Was wird anders in Argentinien?
Präsident Macri und das Erbe des Kirchnerismo
von Carlos Gabetta
Am 22. November 2015 wählten die Argentinier Mauricio Macri zum Staatspräsidenten. Die neue Regierung ist aus einer Mitte-rechts-Allianz namens ¡Cambiemos! (etwa: „Verändern wir!“) hervorgegangen, bestehend aus der liberalen Altpartei Unión Cívica Radical (UCR) und Macris liberal-konservativer Propuesta Republicana (PRO).
Der Sieg Macris beendete eine linksperonistische Ära, in der Präsident Nestor Kirchner von 2003 bis 2007 und anschließend seine Ehefrau Cristina Fernández de Kirchner das Land regiert hatten. Der Bürgermeister von Buenos Aires, Erbe eines riesigen Familienvermögens und Expräsident des Fußballklubs Boca Juniors, besiegte den designierten Nachfolger des Kirchner-Clans Daniel Scioli mit einer knappen Mehrheit von 51,3 Prozent.1
Vier Monate nach der Wahl steht die Frage nach dem Erbe des „Kirchnerismo“ im Zentrum der politischen Debatten. In den langen Kirchner-Jahren ist das Land auf den Weg der Korruption und der ökonomischen, institutionellen, politischen und sozialen Spaltung geraten, den auch andere Länder Lateinamerikas, darunter Mexiko, eingeschlagen haben. Auch in Argentinien wurden die Institutionen wie die Wirtschaft vom Drogenhandel unterwandert. Selbst Papst Franziskus, ein erklärter Anhänger des Peronismus, sagte über sein Heimatland, es sei nicht mehr nur ein „Transitland“, sondern zu einem „Land des Konsums und der Produktion“ von Drogen geworden.2
Korruption und Drogenhandel sind inzwischen ein unentwirrbarer Knoten, den das Land durchschlagen muss. Die neue Regierung musste sich auch sofort mit dem Thema befassen, als drei lebenslang einsitzende Drogenhändler am helllichten Tag durch den Haupteingang ihres Hochsicherheitsgefängnisses entkommen konnten. Erst nach einer zwei Wochen dauernden Flucht, die ohne Hilfe aus den Reihen der Polizei nicht möglich gewesen wäre, wurden sie wieder gefasst. Die Leitung des Strafvollzugs von Buenos Aires wurde unverzüglich entlassen. Die gehört neben der Provinzpolizei ohnehin zu den korruptesten Behörden des Landes. Aber Bestechungsgelder flossen in alle Bereiche des Sicherheitsapparats, einschließlich der Geheimdienste.
Einer der drei flüchtigen Narcos beschuldigte den ehemaligen Kabinettschef von Cristina Kirchner, Aníbal Fernández, in den Mord an drei Personen verwickelt zu sein, die mit dem Handel von Ephedrin befasst waren. Ephedrin ist Bestandteil mehrerer Arzneimittel, aber auch der synthetischen Droge Crystal Meth (Methamphetamin), die sich weltweit rasant ausbreitet. Fernández war von 2007 bis 2009 Justizminister, in dieser Zeit nahm der Import von Ephedrin um 800 Prozent zu. Die Wochenzeitschrift Perfil berichtete, in diesen zwei Jahren hätten Mexikaner, die sich in Argentinien niedergelassen hatten, die frei erhältliche Substanz gekauft, die in ihrem eigenen Land verboten ist. „In Argentinien kann man ein Kilogramm Ephedrin für 100 Dollar kaufen. In Mexiko kostet es bis zu 10 000 Dollar.“3
Noch gilt Aníbal Fernández in dieser Angelegenheit als unschuldig, aber es gibt eine interessante Vorgeschichte: Im Oktober 1994, als er noch Bürgermeister der Stadt Quilmes war, soll er im Kofferraum eines Autos vor der Polizei geflohen sein, nachdem ein Richter seine Verhaftung wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten in der Stadtverwaltung angeordnet hatte.
