07.04.2016

Das vergiftete Paradies

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Das vergiftete Paradies

Auf der panamaischen Insel San José haben die USA einst Chemiewaffen getestet. Heute stehen hier Luxusbungalows

von Guido Bilbao

Zwischen 1944 und 1948 diente die Insel den USA als Testgelände für Chemiewaffen Courtesy of Gregory A. Wilson
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Kreuzt man zwischen den dreißig Inseln, die im smaragdgrünen Meer des Archipels Las Perlas verstreut liegen, lässt man die Contadora-Insel hinter sich und hält trotz der Haie und der starken Gegenströmung Kurs auf die Linie, wo der Golf von Panama in den Pazifik übergeht, gelangt man zu einem kleinen Paradies: San José, 44 Quadratkilometer, mehr als 50 weiße Sandstrände, Korallenbänke, Palmen, Berge, Höhlen und Wasserfälle. Die Insel liegt 80 Kilometer vor der Einfahrt zum Panamakanal und gehört zu einem Gebiet, das als beste Adresse für den Fischfang auf dem Planeten gilt. Und San José ist die einzige Insel weit und breit, auf der es das ganze Jahr über Süßwasser gibt.

Die Reiseagenturen haben sie „Die Perle der Perlen“ getauft. San José ist heute das teuerste Eiland der Welt: Es steht für 325 Millionen Dollar zum Verkauf. Aber keine Reiseagentur wird verraten, dass San José die potenzielle Hölle birgt.

Zwischen 1944 und 1948 diente die Insel den USA, unter Beteiligung von Großbritannien und Kanada, als Testgelände für Chemiewaffen. Die freigesetzten Kampfstoffe gelangten in die Luft, versickerten im Boden. Aber viele der Bomben, die damals vom Himmel fielen, sind gar nicht erst explodiert. Ein Dutzend Blindgänger wurden bislang offiziell auf San José entdeckt. Sie sind seit siebzig Jahren dem Wind, den tropischen Regengüssen und der karibischen Sonne ausgesetzt. Die langsame Erosion macht sie von Tag zu Tag gefährlicher. Die USA weigern sich bis heute, ihre in internationalen Verträgen festgelegten Pflichten zu erfüllen und die Insel zu dekontaminieren.

Über die giftige Hinterlassenschaft der US-Streitkräfte streiten sich die USA und Panama schon lange. Trotzdem wurde auf San José gebaut. Das Luxusresort Hacienda del Mar besteht aus 17 netten Holzhäuschen mit Veranda, Meeresblick und allem Komfort, die in der Hochsaison 400 bis 700 Dollar pro Nacht kosten. Anders als die Einheimischen, die die Geschichte der Insel kennen, spazieren die Touristen unbeschwert unter Palmen und genießen die ganzjährig konstante Temperatur von 27 Grad.

„Ein von Gott gesegneter Ort“, steht über dem Eingangstor zum Resort. Flitterwochen im Pazifik, Familienurlaub auf der Hacienda del Mar: eine Reise in die Rumpelkammer der Rüstungsgeschichte, Ferien auf einer Waffenmüllhalde made in USA. Ein Schild, das vor chemischen Sprengkörpern warnt, gibt es nicht. Bis jetzt, sagen die Hotelbesitzer, sei man über nichts gestolpert.

2013 schlug das Thema in den Medien hohe Wellen, woraufhin sich das Management der Hacienda entschloss, die Vergangenheit nicht länger unter den Teppich zu kehren. Seitdem wird der Ort den Touristen als lebendiges Museum vermittelt.

