11.12.2009

Mitmischen in Afghanistan

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Mitmischen in Afghanistan

China und Indien sichern ihren Einfluss über Nachbarschaftspolitik von Sarah Davison

Das neue „Große Spiel“ um Afghanistan wird nicht mehr zwischen Briten und Russen ausgetragen wie das „Great Game“ im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Heute heißen die Konkurrenten Indien und China. Und der Sieger wird China sein.

Zwar wird Indien bis Ende 2010 in das zerrüttete Afghanistan – mit dem es durch eine gemeinsame Geschichte von mehr als 500 Jahren verbunden ist – weit über eine Milliarde Dollar gesteckt haben, aber China baut seinen Einfluss auf das Land und die ganze Region effektiver aus.

Dabei setzen die Chinesen weniger auf staatliche Finanzhilfe denn auf Handel und Investitionen. Im April 2009 tätigten sie die größte ausländische Direktinvestition in der Geschichte Afghanistans: Für 3,5 Milliarden Dollar – mehr als das Doppelte des erwarteten Preises – kaufte die staatliche CMCC (China Metallurgical Construction Corporation) die Aynak-Kupfermine, die etwa 50 Kilometer südlich von Kabul in der von den Taliban kontrollierten Provinz Logar liegt.

„China kann eine diplomatische und politische Erfolgsgeschichte vorweisen, gegen die das Engagement Indiens eine trostlose Chronik des Scheiterns ist“, urteilt der indische Exdiplomat M. K. Bhadrakumar. Den Grund sieht er darin, dass die Chinesen sich unbeirrt auf ihre Ziele konzentrieren, Indien dagegen durch seine Dauerfeindschaft mit Pakistan abgelenkt sei.

Ein vielsagendes Beispiel ist das Projekt einer Gaspipeline vom Iran über Pakistan nach Indien: Damit hätte nicht nur Abhilfe für Indiens notorische Energieknappheit geschaffen werden können, sondern auch mehr Stabilität für die Beziehungen innerhalb der Region. Und da die Leitung quer durch Afghanistan verlaufen sollte, hätte ihr Bau dort tausende von Arbeitsplätzen und dringend benötigte technische Kapazitäten geschaffen. Aber die Inder hatten Bedenken wegen der möglichen Abhängigkeit von einer Pipeline, die über pakistanisches Territorium verläuft.

Daran kann man unschwer erkennen, wo Chinas Vorteil liegt: Für Delhi ist Afghanistan eine Bühne, auf der der Streit mit Pakistan ausgetragen wird; China dagegen sieht in dem Land einen Lieferanten von Öl, Erdgas und mineralischen Rohstoffen – und einen künftigen Handelspartner. Die regionale Strategie Pekings erscheint – vor allem im Hinblick auf die Ausbeutung wichtiger Ressourcen – als durchdachter, konsistenter und pragmatischer. Und diese Strategie trägt, im Verein mit dem massiven Einsatz finanzieller Mittel, zum Aufbau gegenseitigen Vertrauens bei.

Dass die beiden künftigen Supermächte Indien und China um den Zugang zu den Rohstoffen der Region konkurrieren, ist unvermeidlich. China importiert 50 Prozent seiner Energie, Indien sogar 70 Prozent. Da aber beide Staaten gelernt haben, dass sie mit intensiver Konkurrenz die Preise in die Höhe treiben, versuchen sie heute, sich gemeinsam – oder zumindest koordiniert – um die wichtigsten Energieträger zu bemühen.

Doch gerade in Afghanistan finden sich mehrere aufschlussreiche Belege, dass das pragmatischere Vorgehen der Chinesen sich zu ihren Gunsten auswirkt. Während Indien für Afghanistan seit 2002 die stolze Summe von 1,2 Milliarden Dollar ausgegeben hat, beträgt die staatliche chinesische Entwicklungshilfe in demselben Zeitraum bescheidene 175 Millionen Dollar. Auch die Art der Projekte lassen die unterschiedlichen nationalen Strategien erkennen: In Aynak, dem zweitgrößten Kupfervorkommen der Welt, wollen die Chinesen nicht nur rund 8 000 Arbeitsplätze schaffen, sondern auch ein 400-Megawatt-Kraftwerk, eine Kupferschmelzanlage und eine Eisenbahnlinie bis zur tadschikischen Grenze bauen. Zudem wollen sie beträchtliche Investitionen in Schulen, Wohnungen und Krankenhäuser vornehmen.

Dieses Investitionsprogramm ist typisch für das chinesische Modell regionaler Entwicklungspolitik, wie es auch in Zentralasien und in Afrika umgesetzt wird: Mit wirtschaftlicher Entwicklung und den daraus resultierenden Arbeitsplätzen wird die politische Stabilität gefördert und zugleich die eigene wachsende Rohstoffnachfrage gedeckt. Wie chinesische Diplomaten in Kabul betonen, belegen diese Investitionen die Überzeugung Chinas, dass sich Afghanistan trotz der aktuellen Probleme langfristig durchaus stabilisieren kann. Zudem sei Peking daran interessiert, Nachbarn gerade dann zu unterstützen, wenn sie in Schwierigkeiten sind – in der Hoffnung, dass diese Unterstützung den künftigen Handel zu gegenseitigem Nutzen ermöglicht.

