Al-Sisis Morgengabe
Ägypten überlässt Saudi-Arabien zwei Inseln im Roten Meer
von Juan Cole
Juan Cole
Der Staatsbesuch des saudischen Herrschers in Ägypten Anfang April war nicht unbedingt dazu angetan, jene „brüderliche arabische Solidarität“ zu stärken, die König Salman in einer Rede vor dem ägyptischen Parlament beschwor. Denn die Entscheidung von Abdel Fattah al-Sisi, die beiden im Roten Meer gelegenen Inseln Tiran und Sanafir an Saudi-Arabien abzutreten, löste auf den Straßen von Kairo und in den sozialen Medien heftige Proteste aus.
Für einen Großteil der jungen Generation belegt die Bereitschaft des Präsidenten, die saudische Finanzhilfe mit ägyptischem Territorium zu entgelten, den politischen Opportunismus von Exgeneral al-Sisi, der nach dem Militärputsch vom Juli 2013 einen Prätorianerstaat errichtet und die Errungenschaften des Arabischen Frühlings rückgängig gemacht hat.
Dabei war der Besuch König Salmans für Ägypten nicht so lukrativ, wie man es in Kairo angesichts der saudischen Großzügigkeit der letzten Jahre erwartet hatte. Der wahhabitische Monarch verkündete zwar den Plan, die beiden Länder durch eine Brücke über das Rote Meer zu verbinden. Doch er bot keine neuen unbegrenzten Finanzhilfen, über die Ägypten frei verfügen kann, sondern lediglich projektgebundene Gelder und die Gründung eines Investitionsfonds mit einem Kapital von knapp 16 Milliarden Dollar.
Offensichtlich sind die Zeiten vorbei, in denen nicht zweckgebundenes Geld nach Kairo floss. Der Ölpreisverfall hat die Einkünfte des Königreichs halbiert. Zudem hat man in Riad vermerkt, dass die vielen Milliarden, die dem Al-Sisi-Regime im letzten Jahr von drei Golfstaaten bewilligt wurden, nicht den gewünschten Einfluss auf Kairos Außenpolitik hatten: Das ägyptische Offizierkorps verweigerte die Beteiligung an der Militärintervention im Jemen, und die antifundamentalistischen Nationalisten in Kairo unterstützen nach wie vor das Assad-Regime in Syrien, was der saudischen Politik völlig zuwiderläuft.
Nachdem die Offiziere 2013 den gewählten Präsidenten Mohammed Mursi gestürzt hatten, stellten die Saudis und ihre Verbündeten am Golf insgesamt rund 20 Milliarden Dollar zur Verfügung, damit sich das Militärregime in Kairo stabilisieren konnte.1 Die drei Golfstaaten wollten vor allem, dass die Muslimbruderschaft unterdrückt würde, die als Volksbewegung auch für sie eine Bedrohung darstellt. Aber der Finanzbedarf Ägyptens ging weit über diese Summe hinaus. Zudem wurde das Geld auf nicht besonders transparente Weise verwendet.
Transparenz ist ohnehin keine Stärke der ägyptischen Militärjunta, die ihre unbegrenzte Macht mit einer notdürftigen Verfassungsfassade tarnt. Vor der Präsidentschaftswahl im Mai 2014 wurden mehrere Gegenkandidaten al-Sisis zum Verzicht gedrängt; bei den Parlamentswahlen 2015 durften einige Parteien gar nicht erst antreten. Deshalb hat das Regime heute keine Mühe, die unorganisierten unabhängigen Abgeordneten, die im Parlament die Mehrheit ausmachen, gegeneinander auszuspielen.
Der umstrittenste Punkt beim Besuch König Salmans war die Zustimmung Kairos zur gemeinsamen Grenze der Territorialgewässer im Roten Meer, was auf eine Abtretung der Inseln Tiran und Sanafir an Saudi-Arabien hinausläuft. Diese liegen wie ein Riegel in der Meerenge von Tiran und spielen eine wichtige Rolle bei der Kontrolle über den Zugang zum Golf von Akaba.
Besondere strategische Bedeutung erlangten die Inseln 1869 mit der Eröffnung des Suezkanals. 1906 formulierte das damals britisch beherrschte Ägypten seinen Anspruch in einem Vertrag mit dem Osmanischen Reich. Nachdem das Haus Saud 1926 den Hedschas, das westliche Küstengebiet am Golf von Akaba, erobert hatte, erhob es ebenfalls Anspruch auf Tiran und Sanafir. Als mit dem 1948 gegründeten Staat Israel ein weiterer geopolitischer Konkurrent hinzukam, einigte sich das militärisch schwache Saudi-Arabien 1950 mit Ägypten auf eine Verpachtung der Inseln.
Das nationalistische Regime von Gamal Abdel Nasser, das 1952 an die Macht kam, bekräftigte allerdings die ägyptischen Souveränitätsansprüche. Nasser argumentierte, die Insel Tiran liege innerhalb der ägyptischen Territorialgewässer,2 deshalb gehöre auch die Straße von Tiran zur eigenen Hoheitszone. Folglich beanspruchte Ägypten das Recht, die Schiffe bei der Passage der Straße von Tiran zu kontrollieren.