„Die Insel ist groß, das Hotel ist am einen Ende, das Bombenthema am anderen“, meint eine Urlauberin. Die Buchung für ihr Domizil mit Blick auf die Bucht war schon bestätigt, als sie von der explosiven Seite der Insel erfuhr. „Wir haben es von der heiteren Seite genommen. Und das Hotel informiert sogar über die Operationen von damals.“ Das Management hat die paradiesische Umgebung auf seiner Seite und fühlt sich sicher genug, die Tests als historische Anekdote zu verkaufen. „Wir haben sogar einen organisierten Ausflug zum ehemaligen Militärgebiet mitgemacht, wo noch Überreste der Kasernen zu sehen sind“, erzählt die Urlauberin. „Man hat uns erklärt, die militärischen Operationen hätten sich ganz auf die abgelegenen Zonen der Insel beschränkt, also weder die Landepisten betroffen noch die Straßen, die wir bei dem Ausflug benutzt haben.“

Niemand in San José möchte die Besucher verschrecken. Das war nicht immer so. Als die USA die Insel in den 1940er Jahren für ihre Chemiewaffentests ausgesucht hatten, setzten sie eine alte Schauergeschichte wieder in Umlauf: 1857 lebte auf San José glücklich und zufrieden ein Engländer mit Frau und Tochter. Sie hatten ein einfaches Bauernhaus gebaut. Die Familie lebte von Früchten und vom Fischfang. Eines Tages landete ein fremder kriegerischer Stamm in San José. Der Engländer und seine Frau wurden von den Eindringlingen getötet und skalpiert. Das Mädchen konnte fliehen. Kurze Zeit später wurde sie von Bewohnern einer Nachbarinsel im Dschungel von San José gefunden, jäh gealtert, weißhaarig und dem Wahnsinn verfallen. Die Helfer wollten sie aufs Festland zurückzubringen, doch sie überlebte die Überfahrt nicht.

Panama ist ein von zwei Ozeanen umspülter schmaler Landstreifen. So schmal, dass man am selben Tag in der Karibik frühstücken, in den Bergen zu Mittag essen und den Sonnenuntergang am Pazifik bewundern kann. Zwischen den beiden Meeren liegen 80 Kilometer Urwald. Zu präkolumbianischen Zeiten tauschten die Völker über die Landenge von Panama Handelswaren aus. Nach der Landung der spanischen Invasoren wurde das in Peru und Kolumbien geraubte Gold und Silber großteils per Schiff zur panamesischen Pazifikküste gebracht und dann über Land, auf dem sogenannten Kreuzweg, zur Karibikküste getragen. Von dort fuhren die mit Schätzen beladenen Galeonen nach Europa zurück. Hier entstanden die Legenden von den Piraten der Karibik, die sich dieser Beute zu bemächtigen versuchten.

Nach dem Ende des Unabhängigkeitskriegs unter Führung von Simón Bolívar entstand 1819 Großkolumbien, zu dem auch die Provinz Panama gehörte. 1878 erwarb Frankreich die bis Ende des 19. Jahrhunderts gültige Konzession zum Bau des Kanals. Die Franzosen hatten ihren Erfolg beim Bau des Suezkanals vor Augen, doch diesmal erlebten sie eine katastrophale Niederlage. Mit dem Urwald wurden sie nicht fertig, das Unternehmen scheiterte.1

Und da kamen die USA ins Spiel. Zunächst wollten sie mit Großkolumbien eine neue Konzession für den Kanalbau aushandeln, doch dann erwies es sich als unkomplizierter, einfach einen neuen Staat zu gründen. Panama wurde von Großkolumbien unabhängig ohne einen einzigen Schuss, nur mit Hilfe zweier Schiffe der US-Marine. Die neue Republik schloss sogleich einen Vertrag, der den USA eine unbefristete Konzes­sion für den Bau und die Nutzung des Panamakanals einräumte. Und dazu die Kontrolle über einen jeweils fünf Meilen breiten Landstreifen links und rechts der Wasserstraße: Ein Gebiet von 1432 Quadratkilometern, das an beide Ozeane reichte, nur die großen Küstenstädte Panama-Stadt und Colón blieben ausgespart. In dieser Kanalzone errichteten die USA Militärstützpunkte, die fortan US-Gesetzen unterlagen.