Der rätselhafte Tod eines Staatsanwalts
Im Januar 2011 verhaftete die spanische Polizei auf dem Flughafen von Barcelona drei von der argentinischen Luftwaffe ausgebildete Piloten, Matías Miret und die Brüder Gustavo und Eduardo Juliá. Die Brüder sind Söhne des verstorbenen Chefs der argentinischen Luftwaffe. In ihrem gecharterten Privatjet fand man 945 Kilogramm nahezu reines Kokain. Die Drogen waren auf dem Militärflughafen Morón in Buenos Aires an Bord gelangt, der der Luftwaffe und der Regierung untersteht. Größere Rauschgiftlieferungen aus Argentinien wurden auch in Portugal und in Kanada beschlagnahmt.
Im Dezember 2015 wurden Ricardo Jaime, ehemals Staatssekretär für Transportwesen im Planungsministerium, und sein Nachfolger Juan Schiavi wegen der Beteiligung an einer Korruptionsaffäre, die zu dem schweren Eisenbahnunglück vom September 2012 geführt hatte, zu sechs und acht Jahren Gefängnis verurteilt. Das Unglück mitten im Zentrum von Buenos Aires hatte 52 Tote und 789 Verletzte gefordert. Im selben Fall wird auch gegen den verantwortlichen Vorgesetzten, den damaligen Planungsminister Julio De Vido, ermittelt.
Menschenrechtsorganisationen beklagen die wachsende Zahl von entführten Frauen, die zur Prostitution gezwungen werden. Derzeit sind über 700 Frauen als vermisst gemeldet. Menschenhändler beliefern auch einen illegalen Arbeitsmarkt, in dem sklavenartige Bedingungen herrschen. Eine Karte des Viertels Once in Buenos Aires, angefertigt von der Papst Franziskus nahestehenden Stiftung La Alameda, verzeichnet „neun Stundenhotels, sechs illegale Fabriken, eine direkt gegenüber dem Polizeirevier, und nur zwei Straßen weiter zwei ‚Bunker‘ von Drogenhändlern“.4
Auch der Nationalsport Fußball ist inzwischen ein mafios durchsetzter Geschäftszweig, betrieben von bankrotten Klubs, die sich mit illegalen Transaktionen und Geldwäsche finanzieren. Und mit Gangs gewalttätiger Fans, den sogenannten barras bravas, die in Drogenhandel und Schmuggel verwickelt sind und sich untereinander blutige Straßenkämpfe liefern. Im Februar 2010 gab es ein Todesopfer, als ein Bus mit Fans der Newell’s Old Boys aus Rosario von Kugeln durchsiebt wurde. Die Untersuchung ergab, dass die eingesetzten Waffen von der Polizei selbst beschafft worden waren.
2010 beschloss die Regierung, den Profifußball zu subventionieren. Obwohl die Klubs 2014 fast 300 Millionen Dollar bezogen, sind viele am Rande des Bankrotts. Und in den Stadien sind nur die Fans der Heimteams zugelassen, um Schlägereien mit Anhängern der gegnerischen Klubs zu vermeiden.
Gegen die ehemalige Präsidentin Cristina Kirchner laufen derzeit rund 50 strafrechtliche Ermittlungsverfahren, unter anderem wegen gesetzwidriger Bereicherung und Geldwäsche, die über ihr Hotelunternehmen Hotesur gelaufen sein soll.5 Ihr Vizepräsident, Amado Boudou, hat drei Anklagen am Hals, etwa wegen „Bestechlichkeit“ und „mit einem öffentlichen Amt unvereinbaren Transaktionen“.6
Und selbst die legendäre Hebe de Bonafini, Initiatorin und Vorsitzende der „Mütter von der Plaza de Mayo“, ist in den Wirbel der Skandale geraten. Die leidenschaftliche Kirchner-Anhängerin soll als Chefin der Stiftung „Geteilte Träume“ staatliche Zuschüsse für den Bau von Sozialwohnungen zweckentfremdet haben.7
Die Justiz befasst sich auch mit dem rätselhaften Tod von Staatsanwalt Alberto Nisman. Der engagierte Ermittler war am 18. Januar 2015, zwei Tage vor seiner geplanten Aussage vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, in seiner Wohnung aufgefunden worden, getötet durch einen Kopfschuss.
