Biosprit aus Palmen
Indonesien opfert seine Wälder von Cédric Gouverneur
In der anbrechenden Morgendämmerung versammeln sich die Jäger und Sammler im Halbkreis auf der Lichtung. Die Männer im Bastrock beobachten die Besucher. Hinter ihnen stillen Frauen ihre Säuglinge und beruhigen die kleinen Kinder, die Angst vor den Eindringlingen haben. Menti, ein großer, kräftiger Mann um die sechzig, Ältester und Häuptling dieser Gruppe von fünf Familien, wendet sich an den indonesischen Ethnologen, der uns begleitet: Die Orang-Rimba sind bereit, unsere Fragen zu beantworten. Aber wir müssen uns beeilen: Bald ist es Zeit, zur Jagd aufzubrechen. Das Wild wird immer weniger, weil sein Lebensraum allmählich verschwindet.
Der Regenwald auf der Insel Sumatra schrumpft von Tag zu Tag. Verantwortlich dafür ist vor allem die Monokultur mit Ölpalmen. Palmöl wird nicht nur für Nahrungsmittel und Kosmetika verwendet, sondern hat jetzt auch als Palmölmethylester (PME), das heißt als Biokraftstoff, einen neuen Absatzmarkt gefunden.
Zwischen 1998 und 2007 haben sich die Ölpalmplantagen in Indonesien offiziell von 3 auf 7 Millionen Hektar ausgedehnt. Damit hat das Land Malaysia überholt und ist zum weltweit größten Produzenten dieser Ölpflanzen aufgestiegen. Um sich auf die explodierende Nachfrage einzustellen – sie soll von derzeit 22,5 Millionen Tonnen auf 40 Millionen Tonnen im Jahr 2020 steigen – plant Jakarta geradezu pharaonische Großprojekte: 2020 sollen auf einer Fläche von 20 Millionen Hektar Ölpalmen wachsen. Das wären 200 000 Quadratkilometer – ein Drittel der Fläche von Frankreich. Auf Sumatra, wo der Urwald von 2,2 Millionen Hektar im Jahr 1999 auf heute 400 000 Hektar geschrumpft ist, sollen zu den bestehenden 450 000 Hektar Plantagen noch einmal 850 000 hinzukommen.
Einige Orang-Rimba tragen für ein paar Rupien zur Zerstörung des eigenen Ökosystems bei. „Wir haben gehört, dass ein Clan im Westen Urwald an die Javaner verkauft hat“, erzählt Menti. „Offenbar wollen sie daraus Palmenfelder machen.“ Sein Bericht ruft den Zorn der Jäger und das Erstaunen der Besucher hervor: Wie können die Orang-Rimba in einem mutmaßlich geschützten Nationalpark Land, das sie nicht besitzen, sondern nur nutzen dürfen, an Plantagenbesitzer „verkaufen“, die gar nicht das Recht zu diesem Kauf haben? Angesichts dieses konkreten Beispiels klingt das Versprechen des indonesischen Umweltministers hohl. Der hatte am 23. März 2007 in Jakarta geschworen, „man werde nicht für Millionen Hektar Ölpalmen die Wälder opfern“.
Einige Kilometer von Menti und den Seinen entfernt, begrüßt uns der 54-jährige Kardeo am Eingang seines großzügigen, mit rosa getünchten Stucksäulen geschmückten Anwesens. Er zeigt auf ein Bretterhäuschen in der Nähe: „Da habe ich früher gewohnt. Die Ölpalmen waren mein Glück.“
Leute wie Kardeo werden hier „transmigrasi“ genannt. Um das überbevölkerte Java1 zu entlasten, hat die indonesische Regierung zwischen 1950 und 2002 mehr als 6 Millionen arme Javaner dazu angeregt, auf den weiter entfernten Inseln ihr Glück zu versuchen. Diese Politik hat immer wieder zu Spannungen mit den Ureinwohnern geführt. Sie betrachten die Aussiedler im besten Falle als privilegierte Eindringlinge, im schlimmsten als Kolonisatoren, die die historische Vorherrschaft Javas über das indonesische Archipel weiter zementieren. Im Jahr 2001 wurden auf Borneo hunderte Javaner – darunter Frauen und Kinder – von Dayak-Kriegern massakriert, deren Vorfahren schon als Kopfjäger berüchtigt waren.