Hier war auch der Standort des Southern Command, der Kommandozentrale für die Koordination und Durchführung aller Militäroperationen der USA in Süd- und Mittelamerika, zu dem auch das berüchtigte Ausbildungszentrum Escuela de las Ámericas gehörte. Heute befindet sich in dem Gebäude das Luxushotel Meliá Panama Canal, das Abenteuerreisen in den Dschungel anbietet.

Über den Feldbetten der GIs baumelten Gasmasken

Der Zutritt zu den US-Basen der Kanalzone, in der alle Annehmlichkeiten und Güter der Ersten Welt zu haben waren, blieb „gringos“ oder „zonians“ (in der Kanalzone geborene US-Amerikaner) vorbehalten, dazu einheimischen Angestellten mit einem speziellen Ausweis und Leuten, die das Glück hatten, von jemandem eingeladen zu werden. Die Panamaer waren Bürger zweiter Klasse in ihrem eigenen Land.

Nach ihrem Eintritt in den Zweiten Weltkrieg planten die Japaner einen Angriff auf die Schleusenanlagen des Kanals. Doch ihre riesigen U-Kreuzer der I-400-Klasse, die sie zur pazifischen Kanaleinfahrt schicken wollten, kamen nicht mehr zum Einsatz. Große Angst hatten die Al­liier­ten aber auch vor den chemischen Waffen, die Japan bei seiner Invasion in China so erfolgreich eingesetzt hatte. Die USA wollten damals ihr eigenes Chemiewaffenarsenal auf die Verwendbarkeit im pazifischen Raum, also unter tropischen Bedingungen testen.

Ziel der USA war es, möglichst große Gebiete möglichst effektiv chemisch zu verseuchen. Aber wo konnten sie das tun? Colonel Robert McLeod vom Chemical Corps, der Chemiewaffeneinheit der US-Armee, wurde beauftragt, einen geeigneten Ort zu finden. Er prüfte die Galapagos-Inseln und mehrere Gebiete vor den Küsten von Costa Rica, Nicaragua und Honduras, am Ende kam er auf San José. Die Insel war unbewohnt, unerschlossen, hatte ausreichend Süßwasser und lag in der Nähe der von den USA besetzten Zone. Und es gab nicht einmal Giftschlangen.

Die Regierung Panamas hatte keine andere Wahl, als die Tests zu genehmigen, ohne auch nur zu wissen, was da getestet wurde. Man kam zu einer Übereinkunft mit der Familie, der die Insel schon gehört hatte, als es den Staat Panama noch gar nicht gab. Für 15 000 Dollar im Jahr konnte das Chemical Corps nun unbegrenzt experimentieren und Bomben abwerfen. Am 6. Januar 1944 begann die „Operation San José“. Binnen weniger Stunden war das Paradies von Ingenieuren, Soldaten und Technikern bevölkert. Sie bauten Straßen, Zeltlager, eine Landebahn und sogar ein Kino für die Truppe. Über den Feldbetten der Soldaten baumelten Gasmasken.

Die Insel wurde in elf Zonen aufgeteilt, sechs von ihnen wurden zum Abwurfgebiet erklärt. Die Ziele wurden mit Mörsergranaten beschossen oder aus der Luft bombardiert, mit zwischen 50 und 500 Kilogramm schweren Bomben. Im ­Armed Forces Chemical Journal von 1948 ist die Rede von130 Tests mit Senfgas, Sarin, Phosgen, Cyan­was­serstoff und Butan. Angeblich wurde auch Nervengas aus deutschen Laboren getestet. Berichte unabhängiger Organisationen wie des Internationalen Versöhnungsbunds sprechen von 244 Explosionen bei jeder Übung, wobei jede zehnte Bombe nicht explodiert sein soll. Diese Blindgänger sind noch heute, siebzig Jahre später, in den Wäldern, an den Stränden, vielleicht auch unter den kristallklaren Wasserfällen von San José begraben. Niemand weiß, wie viele es sind. Womöglich Hunderte.