Beschäftigungspolitik auf peronistisch
Nisman war überzeugt, dass Präsidentin Cristina Kirchner und Außenminister Héctor Timerman versucht haben, die internationalen Ermittlungen gegen fünf Iraner zu hintertreiben, die am Bombenanschlag vom Juli 1994 auf das jüdische Gemeindezentrum Amia im Zentrum von Buenos Aires beteiligt gewesen sein sollen. Das Attentat hatte 85 Tote und 300 Verletzte gefordert. Nisman hatte behauptet, die argentinische Regierung habe ein Geheimabkommen mit Teheran geschlossen, wonach die Anschuldigungen gegen den Iran mit Hilfe einer inszenierten „Wahrheitskommission“ entkräftet und die Haftbefehle aufgehoben werden sollten. Als Gegenleistung sei die Aufnahme von Handelsbeziehungen verabredet worden.
Im Mai 2015 hatte das argentinische Verfassungsgericht eine derartige Vereinbarung für verfassungswidrig erklärt. Im Dezember gab es eine neue Wende: Ein Staatsanwalt beantragte die Eröffnung eines Verfahrens gegen Timerman, nachdem sich aus telefonischen Beweismitteln ergeben hätte, dass diesem die iranische Verantwortung für das Attentat bekannt gewesen sei.
Am 1. März behauptete der Exgeheimdienstagent Jaime Stiuso, der direkten Kontakt zu Nisman gehabt hatte, dieser sei „wegen seiner Anklage gegen Cristina Kirchner von einer Gruppe ermordet worden, die der vorherigen Regierung nahegestanden hat“.8 Die frühere Präsidentin könnte vor Gericht zitiert werden, um sich zu diesen Anschuldigungen zu äußern.
Ein anderes großes Problem ist das ökonomische und soziale Erbe der Kirchners. Die erneute Verstaatlichung des Erdölunternehmens Yacimientos Petrolíferos Fiscales (YPF) von 2012 hat dem Land nicht die versprochene Autonomie auf dem Energiesektor gebracht, ganz im Gegenteil.9 2013 musste Argentinien Erdöl und Gas für 13 Milliarden Dollar importieren. YPF schloss daraufhin einen Vertrag mit dem Ölmulti Chevron über die Ausbeutung des riesigen Erdölfelder von Vaca Muerta im Süden Argentiniens.
Die konkreten Vertragsklauseln wurden zunächst geheim gehalten, bis das oberste Gericht die Veröffentlichung anordnete. Inzwischen hat die neue Regierung den „Energienotstand“ ausgerufen. Um die Versorgung zu gewährleisten, müssen bis 2017 im ganzen Land umschichtig Stromsperren verhängt werden.10
Mit der Wiederverstaatlichung der Fluggesellschaft Aerolineas Argentinas 2008, die zu jährlichen Verlusten von bis zu 400 Millionen Dollar führte, lief es nicht besser. YPF und Aerolineas Argentinas waren jahrzehntelang effiziente und profitable Staatsunternehmen, bis Präsident Carlos Menem, ein liberaler Peronist, der von 1989 bis 1999 an der Macht war, deren Privatisierung durchsetzte. Bei der erneuten Verstaatlichung wurde das Management unerfahrenen und oft wenig kompetenten Gefolgsleuten anvertraut. Selbst untergeordnete Posten gingen an Anhänger und Vertraute Kirchners. Die vorhersehbare Folge war ein krasser Produktivitätsverlust.
