieure d’agronomie, Ensa) in Algier. „Allerdings unterliegt ihr Einsatz dort strengen Regeln, und alles wird im Prinzip stark kontrolliert. In Algerien sind diese Kontrollen viel laxer. Es werden Generika verwendet, die aus China oder der Türkei kommen. Die sind viel billiger als die europäischen Originalprodukte, werden aber auch viel weniger kontrolliert.“ Vor allem die Mindestzeiträume zwischen der Anwendung eines Pestizids und der Ernte würden nicht eingehalten, was für den Verbraucher sehr gefährlich sei, erläutert Mekliche. „In Europa könnten diese Tomaten gar nicht verkauft werden, weil sie nicht den europäischen Gesundheitsvorschriften entsprechen.“
Neben dem massiven Einsatz gefährlicher Substanzen wirft auch der Umgang mit den Wasserressourcen Probleme auf. Über viele Jahrzehnte funktionierte die Landwirtschaft in der Sahara über Brunnen und einzelne Quellen, durch die das Grundwasser an die Oberfläche trat. Mitten in der Unendlichkeit der Wüste bewirtschafteten die Menschen wundervolle Oasen, deren Ökosysteme ein Gleichgewicht herstellten zwischen den Bedürfnissen der Wüstenbewohner und den vorhandenen Ressourcen (Wasser, Boden und der Schatten der Palmen). Die Grundlage dafür waren raffinierte Techniken der Terrassierung, Wasseraufbereitung und die Verwendung von natürlichem Dünger. Die Fellachen wussten, welch ein kostbares Gut Wasser in der Wüste ist, und gingen sparsam damit um.
In Biskra und einigen anderen Orten im Süden Algeriens (siehe Kasten) haben Zehntausende von Wasserbohrungen diese traditionelle Oasenbewirtschaftung komplett auf den Kopf gestellt. Zunächst hat die extensive Nutzung des Grundwassers die alten Wasserquellen nach und nach versiegen lassen: „Früher mussten wir 50 Meter tief bohren, um an reichlich Wasser zu kommen“, erzählt Smain Benchouia, der seit dreißig Jahren überall in den Ziban-Bergen Brunnen bohrt. „Heute müssen wir für dieselbe Wassermenge 250 oder sogar 300 Meter tief graben.“
Im Lauf der letzten dreißig Jahre hat sich die Menge Wasser, die aus dem Boden gepumpt wird, verzehnfacht. Und weil es sich um fossiles Wasser handelt, das nicht durch regelmäßige Niederschläge gespeist wird, füllen sich die unterirdischen Speicher nicht wieder auf. „Das ist so, als hätte man vor 6000 Jahren vollgetankt und wäre seither mit dieser einen Füllung unterwegs“, erklärt Christian Leduc, Hydrologe am Institut des Recherche pour le Développement (IRD) in Montpellier. „Heute werden etwa 3 Milliarden Kubikmeter im Jahr abgezapft. Bei einer Reserve von 60 000 Milliarden Kubikmetern wird man also erst mal nicht liegen bleiben. Aber die Zukunft ist in Gefahr.“
Vor allem die Qualität des knapp unter der Oberfläche liegenden Grundwassers habe sich stark verschlechtert, sagt Noura Bouchahm, Spezialistin für Wasserressourcen vom Centre de Recherche Scientifique et Technique sur les Régions Arides (CRSTRA) in Biskra. „Der Anteil von Chlorid und Sulfat überschreitet allmählich die Grenzwerte für Trinkwasser.“ In den vergangenen Jahren ist ein Teil der chemischen Produkte, die in den Gewächshäusern verwendet werden, in die oberflächennahen Grundwasserspeicher gelangt, aus denen auch die privaten Haushalte ihr Wasser beziehen. In manchen Gebieten gelangen sogar Abwässer, die Nitrate und Ammonium enthalten, ins Grundwasser.
Hinzu kommt, dass an den Stellen, wo der Grundwasserspeicher nur zehn Meter unter der Erde liegt, das höher gelegene Reservoir durch Bohrungen in tiefere Schichten sogar überlaufen kann. Das Resultat ist ein Anstieg des Grundwasserspiegels und teilweise sogar stehendes Wasser auf der Erdoberfläche. Mittlerweile sterben tausende Dattelpalmen ab, weil ihre Wurzeln verfault sind. Zudem enthält das Grundwasser viele mineralische Salze, vor allem Gipsstein. Wenn das Wasser an die Oberfläche tritt, verdunstet es schnell, doch die Salze bleiben zurück und bilden eine harte Kruste, die jede weitere landwirtschaftliche Nutzung des Bodens unmöglich macht.