Die Operation San José bedeutete noch eine andere Art Schrecken: Man schickte schwarze US-Amerikaner und Puertoricaner in die kontaminierte Zone, mit der Anweisung, einen Arm unbedeckt zu lassen. Als Testpersonen, an denen man die Wirkung der Waffen studieren konnte.

Die Operation zog sich mehr als drei Jahre hin. Am Ende wurden noch die gelagerten Substanzen aufgebraucht; dann wurde das Lager aufgelöst, wie man von einer wilden Party aufbricht, ohne sich um den Müll zu kümmern. Der Vertrag war ausgelaufen, die Insel ging an ihre Eigentümer zurück. Weder wurden die Munitionsreste entfernt, noch teilten die USA den Eigentümern oder der Regierung Panamas mit, dass noch zahllose schlafende Bomben im Boden steckten. Ein paar chemische Abfälle wurden auf der Insel vergraben, andere ins Meer gekippt.

„Ich wollte nicht an eine Verseuchung glauben, ich hielt das alles für Lügen“, sagte Otto Probst, der die Insel Jahre später kaufte. „Ich habe jeden Stein umgedreht, aber außer ein paar Metallteilen nie etwas gefunden. Das Wasser war in Ordnung, die Tiere waren gesund. Ich wusste von den Tests, aber ich dachte, das sei Vergangenheit, das wären nur böse Gerüchte. Bis die erste Bombe auftauchte.“

Probst war als Sohn deutscher Auswanderer in Panama geboren. Sein Vater war ein Hitler-Anhänger, der in den 1930er Jahren mit der ganzen Familie nach Deutschland zurückkehrte. Otto wurde zur Wehrmacht eingezogen und geriet während des Russlandfeldzugs bei Kiew in Gefangenschaft – zur selben Zeit, als auf San José die Tests stattfanden. Nach seiner Entlassung ging er umgehend nach Panama zurück. Er gründete mehrere Firmen, heiratete, bekam drei Töchter, es ging ihm gut. Er war Geschäftsführer einer Straßenbaufirma, als er den Anruf erhielt, mit dem San José in sein Leben eintrat.

Der Anruf kam von Earl Tupper, dem Erfinder der Tupperware. Er hatte die Insel 1957 erworben. „Earl war ein Visionär, er plante dort ein großes Wellnesszentrum, ein Sanatorium für Reiche. So was gab es damals noch nicht. Ich erhielt den Auftrag, die Straßen zu bauen. Mit schweren Maschinen haben wir die Erde umgewühlt und Straßen zwischen den strategischen Punkten der Insel angelegt. Deshalb sagte ich, dass ich nichts von all diesen Geschichten glaubte; da kam keine einzige Bombe zum Vorschein.“

Ein Indiz gab es allerdings: Ein Arbeiter erlitt während der Bauarbeiten seltsame Verbrennungen am Arm. Earl Tupper zeigte sich besorgt, er kannte die Gerüchte um die Tests. Er aktivierte seine Kontakte zum Pentagon, bekam jedoch keine Antwort, obwohl man ihn dort gut kannte, seit er – Ironie der Geschichte – an der Entwicklung von Gasmasken mitgearbeitet hatte.

Dann kam 1968 und der Putsch, der den linken General Omar Torrijos an die Macht brachte. Die neue Regierung verfolgte eine Politik rigoroser Enteignungen und hatte es auf San José abgesehen. Tupper begriff, dass sein Traum gefährdet war. Er verkaufte die Insel für einen Spottpreis und verlegte seine Investitionen nach Costa Rica.

Otto Probst aber konnte San José nicht vergessen. 1983 kratzte er sein gesamtes Vermögen zusammen und kaufte die Insel, zusammen mit seinem Bruder, mit dem Unternehmer George Novey III, der eine Fluglinie betrieb, und einigen kleineren Teilhabern. „Der Preis war gut, und wir hatten vor, sie schnell wieder zu verkaufen. Keiner wusste besser als ich, was Earl Tupper schon in die Insel investiert hatte und welches touristische Potenzial hier schlummerte: dreißig herrliche Strände, reichlich Süßwasser, fantastische Fischgründe, eine privilegierte Lage.“ Er war so fasziniert, dass er in die gleiche Falle ging wie Tupper. Auch war er überzeugt, dass er die Insel wieder für gutes Geld verkaufen konnte. Doch die Rechnung ging nicht auf.