Kirchners Gesetz über audiovisuelle Medien, das 2009 das Rundfunkgesetz der Militärdiktatur von 1980 ablöste, wurde zu Recht sehr gelobt.11 Bald aber konnte die Präsidentin der Versuchung einer Instrumentalisierung nicht widerstehen. Sie polemisierte zwar gegen die Medienkonzentration in den Händen der Opposition und vor allem der Clarín-Gruppe, die über 40 Prozent Marktanteil verfügt. Aber zugleich finanzierte sie mit Haushaltsgeldern den Aufbau eine neuen, ihr nahestehenden Medienmacht. Macri hat jetzt eine Novellierung des Gesetzes angekündigt, die auch von peronistischen Dissidenten unterstützt werden dürfte.
Die Beschäftigungspolitik der Regierung Kirchner bestand im Wesentlichen darin, den öffentlichen Dienst aufzublähen. Dessen Umfang wuchs seit dem Jahr 2003 von schon beachtlichen 2,3 Millionen Beschäftigten bis heute auf nahezu 4 Millionen, das ist jeder zehnte Argentinier. Zum Beispiel hat die Bibliothek des Nationalkongresses ihr Personal in den letzten vier Jahren um 38 Prozent auf 1558 Angestellte erhöht. Das sind weit mehr Mitarbeiter als bei den größten Bibliotheken der Welt, die sehr viel größere Bestände haben.
Diese unmäßige Aufblähung des Personals in fast allen staatlichen Bereichen hat eine lange Tradition. Alle Regierungen Argentiniens, einschließlich der Diktaturen, haben den Staat als Mittel des Nepotismus und Klientelismus genutzt. Noch der kleinste Posten wurde entweder als Gegenleistung für politische Gefolgschaft vergeben oder aber schlicht verkauft. Obwohl die Gesetze besagen, dass bei Einstellungen allein das Kriterium beruflicher Kompetenz gelten soll, wurden die Posten in den letzten 20 Jahren nach ganz anderen Kriterien vergeben, und das sogar im öffentlichen Bildungssektor.
Deshalb ist erneut die Debatte über den „schlanken“ Staat als Gegenbild zum „aufgeblähten“ Staat entbrannt. Diese Begriffe sind jedoch irreführend, denn das Problem ist nicht allein die Größe des öffentlichen Dienstes, sondern auch seine Ineffizienz und Intransparenz. Anfang Februar hat die neue Leitung der staatlichen Krankenkasse für Rentner (Pami) aufgedeckt, dass Mitarbeiter seit 2003 Medikamente im Wert von jährlich 500 Millionen Pesos für 7500 Rentner verordnet haben, die bereits verstorben waren. Ein Pami-Arzt hat in nur einem Jahr 39 000 Rezepte unterschrieben. Und keine einzige staatliche Stelle kann von sich behaupten, dass solche Betrügereien bei ihr nicht vorkommen.
Das Wirtschaftswachstum lag in den Jahren 2003 bis 2011 durchschnittlich bei 7 Prozent; in den letzten vier Jahren ist es auf 0,5 Prozent gesunken. Die Reserven der Zentralbank sind fast erschöpft. Das Haushaltsdefizit bewegt sich zwischen 5 und 7 Prozent, die Inflationsrate kletterte inzwischen auf über 32 Prozent.12 Der Armutsindex, das wichtigste soziale Kriterium für die Politik der Ära Kirchner, ist nach einem beträchtlichen Rückgang wieder deutlich angestiegen. Der Anteil der Haushalte, die in extremer Armut leben, hat sich von 2010 bis 2013 mehr als verdreifacht: von 4,7 auf 17,8 Prozent. Im selben Zeitraum stieg der Anteil der armen Bevölkerung nach Angaben der Katholischen Universität Argentiniens von 7,3 auf 27,5 Prozent.
Bei der Eröffnung der neuen Parlamentsperiode am 1. März hat der neue Präsident ein wenig erfreuliches Bild von der Situation gezeichnet. Macri machte zwar die Vorgängerregierung dafür verantwortlich, betonte aber zugleich seinen Willen zu einer „demokratischen Zusammenarbeit“ mit der nichtkirchneristischen Opposition.
