Aufspüren und vernichten
Drohnen, Waffensystem der Zukunft von Laurent Checola und Edouard Pflimlin
Am 5. August 2009 schlugen zwei Hellfire-Raketen in dem abgelegenen Dorf Laddah im Süden der pakistanischen Provinz Waziristan ein. Abgeschossen von einer US-Drohne, trafen sie das Haus des religiösen Führers und Taliban-Verbündeten Maulana Ikram-ud-Din. Die Raketen töteten zwölf Menschen, darunter auch Baitullah Mehsud, den charismatischen Anführer der pakistanischen Taliban.
Knapp zwei Wochen zuvor hatte das Pentagon inoffiziell den Tod von Ussama Bin Ladens Sohn Saad gemeldet. Und schon im Januar 2009 hatte das US-Militär sichtlich zufrieden die Tötung von Ussama al-Kini verkündet. Der Chef von al-Qaida in Pakistan stand wegen seiner Mitwirkung bei den Attentaten auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania 1998 ganz oben auf der Liste gesuchter Terroristen.
Christine Fair, Afghanistan-Expertin beim US-Thinktanks Rand Corporation, meint über die Wirkung der neuen Wunderwaffe: „Die Drohnen setzen al-Qaida zu. Sie eliminieren das Führungspersonal, vertreiben die Mitglieder aus den pakistanischen Stammesgebieten und schränken ihre Handlungsfähigkeit beträchtlich ein.“
Die Zahl der Angriffe unbemannter Flugzeuge (Unmanned Aerial Vehicles, UAV) auf Ziele in den pakistanischen Stammesgebieten hat in den vergangenen Monaten stark zugenommen. Ob Al-Qaida-Mitglieder oder afghanische und pakistanische Taliban: Mit Drohnen lässt sich ein permanenter Luftkrieg gegen Aufständische aller Art zu vergleichsweise geringen Kosten führen. Sollte es tatsächlich gelingen, die Hauptfeinde Pakistans mit der neuen Kriegstechnik außer Gefecht zu setzen, wäre das ein weiterer Beweis für die Überlegenheit dieser Technik gegenüber konventionellen Methoden. Die Eliminierung eine ganzen Reihe „hochrangiger Ziele“ geht schon jetzt auf das Konto von Drohnen.
Doch der relative Erfolg der gezielten Tötungen, die in Pakistan im Jahr 2004 begannen, wird von zahlreichen „Kollateralschäden“ überschattet. Bei den immer häufigeren Luftangriffen – zurzeit durchschnittlich einer pro Woche – sollen zwischen Januar und September 2009 insgesamt 432 Menschen ums Leben gekommen sein (für das ganze Jahr 2008 lag die Opferzahl bei 317). Die blutigsten Monate waren der Juni und Juli 2009, in denen bei Angriffen 155 Menschen starben.
Unter den Getöteten waren neben den bekannten Terroristen auch viele Zivilisten und pakistanische Widerstandskämpfer. Zum Zielgebiet der unbemannten Bomber ist insbesondere die Gebirgsregion Süd-Waziristan im Westen Pakistans geworden, die von dem Taliban-Führer Mullah Nazir und dem Haqqani-Netzwerk kontrolliert wird (benannt nach dem legendären Taliban-Führer und ehemaligen CIA-Verbündeten Jalaluddin Haqqani).
Mehrere tausend Kilometer entfernt, in Creech, Nevada, befindet sich die Basis, von der aus die CIA die Drohnen steuert. In einem engen, mit Computern vollgestopften Raum operieren die Piloten mittels Tastatur und Joystick. In dieser sterilen Umgebung gehen sie beim Lenken ihrer Fluggeräte nicht das geringste Risiko ein.
Doch ein solcher Fernkrieg schafft neue Probleme: „Er verändert die ultimative Handlung eines Kombattanten – das Töten – von Grund auf“, schreibt der Drohnen-Experte Martin Crag und fragt: „Ist der Krieg durch die Drohnen also zu einer gewöhnlichen Büroarbeit oder gar zu einem Videospiel geworden? Um zu verhindern, dass sich unverantwortliche Verhaltensweisen einschleichen, schickt das Pentagon die Piloten regelmäßig für vier bis sechs Wochen ins Einsatzgebiet.“1
Die Gefahr einer Banalisierung des Tötens wird auch aus finanziellen Gründen in Kauf genommen: Die Ausbildung eines US-Kampfpiloten kostet 2,6 Millionen Dollar, die eines Drohnenpiloten nur etwa 135 000 Dollar.2
Piloten am Joystick
Hinzu kommt, dass „die Regierung Bush im Sommer 2008 beschlossen hat, die CIA als Luftwaffe zur Aufstandsbekämpfung im Dienst der pakistanischen Regierung einzusetzen“, sagt der Politologe Micah Zenko vom Council on Foreign Relations (CFR) in New York. „Die Angriffsflüge der CIA unterliegen der Geheimhaltung, womit eine echte öffentliche Auseinandersetzung über ihre Wirksamkeit ausgeschlossen ist.“ In dieses Bild passt auch, dass der private Militärdienstleister Blackwater, der sich nach seinen Korruptionsskandalen im Irak in Xe umbenannt hat, heimlich und offenbar ohne rechtliche Grundlage zu Serviceaufgaben bei den afghanischen Drohneneinsätzen herangezogen wird.3
Der große Vorteil der Drohnen ist – neben der Nichtgefährdung des Piloten – ihre lange Einsatzzeit. Eine Drohne vom Typ MQ-1 Predator A kann 24 Stunden ununterbrochen in der Luft bleiben – wesentlich länger als jedes bemannte Kampfflugzeug. Bevorzugt eingesetzt werden die vom US-Unternehmen General Atomics produzierten Predator-Drohnen der Kategorie MALE (Medium Altitude, High Endurance – mittlere Flughöhe, lange Ausdauer).