Panama geriet in einer Periode politischer Turbulenzen. 1981 war Omar Torrijos bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Die Ursache ist bis heute ungeklärt, manche vermuten, dass die CIA dahintersteckte. Der neue Machthaber war General Manuel Noriega, der jahrzehntelang als Agent für die CIA gearbeitet hatte.

Nach dem Ende des Kalten Kriegs war Noriegas Schicksal jedoch besiegelt. Die USA verkündeten als neue Mission für Lateinamerika den Kampf gegen den Drogenhandel und die Verbreitung der Demokratie. Noriega stand für alles, was damit hinfällig war. Im Dezember 1989 starteten die USA ihre größte Militärintervention seit Viet­nam, besetzten Panama, nahmen Noriega fest und verschleppten ihn. Das Land driftete ins Chaos, die Wirtschaft brach ein.

Es war kein guter Zeitpunkt für Investitionen und Tourismusprojekte. Otto Probst versuchte die Insel zu verkaufen, letztlich vergebens. Mehrere Investmentfonds interessierten sich zwar für den Besitz, dreimal wurde sogar eine Anzahlung geleistet. Aber jedes Mal platzte der Verkauf, wenn Gerüchte über die Hölle, die unter der paradiesischen Insel verborgen war, zu den Investoren durchdrangen.

1998 brachte ein Bericht des Internationalen Versöhnungsbundes die ganze Geschichte erneut ans Licht. Die genaue Dokumentation enthielt auch eine Karte mit den Zonen, die als Übungsgelände gedient hatten. John Lindsay-Poland,2 der für den Bericht verantwortlich zeichnete, hatte sich als US-Bürger Zugang zu Informationen der Regierung verschaffen können.

Die Besitzer von San José verlangten auf Lindsay-Polands Bericht hin Auskünfte von der US-Botschaft in Panama-Stadt. Am 2. Juli 1998 versicherte Botschafter William J. ­Hughes in seinem Antwortschreiben: „Unser Land hat seine rechtlichen Verpflichtungen eingehalten und die Insel beim Truppenabzug im Januar 1948 von jeglicher Munition gesäubert, über die wir Kenntnis hatten. Die panamesische Regierung hat die Bedingungen der Rückgabe akzeptiert. Mit dem vorliegenden Brief werden Sie also optimale Voraussetzungen haben, um Investitionen auf der Insel voranzutreiben.“ Damit erklärten die USA erstmals hochoffiziell, dass es keinen Grund zur Sorge gebe. Zu dem Zeitpunkt hatte der Probst-Partner George Novey III bereits mit dem Bau der ersten Luxusbungalows begonnen.

Ebenfalls 1998 ratifizierte Panama die UN-Chemiewaffenkonvention über das Verbot von Entwicklung, Herstellung, Lagerung und Einsatz chemischer Waffen und über deren Vernichtung. Die Unterzeichnerstaaten, zu denen seit 1992 auch die USA gehörten, verpflichten sich, die Bestände ihrer Chemiewaffen zu deklarieren und unter internationaler Aufsicht zu vernichten. Panama nutzte die Gelegenheit, um den alten Verdacht zur Sprache zu bringen. Die USA hatten San José in ihren Angaben gegenüber der UN nicht erwähnt.

Im September 1999 wurde Mireya Moscoso zur Präsidentin gewählt. Während ihrer Regierungszeit wurden der Kanal und die militärischen Stützpunkte auf Grundlage eines 1977 zwischen US-Präsident Carter und General Torrijos geschlossenen Vertrags an den Staat Panama zurückgegeben. Nach fast einem Jahrhundert erlangte Panama wieder die Souveränität über sein gesamtes Territorium.