Krankenhäuser gegen Stromleitungen

Pekings Afghanistanpolitik hat aber auch eine innerchinesische Dimension. Darauf verweist Niklas Norling, China und Zentralasien-Experte des Stockholmer Instituts für Sicherheit und Entwicklung1 : „Man muss das im Kontext mit dem chinesischen Entwicklungsprogramm für seine Westprovinzen sehen, das große Investitionen in diesen Provinzen bedeutet und natürlich auch engere Verbindungen mit Zentralasien, Südasien und dem Iran.“ Als weitere Beispiele nennt Norling die Karakorum-Fernstraße und den Hafen von Gwadar nahe Karatschi in Pakistan sowie die Gaspipeline von Turkmenistan nach Xinjiang und das über 25 Jahre laufende Energieabkommen mit dem Iran, das Lieferungen im Wert von 100 Millionen vorsieht.

Indien seinerseits hat die Starkstromleitung nach Kabul gebaut und sich damit beliebt gemacht. Die ständigen Stromabschaltungen sind nicht mehr nötig. Heute kommt der Strom direkt aus Usbekistan, eben dank der teuren Überlandleitung, die unter schwierigen Bedingungen errichtet wurde und in über 4 000 Meter Höhe über das Salang-Gebirge führt. Bis April dieses Jahres hatte das ganze Land nur über eine Stromerzeugungskapazität von schätzungsweise 800 Megawatt verfügt. Das verhinderte jede ernsthafte industrielle Entwicklung und gefährdete die Versorgung der Bevölkerung, deren täglicher Bedarf weit über 1 000 Megawatt liegt.

Außerdem finanziert Indien auch eine ganze Reihe kleiner kommunaler Hilfsprojekte, mit Schwerpunkt in der politisch unsicheren Region im Nordabschnitt der afghanisch-pakistanischen Grenze. Und Delhi gibt viel Geld für Gesundheitsprojekte und Nahrungsmittelhilfe in Afghanistan aus und ermöglicht so ein Versorgungsniveau, das sogar höher liegt als das der Bevölkerung im eigenen Land.

Das alles hat anscheinend dennoch nicht geholfen: Am 8. Oktober explodierte eine Autobombe vor der indischen Botschaft – der zweite Anschlag auf dasselbe Gebäude innerhalb eines guten Jahres. Die beiden Bomben, die der mit al-Qaida verbundenen militanten Haqqani-Gruppe zugeschrieben werden, haben über 150 Menschen getötet und hunderte verwundet. Die Anschläge gelten als Reaktion auf die immer stärkere Präsenz der Inder in Afghanistan, einem Land also, das Pakistan als seinen eigenen Hinterhof betrachtet.

Indien demonstriert seine Präsenz in Afghanistan sehr selbstbewusst: mit einem großen Botschaftsgebäude im Zentrum von Kabul und vier Konsulaten in Herat, Jalalabad, Kandahar und Masar-i-Scharif. Im Gegensatz dazu gibt sich China bescheiden: ein kleines Botschaftsgebäude hinter einem rot gestrichenen Tor, das selten aufgeht, und nur das nötigste Personal. Zudem hat die Regierung in Peking über die letzten sechs Jahre deutlich weniger Geld ausgegeben, und keines der geförderten Vorhaben scheint darauf angelegt zu sein, politischen Einfluss auszuüben. Das größte Projekt ist das 25 Millionen Dollar teure Republik-Krankenhaus in Kabul, das im August 2009 eingeweiht wurde und mit seinen 250 Betten als das am besten ausgestattete Krankenhaus des Landes gilt. Die größten chinesischen Investitionen fließen dagegen in Projekte, die einen kalkulierbaren – und direkten – Gewinn abwerfen, zugleich aber auch die lokale Wirtschaftsentwicklung fördern.

Inzwischen gibt es Anzeichen dafür, dass indische Unternehmen den Konkurrenzkampf mit den chinesischen aufnehmen wollen. In Afghanistan werden gerade einige größere neue Erzvorkommen inspiziert, darunter zwei weitere Kupfererzlager und einige Kupfer-Gold-Vorkommen. Das auf 1,8 Milliarden Tonnen geschätzte Eisenerzlager von Hajigak (150 Kilometer westlich von Kabul) ist bereits zum Verkauf ausgeschrieben. Um dieses Vorkommen, das in der Nähe einer Kokerei liegt und zur Basis einer künftigen afghanischen Stahlindustrie werden könnte, konkurrieren derzeit fünf indische Unternehmen mit einem chinesischen Staatskonzern. Die Regierung in Kabul verlangt von den Interessenten zusätzlich den Bau eines Stahlwerks, einer Bahnlinie und einer Düngemittelfabrik – also Projekten, die zusätzliche Arbeitsplätze und Infrastruktur schaffen würden.

Nach Informationen von afghanischer Seite haben die Chinesen in Hajigak gute Chancen, und zwar wegen ihres Engagements bei der Aynak-Kupfermine. Die schiere Dimension dieser Projekte und die Zahl der geschaffenen Arbeitsplätze werden jedenfalls das Ansehen des siegreichen Konkurrenten ganz entscheidend aufbessern – und das in einem Staat, in dem mehr als 100 000 westliche Soldaten stationiert sind. Die weiteren politischen Entwicklungen, die sich in Afghanistan vollziehen, werden die Beziehungen zu China und Indien beeinflussen. Bislang sieht es ganz so aus, als würde China für seine Investitionen einen höheren Gewinn verbuchen.

Fußnote: 1 eurasianet.org.

Aus dem Englischen von Niels Kadritzke

Sarah Davison ist Journalistin und lebt in Kabul.

Le Monde diplomatique vom 11.12.2009, von Sarah Davison