07.01.2016

Captain Kirk, der chinesische Admiral und SpaceX

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Captain Kirk, der chinesische Admiral und SpaceX

Statt den Mars zu kolonisieren, sollten wir die Suche nach innerterrestrischer Intelligenz verstärken

von John Feffer

Michael Fanta, Street Corners, 2015, Öl auf Karton, 15 x 15 cm
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Sie waren „die Besten und Klügsten“, wenn auch nur in einem Raumschiff und nicht auf dem Planeten Erde. Und sie standen für den Fortschrittsoptimismus ihrer Zeit: Die Originalfassung der Fernsehserie „Star Trek“ wurde zwischen 1966 und 1969 in den USA ausgestrahlt, und die Besatzung des Raumschiffs „Enterprise“ war eine vielseitig begabte Multikultitruppe. Der unverwüstliche Captain Kirk hatte den selbstgewissen Sex-Appeal eines John F. Kennedys; sein Chefberater, Mr Spock, halb von Erdbewohnern, halb von Vulkaniern abstammend, repräsentierte die kühle Rationalität eines „IBM-Rechners auf Beinen“ – die Bezeichnung musste sich seinerzeit Kennedys Verteidigungsminister Robert McNamara gefallen lassen. Das ganze Unternehmen der „USS Enterprise“ hatte den Auftrag – angeblich zum Segen der Menschheit –, „to boldly go where no man has gone before“. Der „kühne Aufbruch“ in nie zuvor erkundete Räume diente der Mission, die Bewohner solcher fernen Welten aufzuspüren, mit ihnen Kontakt aufzunehmen und sie verstehen zu lernen.

Die wichtigste Regel, die das Verhalten von Captain Kirk und seiner Besatzung auf ihrer Reise durch die TV-Episoden steuern sollte, lautete: keine Einmischung in die Angelegenheiten außerirdischer Zivilisationen. In dieser Haltung kam die wachsende Sympathie für die Antikriegsbewegung zum Vorschein, die der Erfinder der Serie, Gene Roddenberry, und viele seiner Drehbuchschreiber damals hegten. Denn für mehr und mehr US-Bürger war der eskalierende Vietnamkrieg ein Beleg dafür, dass es Unfug ist, eine geografisch und kulturell weit entfernte Gesellschaft nach den eigenen Vorstellungen umformen zu wollen – eine Anmaßung, die seit Mitte der 1960er Jahre „die Besten und Klügsten“ – auf der Erde wie an Bord der „Enterprise“ – ins Grübeln brachte.

Trotz der bewussten Parallelen zwischen irdischen und außerirdischen Interventionen haben die Erfinder der „Star Trek“-Serie, die ihre Fans über Jahrzehnte begeisterte und zahlreiche Fortsetzungen, Kinofilme und sonstige Ableger hervorbrachte, ihre Hauptprämisse jedoch niemals in Zweifel gezogen. Sie stellten sich nicht die Frage, ob es für das Universum womöglich besser gewesen wäre, wenn die „Enterprise“ nie von der Erde abgehoben wäre, wenn sich also die Erdbewohner nicht ungebeten in Dinge eingemischt hätten, die außerhalb ihres eigenen Sonnensystems liegen.

Die heutigen US-Bürger wären gut beraten, sich diese grundsätzliche Frage zu stellen – in einer Zeit, da ihr Land nicht nur weitere Militärinterventionen ins Auge fasst, sondern auch ehrgeizige Pläne zur künftigen Kolonisierung anderer Planeten ausbrütet. Was bedeutet dieser unstillbare Drang, uns in entlegenen Weltregionen einzumischen? Zeigt sich darin eine dynamische Zivilisation oder vielleicht doch ein verhängnisvoller Defekt – verhängnisvoll nicht nur für die USA, sondern für die internationale Gemeinschaft und die menschliche Gattung insgesamt?