Die Landwirte von Biskra wissen genau, dass die Parzellen wegen der chemischen Belastung und der Bildung von Salzkrusten nicht lange genutzt werden können. Alle drei Jahre bauen sie die Gewächshäuser im Sommer ab und stellen sie ein paar Meter weiter wieder auf – die Wüste ist schließlich endlos.
Die Landbesitzer verdienen sehr gut. Familienbetriebe oder Investoren besitzen teilweise mehrere hundert Gewächshäuser. Für die Vermietung von 400 Gewächshäusern für umgerechnet 500 Euro pro Stück und Jahr kommen immerhin 200 000 Euro zusammen. Dazu kommen meist noch Einkünfte aus importierten Düngemitteln, dem Bau von Gewächshäusern, der Brunnenbohrung oder dem Anbau von Deglet Nour – 1000 Dattelpalmen bringen Einnahmen von rund 90 000 Euro jährlich.
Das ganze System fußt auf der Arbeit Tausender Landarbeiter, meist junge Menschen unterschiedlicher Herkunft. Auch ihr Status als Arbeiter ist unterschiedlich: Manche werden tageweise entlohnt und bekommen 250 Dinar pro Stunde (2,10 Euro). Für einen Acht-Stunden-Tag erhalten sie rund 17 Euro, wobei sie nie einen vollen Monat arbeiten können. Andere verdingen sich als Pächter bei einem der großen Landbesitzer und bekommen am Ende der Saison je nach Anbaugebiet ein Viertel oder ein Fünftel des anteiligen Nettogewinns. Wieder andere mieten ein paar Gewächshäuser für die Saison und versuchen als Selbstausbeuter ein Maximum herauszuholen.
Am Ende eines langen Pfads zwischen den endlosen Folientunneln lebt der 36-jähige Hocine mit seinem 20-jährigen Neffen Mustapha in einer armseligen Hütte: vier Wände aus Hohlbetonsteinen mit einem Dach aus Wellblech; drinnen liegen zwei rissige Matratzen auf dem nackten Fußboden, eine Glühbirne hängt von der Decke und auf dem Gaskocher stehen zwei rußgeschwärzte Kochtöpfe. Im Sommer steigt das Thermometer auf mehr als 50 Grad.
Die beiden Männer, die vor fünf Jahren hierhergekommen sind, stammen aus Aïn Defla, einer landwirtschaftlich geprägten Stadt zwischen Algier und Oran. Sie verdingten sich zuerst als Tagelöhner, später waren sie Pächter, und dann haben sie sich selbständig gemacht, mit zehn gemieteten Gewächshäusern in El-Ghrous: „Die Miete beträgt 600 Euro im Jahr pro Gewächshaus“, erzählen sie. Wenn der Tomatenpreis bei 50 Dinar pro Kilogramm bleibt, hoffen sie auf einen Nettogewinn von 500 bis 600 Euro pro Gewächshaus am Ende der Saison. Im besten Fall verdienen sie dieses Jahr also 6000 Euro.