Eine Zwölfjährige fand den ersten Blindgänger

Otto Probst hatte einen Draht zur Präsidentin: Sie war die Witwe und politische Erbin des 1988 verstorbenen Expräsidenten Arnulfo Arias, der vor seinem Eintritt in die Politik Hausarzt von Probsts Familie gewesen war. Der Inselbesitzer hatte das Ehepaar auch mehrmals im Exil besucht.2

Die Regierung übertrug den Fall dem Unternehmer Juan Méndez. Um einen offenen Konflikt mit den USA zu vermeiden, übte man eine gewisse Zurückhaltung. Obwohl es viele Hinweise gab, dass etwas faul war auf San José, zogen die Amerikaner zur Jahrtausendwende von dannen, ohne dass Beweise für ein Fehlverhalten vorgelegen hätten.

Die panamaische Regierung heuerte die renommierte Washingtoner Anwaltskanzlei Arnold & Porter an, die einen detaillierten Bericht über die Chemiewaffentests erstellte und zu einer Inspektion des Geländes riet. Am 28. Februar 2001 trafen erstmals Leute auf der Insel ein, die auf das Aufspüren chemischer Waffen spezialisiert waren. Doch mit ihren Detektoren fanden sie nichts – außer deutlich erhöhten Eisenwerten im Boden.

Aber noch während die Inspekteure suchten, machte eine Enkelin von Otto Probst einen Zufallsfund. „Opa, hier ist eine Bombe“, sagte die zwölfjährige Carla und zeigte auf eine 500 Pfund schwere Bombe, die genau wie die Blindgänger aussah, die Probst in Berlin gesehen hatte. Die Spezialisten, die die Insel noch nicht verlassen hatte, gaben verlegen zu, dass es sich um einen chemischen Sprengkopf aus US-amerikanischer Produktion handelte.

„Jetzt haben wir die Gringos am Wickel“, hieß es in Panama. Méndez beantragte eine offizielle Inspektion durch die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW), die für die Umsetzung der Chemiewaffenkonvention zuständig ist. Nach zwei Inspektionen bestätigte die OPCW, dass die gefundene Bombe eine nicht deaktivierte, aus den USA stammende Chemiewaffe war. Nachdem man noch weitere sechs Bomben gefunden hatte, erklärte das Gesundheitsministerium die Insel zu einer „Gesundheitskontrollen unterliegenden Gefahrenzone“. Etwas später wurden die Bestimmungen gelockert, die Luxusbungalows am anderen Ende der Insel durften weiter Gäste aufnehmen.

Bei ihrer zweiten Inspektion statteten die OPCW-­Spezialisten die sieben aufgespürten Bomben mit Satellitensendern aus. Eine bloße Geste. Und Otto Probst fand auf seinen Spaziergängen drei weitere Bomben, die in der Landschaft herumlagen. Jetzt bequemten sich die USA zu einem „letzten Vorschlag“: Sie wollten 1,5 Millionen Dollar zahlen und die Ausrüstung liefern, mit der die Panamaer die Bomben zerstören sollte.

Panama lehnte ab. Damit war der Fall für die Regierung in Washington erledigt. Seit dem US-Einmarsch in Panama sind 27 Jahre vergangen. Seitdem wurden vier Regierungen auf demokratische Weise gewählt, aber das Thema San José ist nach wie vor tabu.

Otto Probsts Tocher Jaqueline berichtet frus­triert, dass sich die Familie an alle möglichen Stellen und sogar an die Vereinten Nationen gewandt hat: „Aber niemand konnte etwas ausrichten. Die Vereinigten Staaten erkennen ihre Verantwortung nicht an, weil sie sonst Chemiewaffenabfälle auf der halben Welt entsorgen müssten.“ Als einzige Möglichkeit verbleibt, die USA wegen Vertragsverletzung vor Gericht zu bringen. „Als Privatpersonen sind wir dazu jedoch nicht berechtigt. Wenn Panama nicht endlich die Hosen anzieht, sind wir verloren.“

2009 gab Otto Probst auf. Für die Familie war die paradiesische Insel zu einem ewigen Drama geworden. Die Belastung war zu groß, der Fluch zu mächtig. Als auch noch Ottos Frau starb, verkaufte die Familie an George Novey III, den Manager der touristischen Einrichtungen. Der neue Herr von San José meidet jeden Kontakt mit der Presse. Verständlicherweise, denn wann immer die Insel in den Zeitungen auftaucht, sinkt ihr Marktwert oder geht ein weiterer Verkaufsversuch schief.

