13.08.2015

Das System Fifa

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Das System Fifa

Die Korruption ist rund

von Stefan Kühl

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Experten der Sportbranche vergleichen die Fifa mit kriminellen Organisationen. Aber nicht nur sie sprechen von der „Fifa-Mafia“, die wie ein Krake die Geschäfte im internationalen Fußball beherrsche. Der langjährige Präsident der Fifa, Sepp Blatter, wird als „Don Blatterone“ bezeichnet: als Pate, der die Geldflüsse in der Organisation kontrolliert.

Assoziationen mit der Mafia sind gewiss naheliegend, wenn Fifa-Funk­tionäre gleich reihenweise von der Polizei aus einem Zürcher Luxushotel abgeführt werden. Aber letztlich trifft diese Beschreibung den Charakter des Weltfußballverbands nicht. Denn der ist, anders als die Mafia, nicht per se eine kriminelle Organisation. Die Fifa kann in der Regel ihre Kongresse abhalten, ohne damit rechnen zu müssen, dass die Polizei die Veranstaltung auflöst. Im Gegenteil: Sie kann sicher sein, dass die Schweizer Polizei ihre Veranstaltungen schützt, weil man (noch) davon ausgeht, dass sich ihr Handeln im Rahmen der Gesetze bewegt.

Aber wenn die Fifa mit der Metapher der Mafia unzureichend beschrieben ist – um was für eine Organisa­tion handelt es sich denn dann? Und wie kann ihr Handeln erklärt werden? In der Organisationsforschung werden Verbände wie die Fifa, aber auch die OECD, die International Air Transport Association, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag oder die International Federation of Eugenic Organizations als Metaorganisationen bezeichnet.1

Die Besonderheit von Metaorganisationen liegt darin, dass ihre Mitglieder nicht Einzelpersonen, sondern andere Organisationen sind. Zwar arbeiten auch im Fifa-Hauptquartier von Zürich einige hundert Personen, die ein regelmäßiges und, wie man hört, stattliches Einkommen von der Fifa beziehen. Aber für die formalen Entscheidungsprozesse der Fifa sind nicht diese Mitarbeiter zuständig, sondern die 209 nationalen Fußballverbände, die als Mitglieder der Fifa deren Kurs bestimmen.

Die Organisationsforscher Göran Ahrne und Nils Brunsson haben herausgearbeitet, dass die meisten Meta­orga­nisationen im Vergleich zu ihren Mitgliedsorganisationen schwach sind.2 Man muss sich nur so unterschiedliche Metaorganisationen wie die Vereinten Nationen, die Nato oder den Deutschen Industrie- und Handelskammertag ansehen, um zu erkennen, wie gering ihr Einfluss im Vergleich zu ihren Mit­glieds­or­ganisationen ist.

Die relativ schwache Zentrale der Metaorganisation ist in den meisten Fällen kaum in der Lage, Veränderungen in ihren Mitgliedsorganisationen zu bewirken. Der Kurs einer Metaorganisation läuft zumeist auf einen mehr oder minder fragilen Kompromiss hinaus, den die starken Mitgliedsorganisationen vorab ausgehandelt haben.

Anders sieht es aus, wenn es einer Metaorganisation gelingt, eigene Einnahmen zu generieren und sich so von ihren Mitgliedsorganisationen zu emanzipieren. Das ist bei Metaorganisationen eher die Ausnahme. Aber der Fifa ist genau dies gelungen.

Die Fifa verfügt mit der Fußballweltmeisterschaft über ein natürliches Monopol, weil sich für das Handelsgut

„Weltmeisterschaft“ keine Konkurrenzanbieter etablieren können. Im Prinzip könnten sich zwar in allen Ländern Fußballvereine zusammentun, Nationalmannschaften aufstellen und die Austragung einer gemeinsamen Weltmeisterschaft verkünden. Das wäre aber wohl ähnlich erfolglos wie der Versuch eines Wasserversorgungsunternehmens, in ein neues Rohrleitungsnetz zu investieren, um den Stadtwerken von Hamburg, Wien oder Zürich Konkurrenz zu machen. Bevor sich die Investitionen auszahlen, wäre die Unternehmung wegen der hohen Einstiegshürden schon pleite. Die Monopolstellung der Fifa gestattet es ihr, bei einer Fußball-WM die Einnahmen für die Übertragungsrechte, die Sponsorengelder, die Ticketpreise und ihre Gewinnanteile am Verkauf der Merchandisingartikel (Maskottchen, Trikots und so weiter) fast beliebig zu erhöhen. Denn es gibt ja keine Konkurrenz.

Es sind diese monopolistischen Einnahmemöglichkeiten, die den Unterschied zu anderen Metaorganisationen ausmachen. Die Fifa muss also nicht Geld von ihren Mitgliedsverbänden einnehmen, um zu existieren, sie kann vielmehr Geld an ihre Mitgliedsorganisationen verteilen. Die Unesco, die OECD oder die Nato müssen bei ihren Mitgliedstaaten betteln gehen, wenn sie ihr Budget erhöhen wollen. Darauf ist die Fifa nicht angewiesen, im Gegenteil: Sie macht sich als Geldverteilungsmaschine für ihre Mitgliedsorganisationen unentbehrlich.

