11.02.2016

Bombenprofit

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Bombenprofit

Das Geschäft mit dem Atomwaffenarsenal

von Richard Krushnic und Jonathan Alan King

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Spielen wir mal eine völlig absurde Idee durch: Irgendwo in den USA betreiben Industriekonzerne hoch profitable Geschäfte, die auf der Möglichkeit beruhen, dass Ihr Wohnviertel zerstört und Sie, Ihre Nachbarn und viele andere Menschen auf der ganzen Welt ausgelöscht werden könnten.

Solche Konzerne gibt es tatsächlich. Sie liefern dem Pentagon ein gewaltiges Arsenal von Atomwaffen. Über ihre Aktivitäten wissen die meisten US-Bürger wenig oder so gut wie nichts; die Medien berichten nur selten über diese Unternehmen.

Selbst im Rahmen der Debatten über das Atomabkommen mit dem Iran, das Mitte Juli 2015 unterzeichnet wurde, war nie von dem gigantischen Waffenarsenal die Rede, das unseren gesamten Planeten verwüsten könnte: den Kernwaffenbeständen der Vereinigten Staaten und ihres einstigen Erzrivalen Russland.

Dem Bulletin of the Atomic Scientists zufolge verfügen die USA über mehr als 4700 aktive Atomsprengköpfe.1 Die U.S. Navy hat 14 atomgetriebene U-Boote der Ohio-Klasse mit Nuklearwaffen bestückt. Wenn auch nur eines von ihnen seine 24 Trident-Raketen abschießen würde – jede mit zwölf unabhängig lenkbaren Sprengköpfen von einer Megatonne ausgerüstet – könnten damit alle Großstädte eines Landes dem Erdboden gleichgemacht werden und Millionen Menschen den Tod finden. Die Explosionen und Feuerstürme würden so viel Rauch und Schwebstoffe in die Atmosphäre schicken, dass ein nuklearer Winter ausbrechen würde, der eine weltweite Hungerkatastrophe zur Folge hätte.

Dieses ungeheure Potenzial reicht den USA offenbar immer noch nicht aus. Nach Plänen der Obama-Regierung sollen in den nächsten 30 Jahren für die Modernisierung und den Ausbau des Nuklearwaffenarsenals bis zu 1 Billion Dollar ausgegeben werden. Abgesehen davon, dass das den US-Steuerzahlern nicht mehr Sicherheit verschaffen wird, ist es für die Abschreckungsfunktion dieser Waffensysteme ziemlich egal, ob die Treffgenauigkeit einer Rakete, deren Sprengköpfe jedes Leben im Umkreis von zwei Kilometern auslöschen können, von 500 auf 300 Meter reduziert wird. Eine solche „Modernisierung“ hat keine erkennbare militärische Bedeutung.

Wie erklärt sich dieser ständige Drang, immer neue Atomwaffensysteme zu finanzieren? Ein wichtiger Player, der in den USA systematisch ignoriert wird, ist die Atomwaffenindustrie. Tatsächlich wird der Druck, den diese Konzerne ausüben können, auch in der sogenannten Debatte über das Thema unterschätzt.

Beginnen wir mit einer schlichten Tatsache: Produktion, Wartung und Modernisierung von Atomwaffen bedeuten exorbitante Gewinne für einige Unternehmen, die im Grunde ein Kartell bilden, weil sie keinerlei Konkurrenz ausgesetzt sind. Da es sich hierbei um das atomare Waffenarsenal der USA handelt, werden die Lieferverträge der Regierung unter Berufung auf die nationale Sicherheit ebenso geheim gehalten wie die Berichte der staatlichen Rechnungsprüfer. Hinzu kommt, dass die Aufträge nach dem Muster „Kosten plus x“ vergeben werden. Mit anderen

Worten: Egal wie hoch die Rechnungen im Vergleich zu den Kostenvoranschlägen ausfallen – der Staat garantiert den Auftragnehmern einen festgelegten Prozentsatz als Profit. Im Widerspruch zu allen Regeln der freien Marktwirtschaft können also selbst Firmen, die schlechte Arbeit abliefern, kein Geld verlieren.2

Deshalb bemühen sich diese Konzerne auch so sehr darum, jede Initiative für atomare Abrüstung zu untergraben und in der US-Öffentlichkeit das Gefühl von Bedrohung und Unsicherheit zu verstärken. Der jüngste Report der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Nuklearwaffen (Ican) mit dem Titel „Don’t Bank on the Bomb“ („Kein Geld für die Bombe“) enthält eine Liste der Großkonzerne und ihrer Investoren, denen die Megaprofite aus den künftigen atomaren „Umrüstungsprojekten” zufließen werden.3

Auf dieser Liste stehen vertraute Namen. Trägersysteme liefern Boeing, Northrop Grumman, General Dynamics, GenCorp Aerojet, Huntington Ingalls und Lockheed Martin. Die wichtigsten Unternehmen im Bereich der Entwicklung und Produktion von Atomsprengköpfen sind Babcock & Wilcox, Bechtel, Honeywell International und URS Corporation. Die Erprobung und Wartung der Atomwaffen übernehmen weniger bekannte Unternehmen wie Aecom, Flour, Jacobs Engineering und SAIC. An den Lenk- und Zielsystemen der Raketen sind unter anderem Alliant Techsystems und Rockwell Collins beteiligt.

