Der kurze Moment der Möglichkeit
Wie die Verhandlungen über das iranische Atomprogramm scheiterten von Gareth Porter
Die Gespräche zwischen der sogenannten Sechsergruppe1 und dem Iran treiben auf ein vorzeitiges Ende zu. Was sich zu einem ernsthaften diplomatischen Dialog hätte entwickeln sollen, mit dem Ziel, einen neuen Modus Vivendi zwischen dem Iran und dem Westen zu finden, steckt jetzt in einer Sackgasse fest. Just in dem Moment, da die USA und ihre Verbündeten mit dem Abbruch der Gespräche drohten, haben sie im Gouverneursrat der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) eine Resolution durchgesetzt, die den vollständigen Stopp der iranischen Urananreicherung fordert.
Diese Forderung, die offenbar die neue diplomatische Position der Obama-Regierung gegenüber dem Iran darstellt, hat in Teheran eine Trotzreaktion ausgelöst, die sich mit einer ganz neuen Wut artikuliert. Die iranische Antwort bestand darin, die Unterstützung der IAEO für den Bau von zehn weiteren Anlagen zur Urananreicherung zu fordern, zu der man als IAEO-Mitglied berechtigt sei.2
Der Abbruch der Gespräche geht insbesondere auf schwere diplomatische Fehleinschätzungen in Washington zurück. Die Antwort von Präsident Mahmud Ahmadinedschad ist kein ernsthafter Vorschlag, sondern nur die Wiederholung einer Botschaft, die der Westen immer noch nicht begriffen hat: dass nämlich nachdrückliche Forderungen an die Iraner nur bewirken, dass deren Haltung noch sturer wird.
Der Hauptgrund für das gegenwärtige diplomatische Fiasko ist also die Unfähigkeit der USA und ihrer Verbündeten, zu begreifen, was mit dem Iran geht und was nicht. Letzten Sommer kam die Obama-Regierung gemeinsam mit ihren europäischen Verbündeten auf die Idee, dass man den Iran auffordern sollte, sich vorübergehend – als „vertrauensbildende Maßnahme“ – von einem Großteil seiner Vorräte an niedrig angereichertem Uran (Low Enriched Uranium, LEU) zu trennen.
Die Aufforderung schien die Möglichkeit zu liefern, das iranische Atomprogramm zurückzudrehen – trotz all der Anzeichen dafür, dass der Westen dieses Ziel wohl kaum wird durchsetzen können. Tatsächlich wurde dieser Plan zum Ersatz für den ernsthaften Versuch, einen diplomatischen Kompromiss mit dem Iran zu erreichen, um endlich die jahrzehntelange Feindschaft zwischen Washington und Teheran abzubauen.
Das diplomatische Tauziehen um das iranische Atomprogramm hat seinen Ursprung darin, dass der Iran nuklearen Brennstoff für seinen Forschungsreaktor in Teheran braucht, den die USA noch zu Zeiten des Schahs gebaut haben. Für diesen Reaktor, der radioaktive Isotope für medizinische Zwecke produziert, hatte der Iran 20-prozentig angereichertes Uran von Argentinien bezogen, und zwar aufgrund eines 1988 abgeschlossenen Kooperationsabkommens, das schon 1993 ausgelaufen ist. Da die 23 Kilogramm des argentinischen Brennstoffs gegen Ende 2010 verbraucht sein werden, schrieb der iranische Außenminister Manutschehr Mottaki im Juni 2009 einen Brief an die Internationale Atomenergiebehörde. Darin bat er um die Mithilfe der IAEO, um unter deren Aufsicht eine ausreichende Menge angereicherten Urans erwerben und damit die Versorgung des medizinische Reaktors mit Brennstoff langfristig sicher stellen zu können.
Voraussetzung dafür war freilich, dass die internationalen Sanktionen gegen das Atomprogramm des Iran gelockert werden. Als die Obama-Regierung von dem iranischen Antrag Wind bekam, erfand sie eine neue diplomatische Strategie: Sie wollte dem Iran Bedingungen aufzwingen, die darauf hinausliefen, dass Teheran für etwa ein Jahr keine LEU-Bestände zur Verfügung haben würde.
Im Juli dieses Jahres soll deshalb Gary Samore, Obamas Sonderberater in Sachen iranisches Atomprogramm, in Moskau mit folgendem Plan vorstellig geworden sein: Der Iran sollte verpflichtet werden, sein schwach angereichertes Uran nach Russland zu schicken, um es dort weiter anreichern und in reaktorfähige Brennelemente umwandeln zu lassen. Dieses Verfahren hätte die Pläne der Iraner, ihre bereits erreichte Fähigkeit zur eigenständigen nuklearen Versorgung weiterzuentwickeln, um rund ein Jahr zurückgeworfen.