Die Regierung Panamas betrachtet San José nicht mehr als Staatsaffäre. Die Insel gilt inzwischen als Besitz eines Privatmanns, der seine Rechte selbst geltend machen muss. Dabei geht es nicht nur um die „Operation San José“. Schließlich waren die USA in Panama fast hundert Jahre präsent, in die zwei Weltkriege und die Kriege in Korea und in Vietnam fielen. Sie haben in dieser Zeit mehrere Waffengenerationen entwickelt und viele davon in Panama getestet, nicht nur auf San José, sondern auch auf den Stützpunkten des Southern Command.

Ein Drittel der Kanalzone wurde für militärische Übungen genutzt. Aus Geheimdienstdokumenten und internen militärischen Quellen geht hervor, dass in Emperador, in Balboa ­Oeste und in Piña, wenige Kilometer von Panama-Stadt entfernt, neben konventionellen auch chemische Waffen getestet wurden – vermutlich sogar welche mit abgereichertem Uran. Dabei sind wiederholt Zivilpersonen nach dem Kontakt mit Überresten konventioneller Waffen gestorben. Das Gesundheitsministerium hat Comic-Broschüren verteilt, die vor den Gefahren in diesen Zonen warnen.

Dann entdeckte ein Trupp Arbeiter bei Rodungen für den Bau einer Landstraße 14 Blindgänger, nur 13 Kilometer von der wichtigsten Kanalbrücke Puente de las Américas entfernt. Noch näher liegt die Stadt Arraiján, die sich in Richtung der verseuchten Zone ausdehnt. Die Gefahr rückt näher, und bislang gibt es niemanden, der sie aufhält.

Kurz vor den Wahlen vom Dezember 2013 erklärte die Regierung plötzlich, die USA hätten sich verpflichtet, binnen drei Monaten San José zu dekontaminieren. Die Regierung verlor die Wahlen und nichts ist geschehen.

Wann also wird die Insel endlich dekontaminiert? Analuisa Bustamante, die zuständige Person im panamaischen Außenministerium, müsste darauf eine Antwort haben. Aber sie weicht aus, spricht von Spezialisten, die erst mal die Ver­seuchungsgefahr evaluieren sollen.

Unterdessen bietet die Hacienda del Mar den Touristen Erholung pur mit Meerblick und Öko-Exkursionen. Die Bomben wurden bislang ja nur in den Bergen gefunden. Aber dort stehen immer noch keine Warnschilder, denn die könnten ja Leute, die Böses im Schild führen, auf die Blindgänger aufmerksam machen. Die sind stattdessen mit GPS und Satellitensender versehen. Kommt jemand zu dicht heran, geht bei dem Untersuchungsteam der Alarm los. Das, so meint man, soll genügen.

1 Siehe Toni Keppeler, „Hundert Jahre Panamakanal“, Le Monde diplomatique, August 2014.

2 John Lindsay-Poland, „Emperors In The Jungle. The hidden history of the US in Panama“, London (Duke University Press) 2003.

3 Arnulfo Arias Madrid (1904–1988) war dreimal Präsident Panamas, seine letzte Amtszeit endete nach elf Tagen mit dem Militärputsch von 1968.

Aus dem Spanischen von Angelica Ammar

Guido Bilbao ist Journalist und Dokumentarfilmer in Panama. © Le Monde diplomatique, Berlin

Le Monde diplomatique vom 07.04.2016, von Guido Bilbao