Allerdings sind in dieser Rechnung keinerlei Extraausgaben eingeplant: In ihrer Hütte wohnen sie umsonst, zu essen gibt es fast jeden Tag Kartoffeln, Fleisch so gut wie nie, und vor allem dürfen sie nicht krank werden. Die Erntearbeiter sind nicht krankenversichert; ein Arbeitsunfall oder eine Krankheit bringt sofort ihre Ersparnisse in Gefahr. Aber sie beschweren sich nicht: „In Aïn Defla würden wir im Sommer für das Kilo Tomaten nur 10 Dinar bekommen, es lohnt sich also!“
Arbeitsmigranten aus Marokko
Ihr Vermieter, Abderazak M., hat ein Diplom von der Universität Biskra. In den 1990er Jahren war er arbeitslos. Dann bekam er Geld und Land vom Staat. „Früher hab ich selbst in den Gewächshäusern gestanden. Aber jetzt bin ich 45 Jahre alt, und meine Arme sind kaputt“, erzählt Abderazak mit einem traurigen Lächeln. Er sitzt bei einem Glas Tee mit seinen Mietern zusammen. Achten Hocine und Mustapha mehr auf ihre Gesundheit, vor allem beim Umgang mit den Pestiziden? „Weißt du“, antworten sie, „unser Leben liegt in Gottes Hand!“
120 Kilometer entfernt, östlich von Biskra, scheint es der 25-jährige Marokkaner Habib C. besser getroffen zu haben. Weil er sich wie viele seiner Landsleute im Tomatenanbau auskennt, hat er Arbeit in einem großen modernen Gewächshaus gefunden. Habib verdient 500 Euro im Monat, die ihm auch in dieser Währung ausgezahlt werden. Allerdings darf er sich seine Unterkunft nicht selbst aussuchen. Die Abmachung mit seinem Chef verbietet es ihm, im Dorf zu wohnen, geschweige denn, sich dort aufzuhalten; er muss sieben Tage in der Woche in seiner Hütte bleiben. Denn die Marokkaner hier haben alle keine Arbeitserlaubnis. „Vor sechs Monaten hat die Polizei zwei von ihnen im Dorf aufgegriffen“, erzählt der 27-jährige Nordine, der das Gewächshaus seines Vaters verwaltet. „Ich musste eine Strafe von umgerechnet 170 Euro bezahlen.“
Als wir Habib treffen, versprüht er gerade ein Anti-Milben-Mittel – ohne Mundschutz. „Ich weiß, dass das meiner Gesundheit schadet, aber was soll’s.“ Seine Füße sind mit zerrissenen Plastiktüten umwickelt, damit die löchrigen Turnschuhe noch eine Saison halten. Mehr erfahren wir nicht von Habib, er muss weiter das Insektizid versprühen. Schnell verlassen wir das Gewächshaus, denn Hals und Augen brennen bereits.
Die algerischen Behörden sehen der umwelt- und gesundheitsschädlichen Entwicklung in der Landwirtschaft um Biskra weitgehend tatenlos zu. „Der Staat weiß sehr wohl, dass Tausende Bohrungen ohne oder mit gefälschten Genehmigungen stattfinden“, erklärt der Hydrologe Leduc. „Aber es passiert nichts.“
Und wer beschwert sich schon über ein System, bei dem alle auf ihre Kosten kommen? „Das ist eine von mehreren Methoden, das Geld aus dem Ölexport zu verteilen“, sagt Omar Bessaoud, Wissenschaftler am Institut Agronomique Méditerranéen in Montpellier (IAMM). „Die staatlichen Hilfen gehen zu 80 Prozent an Großinvestoren, und die restlichen 20 Prozent werden unter den Tausenden kleinen Fellachen verteilt. So sind alle zufrieden.“
Mittelfristig drohen jedoch die immer umfangreicheren Investitionen (tiefere Bohrungen, größere Gewächshäuser) die kleinen Bauern zu verdrängen. Die vielen algerischen Landarbeiter sehen darin eine Form, den sozialen Frieden zu erkaufen: „Der Staat hat es lieber, dass die jungen Leute arbeiten und ihr eigenes Geld verdienen, als dass sie auf die Straße gehen und staatliche Unterstützung fordern“, sagt der Agrarwissenschaftler Hartani. „Außerdem sind die Leute zufrieden über das reichliche Angebot an Obst und Gemüse auf den Märkten. Letztlich wird hier im Namen der kurzfristigen sozialen Interessen ein irreversibler ökologischer Schaden in Kauf genommen, der allerdings langsam voranschreitet und wenig sichtbar ist.“
Angesichts der darniederliegenden Industrie in Algerien scheinen die „Agrarpioniere“ von Biskra ein mögliches Entwicklungsmodell aufzuzeigen. Sie lösen eine Art Anschubeffekt aus, der neue Industrien anzieht, wie Lebensmittelunternehmen, aber auch eine Zementfabrik und ein Kabelwerk. Sogar der Tourismus profitiert: Es werden gerade 26 neue Hotels gebaut. Wenn es so weitergeht, hat der Tomatenanbau in Biskra eine rosige Zukunft vor sich.
Aus dem Französischen von Jakob Farah
Pierre Daum ist Journalist.