Das Nachfolgemodell MQ-9 Reaper („Schnitter“) ist doppelt so groß und mit 4,7 Tonnen viermal so schwer wie die MQ-1. Es trägt zehnmal so viele Raketen wie die Predator und ist mit 8 Millionen Dollar pro Stück deutlich billiger als ein konventioneller Kampfbomber. Das neueste Modell, die Predator C Avenger („Rächer“), fliegt dank Strahlentriebwerk mit 740 Kilometer pro Stunde fast doppelt so schnell wie der Reaper.
Seit einigen Jahren setzt das US-Militär immer mehr unbemannte Flugzeuge ein: Deren Zahl ist seit 2002 von 167 auf über 6 000 (Stand 2008) gestiegen, wobei sich diese Zahl vor allem durch die Anschaffung leichterer Modelle für Aufklärungszwecke erklärt. Doch auch die Zahl der mit Raketen bestückten Drohnen nimmt zu: 2002 verfügte die US-Armee über 22 waffenfähige Predator. 2008 waren es bereits 109, hinzu kamen 26 Reaper. Die summierte Flugzeit aller Drohnen hat sich laut einer Bestandsaufnahme vom Januar 2009 mit 400 000 Stunden gegenüber 2007 mehr als verdoppelt.
Für diese Flotte wenden die USA einen wachsenden Anteil ihres Militärbudgets auf. Im Verteidigungshaushalt 2010 hat die Regierung Obama 3,8 Milliarden Dollar für Entwicklung und Kauf von Drohnen vorgesehen. Finanziert werden soll damit unter anderem die Anschaffung von 24 Reapers und fünf riesigen Global Hawks der HALE-Kategorie (High Altitude, Long Endurance).
Diese Aufstockung erfolgte im Zuge einer massiven Erhöhung der US-Verteidigungsausgaben. Die sind seit 2002 um 74 Prozent gestiegen, im Jahr 2008 beliefen sie sich auf 515 Milliarden Dollar. Die staatlichen Ausgaben für die Entwicklung von Militärrobotern (zu denen auch Drohnen gehören) haben sich seit 2001 pro Jahr fast verdoppelt. Dank dieses Geldsegens ist in den USA mittlerweile eine ganze Industrie für Militärrobotik entstanden (siehe Kasten).
Die Predator-Drohnen für den Einsatz in Pakistan und Afghanistan sind auf dem US-Luftwaffenstützpunkt im südafghanischen Kandahar stationiert. Seit einer diskreten Vereinbarung zwischen George W. Bush und dem ehemaligen pakistanischen Präsidenten Pervez Musharraf starten sie vermutlich auch von pakistanischem Boden aus. „Seit dem Tod ihres Anführers Baitullah Mehsud hat das Ansehen der Taliban gelitten, die USA und Pakistan arbeiten jetzt enger zusammen“, erklärt Imtiaz Gul, Chef des Centre for Research and Security Studies in Islamabad.
Präziser beschreibt es die RAND-Expertin Christine Fair: „Anders als in der Vergangenheit lehnt das pakistanische Militär die Luftangriffe mit Drohnen nicht mehr grundsätzlich ab.“ Aber als Gegenleistung für eine Kooperation habe man eigene bewaffnete Drohnen verlangt, und die Möglichkeit, selbst über den Abschuss der Raketen zu entscheiden.
Am 23. Januar 2009, drei Tage nach seinem Amtsantritt, befahl US-Präsident Obama Drohneneinsätze gegen die Stammesgebiete in Pakistan.4 Acht Menschen starben bei einem Angriff in Nord-Waziristan, sieben weitere einige Stunden später im Süden der Provinz. Bis zum 30. September gab es 2009 insgesamt 39 derartige Operationen in Pakistan gegenüber 36 im Jahr 2008.