Der Ican-Report berichtet auch über konkrete Vertragsinhalte (soweit sie denn publik geworden sind). 2014 bekam Babcock & Wilson 76,8 Millionen Dollar für die Modernisierung der U-Boote der Ohio-Klasse. Und im Januar 2013 erhielt die Schiffbauabteilung von General Dynamics Electric einen Auftrag über 4,6 Milliarden Dollar für die Konstruktion und Entwicklung einer neuen Generation strategischer U-Boote.4

Dass ein Großteil der Verantwortung für die Entwicklung, Produktion und Instandhaltung der Atomwaffen gar nicht beim Pentagon liegt, sondern beim Energieministerium (Department of Energy, DOE), das mehr Geld für die nukleare Rüstung ausgibt als für die Entwicklung erneuerbarer Energien, wissen die wenigsten US-Bürger. Dem DOE unterstehen auch die staatlichen Versuchsanstalten, in denen nukleare Sprengkörper entwickelt, gebaut und getestet werden.

Die wichtigsten sind das Sandia National Laboratory in Albuquerque, das Los Alamos National Laboratory (beide in New Mexico) und die Lawrence Livermore National Laboratories in Livermore, Kalifornien – allesamt staatliche Anlagen, die aber aufgrund von Verträgen mit dem Dienstleister URS (United Research Services), Babcock & Wilcox, der University of California und dem Baukonzern Bechtel in erheblichem Umfang von privaten Firmen betrieben werden. Hier zeigt sich der Trend, Projekte der nationalen Sicherheitsstrategie in sogenannten Goco-Anlagen („government owned, contractor operated“) zu entwickeln, die im Besitz der Regierung bleiben, aber von den Auftragnehmern genutzt werden. Das bedeutet nichts anderes als die Kommerzialisierung der atomaren Abschreckungsstrategie.

Unkontrollierbare Milliardenausgaben

Allein die Aufträge, die das Forschungsinstitut in Los Alamos vergibt, sind 14 Milliarden Dollar wert. Auch die Nuklearanlage von Savannah River in Aiken, South Carolina, wo Atomsprengköpfe hergestellt werden, wird von den Unternehmen Flour, Honeywell International und Huntington Ingalls Industries gemeinsam betrieben. Dafür erhalten sie vom Energieministerium im Jahr 2016 insgesamt 8 Milliarden Dollar. Anders ausgedrückt: In einer Zeit, in der wir eine forcierte Privatisierung im Bereich des US-Militärs und der Geheimdienste erleben, vollzieht sich ein ähnlicher Prozess auch auf dem Gebiet der Atomwaffen.

Viele Subunternehmer, die zum Teil mehrere hundert Angestellte beschäftigen, verdanken ihr Überleben den stetigen Aufträgen für ganz bestimmte Systemkomponenten. Da sie für die Städte und Gemeinden, in denen sie angesiedelt sind, ein erhebliches ökonomisches Gewicht haben, können sie über ihre Repräsentanten im Kongress das atomare Modernisierungsprogramm vorantreiben.

Die Subunternehmen stehen nicht unter der Kontrolle der NNSA (Na­tio­nal Nuclear Security Administration), der für die Sicherheit der nuklearen Entwicklungs- und Fertigungsanlagen zuständigen Abteilung im Energieministerium. Damit sind auch die Hauptauftragnehmer nur schwer zu kontrollieren. Dass die Kontrolle fehlt, ist ein wesentlicher Grund für die extrem hohen Gewinnspannen. Als 2012 eine NGO von der NNSA Auskünfte über die Gewinne von Babcock & Wilcox forderte, die für die Sicherheit im Y-12 Na­tio­nal Security Complex in Oak Ridge, Tennessee, zuständig ist, hieß es, man habe über dieses Subunternehmen keine Informationen.

Babcock & Wilcox war damals im Komplex Y-12 mit dem Entwurf und Bau einer Urananreicherungsanlage beauftragt. Das Unternehmen hatte seinerseits Unteraufträge an andere Firmen vergeben, diese aber weder angemessen koordiniert noch kontrolliert – mit der Folge, dass die Anlage nicht funktionierte. Erst nachdem die Subunternehmen für ihre nutzlosen Leistungen 600 Millionen Dollar erhalten hatten, wurde sie wieder abgebaut.

Der Fall Oak Ridge war Anlass für einen Bericht des Rechnungshofs (Government Accountability Office, GAO) an den Kongress, der darauf hinwies, dass solche Probleme in den Atomwaffenanlagen des Energieministeriums weit verbreitet seien.5

Die für die Wartung und Entwicklung von Atomwaffen ausgegebenen Steuergelder machen mit mehreren hundert Milliarden Dollar jährlich einen erheblichen Teil des Bundeshaushalts aus. Dem Bericht des Rechnungshofs für 2005 zufolge kennt nicht einmal das Pentagon die genauen Kosten der atomaren Rüstung. Da es auch kein eigenes Budget für Atomwaffen gibt, kann man die Gesamtkosten nur schätzen.