Da Macri mit seiner PRO im Kongress keine absolute Mehrheit hat, muss er sich für die Regierungsarbeit sowohl auf seinen Combiemos-Partner UCR als auch auf die liberalen Peronisten und auf die Linke (vor allem die schwache Sozialistische Partei) stützen. Die Konservativen haben zwar die Macht auf Landesebene und in sechs Provinzen – darunter die Provinz Buenos Aires, wo 40 Prozent der Bevölkerung und des BIPs konzentriert sind –, doch die 17 übrigen Provinzen bleiben in den Händen der Opposition.
Der Präsident hat erste makroökonomische Maßnahmen beschlossen, die den neoliberalen Rezepten entsprechen. In diesem Sinne hat er auch eine Einigung mit den „Geierfonds“13 unterschrieben, was ihm ein Lob von IWF-Präsidentin Christine Lagarde und seinem Land erneuten Zugang zu den internationalen Finanzmärkten eingebracht hat. Die Beihilfen für die ärmsten Familien wurden vorerst jedoch nicht gestrichen; Macri hat angesichts der Kräfteverhältnisse im Kongress sogar eine Erhöhung versprochen. Gestrichen wurden dagegen die Subventionen für Haushaltsstrom, was einen rasanten Preisanstieg um 300 bis 700 Prozent bedeutet. Auch hier wurden allerdings Rentner und Familien mit niedrigem Einkommen verschont. Die Sozialleistungen mit der neoliberalen Axt zu kürzen, würde bei der Opposition und vor allem in der Öffentlichkeit nicht gut ankommen.
Wo Macri jedoch freie Hand hat, hält er sich strikt an sein wirtschaftsliberales Credo. Das zeigt etwa die Berufung von Managern in die meisten Regierungsämter oder das brutale, pauschale und intransparente Vorgehen, die Arbeitsverträge für Tausende Angestellte des öffentlichen Dienstes einfach aufzukündigen, ohne andere Lösungen auch nur geprüft zu haben.
Macri legte auch Wert darauf, im Januar beim Weltwirtschaftsforum in Davos aufzutreten, dem sein Land in den zwölf Jahren zuvor ferngeblieben war. Dort erhielt der neue argentinische Star seinen Ritterschlag, nämlich Gesprächstermine mit etablierten Kollegen wie dem britischen Premier David Cameron und etlichen Businessgrößen. In der Außenpolitik war Macri von Anfang an bemüht, die Beziehungen zu den USA und zur Europäischen Union zu verbessern. Als erste Erfolge konnte er die Besuche des italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi und des französischen Präsidenten François Hollande verbuchen. Ende März reiste sogar Barack Obama, von Kuba kommend, zum Staatsbesuch nach Buenos Aires.
Der Pragmatiker Macri will auch die langjährigen Beziehungen zu Russland und China weiter pflegen. Härter attackierte er Venezuela, als er im Dezember 2015 verkündete, ein Südamerika dürfe es „keinen Platz für politische Verfolgung“ geben.
Mitte-rechts-Kurs oder Neoliberalismus pur
Um es sich mit keiner Seite zu verderben, bescheinigte er Präsident Nicolás Maduro aber auch „einen Schritt nach vorn“, weil der seine Niederlage bei den Parlamentswahlen vom Dezember 2015 eingestanden hatte, und ermahnte die venezolanische Opposition zu „Zurückhaltung“. Und am 21. Januar 2016 rief er beim Gipfeltreffen des Gemeinsamen Markts Südamerikas (Mercosur) in Paraguay die Mercosur-Staaten, also auch Venezuela, zum gemeinsamen Kampf gegen Armut und Drogenhandel auf.
Zu Hause hofiert der Präsident die Opposition und vor allem die junge Garde der Peronisten, bei denen am 8. Mai die Wahl einer neuen Führung ansteht. Diese Strategie der Öffnung scheint fürs Erste ganz gut zu gelingen. Für die Verabschiedung des Haushalts der Provinz Buenos Aires hat Macri bereits die Unterstützung der nichtkirchnertreuen Peronisten gewonnen.