Der Plan lag auf der Linie der diplomatischen Strategie, die der Sonderberater im Januar 2009 ins Weiße Haus mitgebracht hatte. Sie ist nachzulesen in einem Aufsatz, den Samore zusammen mit Bruce Reidel3 verfasst und im Dezember 2008 veröffentlicht hat. Dort ist bereits der Vorschlag formuliert, dass der Iran seine LEU-Vorräte nach Russland schicken müsse. Dort solle das Material dann in Brennstäbe für den – von den Russen gebauten – Atomreaktor in Busher umgewandelt werden.
Nur eine Woche nachdem die Iraner ihre Teilnahme an neuen Verhandlungen mit der Sechsergruppe zugesagt hatten, informierten sie die IAEO über eine zweite Urananreicherungsanlage, die in Fordo nahe der Stadt Qom gebaut wird. Die USA, Großbritannien und Frankreich erklärten daraufhin, dass mit dieser Anlage der Beweis für eine atompolitische „Täuschung“ durch die Iraner erbracht sei. In Washington hieß es darüber hinaus, Teheran habe die Existenz dieser zweiten Anlage nur offengelegt, weil diese bereits von westlichen Geheimdiensten entdeckt worden sei.
Vieles spricht allerdings für eine andere Interpretation: Der Bau von Fordo war eine vorsorgliche Maßnahme für den Fall einer Bombardierung der ersten Anreicherungsanlage von Natans. Indem man diesen Plan B veröffentlichte, wollte man der – indirekt ausgesprochenen – Drohung eines israelischen Angriffs entgegenwirken, von der die Strategen in Teheran annahmen, dass die USA sie als Druckmittel in den Verhandlungen mit dem Iran einsetzen wollten. Diese Annahme war nicht vollkommen unrealistisch. Auch Samore hatte, bevor er Obamas Sonderberater wurde, mehrfach dafür plädiert, die Möglichkeit eines israelischen Angriffs für die eigene Verhandlungsposition auszunutzen. Und im Juli hatte Vizepräsident Joe Biden den Israelis anscheinend grünes Licht für einen Luftschlag gegen iranische Atomanlagen gegeben, falls die Israelis sich tatsächlich von diesen Anlagen „existenziell bedroht“ fühlen sollten.4
Als ginge es nur um den diplomatischen Sieg
Dass der Iran die Existenz der Anlage von Fordo offiziell bekannt gab, diente der US-Regierung als eine weitere Begründung dafür, in den am 1. Oktober begonnenen Verhandlungen mit Teheran unnachgiebig und aggressiv aufzutreten. Washington setzte in der Sechsergruppe den Vorschlag durch, wonach der Iran 80 Prozent seines schwach angereicherten Urans nach Russland liefern müsse, von wo es nach Frankreich gehen und dort in Brennelemente für den Reaktor in Teheran umgewandelt werden sollte. Das Entscheidende für Washington war dabei, dass der Iran den größten Teil seines LEU aus der Hand geben und die USA als diplomatischer Sieger dastehen würde. Denn die Iraner würden neun bis zwölf Monate brauchen, um so viel LEU herzustellen, dass sie erneut mit einem Durchbruch bei ihrem Anreicherungsprogramm drohen könnten.
Von Seiten der US-Regierung wurde behauptet, dieser Vorschlag verschaffe beiden Seiten eine Pause, um ein umfassendes Abkommen auszuhandeln, das die Möglichkeit einer iranischen Atombombe ausschließen würde. Aber diese Argumentation war nicht sehr glaubhaft. Schließlich war kaum anzunehmen, dass die US-Regierung, nachdem sie den Iran als nach der Bombe strebende Macht hingestellt und die Entwicklung einer iranischen Atombombe für nicht hinnehmbar erklärt hatte, ein paar Monate später eine Kehrtwende vollziehen und Teheran einen Deal vorschlagen würde, der den Weg für die Produktion von LEU freimachen würde.
Die iranischen Unterhändler wiesen den Vorschlag, der bei dem Treffen in Genf am 1. Oktober gemacht wurde, zunächst nicht zurück. Sie hatten Anweisung, sich kooperativ zu verhalten, um so dem Westen kein Argument für den Abbruch der Gespräche und neue Wirtschaftssanktionen gegen den Iran zu liefern. Doch dann erzählte der stellvertretende US-Außenminister William Burns, der die US-Delegation in Genf anführte, gegenüber Journalisten in einem Hintergrundgespräch, der Sekretär des Obersten Nationalen Sicherheitsrats des Iran, Said Dschalili, habe zugesagt, 1 200 von den 1 500 Kilogramm seines niedrig angereicherten Urans abzugeben, wenn Teheran im Gegenzug auf 19,75 Prozent angereicherten Brennstoff erhielte.