Dies erklärt, warum die Fußballverbände von Kleinststaaten eine Mitgliedschaft in der Fifa anstreben. Sie verschaffen sich damit Zugang zu dem Geldsegen, den die Fifa ihren Mitgliedern zukommen lässt. Eine jährliche Ausschüttung von einer Million Schweizer Franken mag für einen Verband wie den Deutschen Fußball-Bund oder die Real Federación Española de Fútbol zweitrangig sein, aber für Fußballverbände von Kleinststaaten – wie die St. Kitts and Nevis Football Association oder die Football Federation of Belize – stellt sie die zentrale Einnahmequelle dar.

Die Kleinverbände haben erheblichen Einfluss auf die Entscheidungen der Fifa gewonnen, weil jeder Mitgliedsverband das gleiche Stimmrecht hat – im Gegensatz etwa zur Weltbank oder zum Internationalen Währungsfonds (IWF). Das Prinzip „One state, one vote“ stand von Beginn an in den Statuten der „Féderation Internationale de Football Association“, zu der sich 1904 vergleichsweise gleich große nationale Fußballverbände zusammenschlossen, und wurde mit Verweis auf demokratische Grundsätze bis heute beibehalten. Bei der Wahl des Fifa-Präsidenten zählt die Stimme des Deutschen Fußball-Bunds also genauso viel wie die des Fußballverbands der Zentralafrikanischen Republik oder von Kirgisien.

Faktisch hat dies dazu geführt, dass die europäischen Fußballverbände Einfluss verloren und die afrikanischen, asiatischen und amerikanischen Verbände Einfluss gewonnen haben. Während auf dem Fifa-Kongress von 1915 die europäischen Verbände noch über 83 Prozent der Stimmen verfügten, sind es heute nur noch gute 25 Prozent.3 Und weil die meisten neuen Verbände in Afrika, Ozeanien und Asien gegründet werden, wird sich das Stimmenverhältnis künftig wohl noch weiter zuungunsten der europäischen Verbände verschieben.

Eine Stärkung des Einflusses der großen Fußballverbände, vorrangig aus Europa und Lateinamerika, ist unwahrscheinlich, weil dafür eine Mehrheit aller Fußballverbände, auch derjenigen aus Afrika, dem Nahen Osten, Asien sowie Süd- und Mittelamerika benötigt würde. Die werden aber natürlich nicht einsehen, warum sie freiwillig ihren Einfluss auf die Fifa reduzieren sollten. Und die großen nationalen Fußballverbände können ihren Einfluss nicht erhöhen, weil die Fifa auf ihre Mitgliedsbeiträge gar nicht angewiesen ist.

Der starke Einfluss der Fußballverbände aus Afrika, dem Nahen Osten, Asien und Süd- und Mittelamerika ist ein zentrales Faktum, ohne das die Fifa nicht zu begreifen ist. Die Fußballverbände der unterentwickelten Länder funktionieren nämlich nicht unbedingt nach „westlichen“ Maßstäben (die bekanntlich auch nicht überall eingehalten werden). In vielen Entwicklungs- und Schwellenländern verquicken sich, wenn jemand Mitglied einer Metaorganisation wird, die Verbandstätigkeiten mit den bestehenden Verwandtschaftsnetzwerken und Clanbeziehungen. Im Nahen und Mittleren Osten wird diese Verflechtung als „Wasta“ bezeichnet, in Mittel- und Südamerika als „Confianza“, in Russland als „Blat“ und in China als „Guanxi-Prinzip“.

Das Kerngeschäft muss sauber bleiben

Das heißt: Die Abläufe innerhalb der nationalen Fußballverbände werden durch klassische Patronagebeziehungen überformt. In einer Reihe von afrikanischen, amerikanischen und asiatischen, aber auch in einigen europäischen Staaten dient die Unterstützung einer bestimmten Person bei Wahlen dazu, einen Patron auf einen politischen Posten zu hieven, um von ihm später Hilfestellung bei Behördenangelegenheiten, bei der Beantragung von Hilfsgeldern oder Krediten oder bei der Jobsuche verlangen zu können.4 In einem solchen Patronagesystem ist der Vorsitz in einem nationalen Sportverband ein Hauptpreis, weil er den Zugang zu Geldern internationaler Organisationen eröffnet.