Was die Außenwirtschaft betrifft, hat die Regierung einige orthodox-liberale Sofortmaßnahmen ergriffen. So hat sie Importhindernisse beseitigt und die Währung um 30 Prozent abgewertet, um den Abstand zwischen dem offiziellen Wechselkurs und dem Kurs auf dem „Parallelmarkt“ zu verringern. Die ausländischen Investoren sind offenbar begeistert. In den nächsten Monaten hofft Argentinien auf Deviseneinnahmen von 15 bis 20 Milliarden Dollar, vor allem aus China. Und die argentinischen Exporteure haben zugesagt, von dem Geld, das sie im Ausland geparkt haben, täglich 400 Millionen Dollar zurückzuholen.
Am umstrittensten ist der Plan der Regierung, die Exportsteuer auf Erze abzuschaffen. Diese Entscheidung löste bei zahlreichen sozialen Organisationen und Umweltverbänden große Empörung aus, vor allem weil der Bergbau schwere Umweltschäden verursacht.14 Aber Argentinien sitzt auf den sechstgrößten Erzreserven der Welt, deren Ausbeutung sich eine neoliberale Regierung natürlich nicht entgehen lässt. In den 16 Bergbauprovinzen ist zwar die peronistische Opposition am Ruder, aber da sie vom Staatshaushalt abhängig sind, haben sie bereits Verhandlungsbereitschaft signalisiert.
Ob die Regierung Macri einen Mitte-rechts-Kurs mit christlich-sozialem Anstrich einschlagen oder Neoliberalismus pur pflegen wird, hängt auch von den Allianzen ab, die sie eingehen muss. Unabhängig davon verheißt der Verfall der Rohstoffpreise für Argentinien ebenso wenig Gutes wie die globale Wirtschaftslage nach dem spektakulären Scheitern des Neoliberalismus. Zumal die Krise inzwischen China und Brasilien, also die wichtigsten Handelspartner, Investoren und Geldgeber Argentiniens, erfasst hat.
Das Hauptproblem, vor dem die Regierung steht, bleibt jedoch die hohe Inflation. Als der Wahlsieger im Dezember 2015 sein Amt antrat, stieg die Inflationsrate schlagartig nochmals um 4 Prozentpunkte. Der weitere Anstieg (3 Punkte im Januar und 3,7 Punkte im Februar 2016) auf über 32 Prozent lässt Schlimmes befürchten.
Die Geldentwertung erschwert auch die laufenden Tarifverhandlungen zwischen der Regierung und den Gewerkschaften. Im März verhinderte ein Lehrerstreik in acht Provinzen den Beginn des neuen Schuljahrs. Der Präsident will die Gehaltserhöhungen unterhalb der 30-Prozent-Grenze (also unterhalb der Inflationsrate) halten und zugleich die Einkommensteuer so reformieren, dass die Mittelschicht stärker belastet würde. Auch will er den Mehrwertsteuersatz für Grundnahrungsmittel senken, der derzeit bei 21 Prozent liegt. Familienbeihilfen sollen erhöht und ausgeweitet werden, zudem ist ein Fonds von mehreren Millionen Pesos für die Sozialfonds der Gewerkschaften geplant. Diese Spende an die Gewerkschaften soll einen Kompromiss am Verhandlungstisch erleichtern.
Präsident Macri hat einen „schonungslosen Kampf gegen Ineffizienz und Korruption“ und „null Armut“ bis zur Hälfte seiner Amtszeit versprochen. Mit der Veröffentlichung der Panama-Papers stellte sich heraus, dass er selbst bis 2009 an einer dubiosen Briefkastenfirma in Panama beteiligt war.
2 Zitiert in der Tageszeitung El Litoral, Santa Fe, 10. März 2015.
4 Laalameda.wordpress.com, 14. Dezember 2015.
8 „Las declaraciones más impactantes del exespía Stiuso“, Perfil, 1. März 2016.
9 Siehe José Natanson, „Argentiniens Ölkrise“, Le Monde diplomatique, Juni 2012.
10 Ambito.com, 15. Dezember 2015.
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
Carlos Gabetta ist Journalist.