So wurde es auch von Reuters berichtet. Doch am 16. Oktober zitierte die britische Presseagentur dann einen maßgeblichen iranischen Vertreter mit der Aussage, Teherans Verhandlungsführer habe keinem westlichen Plan zugestimmt. Man sei zwar bereit gewesen, einen aus diesen Elementen bestehenden Kompromiss zu diskutieren, eine Einigung auf detaillierte Abmachungen sei aber nicht erfolgt. Derselbe Vertreter stellte klar, der iranische Verhandlungsführer sei auch nicht ermächtigt, in der zweiten, für 19. bis 21. Oktober in Wien anberaumten Gesprächsrunde irgendwelche Vereinbarungen zu treffen.
Bei dieser zweiten Gesprächsrunde legte der scheidende IAEO-Chef al-Baradei den Entwurf einer Vereinbarung vor. Darin war festgeschrieben, welchen Anteil seines LEU der Iran nach Russland zu verbringen hat, und dass der Iran dafür 20-prozentig angereichertes Uran zurückbekommen würde. Ein französischer Diplomat äußerte gegenüber der Washington Post, diese Bestimmungen seien „nicht sehr weit“ von dem entfernt, was der Westen als ideale Lösung ansehe.
Am 21. Oktober, zum Abschluss des Wiener Treffens, berichteten die Medien erneut, der iranische Delegationsführer habe dem Al-Baradei-Papier zugestimmt. Dagegen drückte sich Ali Asghar Soltanieh, der iranische Vertreter bei der IAEO, deutlich vorsichtiger aus: Der Entwurf gehe zwar „in die richtige Richtung“, aber man müsse den Text noch „gründlich prüfen“. Al-Baradei selbst machte klar, dass man keine Einigung über den Text erzielt habe, und gab dem Iran zwei Tage Zeit, um auf ihn zu reagieren.
Doch in Teheran zogen sich die öffentlichen und privaten Diskussionen über die Reaktion auf den Entwurf ein paar Tage lang hin. Sowohl Ali Laridschani, der frühere Vertreter bei den Atomverhandlungen und jetzige Parlamentspräsident, als auch Alaeddin Borudscherdi, der Vorsitzende des Parlamentsausschusses für nationale Sicherheit und internationale Fragen, sprachen sich mit Entschiedenheit dafür aus, dass der Iran das höher angereicherte Uran auf dem internationalen Markt kaufen solle, statt sich zwingen zu lassen, es gegen seine LEU-Bestände einzutauschen.
Gegen den Vorschlag von al-Baradei gab es aber einen weiteren grundsätzlicheren Einwand. Die den Reformern nahestehende Website Kaleme berichtete, was Mir Hossein Mussawi, der schärfste Konkurrent von Ahmadinedschad bei den jüngsten Präsidentschaftswahlen und Führer der Protestbewegung gegen die Wahlfälschungen, gesagt hatte: Die im IAEO-Plan geforderten Bedingungen würden bedeuten, dass „alle Anstrengungen von tausenden Wissenschaftlern umsonst gewesen sein werden“.
Der konservative Parlamentsabgeordnete Heshmatollah Falahat-Pisheh meinte, jede Abmachung mit dem Westen über die Ablieferung der iranischen LEU-Bestände sei an die Bedingung zu knüpfen, dass die Wirtschaftssanktionen gegen den Iran beendet und insbesondere das Importverbot für Uranerze aufgehoben werden müsse. Und der konservative Sekretär des Wächterrats Mohsen Resai erklärte, der Iran solle 1 100 (von seinen 1 500) Kilogramm LEU als eiserne Reserve behalten, statt wie von al-Baradei vorgeschlagen 1 200 Kilogramm ins Ausland zu verlagern. All diese Einwände basierten auf der Erkenntnis, dass den Iranern mit dem Plan des IAEO-Chefs die Verhandlungsmasse weggenommen würde, die sie sich mit ihren LEU-Vorräten so mühsam zusammengekratzt hatten.
Wie aus informellen Gesprächen mit hochrangigen iranischen Sicherheitsexperten zu erfahren war, sollten die Vorräte an niedrig angereichertem Uran vor allem dazu dienen, die USA zu ernsthaften Verhandlungen mit Teheran zu zwingen.
Seltene Einigkeit im Iran
Schließlich war ihnen nicht entgangen, dass Washington vor Beginn des Anreicherungsprogramms keinerlei Interesse an Verhandlungen gezeigt hatte. So gesehen kann der Iran heute in Verhandlungen mit den USA ganz anders auftreten als zu Zeiten der früheren Präsidenten Rafsandschani (1989 bis 997) und Chatami (1997 bis 2005).