Die USA haben sich noch nie mit außenpolitischer Vorsicht und Zurückhaltung hervorgetan. Schon seit Ende des 19. Jahrhunderts hat man sich oft mit „fremden“ Gesellschaften angelegt. Diese Neigung scheint zur DNA unseres Landes zu gehören, das ja selbst Produkt der gewaltsamen Entwurzelung und Auslöschung der damals hier lebenden indianischen Bevölkerung ist.

Schon die Expedition des Kolumbus war ein „kühner Aufbruch“ zu neuen Ufern, die Europäer nie zuvor erreicht hatten, und im Grunde ist es jedes Mal eine Neuauflage seiner Reise, wenn wir unsere Marineinfanterie an fremden Küsten absetzen oder unsere Drohnen in fremden Luftraum entsenden. Und so wie die amerikanischen Ureinwohner nicht darauf aus waren, „entdeckt“ oder mit neuen, eingeschleppten Infektionskrankheiten angesteckt zu werden, so hatten auch die Iraker keinen Bedarf an neokonservativen Demokratielektionen.

Trotz zahlreicher Belege für das böse Ende der jüngsten US-Interventionen – siehe Afghanistan, Irak, Libyen – wird derzeit in Washington über weitere Militäraktionen nachgedacht. Zwar stehen der Iran und Kuba nicht mehr auf der Tagesordnung, und auch Nordkorea ist offenbar nicht mehr im Visier. Allerdings kann unser militärisches Auftreten in Ostasien durchaus als aggressiv wahrgenommen werden, vor allem von der paranoiden Führung in Pjöngjang.

Aber selbst die eher auf Diplomatie setzende Obama-Regierung führt ihren Drohnenkrieg weiter – in Pakistan, in Afghanistan, im Irak, in Somalia und im Jemen – und betreibt ein neues geheimes Drohnenprogramm zur Bekämpfung des „Islamischen Staats“ (IS) in Syrien.1

Die US-Luftwaffe und ihre Verbündeten haben bis Anfang Dezember 2015 weit mehr als 8000 Luftangriffe gegen den IS in Syrien und im Irak geflogen2 . Und nach wie vor hat das Pentagon größere Truppenkontingente in Afghanistan (9800) und im Irak (3500) stationiert und Spezialstreitkräfte in insgesamt 150 Länder entsandt. Mittlerweile zieht sich ein Netz von Hunderten US-Militärstützpunkten – mit einem Personal von 150 000 Leuten – rund um die Erde.

Diese militärischen Aktivitäten verändern die strategische Weltkarte. Seit dem 11. September 2001 haben die USA mit ihren Invasionen, Angriffen und Besatzungsarmeen einen Krisenbogen geschaffen, der sich von Afghanistan über den Mittleren und Nahen Osten bis nach Afrika erstreckt. Zerbrechliche Staatsgebilde wie Somalia und der Jemen sind im Chaos versunken. Syrien und der Irak wurden zu Brutstätten für die gefährlichsten Formen des Extremismus. In Ägypten und den Golfstaaten machen sich autoritäre Führer das Chaos zunutze, um ihre Politik der eisernen Faust zu rechtfertigen.

Selbst die aktuellen Flüchtlingsbewegungen – 60 Millionen Menschen sind derzeit auf der Flucht, so viele wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr – sind letztlich ein Resultat der militärischen Reaktionen der Bush-Regierung auf 9/11. Jahrelang flohen die Menschen vor allem aus Afghanistan und dem Irak. Heute kommen die meisten Flüchtlinge aus Syrien. Und obwohl die USA keine Bodentruppen nach Syrien entsenden, mischen sie dort ständig mit – anfangs mit dem Ziel, Baschar al-Assad zu entmachten, später, um den IS und seine Verbündeten zu schwächen. Auch im 21. Jahrhundert enden die Bemühungen, Gesellschaften in aller Welt umzumodeln, in einem ähnlich furchtbaren Fiasko wie in Vietnam vor fünfzig Jahren.

