Verwüstung
Wie der Klimawandel Konflikte anheizt
von Agès Sinai und Agnes Sinai
Zwischen 2006 und 2011 verzeichnete Syrien die längste Dürreperiode und die größten Ernteverluste seit den frühesten Zivilisationen im Fruchtbaren Halbmond, jenem Winterregengebiet, das sich von Israel bis in den Südwesten des Iran erstreckt und in dem die Menschen vor mehreren Tausend Jahren damit anfingen, Ackerbau und Viehzucht zu betreiben.
Von den 22 Millionen Einwohnern, die Syrien 2009 hatte, waren fast anderthalb Millionen von der fortschreitenden Wüstenbildung1 betroffen. Die Folge war eine massive Landflucht von Bauern, Viehzüchtern und deren Familien.2 Der Exodus verschärfte die sozialen Spannungen, die durch den Zustrom irakischer Flüchtlinge nach der US-Invasion im Jahr 2003 entstanden waren. Jahrzehntelang hatte das Baath-Regime in Damaskus die natürlichen Ressourcen des Landes rücksichtslos ausgebeutet, den wasserintensiven Anbau von Weizen und Baumwolle subventioniert und ineffiziente Bewässerungsmethoden gefördert. Hinzu kamen Überweidung und Bevölkerungswachstum. Aus all diesen Gründen sind zwischen 2002 und 2008 die Grundwasserreserven um die Hälfte zurückgegangen.
Für das Zusammenbrechen der syrischen Landwirtschaft waren mehrere Faktoren entscheidend, vom Klimawandel über die Misswirtschaft im Umgang mit natürlichen Ressourcen bis hin zur Bevölkerungsentwicklung. Dieses „Zusammenspiel von wirtschaftlichen, sozialen, klimatischen und ökologischen Veränderungen hat den Gesellschaftsvertrag zwischen Bürgern und Regierung untergraben, die Oppositionsbewegungen wachgerufen und die Legitimität des Assad-Regimes unwiderruflich beschädigt“, analysieren Francesco Femia und Caitlin Werrell vom Washingtoner Zentrum für Klima und Sicherheit. Auch den Aufstieg der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) führen die beiden zumindest teilweise auf die lange Trockenperiode zurück.3
Diese Dürre ist nicht allein durch natürliche Klimaschwankungen zu erklären – es handelt sich um eine Anomalie: „Der Rückgang der Niederschläge in Syrien steht in Zusammenhang mit dem steigenden Meeresspiegel im östlichen Mittelmeer [...], verbunden mit der abnehmenden Bodenfeuchtigkeit. Für diese Entwicklungen gibt es allem Anschein nach keine natürliche Ursache. Die beobachtete Trockenheit und Erwärmung passen vielmehr zu Klimamodellen, die die Auswirkungen des Anstiegs von Treibhausgasen zeigen“, heißt es in der Zeitschrift der US-amerikanischen Akademie der Wissenschaften.4
Im Osten Chinas hatte die Regierung von Wen Jiabao im Winter 2010/11 wegen ausbleibender Niederschläge und zahlreicher Sandstürme sogar Raketen abfeuern lassen, in der Hoffnung, damit Regen auszulösen. Es war eine Dürreperiode, die Dominoeffekte bis weit jenseits der Landesgrenzen auslöste. Die Ernteausfälle zwangen Peking nämlich, auf den internationalen Märkten Weizen zu kaufen. Der folgende Anstieg der Weizenpreise gab dem Volkszorn im größten Weizenimportland Ägypten neue Nahrung, wo ein
durchschnittlicher Haushalt mehr als ein Drittel seines Einkommens für Essen aufwenden muss. Die Verdopplung des Preises für eine Tonne Weizen innerhalb von neun Monaten – von 157 Dollar im Juni 2010 auf 326 Dollar im Februar 2011 – hatte schwerwiegende Folgen. Der Brotpreis verdreifachte sich, und damit verstärkten sich auch die Proteste gegen das autoritäre Mubarak-Regime. Zur gleichen Zeit waren die Weizen-, Soja- und Maisernten auf der südlichen Halbkugel von „La Niña“ betroffen, einem Klimaphänomen, das zu starker Trockenheit in Argentinien und sintflutartigen Regenfällen in Australien führte.
