11.01.2013

Autonome Maschinen auf dem Küchentisch

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Autonome Maschinen auf dem Küchentisch

Arbeiten im digitalen Industriezeitalter von Johan Söderberg

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Mithilfe von Lasercuttern, 3-D-Druckern oder computergesteuerten Fräsen können Gebrauchsgegenstände zu Hause hergestellt werden.1 Am bekanntesten ist der 3-D-Drucker: Nach einem digitalen Modell legt eine Düse, die sich auf drei Achsen bewegt, viele Schichten eines Materials – meist ein synthetisches Harz – übereinander, bis das gewünschte Objekt fertig ist. Von der Türklinke bis zu Fahrradteilen lassen sich so die unterschiedlichsten Dinge herstellen.

Nicht nur kleine Kreativunternehmen profitieren von der neuen Technologie. Auch eine lebendige Bastlerszene produziert mit selbst gebauten 3-D-Druckern maßgefertigte Plastikteile aus Kunstharz. Sie nennen sich „Makers“ und kommen aus der Welt der Freien Software. Die radikalsten Vertreter dieser Szene behaupten, die Wiederaneignung der Produktionsmittel eröffne den Weg zu einer „Demokratisierung“ der Industrieproduktion, was letzten Endes zur Abschaffung der Konsumgesellschaft führen werde.

Die Unternehmer hingegen erhoffen sich vor allem niedrigere Arbeitskosten, wodurch sich die Abwanderung in Billiglohnländer erübrigen würde. Diese Position vertritt auch die Fachzeitschrift Make, die alljährlich in US-Großstädten die „Maker Faires“ organisiert.

Auf einer solchen Messe in New York war kürzlich das „Print Village“ zu bewundern, das auf etwa 20 Ständen den 3-D-Drucker „RepRap“ und seine zahlreichen Weiterentwicklungen vorführte. Der RepRap, der zum Symbol der Maker-Bewegung geworden ist, kann die meisten Teile, aus denen er besteht, selbst drucken.

Nicht weit davon entfernt standen in einem wesentlich pompöser ausgestatteten Pavillon verschiedene computergestützte Produktionsanlagen. Gleich daneben hatte die Messeverwaltung einen Stand untergebracht, der sich von allen anderen abhob: Hier präsentierte sich unter der US-Flagge die Alliance for American Manufacturing (AAM), zu deren wichtigsten Mitgliedern die Metallarbeitergewerkschaft United Steelworkers (USW) gehört. Es war der jungen Frau, die jedem Besucher, der an ihren Stand kam, einen „Keep it made in America“-Anstecker in die Hand drückte, deutlich anzumerken, dass sie sich in dieser Messehalle deplatziert fühlte. Schließlich waren die am Nachbarstand gezeigten Geräte direkte Nachfahren einer Technologie, die einst unzählige Industriearbeitsplätze vernichtet hat.

Die Entwicklung computergesteuerter Maschinen wurde bereits während des Kalten Kriegs großteils im Rahmen der Waffenforschung finanziert.2 Die im Wettlauf mit der Sowjetunion entstandene Technik sollte außerdem zur Bekämpfung des inneren Feindes dienen, den seit jeher die Gewerkschaften verkörperten. Und deren Stärke beruhte auf dem Wissen der Facharbeiter.

Schon 1911 schrieb der US-Ingenieur und Arbeitswissenschaftler Frederick W. Taylor: „Den Leitern fällt es zu, all die überlieferten Kenntnisse zusammenzutragen, die früher Alleinbesitz der einzelnen Arbeiter waren, sie zu klassifizieren und in Tabellen zu bringen, aus diesen Kenntnissen Regeln, Gesetze und Formeln zu bilden, zur Hilfe und zum Besten des Arbeiters bei seiner täglichen Arbeit.“3 Taylors Prinzipien zur Steuerung von Arbeitsabläufen wurden unter dem Begriff „Scientific Management“ weltweit populär. Ausführlich beschreibt Taylor die verschiedenen Strategien, mit denen sich die Arbeiter vor der Arbeit drücken und gegenüber ihren Vorgesetzten so tun, als arbeiteten sie auf Hochtouren.

Den faulen und unehrlichen Arbeitern wollte Taylor durch einen Leistungsindex auf die Schliche kommen, der als Vergleichsmaßstab dienen sollte. Aber die Ingenieure, die die Produktivität messen sollten, waren teuer, und die Arbeiter fanden bald heraus, wie sie diese überlisten konnten. Doch effektivere Abläufe ließen sich auch erreichen, indem die Kontrolle in die Maschine eingebaut wurde.