Doch der Drang zum „kühnen Aufbruch“ beschränkt sich nicht mehr auf neokoloniale Interventionen oder militärische Abenteuer. Neuerdings wächst auch die Begeisterung dafür, Expeditionstruppen in den Weltraum zu senden. Mehrere konkurrierende Initiativen machen sich daran, den Mars zu kolonisieren, auch weil die Menschheit eine Alternative braucht, falls der ­Klimawandel die Erde unbewohnbar werden lässt.

Alarmstufe Orange

All diese extraterrestrischen Pläne zeugen von der zunehmenden Angst, dass das Ende unserer Gattung nahen könnte. Zahlreiche Beobachter und vor allem Naturwissenschaftler gehen davon aus, dass die Erde auf einen kritischen Punkt zusteuert. Tatsächlich stehen die Zeichen bereits auf „Orange“ – so heißt die zweithöchste Terroralarmstufe –, wobei allerdings offen ist, ob uns letztlich Atomwaffen oder CO2-Emmissionen oder ein ungebremstes Bevölkerungswachstum an die Schwelle zur Selbstzerstörung bringen.

Die menschlichen Erdenbewohner verfügen seit mindestens fünfzig Jahren über das Potenzial, mit ihrem atomaren Spielzeug den ganzen Planeten in die Luft zu jagen. Und die nach wie vor zunehmenden Mengen an Kohle, Öl und Gas, die wir verbrennen, treiben eine ökonomische Entwicklung voran, die unser Ökosystem zerstört. Zudem vermehren wir uns so erfolgreich, dass wir mittlerweile gefräßigen Heuschrecken gleichen, die mehr Nahrungsmittel vertilgen, als die Erde erzeugen kann. Nur wenn wir diese drei Gefahren entschärfen können und die „Orange Zone“ hinter uns lassen, werden wir die zivilisatorische Reifeprüfung bestanden haben. Wenn es uns also gelingt, uns von unseren kindischen Obsessionen – Atomwaffen, Kohlekraftwerke, religiöse Tabus in Sachen Empfängnisverhütung – zu befreien, können wir die nächste Stufe planetarischen Verantwortungsbewusstseins anstreben. Andernfalls sind wir durchgefallen – und eine Wiederholungsprüfung gibt es nicht.

Jenseits von Atomwaffen, Kohlendioxid und Bevölkerungswachstum gibt es ein weiteres Thema, das für unsere Reifeprüfung noch bedeutungsvoller sein dürfte: die Neigung zu Interventionismus jenseits der eigenen Grenzen und Gestade und womöglich sogar jenseits der eigenen Atmosphäre, das heißt im Weltall. Der „Star Trek“-Drang zum „kühnen Aufbruch“ – mit oder ohne Nichteinmischungsgebot – ist für zahllose Probleme der Menschheit verantwortlich. Die Errichtung von Außenposten in entfernten Regionen mag zwar häufig als Ultima Ratio zur Absicherung der US-Interessen erscheinen, doch ebendieser Hang zur Einmischung in anderer Leute Probleme hält uns davon ab, unsere eigene Probleme zu lösen.

Der Ehrgeiz, eine Kolonie auf dem Mars zu gründen, statt endlich ernsthaft den Klimawandel auf der Erde zu bekämpfen, ist genauso kurzsichtig und unsinnig wie – auf anderer Ebene – ein US-Militäretat von knapp 1 Billion Dollar pro Jahr. Mit dem Geld könnte man alles reparieren, was im eigenen Land zu Bruch gegangen ist.

Ein gutes Gegenbeispiel bietet China im 15. Jahrhundert. Zwischen 1405 und 1433 unternahm Admiral Zheng He mit einer Flotte hochseetüchtiger Dschunken sieben Expeditionen in Richtung Mittlerer Osten und sogar bis zu den Küsten Ostafrikas. Er kämpfte gegen die Piraten, die die Handelswege nach China unsicher machten, und intervenierte militärisch in Ceylon. Auf den Riesenschiffen seiner Schatzflotte, die sechsmal so groß waren wie die „Santa Maria“ des Christoph Kolumbus, brachte er seinem Kaiser exotische Geschenke mit, unter anderem eine Giraffe.