„Ich bin Ende 1984 aus Java weggegangen“, erzählt Kardeo. „Die Regierung hat mir damals ein Holzhaus und drei Hektar Land gegeben und mich ein Jahr lang finanziell unterstützt.“ Es war ein äußerst mühsamer Anfang, bis dann die lukrativen Ölpalmen kamen. „Heute bebaue ich 16 Hektar. Jeder einzelne wirft 1,6 Tonnen im Monat ab, und pro Kilo Steinfrüchte bekomme ich zwischen 700 und 1 700 Rupien, je nach aktuellem Kurs. Mit meiner Plantage verdiene ich 45 Millionen Rupien im Monat.“ Das sind umgerechnet 3 500 Euro.
So ist Kardeo aus dem Nichts ein wohlhabender Mann geworden, seine Söhne gehen auf die Universität. Da die Ölpalmen wenig Pflege brauchen, kann er seine 16 Hektar mit sechs Angestellten bewirtschaften, seine Lohnkosten sind dementsprechend niedrig. Die meisten Plantagenbesitzer geben unumwunden zu, dass sie wegen des geringeren Personalbedarfs ihre umweltfreundlicheren Kautschukplantagen in Ölpalmfelder umgewandelt haben. „Mit dem Dünger und den Pestiziden von Monsanto ist der Ertrag noch besser“, freut sich Kardeo. Hat er jemals gehört, dass die Palmenplantagen der Umwelt schaden? Seine Antwort ist ehrlich: „Mein Lebensstandard und die Wirtschaft meines Landes hängen von den Ölpalmen ab. Da ist die Umwelt zweitrangig.“
Winzige Dschungeldörfer leisten Widerstand
Während Kardeo seine Schäfchen ins Trockene bringen konnte, besteht für die meisten Kleinbauern auf Sumatra weniger Anlass zur Freude. Sie sind enttäuscht von den Versprechungen und verarmt durch ein Produkt, das sie doch reich machen sollte; ihr Land wurde ihnen genommen, ihre Flüsse verschmutzt. Quer durch den Inselstaat leisten hunderte Dörfer daher Widerstand gegen Unternehmen und Ordnungskräfte. Die Umweltorganisation Walhi zählte 224 Konflikte zwischen Dorfgemeinschaften und Ölpalmgesellschaften auf Sumatra, im gesamten Archipel sind es etwa 500.
Theoretisch sind mit der Vergabe eines Landstücks an einen Investor verschiedene gesetzliche Auflagen verbunden, zu denen auch Untersuchungen über Einflüsse auf die Umwelt gehören. Serge Marti, Leiter der Schweizer Organisation LifeMosaic zur Unterstützung indigener Völker, hat einen Bericht über die Auswirkungen der Ölpalm-Monokultur verfasst.2 Seiner Einschätzung nach reicht „ein Schmiergeld von 50 Millionen Rupien – umgerechnet 3 900 Euro –, um an eine 20 000-Hektar-Plantage heranzukommen“. Im gesamten indonesischen Archipel „kommen die Unternehmen zusammen mit Regierungsbeamten und Polizisten in die Dörfer, um die Einwohner einzuschüchtern. In manchen Fällen wurden Dorfbewohner wie zu Suhartos Zeiten kommunistischer Umtriebe bezichtigt, weil sie sich geweigert haben, ihre Ländereien für das ‚nationale Entwicklungsvorhaben‘ – so bezeichnet man jetzt die Ölpalmindustrie – herzugeben.“3 Das Eigentumsrecht ist in Indonesien kaum abgesichert: Von den niederländischen Kolonisatoren bis heute hat sich der Staat stets die Möglichkeit vorbehalten, im Namen der Entwicklung oder des öffentlichen Interesses Landbesitzer zu enteignen.