Anfang des 19. Jahrhunderts hatte der britische Mathematiker Charles Babbage zahlreiche Industriezweige studiert und einen Katalog von Methoden zusammengestellt, über die sich die Redlichkeit von Hausangestellten und Arbeitern in Abwesenheit ihrer Herren sicherstellen lasse. Es sei „ein beträchtlicher Vorteil der Maschine“, rühmte er, dass sie „Unaufmerksamkeit, Nachlässigkeit und Faulheit des Menschen“ überwachen könne.4 Babbage gilt heute als Vater des Computers, denn er entwarf die ersten mechanischen Rechenmaschinen, darunter die „Analytical Engine“.

„Das Hauptproblem bei der Automatisierung besteht darin, die Werkzeugmaschine autonom zu machen, sie also zu befähigen, den vom Servicepersonal spezifizierten Anweisungen zu folgen, ohne dass die Arbeiter mit ihrer unvermeidlichen Fehlbarkeit eingreifen müssen“, erklärt der Wissenschaftshistoriker David F. Noble. Bei der Programmierung komme es vor allem darauf an, „dass man ein Produkt mithilfe einer variablen Software verändern kann, ohne sich auf Techniker verlassen zu müssen, die das Werkzeug verändern oder die Konfiguration anpassen“.

Die Ingenieure sahen bereits ihren Traum von der vollautomatisierten Fabrik wahr werden. Ein weiteres Motiv für die Entwicklung computergestützter Maschinen war der wachsende Bedarf an Teilen, die manuell kaum hergestellt werden konnten. Auch das Ziel, die Produktivität zu steigern, und die Aussicht, technische Utopien zu verwirklichen, spielten eine Rolle. Maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der entsprechenden Soft- und Hardware hatten Wissenschaftler vom Massachusetts Institute of Technology (MIT).5

In der Werbung für ihren 3-D-Drucker behauptet die Firma MakerBot, dass die zu selbstständigen „Makers“ umgeschulten Arbeitslosen problemlos kreative und innovative Jobs finden würden. Die Industriegeschichte hat uns indes etwas anderes gelehrt. Vielleicht werden die individuell hergestellten Erzeugnisse tatsächlich Know-how und Erfindungsreichtum generieren. Dabei wird jedoch oft unterschlagen, dass nicht alle Fabrikjobs immer schon monoton waren und dass genau jene Technologie, die jetzt wieder qualifizierte Arbeitsplätze schaffen soll, die Fabrikarbeit einst so zermürbend gemacht hat.

Die Makers sind also nicht die Erben der Arbeiterbewegung, sondern eher das historische Resultat ihrer Negation. Viele Maker kommen zwar aus dem MIT, doch an dessen Rolle bei der Entwicklung computergesteuerter Maschinen wollen sie anscheinend lieber nicht erinnert werden. Stattdessen werden mit großer Hingabe Industrieruinen verschönert. Detroit, einst Amerikas Auto-Hauptstadt, ist unfreiwillig zum Symbol der Deindustrialisierung geworden. Die Stadt taucht fortwährend im Make-Magazine und in den Blogs der Maker-Bewegung auf.6

Wem die Früchte der geistigen Arbeit gehören

Dieser Ausflug in die Geschichte der Produktion berührt auch die Frage des geistigen Eigentums. Die Juristin Catherine Fisk hat zahlreiche historische Gerichtsprotokolle durchforstet, in denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer um das Eigentum an Ideen stritten. Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts waren alle Erfindungen, die ein Arbeitnehmer im Rahmen seiner Tätigkeit machte, dessen Eigentum. Das am Arbeitsplatz erworbene Wissen stand ihm zur Verfügung, wenn er sich um eine andere Arbeit bewarb. Die Versuche der Arbeitgeber, sich selbst zum Besitzer des geistigen Eigentums dieser freien, qualifizierten – und zumeist weißen – Werktätigen zu machen, wurden von den Richtern oft mit der Begründung abgewiesen, diese Forderung komme der Sklaverei gleich. Als das Know-how in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gesetzlich geregelt wurde, begann sich das Kräfteverhältnis jedoch zugunsten der Unternehmen zu verschieben.7