Der chinesische Weg

In diplomatischer Mission unterzeichnete Zheng He Tributabkommen mit vielen fremden Ländern, allerdings nicht mit europäischen, denn das rückständige Europa war für die Chinesen damals kaum interessant. Seine letzte Reise unternahm der Admiral von 1431 bis 1433 – zwanzig Jahre bevor Kolumbus geboren wurde. Diese Expeditionen hätten zum Auftakt für eine chinesische Kolonialpolitik werden können, die womöglich die Unterwerfung großer Teile der Welt bedeutet hätte. Aber dazu kam es nicht. Kurz nach Zheng Hes letzter Fahrt untersagte der chinesische Kaiser alle Überseereisen und ließ keine ozeantüchtigen Dschunken mehr bauen oder reparieren. Kaufleute und Seefahrer, die sich dem widersetzten, wurden getötet. „Innerhalb von hundert Jahren“, schreibt die Historikerin Louise Levathes, „fiel die größte Flotte, die die Welt je gesehen hatte, der vollständigen Auflösung anheim.“3

China verabschiedete sich allerdings nicht gänzlich vom Kolonialismus. In seinem asiatischen Hinterhof unterhielt es weiterhin ein System tributpflichtiger Staaten. Auch gegenüber dem aufstrebenden Europa geriet das Reich der Mitte nicht ins Hintertreffen, vielmehr blieb es noch über mehrere Jahrhunderte eine dominierende Macht. Dennoch markiert die Entscheidung des Kaisers, Zheng He und seine Erfolge abzuschreiben, für zahlreiche Historiker einen Wendepunkt. Im Grunde entschied sich China damals gegen den „kühnen Aufbruch“: Es verzichtete auf die Erkundung unerforschter Gebiete oder die Gründung eines weiträumigen Kolonialreichs und entwickelte auch nicht das militärische Potenzial, um solche abhängigen Regionen zu kontrollieren.

Stattdessen sah sich China im 19. Jahrhundert der Raubgier der europäischen Kolonialmächte ausgeliefert, die seine Küstenregionen untereinander aufteilten, als wären sie auf eine herrenlose Schatztruhe gestoßen. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts unternahmen die Chinesen nach einer mehr als hundert Jahre währenden Phase der Demütigung mehrere Anläufe, um den Reichtum und die Macht früherer Zeiten zurückzuerlangen.

Das heutige China ist kein militärisches Leichtgewicht. Aber es verfügt auch nicht über die Interventionsmacht der USA oder auch nur Russlands. Die Chinesen haben wirtschaftliche Interessen in der ganzen Welt, aber sie treten nicht als Weltpolizist auf. Während ihres „sanften Aufstiegs“ konzentrierten sie sich darauf, ihren eigenen Garten zu pflegen – und bauten ihre gigantische Volkswirtschaft zu einem Motor der globalen Dynamik aus.

Obwohl China seine Militärausgaben in den letzten Jahrzehnten stark aufgestockt hat, will man sich gewiss nicht auf einen Rüstungswettlauf mit den USA einlassen, wie er zum Untergang der Sowjetunion beigetragen hat. Auch an neokolonialen Beziehungen hat Peking wenig Interesse. China bezieht zwar Rohstoffe aus Asien, Afrika und Lateinamerika, setzt dabei aber nicht auf die Installation von abhängigen Regimen oder auf den Bau von Militärstützpunkten oder die Entsendung von Spezialtruppen und Militärberatern à la USA. Und selbst das Verhältnis zu seinem Klientelstaat Nordkorea weckt in China heute gehörige Skepsis.

Allerdings könnte das Reich der Mitte, dessen fast schon außerirdische Wirtschaftsdynamik sich inzwischen zu einem immer noch eindrucksvollen Wachstum normalisiert hat, eine neue Zheng-He-Wende einleiten. Chinas Militärhaushalt wurde 2014 um 12,2 Prozent erhöht.4 Auch sein Atomwaffenarsenal wird modernisiert, Luftwaffe wie Kriegsflotte beträchtlich aufgerüstet. Und bei Gebietsstreitigkeiten mit den Nachbarländern lässt Peking immer häufiger die Muskeln spielen.5 Die große Frage ist also, ob Peking sich wieder auf seine Wirtschaftsentwicklung konzentrieren kann, um ein umweltfreundliches und nachhaltiges Wachstum zu gewährleisten – unter Verzicht auf globale Ambitionen. Anders formuliert: Wird China den selbstzerstörerischen Weg anderer Supermächte einschlagen? Oder wird es dazu beitragen, die Erde aus der gefährlichen „Orangen Zone“ herauszuführen?