Die zitierten Äußerungen von Laridschani und Borudscherdi wurden im Ausland weithin falsch interpretiert. Sie galten als Beleg für eine Spaltung innerhalb der politischen Führung des Iran. Indem diese nun offen zutage träten, hätte Obama, wie die New York Times innerhalb weniger Tage zweimal behauptete, ein wichtiges Etappenziel erreicht. Diese Einschätzung beruhte allerdings auf der Annahme, dass Ahmadinedschad die westlichen Vorschläge bereits akzeptiert habe.
Tatsächlich deutet vieles darauf hin, dass inzwischen in Teheran hinter den Kulissen ein neuer Konsens zwischen der Regierung und den Al-Baradei-Kritikern der Opposition zustande gekommen ist. Die Verurteilung des westlichen Plans durch Mussawi erfolgte am 29. Oktober. Am selben Tag wurden die iranischen Gegenvorschläge über die staatlichen Medien verbreitet.5 In der staatlichen Nachrichtenagentur Irna hieß es, der iranische Gegenvorschlag enthalte die Forderung, dass die Lieferung des LEU schrittweise und nicht auf einen Schlag erfolgen und die zweite Lieferrate erst fällig werden dürfe, nachdem das Uran für den medizinischen Reaktor eingetroffen sei. Dabei sei das Prinzip des „simultanen Austauschs“ für Teheran nicht verhandelbar. Des Weiteren bestehe die iranische Seite darauf, dass ein Teil des Urans für den medizinischen Reaktor durch direkte Käufe auf dem Weltmarkt beschafft werden müsse.
Obwohl der iranische Gegenvorschlag alles aus dem Al-Baradei-Entwurf eliminierte, was dessen Attraktivität für die Obama-Regierung und ihre Verbündeten ausmachte, vermied die offizielle iranische Antwort eine glatte Ablehnung dieses Papiers. Vielmehr hat sie Beobachtern zufolge eine „positive Haltung“ und ihre weitere Gesprächsbereitschaft zum Ausdruck gebracht.
Den Gegenvorschlag aus Teheran hat die Sechsergruppe überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Daraufhin legte Ahmadinedschad einen weiteren Vorschlag auf den Tisch, nach dem rund ein Viertel des iranischen LEU nicht außer Landes gebracht, sondern – unter strenger Kontrolle durch die IAEO – auf iranischem Boden gelagert werden solle, bis das Uran für den Reaktor eingetroffen sei, der radioaktives Material für medizinische Zwecke herstellt. Doch am 15. November erklärte Barack Obama, die Zeit für Verhandlungen über den Vorschlag von al-Baradei sei nun abgelaufen.
Die Gespräche mit dem Iran werden also höchstwahrscheinlich beendet, ohne dass der Versuch unternommen wurde, die Möglichkeit einer umfassenderen Vereinbarung auszuloten. Die wäre nur zu erreichen gewesen, wenn die USA ihre offene Feindseligkeit gegenüber Teheran aufgegeben und die legitimen Interessen wie auch den Status des Iran als Regionalmacht im Mittleren Ostens zumindest symbolisch anerkannt hätten. Die US-Regierung hat, obwohl Obama prinzipiell eine diplomatische Lösung befürwortet, keinen einzigen Versuch in diese Richtung unternommen. Das liegt unter anderem daran, dass Gary Samore und andere außenpolitische Berater dem Iran eine Lösung aufzwingen wollen, die sich als ein diplomatischer Sieg über Teheran würde darstellen lassen.
Dabei war Samore selbst – der das Al-Baradei-Papier immerhin entworfen hat – der Meinung, Washington hätte Teheran Gespräche über umfassendere politische und ökonomische Interessen des Iran anbieten sollen. Doch die US-Regierung versteifte sich auf einen Vorschlag, der es ihr praktisch unmöglich machte, sich auf Verhandlungen im Sinne von Geben und Nehmen einzulassen. Dass sie den schnellen, vorzeigbaren Erfolg wollte, hat zweifellos mit dem politischen Klima in den USA zu tun, das stark von der rechtsgerichteten proisraelischen Lobby beeinflusst ist. Damit wurde die Tür für ein mögliches Abkommen mit dem Iran zugeschlagen – mit dem Ergebnis, dass die Zeichen wieder auf Konfrontation stehen.
Aus dem Englischen von Niels Kadritzke
Gareth Porter ist Journalist, Historiker und Autor des Buchs: „Perils of Dominance: Imbalance of Power and the Road to War in Vietnam“, Berkeley (University of California Press) 2006.