Auch die gegenwärtige Bewegung, die mit alternativen Formen des Urheberrechts experimentiert – von Freier Software bis zur Veröffentlichung von Kunstwerken unter Creative-Commons-Lizenzen – gehört in diese Geschichte der Arbeit. Einige Wissenschaftler fürchten bereits, dass offene Arbeitsplattformen unter Umständen zur Selbstausbeutung einladen könnten. Das gilt zum Beispiel bei Unternehmen, für die Freiwillige via Crowdsourcing Daten sammeln und analysieren.8 Das Durchschnittseinkommen eines „Mitarbeiters“ der Crowdsourcing-Website von Amazon, der die Aufgabe hat, Gegenstände oder Personen auf Fotos zu identifizieren, liegt angeblich bei etwa 1,25 Dollar pro Stunde.9

Die Bedeutung der 3-D-Drucker muss auch vor diesem Hintergrund gesehen werden. Die Frage ist vor allem, welche Entwicklung der Arbeitswelt damit einhergehen soll. Die Makers denken tatsächlich daran, Produktionsketten zu schaffen, die als eine Reihe autonomer Maschinen auf dem Küchentisch der informellen Mitarbeiter stehen. Man kann sich vorstellen, dass das massive Lohnsenkungen zur Folge hätte. Das sei doch nicht so schlimm, meint Adrian Bowyer, der Initiator des Projekts „RepRap“, der den Boom der 3-D-Drucker ausgelöst hat. Dafür müssten die Arbeiter „nicht mehr so viele Produkte in den Geschäften kaufen“.10

Der Erfolg des computergestützten Do-it-yourself könnte in absehbarer Zukunft neue Verteilungskämpfe auslösen. Während in den Fabriken einst um die automatisierte Produktion gekämpft wurde, geht es heute um die Konzepte für diese Geräte.

Einige Makers halten zwar am Ideal einer solidarischen Produktion fest, aber Unternehmer, Investoren und Urheberrechtsanwälte setzen sich mit all ihrer Macht dafür ein, Maschinen zu entwickeln, die einer gegenteiligen Vision folgen. Sie haben Produkte vor Augen, die „ready to print“ sind und wie Konsumgüter gekauft werden können. Die Maschine selbst soll nur Gegenstände herstellen, die im Katalog vorgesehen sind. Und wieder einmal geht es um das geistige Eigentum und die damit verknüpfte Lohnfrage, auch wenn die Maker das Problem genauso ausblenden wie die Open-Source-Leute.

Im Jahr 1981, als computergesteuerte Maschinen gerade die Industrie eroberten, verfasste die altehrwürdige US-Gewerkschaft der Maschinenbauer, die International Association of Machinists (IAM), eine Erklärung über die „technologischen Rechte der Arbeiter“: „Die neuen Technologien der Automatisierung und die Wissenschaft, auf die sie sich stützen, sind das Ergebnis einer weltweiten Akkumulation von jahrhundertelang angesammeltem Wissen. Deshalb haben die Arbeiter und ihre Vertreter das Recht, an den Entscheidungen und den Profiten aus diesen Fortschritten beteiligt zu werden.“

Fußnoten: 1 The Economist, London, 21. April 2012. Siehe auch: Sabine Blanc, „3-D-Drucker mit Schokopatrone“, Le Monde diplomatique, Juni 2012. 2 David Noble, „Forces of Production. A social history of industrial automation“, Oxford (Oxford University Press) 1986. 3 Frederick W. Taylor, „Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung“, S. 38, Deutsch von Rudolf Roesler, München und Berlin 1913. 4 Charles Babbage, „Die Ökonomie der Maschine“, Berlin (Kulturverlag Kadmos) 1999. 5 Philip Scranton „The shows and the flows: materials, markets, and innovation in the US machine tool industry, 1945–1965“, History and Technology, 25 (3), 2009. 6 Sara Tocchetti, „DIYbiologists as ‚Makers‘ of Personal Biologies: How MAKE Magazine and Maker Faires Contribute in Constituting Biology as a Personal Technology“, Journal of Peer Production, Nr. 2, 2012. 7 Catherine Fisk, „Working Knowledge: Employee Innovation and the Rise of Corporate Intellectual Property, 1800–1930“, Chapel Hill (University of North Carolina Press) 2009. 8 Siehe Pierre Lazuly, „Gastarbeiter im Internet“, Le Monde diplomatique, August 2006. 9 Lilly Irani, „Microworking the Crowd“, Limn 2, 2012: limn.it/. 10 Gespräch mit dem Autor. Aus dem Französischen von Claudia Steinitz Johan Söderberg ist Soziologe an der Universität Paris-Est.

Le Monde diplomatique vom 11.01.2013, von Johan Söderberg