Noch weiß niemand, welchen der beiden Wege China einschlagen wird. Falls die heutige Führung wie der Kaiser gegenüber Zheng He handeln sollte, befürchten Chinas Falken eine erneute Demütigung durch ausländische Mächte. Die Chinesen könnten sich zu einem verstärkten Ausbau ihres militärischen Angriffspotenzials gezwungen fühlen, wenn die USA sich nicht ernsthaft um eine Abrüstung in Ostasien bemühen.

Die Ausfallversicherung

Der Unternehmer, Erfinder und Milliardär Elon Musk ist ein Produkt des Dot.com-Zeitalters. Seine ersten Millionen hat er mit dem Onlinebezahldienst PayPal gemacht,6 er hat ein konkurrenzfähiges Elektroauto (Tesla) auf den Markt gebracht und in die Entwicklung der Solartechnik investiert. Aber Musk will noch höher hinaus, erfahren wir von Sue Halpern: „Zwar will er mittels Elektroautos und Solarenergie den Klimawandel eindämmen, aber falls diese irdischen Lösungen nicht hinhauen und die Zivilisation akut bedroht ist, will Musk mit Hilfe von SpaceX eine Kolonie auf dem Mars gründen.“7

SpaceX ist für Musk sozusagen die Ausfallversicherung für den Planeten Erde. Die Raketen des Unternehmens versorgen die internationale Raumstation ISS mit Nachschub, die seit 1998 um die Erde kreist und von den Raumfahrtagenturen der USA, der EU, Russlands, Kanadas und Japans unterhalten wird. Musk plant die Landung von Menschen auf dem Mars bereits für 2026, zehn Jahre früher als im Best-case-Szenario der Nasa vorgesehen. Am 20. Dezember 2015 gelang es seiner SpaceX, erstmals eine ausgebrannte Raketenstufe nach ihrem Flug ins Weltall wieder heil zum Weltraumbahnhof Cape Canaveral zurückzubringen. Zuvor hatte die Rakete elf Satelliten auf ihre Umlaufbahnen befördert.

Musk ist übrigens nicht der Einzige. Die vom niederländischen Unternehmer Bas Lansdorp gegründete Stiftung MarsOne ist bereits dabei, aus 100 Bewerbern 24 potenzielle Marspioniere auszuwählen. Diese kühnen Astronauten sollen ebenfalls 2026 – ohne Rückkehrmöglichkeit – zum Mars aufbrechen, um die Basis für eine Erdbewohnerkolonie zu errichten. Ein weiteres privates Raumfahrtunternehmen hat Amazon-Chef Jeff Bezos gegründet. Blue Origin will ebenfalls für die Ausbreitung der Menschheit „über unseren Planeten hinaus“ sorgen. Zu Zeiten des Kalten Kriegs überboten sich die Supermächte beim Wettlauf ins All, um der Gegenseite die eigene technische Überlegenheit zu demonstrieren. Heute konkurrieren nicht mehr Staaten, sondern die reichsten Alphatiere unserer Erde darum, wer als Erster auf dem Mars landet.

In seinem berühmten Essay „The Significance of the Frontier in American History“8 von 1893 beschreibt der Historiker Frederick Jackson Turner den „amerikanischen Charakter“. Der sei geprägt durch die endlosen Weiten „frei verfügbaren“ Landes im Westen und den Drang, den gesamten Kontinent zu kolonisieren. Als diese Ausdehnung Ende des 19. Jahrhunderts an ihre Grenzen stieß, musste sich die aufgestaute Energie des „kühnen Aufbruchs“ neue Räume suchen. Das erklärt, laut Turner, die Gründung des „amerikanischen Imperiums“ und die Ausbreitung der „amerikanischen Zivilisation“ in vermeintlich weniger aufgeklärte Weltregionen.

