12.05.2016

Konkurrenten in Mittelamerika

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Konkurrenten in Mittelamerika

von Guillaume Beaulande

Juli 2007: Taipeh empfängt den Botschafter von Costa Rica reuters
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Ein Akt von elementarem Realismus“: Mit diesen Worten kommentierte Costa Ricas Präsident Óscar Arias Sánchez im Jahr 2007 seine Entscheidung, die Volksrepublik China anzuerkennen1 – 58 Jahre nach ihrer Gründung. Anno 1949 waren die chinesischen Nationalisten der Kuomintang nach ihrer Niederlage gegen die Kommunisten auf die Insel Taiwan ins Exil gegangen. Sie sahen sich als Vorhut im Kampf gegen den Kommunismus – und die lateinamerikanischen Staatschefs, damals treue Vasallen der USA, schenkten ihnen ihre Gunst. Im Gegenzug pflegte Taiwan innige Beziehungen zu den Militärdiktaturen in Südamerika. Von dieser Freundschaft zeugt noch heute die beeindruckende Statue von Tschiang Kai-schek in Asunción, die einst Paraguays langlebiger Diktator Alfredo Stroessner in der Hauptstadt errichten ließ. Beide waren äußerst aktive Mitglieder der World Anti-Communist League, die Tschiang Kai-schek 1967 gegründet hatte. Bis heute ist Para­guay der Brückenkopf Taiwans in Südamerika und dessen einziger Zugang zum Gemeinsamen Markt Südamerikas (Mercosur).

1969 hatte Kuba als einziges amerikanisches Land die Volksrepublik China anerkannt. 1971 folgte die Anerkennung durch die USA und die Aufnahme der Volksrepublik (anstelle Taiwans) in die UNO. Seit jeher ist Peking bemüht, das diplomatische Netz des Rivalen in Taipeh zu zerstören, für den die Stimmen seiner Verbündeten umso kostbarer sind, als Taiwan trotz wiederholter Anträge von internationalen Organisationen (mit Ausnahme der Welt­handels­organisation WTO seit 2002) ausgeschlossen bleibt. Peking setzt alle Staaten unter Druck: Die Eröffnung einer Botschaft in Taiwan führt de facto zum Bruch mit China. Diese Regel ist nicht verhandelbar und hat das Ziel, die Insel noch stärker zu isolieren.

Das gelang Peking in Südamerika besser als in Mittelamerika, das bis weit in die nuller Jahre als Bastion Taiwans galt. Deshalb war die Entscheidung Costa Ricas auch so überraschend. Zwar änderte sie das Kräfteverhältnis zwischen Peking und Taipeh nicht grundlegend,2 aber der von Arias Sánchez beschworene „elementare Realismus“ könnte sich auch anderen Hauptstädten aufdrängen: aus politischen Gründen – den lateinamerikanischen Anti­kommunisten ist das Schwinden der „roten Gefahr“ nicht entgangen –, vor allem aber aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus.

Nach Ansicht des früheren taiwanischen Präsidenten Chen Shui-bian hat die Volksrepublik China die diplomatische Unterstützung Costa Ricas „für 400 bis 500 Millionen Dollar gekauft“. Ihr Bestreben sei es, Taiwan auf dem internationalen Parkett zum „Waisenkind“ zu machen und sein „Verschwinden als Nation“ durchzusetzen.3 Der asiatische Riese ist da nicht kleinlich: Zwischen 2004 und 2006 ist das Export­volumen von Costa Rica nach China von 163,3 auf 558,3 Millionen Dollar gewachsen, während die Exporte nach Taiwan unter 100 Millionen Dollar blieben.3

China läuft Taiwan den Rang ab

Die Volksrepublik setzt trotz Verlangsamung des Wirtschaftswachstums be­trächtliche Mittel für dieses Ziel ein. Beim ersten Gipfeltreffen mit der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (Celac) am 8. Januar 2015 in Peking hat sich Präsident Xi Jinping verpflichtet, zur „Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen China und Lateinamerika“ 250 Mil­liar­den Dollar zu investieren.4 Zwar gilt Chinas Hauptaugenmerk Rohstoffliefe­ranten wie Argentinien, Brasilien, Vene­zuela oder Ecuador, aber die strategische Lage der kleinen Staaten Mittelamerikas fällt ebenfalls ins Gewicht.