In einem Beitrag für das Fachmagazin Nature im Jahr 2011 stellten Solomon Hsiang, Kyle Meng und Mark Cane einen Zusammenhang zwischen Bürgerkriegen und dem Klimaereignis El-Niño-Southern Oscillation (Enso) her. Dieses Phänomen tritt alle drei bis sieben Jahre auf und führt zu einer Erwärmung des Meerwassers vor den Küsten Ecuadors und Perus sowie zu einer Umkehrung der Passatwinde im Pazifikraum, was auch mit starken meteorologischen Schwankungen auf dem gesamten Globus in Verbindung gebracht wird.5
Den Autoren zufolge verdoppelt sich während einer Enso-Phase die Wahrscheinlichkeit von bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen – die Stabilität moderner Gesellschaften ist also abhängig vom Weltklima. Der Klimawandel ist zum „Bedrohungsverstärker“ geworden, und er verändert die internationalen Beziehungen. Auf die „hard security“, das Erbe des Kalten Kriegs, folgt jetzt die „natural security“, ein Begriff, den US-Offiziere im Center for a New American Security geprägt haben. Dieser Thinktank wurde 2007 gegründet, um den neokonservativen Klimaskeptikern etwas entgegenzusetzen und heraufziehende globale Bedrohungen frühzeitig zu erkennen.
Umweltgefahren gehen längst nicht mehr nur von natürlichen Ereignissen wie Vulkanausbrüchen, Tsunamis oder Erdbeben aus. Auch die menschliche Aktivität, der beschleunigte Umsatz massenhafter Verbrauchsgüter und deren Globalisierung destabilisieren das Klima. Der Begriff des Anthropozäns bezeichnet diese neue Epoche, in der der Mensch, vor allem durch seine Beeinflussung des Klimas, zu einem geologischen Faktor geworden ist.
Das Eis der Arktis wird bis zum Ende des 21. Jahrhunderts womöglich vollständig geschmolzen sein. Vor diesem Hintergrund werden bereits Forderungen nach neuen Grenzziehungen zu Lande und unter Wasser laut und verschärfen die Spannungen zwischen den Polaranrainerstaaten6 (siehe nebenstehender Artikel). Russland, das die Arktis seit Jahrhunderten erforscht, ist das einzige Land, das über eine Eisbrecherflotte mit Nuklearantrieb verfügt. Ein neuer, riesiger Atomeisbrecher wird derzeit in den Werften von St. Petersburg gebaut und soll 2017 fertiggestellt sein.
Der Klimawandel führte zum Erfolg von Boko Haram
Auf US-amerikanischer Seite präsentiert man die Öffnung der Arktis als Chance, sich neue Energiequellen zu sichern, sowie als einen Handelsvorteil gegenüber Asien7 – immerhin könnte dank der Eisschmelze am Nordpol der wesentlich kürzere Seeweg zwischen dem Atlantik und dem Pazifik, die berühmte Nordwestpassage, in absehbarer Zeit für die Schifffahrt nutzbar werden.
Die Schmelze des arktischen Eisschilds hat Folgen für das gesamte Klimasystem. Die Ablenkung des Polarwirbels, einer Kaltluftzone über dem Nordpol, sorgte für eine heftige Kältewelle in Nordamerika im Winter 2013/14. „Die Wechselwirkung zwischen Arktis und Klimaerwärmung ist neu in der Menschheitsgeschichte“, erläutert der Militär- und Strategieexperte Jean-Michel Valantin. „Durch das Zusammentreffen von Geografie und Geophysik entsteht in dieser Region eine neue, geophysikalische Macht, die wir als ‚Umweltmacht der Arktis’ bezeichnen. Sie hat weltweit massive Auswirkungen.“8
Der jüngste Bericht des Weltklimarates IPCC betont jedoch, man könne keine gesicherten Prognosen über die Wahrscheinlichkeit von bewaffneten Auseinandersetzungen rund um den Nordpol machen.9 Ob die Institutionen zur regionalen Zusammenarbeit so wie etwa der Arktische Rat robust genug sind, wird sich erst mit dem Fortschreiten der Eisschmelze zeigen.
In seinem Buch „Schlachtfeld Erde“ beschreibt der kanadische Journalist Gwynne Dyer eine Welt der beschleunigten Klimaerwärmung, in der Flüchtlinge aus dem Süden, die durch Dürren ausgehungert oder durch den steigenden Meeresspiegel vertrieben wurden, in den globalen Norden zu gelangen versuchen, während die letzten Länder, die noch ausreichend Nahrungsmittel produzieren können, weil sie in höheren Breitengraden liegen, sich sogar mit Atomwaffen gegen immer aggressivere Nachbarn verteidigen müssen – etwa gegen Südeuropa und die Mittelmeeranrainer, deren Felder sich in Wüsten verwandelt haben.10
Angesichts der menschengemachten Klimastörung versucht man nun mittels Geo Engeneering oder Climate Engineering, das heißt durch gezielte technische Eingriffe, das Klima wieder unter Kontrolle zu bringen. Dazu zählen Methoden, die das überschüssige Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernen oder die Sonneneinstrahlung regulieren sollen.