Heute kommt abermals ein Ausdehnungsprozess an seine Grenzen, weil es in der Welt keine unerforschten Ecken mehr gibt. Und weil die Vorstellung von der Ausbreitung der Zivilisation auf die harte Wirklichkeit in Afghanistan und im Irak trifft und auf die Ernüchterung nach dem Arabischen Frühling in Ägypten und Libyen. Kein Wunder, dass ruhelose Geister wie Musk und Bezos den Weltraum als ihre „letzte Grenze“ ausmachen.

Der Mars ist unbewohnt. Wir werden dort keine „Eingeborenen“ verdrängen und auch keine fremden Kulturen antreffen, die wir mit unserer Nichteinmischung beglücken könnten. Aber machen wir uns nichts vor: Auch die Landung auf dem Mars wird von einigen unserer irdischen Torheiten geprägt sein. Die Pläne, den Mars zu kolonisieren, kommentiert Elisabeth Kolbert im New Yorker: „Wo immer wir hingehen, nehmen wir uns selbst mit. Entweder wir sind fähig, die von unserer eigenen Intelligenz produzierten Herausforderungen zu bewältigen, oder wir sind es nicht. Vielleicht haben wir ja deshalb noch keine außerirdischen Wesen angetroffen, weil sich die Aliens, die überlebt haben, nicht in der Milchstraße herumtreiben. Vielleicht bleiben sie einfach zu Hause und kümmern sich um ihren Garten.“9 Anders gesagt: Die wirklich intelligenten Aliens halten es anscheinend mit dem einstigen chinesischen Kaiser. Sie bauen keine Schiffe mehr.

In ihrem Ehrgeiz, den Mars zu kolonisieren, widmen sich manche Wissenschaftlicher neuerdings wieder verstärkt der „Suche nach extraterrestrischer Intelligenz“ (Seti). Ein privatfinanziertes, mit 100 Millionen Dollar ausgestattetes Seti-Projekt namens „Breakthrough Listen“ will über zwei riesige Radioteleskope mögliche Signale einfangen, die von einer Million erdnaher Sternensysteme und den 100 nächsten Galaxien ausgehen könnten.10

Nach Berechnungen des Astrophysikers Frank Drake ist die Chance ziemlich groß, dass es irgendwo da draußen intelligente Wesen oder Substanzen gibt. Aber wenn wir sie hören können, können sie uns wahrscheinlich ebenfalls hören. Und welche extraterrestrische Intelligenz, die bei klarem Verstand ist, würde Kontakt mit einer Spezies aufnehmen wollen, die Donald Trump, Wladimir Putin und Kim Kardashian bewundert?

Ob es da draußen etwas gibt oder nicht, ist im Grunde egal. Solange wir uns in der „Orangen Zone“ befinden, sind wir noch mit der Suche nach terrestrischer Intelligenz ausgelastet. Den endgültigen Beweis dafür, dass der Begriff „menschliche Intelligenz“ kein Widerspruch in sich ist, konnte die Naturwissenschaft noch nicht erbringen. Unsere gewohnte Vorstellung von Intelligenz – die unerbittliche Verschiebung begrifflicher wie territorialer Grenzen – hat uns schließlich nur in die Sackgasse potenzieller Selbstvernichtung geführt.

Dem Evolutionsbiologen Ernst Mayr zufolge ist die menschliche Intelligenz selbst eine tödliche Mutation, die unsere Gattung auf Kollisionskurs mit den Bedingungen ihrer Selbsterhaltung gebracht hat. Anscheinend ist es uns – und der ganzen Erde – besser ergangen, als wir noch Jäger und Sammler waren – bis jemand auf die tolle Idee kam, die Erdkruste aufzureißen, Saatgut auszubringen und Städte zu bauen.