Die Beziehungen zu Nicaragua standen zunächst unter keinem guten Stern. Der Chef der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN), Daniel ­Ortega, hatte während seiner ersten Amtszeit als Staatspräsident (1985 bis 1990) mit Blick auf die Volksrepublik die langjährigen diplomatischen Beziehungen zu Taiwan beendet und den Diplomaten einen Monat Zeit gegeben, ihre Sachen zu packen und das Botschaftsgebäude an die Diplomaten der Volksrepublik zu übergeben. Die Aktion brachte nicht den gewünschten Erfolg: China gewährte dem Kampf der Sandinisten gegen die von den USA unterstützen Contra-Rebellen nur bescheidene „moralische Unterstützung“. Carlos Fon­seca Terán, damals stellvertretender Außenbeauftragter der Sandinisten, sprach von einem „Akt revolutionärer Romantik“.5

Seit Ortega 2006 erneut an die Macht kam, bemüht sich Peking mit Nachdruck um das Land und war an der Ausarbeitung des Projekts eines neuen interozeanischen Kanals beteiligt.6 Diese Idee war früher bereits von Taiwan unterstützt worden. Dass der Kanal je gebaut wird, ist unwahrscheinlich. Der Beginn der Arbeiten wurde auf Ende 2016 verschoben – der Finanzier des Unternehmens, Investor Wang Jing aus Hongkong, verlor derweil 85 Prozent seines gesamten Vermögens an der chinesischen Börse.

Taiwans Strategie in Mittelamerika zog zahlreiche Korruptionsaffären nach sich, die seinem Ansehen schwer geschadet haben. Eine davon war das Verschwinden von 10 Millio­nen US-Dollar, die zum Wiederaufbau nach dem Erdbeben in El Salvador von 2001 bestimmt waren. Der Expräsident von El Salvador, Francisio Flores, erklärte in seiner Aussage zu den gegen ihn erhobenen ­Unterschlagungsvorwürfen: „Während meiner Amtszeit gab es eine sehr spe­ziel­le Form der Zusammenarbeit. Die Regierung von Taiwan überwies die Mittel direkt an Abgeordnete, Regierungen, Stiftungen und politische Organisationen, die bereit waren, die Unabhängigkeit der Insel zu unterstützen.“7

Außerdem muss sich Taiwan mit einer unangenehmen Vergangenheit herumschlagen. Die Militärakademie Fu Hsing Kang im Norden der Insel ist berüchtigt für die Ausbildung in Techniken des antikommunistischen Kampfs. Einer ihrer Absolventen war Roberto d’Aubuisson, Gründer der Na­tio­nalistischen Republikanischen Al­lianz (Arena) und Anführer der salvadorianischen Todesschwadronen.

Taiwan hat bis heute besonders gute Beziehungen zu den rechten Parteien der Region. Seit der Rückkehr der Demokratie in mehreren Staaten (wie El Salvador, Guatemala und Nicaragua) hat es Machtwechsel gegeben: Heute sind die politischen Parteien der einstigen Guerilla an der Macht, die ideologisch dem kommunistischen China nahestand, wie zum Beispiel die Na­tio­na­le Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) in El Salvador, deren Gegner Taiwan früher unterstützt hat.

Bleibt der Einfluss der USA. Die Regierung in Washington nutzt die engen Beziehungen zwischen Taiwan und Mittelamerika, um in „ihrem Revier“ einen indirekten und diskreten Einfluss zu bewahren. 2010 haben die USA Taiwan mit 60 Black-Hawk-Hubschraubern ausgerüstet. Fünf Jahre später überließ die taiwanische Regierung unter Ma Ying-jeou vier davon Honduras, wo die Regierung, die sich 2009 mit Unterstützung der USA an die Macht geputscht hatte, den Widerstand der Bevölkerung unterdrücken musste.

1 Zitiert nach New York Times, 7. Juni 2007.

2 Von den 22 Staaten, die Taiwan anerkennen, liegen 6 in Mittelamerika und 5 in der Karibik (Haiti, Dominikanische Republik, St. Lucia, St. Vincent und die ­Grenadinen, St. Kitts und Nevis). Von den südamerikanischen Ländern unterhält nur Paraguay diplomatische Beziehungen zu Taiwan.

3 Siehe Tico Times, San José, Costa Rica, 22. Juli 2014.

4 La Jornada, Mexiko-Stadt, 8. Januar 2015.

5 Siehe Mario Esteban Rodríguez, „¿China o Taiwan? Las paradojas de Costa Rica y Nicaragua“, Revista de ciencia politica, Bd. 33, Nr. 2, Santiago 2013.

6 Siehe Toni Keppeler, „Hundert Jahre Panama-Kanal“, Le Monde diplomatique, August 2014.

7 El Faro, 9. Januar 2014, www.elfaro.net

Aus dem Französischen von Claudia Steinitz

Guillaume Beaulande ist Journalist.

Le Monde diplomatique vom 12.05.2016, von Guillaume Beaulande