Solche Maßnahmen bergen allerdings das Risiko einer großflächigen Destabilisierung von Gesellschaften und Ökosystemen. Wenn man beispielsweise Schwefeldioxid in die Stratosphäre bringt, dann muss es dort oben eine ausreichend dicke Schicht bilden, um den gewünschten Effekt zu erzeugen, nämlich die Sonneneinstrahlung zu hemmen.
Das geschieht etwa bei großen Vulkanausbrüchen. Klimatologen haben allerdings beobachtet, dass dabei die Schwefelteilchen die Atmosphäre zwar tatsächlich abkühlen, aber auch zu Trockenheit führen, die Ozonschicht schädigen und den globalen Wasserkreislauf schwächen.
„Ohne internationale Abkommen, die regeln, wie und in welchem Ausmaß man Geo Engineering nutzen darf, stellen die Techniken zur Regulierung der Sonneneinstrahlung ein Risiko für internationale Konflikte dar“, heißt es im letzten IPCC-Bericht. „Weil die direkten Kosten dieser Technologie pro Jahr im Rahmen zweistelliger Dollar-Milliardenbeträge liegen, könnten sie auch von nichtstaatlichen Akteuren oder kleinen Staaten, die auf eigene Faust handeln, eingesetzt werden und damit potenziell globale oder regionale Konflikte schüren.“11
Der Klimawandel bringe nicht nur weitere Motive für gewaltsame Auseinandersetzungen, sondern auch neue Kriegsformen hervor, betont der Sozialpsychologe Harald Welzer. Die extreme Gewalt dieser Konflikte sprenge den Rahmen klassischer Kriegstheorien und etabliere „Handlungs- und Erfahrungsräume, für die Lebenserfahrungen, die die weitgehend friedliche Welt der westlichen Hemisphäre seit dem Zweiten Weltkrieg bereithielt, keinen Referenzrahmen liefern“.12 Auf den vom Klimawandel angeheizten Gewaltmärkten werden heute asymmetrische Kämpfe zwischen Kriegsherren, die im Dienste mächtiger privater Gruppen stehen, und der Zivilbevölkerung ausgetragen.
Der seit 1987 andauernde Darfur-Konflikt im Sudan steht beispielhaft für eine solche zerstörerische Dynamik, die sich durch die Schwäche des Staats noch zuspitzt. Im Norden Nigerias hat die Bodendegradation die traditionelle Lebensweise der Bauern und der Viehhirten zerstört und die Wege der Nomaden beeinträchtigt. Mehrere hundert Dörfer wurden aufgegeben, es kam zu Wanderungsbewegungen, die die Region destabilisiert haben – so wurde der Boden für die islamistische Terrorgruppe Boko Haram bereitet.
Der letzte IPCC-Bericht spricht von einem „zusammengesetzten Risiko“, bei dem vielfältige Einflüsse in einer bestimmten geografischen Region zusammenkommen: „Da die Durchschnittstemperaturen rund um die Erde bis 2050 um voraussichtlich 2 bis 4 Grad ansteigen werden, gibt es – bei gleichbleibenden sonstigen Umständen – in Zukunft ein Potenzial für große Veränderungen in den globalen Mustern von zwischenmenschlicher Gewalt, Gruppenkonflikten und gesellschaftlicher Instabilität.“13
Der Umweltwissenschaftler Marshall B. Burke und seine Koautoren haben 2009 die erste Gesamtanalyse der möglichen Auswirkungen des Klimawandels auf die Kriege in Afrika südlich der Sahara vorgelegt.14 Sie arbeiteten eine Verbindung zwischen Bürgerkriegen, steigenden Temperaturen und zurückgehenden Niederschlagsmengen heraus und prognostizierten eine deutliche Zunahme der bewaffneten Konflikte durch den Klimawandel (54 Prozent mehr bis 2030).
Der Andrang der Flüchtlinge an den Grenzen der Wohlstandsinsel Europa wird sich im 21. Jahrhundert noch verstärken. Denn derzeit sind mindestens so viele Menschen auf der Flucht vor den Folgen vor Umweltzerstörung wie vor Gewalt und Kriegen.15 Doch der Westen schreckt trotz seiner historischen Verantwortung für die globale Erwärmung davor zurück, sie als Flüchtlinge anzuerkennen.
1 „Syria: Drought driving farmers to the cities“, Irin News, 2. 9. 2009: www.irinnews.org.
6 Siehe Gilles Lapouge, „Das Weiß, das weicht“, in: Le Monde diplomatique, Januar 2011.
10 Gwynne Dyer, „Schlachtfeld Erde: Klimakriege im 21. Jahrhundert“, Stuttgart (Klett-Cotta) 2013.
11 IPCC, Climate Change 2014, siehe Anmerkung 9, S. 1066.
13 IPCC, Climate Change 2014, siehe Anmerkung 9, S. 1061.
Aus dem Französischen von Sabine Jainski
Agnes Sinai ist Journalistin.