Der „kühne Aufbruch“, den die Menschheit heute braucht, wäre zuallererst eine Neudefinition dessen, was „intelligentes Leben“ bedeutet. Das heißt nicht, dass wir zur nomadischen Existenzweise zurückkehren und uns von Wildfleisch und Beeren ernähren müssen. Aber es erfordert eine andersartige Intelligenz, um all die schönen Dinge in Ruhe zu lassen, die uns die heutigen Wiedergänger des Admirals Zheng He aus allen Ecken der Welt heranzuschaffen versprechen. Um unsere Ohren vor den Sirenenklängen zu verschließen, die von Demokratieexport, von Antiterrorkrieg und von der Öffnung der Märkte singen, ist in der Tat eine völlig andere Intelligenz vonnöten. Nur sie kann uns helfen, uns mit aller Kraft für den Erhalt unseres eigenen Planeten einzusetzen, statt viel Zeit und Geld in Pläne zu stecken, die einen anderen Planeten verpesten.

Mit jedem weiteren Atomsprengkopf, jedem Düsenaggregat und jeder Weltraumrakete rutschen wir weiter in die „Orange Zone“ und rasen blindlings – oder „kühn“ – auf den Punkt zu, an dem es kein Zurück mehr gibt. Wir alle befinden uns, ob wissentlich oder nicht, wie die Möchtegern-Mars-Eroberer auf einer Reise ohne Rückfahrkarte und ins Unbekannte, nur dass unser Raumschiff der Planet Erde ist.

1 Der geheime Drohnenkrieg ist ein „Programm gezielter Tötungen“, das die CIA und Spezialeinheiten unter dem Joint Special Operations Command (JSOC) unabhängig von der U.S. Air Force durchführen; siehe Washington Post, 1. September 2015.

2 Bis 9. Dezember registrierten die Alliierten 8380 Angriffe, 5534 im Irak und 2846 in Syrien. Siehe BBC vom 10. Dezember: www.bbc.com/news/world-middle-east-27838034.

3 Louise Levathes, „When China Ruled the Seas“, New York (Oxford University Press USA) 1994; siehe auch Olivier Zajec, „Admiral Zheng He kehrt zurück“, Le Monde diplomatique, Oktober 2008.

4 Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri geht davon aus, dass die tatsächlichen Ausgaben mindestens 50 Prozent höher liegen, da gewisse militärische Entwicklungskosten über andere Einzeletats finanziert werden.

5 Siehe: Michael Klare, „Schatzsuche in tiefsten Gewässern“, Le Monde diplomatique, Februar 2015; Olivier Zajec, „Drei Felsen, fünf Inseln – China und Japan auf Kollisionskurs“, Le Monde diplomatique, Januar 2014.

6 Das Vermögen von Musk wird auf 13,7 Milliarden Dollar geschätzt. Damit belegt er Platz 100 der Forbes-Weltrangliste der reichsten Leute.

7 Sue Halpern, „The Man for Mars“, The New York Review of Books, 13. August 2015: www.nybooks.com/articles/2015/08/13/elon-musk-man-mars/.

8 Zu erschließen über: www.gutenberg.org/ebooks/22994.

9 Elisabeth Kolbert, „Project Exodus – what’s behind the dream of colonizing Mars?“, The New Yorker, 1. Juni 2015.

10 Das Projekt wurde am 15. Juli 2015 von international anerkannten Physikern (wie Stephen Hawking) und Astronomen (wie Frank Drake und Martin Rees) gegründet. Das Startkapital stammt von dem russischen Investor Juri Milner. Die genutzten Radioteleskope stehen in West Virginia, USA, und in New South Wales, Australien.

Aus dem Englischen von Niels Kadritzke

John Feffer schreibt auf TomDispatch und ist Autor von: „Crusade 2.0: The West’s Resurgent War against Islam“, San Francisco (City Lights Publishers) 2012.

© Agence globale. Für die deutsche Übersetzung Le Monde diplomatique, Berlin

Le Monde diplomatique vom 07.01.2016, von John Feffer