Das Center for Nonproliferation Studies (CNS) kommt auf der Grundlage des Verteidigungshaushalts und des Budgets der NNSA im Energieministerium sowie der entsprechenden Anhörungen im Kongress zu dem Ergebnis, dass die USA im Zeitraum 2010 bis 2018 mindestens 179 Milliarden Dollar für die Aufrechterhaltung ihres atomaren Arsenals – einschließlich der drei Trägersysteme (Raketen, Bomber und U-Boote) – aufgewendet haben werden. Zugleich wird die Entwicklung der nächsten Generation nuklearer Waffensysteme vorangetrieben. Die Kosten beziffert die Budgetplanungsstelle des US-Kongresses für den Zeitraum 2015 bis 2024 auf 348 Milliarden Dollar, von denen 227 Milliarden auf das Pentagon und 121 Milliarden auf das Energieministerium entfallen. Das macht pro Jahr 35 Milliarden Dollar.

In Wirklichkeit liegen die Kosten für das Atomwaffenarsenal weit höher, denn die geschätzten Zahlen enthalten zwar auch die Gehälter für das militärische Personal, nicht aber viele andere Ausgaben, etwa für den Rückbau alter Waffensysteme oder die Entsorgung radioaktiver Abfälle.

Der 2012 veröffentlichte Report eines Expertenkomitees unter Vorsitz des früheren Vizegeneralstabschefs James Cartwright kommt zu dem Befund, bei den Anhörungen sei „kein vernünftiges Argument“ vorgebracht worden, das für den Einsatz von Atomwaffen zur Lösung der großen Probleme des 21. Jahrhunderts sprechen würde. Vielmehr habe sich gezeigt, dass Atomwaffen inzwischen „eher ein Teil des Problems als irgendeiner Lösung“ seien.

Die vom Atomprogramm des US-Militärs profitierenden Unternehmen lässt das natürlich kalt. Sie setzen die Lobbyarbeit für eine Verlängerung ihrer Atomwaffenverträge munter fort. 2015 unterhielt die Rüstungsindustrie eine kleine Armee von 718 Lobbyisten und gab 67 Millionen US-Dollar aus, um den Kongress zu einer Erhöhung der Militärausgaben zu drängen. Zu den spendabelsten Unternehmen gehören Konzerne wie Lockheed Martin, Boeing und General Dynamics, die maßgeblich an den Atomwaffenprogrammen beteiligt sind.

Verstärkung bekommt die Nuklearlobby von Unternehmen, die vornehmlich im nichtatomaren Bereich tätig sind, aber Trägersysteme produzieren, die sowohl mit konventionellen als auch mit Atomwaffen bestückt werden können. Für diese Firmen bedeutet ein massives nukleares Rüstungsprogramm natürlich mehr Absatzchancen.

Um Steuergelder für lukrative militärische Beschaffungsprogramme frei zu machen, erhöhen die Republikaner im Kongress den Druck in puncto Kürzungen bei den Sozialausgaben. Insofern könnte es auch für die Lebensqualität der US-Amerikaner gefährlich sein, wenn sie den Einfluss der Atomwaffenindustrie unterschätzen.

1 Dazu gehören Atombomben wie auch raketengestützte Sprengköpfe (die von Land wie auch von U-Booten abgeschossen werden können). Siehe: fas.org/issues/nuclear-weapons/status-world-nuclear-forces.

2 Der Ökonom Seymour Melman hat bereits 1970 in seinem Buch „Pentagon Capitalism“ den parasitären Charakter der Rüstungskonzerne beschrieben, die nach dem Prinzip der „Kostenmaximierung“ arbeiten. Siehe: www.ameriquests.org/ojs/index.php/ameriquests/article/view/126/134.

3 Der Ican-Report wurde am 12. November 2015 veröffentlicht, www.dontbankonthebomb.com/wp-content/uploads/2015/11/2015_Report_web.pdf.

4 Siehe Anmerkung 3. Der Report enthält auch Angaben über die Investitionen von Banken und anderen Finanzinstitutionen in Unternehmen mit Atomwaffenaufträgen.

5 Der GAO-Report unter: www.gao.gov/assets/670/663745.pdf.

Aus dem Englischen von Niels Kadritzke

Jonathan Alan King ist Professor für Molekularbiologie am MIT in Boston, Massachusetts, und Vorsitzender des Nuclear Abolition Committee of Massachusetts Peace Action. Richard Krushnic engagiert sich in Projekten von community development in Lateinamerika. Eine erste Fassung dieses Textes erschien in TomDispatch.com.

© Agence Globale; für die deutsche Übersetzung Le Monde diplomatique, Berlin

Le Monde diplomatique vom 11.02.2016, von Richard Krushnic und Jonathan Alan King