Als Israel in den 1950er Jahren seinen Hafen Eilat am Nordende des Golfs von Akaba ausbaute, war es für seine wachsenden Exporte auf freien Zugang zum Roten Meer angewiesen. Deshalb bestand es auf freie Passage durch die Straße von Tiran, die es als internationales Gewässer betrachtete. Während der Suezkrise 1956 besetzte Israel Tiran und Sanafir, musste sich allerdings unter dem Druck der USA wieder zurückziehen.
Die Opposition wird wieder wach
Im Mai 1967 verkündete Nasser die erneute Sperrung der Straße von Tiran für israelische Schiffe. Obwohl diese Ankündigung zunächst ohne Folgen blieb, wurde sie von der israelischen Führung als Casus Belli betrachtet. Am Ende des Sechstagekriegs hatten israelische Truppen die gesamte Sinaihalbinsel erobert und Tiran und Sanafir erneut besetzt. Mit dem Friedensvertrag von 1982 fielen die Inseln wieder an Ägypten zurück.
Noch kurz vor seinem Sturz 2010 unterzeichnete der ägyptische Präsident Husni Mubarak einen Vertrag mit den Saudis, der die gemeinsamen Seegrenzen im Roten Meer festlegte, wobei er in Erwartung großzügiger Finanzhilfen den Anspruch Riads auf Tiran und Sanafir akzeptierte. Die formelle Anerkennung der saudischen Souveränität über die Inseln ist also lediglich die Umsetzung der Politik Mubaraks.
Obwohl al-Sisi jede abweichende Meinung in den ägyptischen Medien unterdrückt und Tausende Oppositionelle, darunter auch Anführer des Arabischen Frühlings, ins Gefängnis geworfen hat, ist die Opposition in der Bevölkerung wegen der Abtretung der Inseln wieder aktiv geworden: Am 10. April wurden binnen weniger Stunden 28 000 Tweets mit den Namen der Inseln im Hashtag registriert. Das Hashtag #awadsoldhisland3 kam auf 128 000 Einträge. Ein Blogger verbreitete einen Witz, in dem al-Sisi ägyptische Inseln mit dem Slogan anpreist: „Kauf eine, die zweite gibt’s gratis dazu.“ Und der Satiriker und Regimekritiker Bassem Youssef twitterte aus dem Ausland: „Eine Milliarde für eine Insel, zwei Milliarden für eine Pyramide und ein paar alte Statuen als Dreingabe.“
Al-Sisis Morgengabe schockierte selbst Mitglieder der sonst so fügsamen ägyptischen Elite. Der Verfassungsrechtler Nour Farhat erklärte in einem Fernsehinterview, nach Artikel 151 der – von al-Sisi in Auftrag gegebenen – Verfassung von 2014 sei die Regierung zur Abtretung nationalen Territoriums nicht berechtigt. Ahmed al-Naggar, der Herausgeber der staatlichen Zeitung Al-Ahram, betonte in einem Facebook-Eintrag, die nationalen Grenzen Ägyptens seien „unantastbar“. Und selbst Ministerpräsident Scherif Ismail war über das Zugeständnis an die Saudis so besorgt, dass er erklärte, über diese Frage werde das Parlament abstimmen. Damit soll der Präsident offenbar etwas aus der Schusslinie genommen werden.
Natürlich lehnen Regimegegner wie die Muslimbrüder das Zugeständnis al-Sisis ab. Kritik kommt auch von linken Gruppierungen wie der „Jugendbewegung des 6. April“, die Ende April 2014 für illegal erklärt und aufgelöst wurde. Auch der linke Anwalt Khaled Ali, der bei den Präsidentschaftswahlen von 2012 als „Kandidat der Armen“ angetreten war, erklärte, er lehne eine Abtretung ägyptischen Territoriums grundsätzlich ab.
Dem Fehltritt al-Sisis in der Inselfrage ging eine Kontroverse voraus, die durch den Tod des italienischen Studenten Giulio Regeni ausgelöst wurde. Der Cambridge-Doktorand, der über die unabhängigen ägyptischen Gewerkschaften geforscht hatte, war am 25. Januar 2016 verschwunden und wurde neun Tage später tot aufgefunden. Wie die Autopsie ergab, war er eine Woche lang auf grausamste Weise gefoltert worden, wobei die Art der Verletzungen auf Foltermethoden des ägyptischen Geheimdienstes hinweisen.
Für die ägyptische Jugend, die den Arabischen Frühling von 2011 getragen hat, ist Giulio Regeni inzwischen zur Symbolfigur für die eigene Verfolgung und Repression durch das konterrevolutionäre Regime geworden. Der „Verkauf“ der Inseln an Saudi-Arabien könnte jetzt noch mehr und umfassendere Proteste auslösen.
Nach dem Militärputsch gegen die Regierung Mursi hatte ein großer Teil der Ägypter al-Sisi als Retter vor der Herrschaft islamischer Fundamentalisten begrüßt. Doch der Staatspräsident und seine Offizierskollegen verstanden diesen verbreiteten Wunsch nach Ruhe und stabilen Verhältnissen offenbar als Blankoscheck, der zur Errichtung eines neuen Willkürregimes ermächtigt. Es wäre eine ironische Pointe der Geschichte, wenn diese neue Ordnung durch die Aufgabe von zwei kleinen Inseln erschüttert würde, an die die Ägypter jahrzehntelang keinen Gedanken verschwendet hatten.
Aus dem Englischen von Niels Kadritzke
Juan Cole ist Historiker und Direktor des Center for Middle Eastern and North African Studies an der University of Michigan.
© Le Monde diplomatique, Berlin