Der Klimagipfel von Bali hat nichts gebracht
Bis 1999 lebten die 2 500 Bewohner von Karang Mendafo von ihren Reisfeldern und Kautschukbäumen und waren Selbstversorger – heute können sie dieser Zeit nur noch nachtrauern. Der Dorfvorsteher Mohammed Rusdi erzählt: „Ein Unternehmen des indonesischen Agrokonzerns Sinar Mas hat den Urwald gerodet, mithilfe von Polizisten und Soldaten. Sinar Mas hat 600 Hektar in Ölpalmplantagen umgewandelt. Wir haben jetzt kein Land mehr. Und es gibt auch keinen Urwald mehr. Sieben Nachbardörfern ist es genauso ergangen.“ Rusdi hat den Fall seines Dorfs bei der UN-Klimakonferenz von Bali im Dezember 20074 vorgetragen – ohne Erfolg.
Entschädigung, Beteiligung an den Gewinnen der Plantage, bezahlte Arbeit, Bau von Straßen und einer Schule – Sinar Mas, so schäumen die Dorfbewohner, habe viele Versprechungen gemacht. Auf die angekündigten Investitionen warten sie noch heute, die meisten verdienen deutlich weniger als früher, manche nur noch ein Fünftel. Der 42-jährige Sayuti, verheiratet und Vater von drei Kindern, berichtet: „Bis 1999 besaß ich 1,5 Hektar Kautschukbäume, damit habe ich im Monat 1 200 000 Rupien verdient.“ Als kleiner Aktionär der Plantage erhält Sayuti inzwischen nur noch 225 000 Rupien – umgerechnet 17 Euro.
Geld bestimmt inzwischen den Alltag: Heute müssen die Dorfbewohner das Obst und Gemüse kaufen, das sie früher selbst angebaut haben. In den von Dünger und Pestiziden belasteten Flüssen können sie kaum noch Fische fangen. Während Regenwald und Mehrfruchtanbau dazu beitragen, dass die Böden Wasser speichern, werden diese von der Monokultur ausgelaugt, was unter anderem dazu führt, dass Überschwemmungen die Straßen zerstören. Einige Dorfbewohner setzen sich inzwischen zur Wehr: Mehrmals pro Woche brechen ein paar Dutzend Männer, bewaffnet mit furchterregend aussehenden „goloks“ (Macheten), in die Plantagen ein und holen sich Palmfrüchte, die sie auf dem Markt verkaufen.
Weiter im Norden liegt das Dorf Lagu Mandesa mit seinen 2 000 Häusern. Im Jahr 2006 erhielt der Agrokonzern Sinar Mas von der Regierung die Konzession, die Ländereien der Dorfbewohner in Plantagen umzuwandeln. „Der Regierung ist es vollkommen egal, dass dieses Land uns gehört“, sagt Sugino, der Vorsteher eines der Dorfbezirke. „Das Unternehmen hat sich 500 Hektar unter den Nagel gerissen, und wir warten immer noch auf die versprochenen Entschädigungen.“ Die verzweifelten Dorfbewohner schlugen zurück: Am 28. Dezember 2007 griffen mehrere hundert Männer die Gebäude des Unternehmens an, steckten elf Bulldozer und ein Geländefahrzeug in Brand. Die Medien berichteten von dem Aufstand, der mit Mobiltelefonen gefilmt wurde, und die Öffentlichkeit stellte sich hinter die Rebellen. „Die denken doch nur an ihren Profit und nicht an den Erhalt der Natur für die zukünftigen Generationen“, meint Sugino. „Keine politische Partei unterstützt uns. Auch die indonesische Menschenrechtskommission tut nichts für uns.“
Etwa 3 500 Orang-Rimba leben noch als Jäger und Sammler in dem, was vom Urwald im Herzen Sumatras übrig geblieben ist. 1966 waren 144 Millionen Hektar und damit 77 Prozent der Fläche Indonesiens von Regenwald bedeckt. Heute sind schon vier Fünftel davon verschwunden.5 In Sumatra, Kalimantan (dem indonesischen Südteil der Insel Borneo) und dem indonesischen Teil von Papua geht laut Schätzungen jeden Tag eine vier Fußballfelder große Fläche Regenwald verloren – das ist Weltrekord. Laut UNO-Angaben wird der vorgeblich geschützte indonesische Regenwald bis 2012 „schwer beschädigt“6 sein.
„Wir haben nichts zu verlieren“, erklärt ein junger Mann in Logu Mandesa. „Wir werden noch mehr Bulldozer anzünden.“