„Bush war noch relativ vorsichtig im Umgang mit Pakistan“, meint der belgische Militärexperte Joseph Henrotin. „Obama und seine Leute denken eher im globalen Maßstab. Es gibt eine Art radikalen Ausbau der Feuerkraft. Die USA agieren nach der Taktik ‚Aufspüren und vernichten‘, und sie nehmen sich das Recht, dies überall und jederzeit zu tun.“5
Seit Herbst 2008 rechtfertigen die USA ihren routinemäßigen Einsatz von Drohnen mit dem Argument, dass sie nicht direkt auf pakistanischem Boden intervenieren können. Damals hatte Präsident Bush den Einsatz von Spezialeinheiten auf pakistanischem Boden genehmigt, weil die pakistanische Armee sich unfähig oder unwillig zeigte, die Stammesgebiete unter ihre Kontrolle zu bringen. Am 3. September 2008 überschritt eine Einheit der US-Elitetruppe Navy Seals die Grenze nach Pakistan und tötete rund 20 Menschen, darunter Frauen und Kinder. Pakistan verurteilte den Angriff scharf und betonte, eine weitere Aktion dieser Art werde man nicht hinnehmen.
Der Einsatz von Drohnen passt also in die Zukunftspläne der US-Armee. Sie sind als „verlängerter Arm des Soldaten“ gedacht, formuliert es Joseph Henrotin, „aber sie ersetzen ihn nicht.“ Laut einem Bericht der U.S. Air Force vom 23. Juli 2009 sollen die Luftstreitkräfte künftig „über zunehmend autonome und als Modul verwendbare Drohnen verfügen können“. Das mache sie flexibel und anpassungsfähig – eine „Grundvoraussetzung, um die maximale Effektivität der US-Luftstreitkräfte im 21. Jahrhundert sicherzustellen“. Weiter heißt es, dass „Drohnen bei einer Reihe von Aufgaben, die bislang von Menschen erledigt werden, eine interessante Alternative darstellen“.
Der Air-Force-Bericht betont, dass „Drohnen das Schlachtfeld von morgen verändern werden“. Die denkbaren Konsequenzen reichen weit über den Rahmen des aktuellen Afghanistankonflikts hinaus – schließlich könnten Drohnen eines Tages auch als Träger von Atomwaffen dienen.6
Drohne über Lourdes beim Papstbesuch
Neben den USA haben auch andere Länder bereits Programme zur Entwicklung von Kampfdrohnen aufgelegt (Unmanned Combat Aerial Vehicle, UCAV). Der Angriff auf Bodenziele bleibt dabei nicht das einzige Einsatzfeld. Sogar an Drohnen für Luftkämpfe wird schon gebaut. Auch auf diesem Gebiet haben die USA mit dem Bomber X-47 B von Northrop Grumman die Nase vorn.
Deutschland hat bisher keine eigenen Kampfdrohnen entwickelt. Zwar setzt auch die Bundeswehr in Afghanistan unbemannte Fluggeräte ein, allerdings nur zu Aufklärungszwecken. Die Deutschen verwenden bisher vor allem das System KZO (Kleinfluggerät Zielortung) des Rüstungsherstellers Rheinmetal Defence und die Aufklärungsdrohne Luna. Ab März 2010 sollen drei größere Heron-Drohnen aus israelischer Produktion dazukommen.
Die Verwendung von Drohnen in anderen „Sicherheitsbereichen“, etwa im Kampf gegen Drogenhandel und illegale Einwanderung, wird längst ernsthaft erwogen. In Frankreich wurden sie schon mehrmals zur Überwachung eingesetzt. Im September 2008 schützten Drohnen den Besuch von Papst Benedikt XVI. in Lourdes. Und beim jüngsten Nato-Gipfel in Straßburg kreiste eine kleine Elsa-Drohne über der Stadt. Über kurz oder lang werden sicher auch zivile Drohnen gebaut.7
Der Einsatz von Drohnen muss kritisch hinterfragt werden, etwa im Hinblick auf die Taktik der gezielten Tötungen bei der Aufstandsbekämpfung. In Pakistan und Afghanistan tragen diese dazu bei, den Stolz der Männer zu stärken: Für die sind ferngesteuerte Angriffen nur ein Beweis dafür, dass der Feind nicht mehr Manns genug ist, das Leben der eigenen Soldaten zu riskieren. Zudem wird durch die Tötung von Anführern wie Baitullah Mehsud die Infrastruktur des Terrorismus in keiner Weise getroffen.
An den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Faktoren, die in den Stammesgebieten zur politischen Radikalisierung beitragen, ändern neue Waffengattungen natürlich überhaupt nichts.8 Die Drohnenangriffe verstärken im Gegenteil den Groll der pakistanischen Bevölkerung auf die eigene Regierung, die ohnehin als durch und durch korrupt gilt. US-Angriffe auf pakistanischem Boden können so die Legitimation der staatlichen Organe noch weiter untergraben. „Drohnen sind ein Mittel zum Zweck“, meint der Politologe Micah Zenco, „aber die tieferen Ursachen der Probleme lassen sich mit diesem Mittel nicht aus der Welt schaffen.“
Aus dem Französischen von Herwig Engelmann
Laurent Checola und Edouard Pflimlin sind Journalisten.