Korruption ist natürlich auch in Industrieländern zu beobachten. Als „Erfinder der modernen Sportkorruption“ gelten nicht die inzwischen angeklagten früheren Fifa-Vizepräsidenten Jack Warner aus Trinidad und Tobago oder Jeffrey Webb von den Cayman Islands oder Eugenio Figueredo aus Uruguay, sondern Horst Dassler aus Deutschland, der Sohn des Adidas-Gründers Adolf Dassler.5

Horst Dassler war nicht nur der Entdecker und Lehrmeister von Sepp Blatter, sondern auch Gründer der Firma International Sport and Leisure (ISL). Der offizielle Unternehmenszweck von ISL war der Handel mit TV-Rechten. Inoffiziell flossen nach Feststellung von Schweizer Gerichten insgesamt 138 Millionen Schweizer Franken als Schmiergelder an Funktionäre der Fifa, des Internationalen Olympischen Komitees und anderer internationaler Sportverbände.

Trotz der stattlichen Liste von „Dassleristen“, die nicht aus Entwicklungsländern stammen – darunter die IOC-Präsidenten Juan Antonio Samaranch (Spanien) und Thomas Bach (Deutschland) –, darf ein Unterschied zwischen Industrie- und Entwicklungsländern nicht unterschätzt werden. Er betrifft die Reaktion auf das Aufdecken von Korruption. In westlichen Organisationen muss der Regelverletzer den Fehler eingestehen und Besserung geloben.6 In Entwicklungsländern wird das häufig anders gesehen. Auch im Konfliktfall fühlen sich Mitarbeiter im Recht, wenn sie sich auf eingespielte, aber nicht offiziell legitimierte „Usancen“ berufen.

Je stärker eine Metaorganisation durch Verbände aus Entwicklungsländern geprägt ist, desto stärker dominieren die länderspezifischen Strukturprinzipien auch diese Metaorganisation. In der französischen Entwicklungshilfe gibt es den Spruch, dass Afrika in der rue Roland Barthes in Paris beginnt, weil die dort ansässige französische Entwicklungshilfeorganisation letztlich gezwungen ist, sich den Strukturen ihrer Partnerorganisationen in Entwicklungsländern anzupassen, um erfolgreich mit ihnen zusammenarbeiten zu können. In einem ähnlichen Sinne kann man sagen, dass die Entscheidungsprozesse der Fifa stark von der Funktionsweise der Verbände aus Afrika, Asien und Amerika bestimmt werden. Die Fifa kann also wegen der bestehenden Mehrheitsverhältnisse nicht unbedingt wie eine Vorzeigeorganisation von Transparency International funktionieren.

Auffällig ist jedoch, wie lange Korruption, Bestechung und Unterschlagung im System der Fifa von Sponsoren geduldet, teilweise sogar unterstützt wurden. Fifa-Sponsoren wie Coca-Cola, McDonald’s, Budweiser, Gazprom, Hyundai und Visa haben offenbar durch die Korruptionsfälle, die in immer kürzeren Abständen bekannt wurden, keine größeren Imageschäden erlitten. Der Sportartikelhersteller Adidas, der seit Jahrzehnten eng mit der Fifa verbunden ist, will selbst angesichts der neuen juristischen Ermittlungen offenbar an seinem Sponsoringpartner festhalten. Und ein weiterer Hauptsponsor, das Kreditunternehmen Visa, äußert sich über die aktuellen Probleme der Fifa lediglich „besorgt“.

Wie lässt sich diese Zurückhaltung von Unternehmen mit Hauptsitz in Europa und Nordamerika erklären? Die Soziologin Barbara Kuchler hat herausgearbeitet, dass der Widerstand gegen Korruption immer dann schwächer ist, wenn nicht die Kernfunktion des jeweiligen gesellschaftlichen Bereichs – ob Medizin, Bildung oder Sport – betroffen ist.7 Zum Beispiel ist es unwahrscheinlich, dass sich Ärzte für korrupte Praktiken einspannen lassen, wenn gravierende Auswirkungen auf die Gesundheit der Patienten zu befürchten wären. Dagegen sind sie eher geneigt, auf „materielle Anreize“ der Pharmakonzerne zu reagieren und das Medikament eines bestimmten Herstellers zu verschreiben, wenn es mehrere gleichwertige Medikamente gibt und es medizinisch relativ egal ist, welches eingesetzt wird.

Was den Sport betrifft, so ist die Korruptionsanfälligkeit größer, wenn es um die Wahl des Austragungsorts etwa für eine Fußball-WM geht, als bei der Ermittlung des Weltmeisters auf dem Spielfeld, also dem sportlichen Kernbereich der Veranstaltung. Einem nationalen Fußballkaiser, der nach seiner aktiven Laufbahn eine zweite Karriere als Sportfunktionär macht, wird es weitgehend egal sein, ob die Austragung der Fußballweltmeisterschaft an Südafrika, Brasilien, Russland oder Katar vergeben wird. In solchen Fragen dürfte er für kleinere oder größere Zuwendungen durchaus empfänglich sein. Aber der Fußballkaiser würde es nicht lustig finden, wenn Südafrika, Brasilien, Russland oder Katar versuchen würden, sich gleich noch den Weltmeistertitel dazuzukaufen.

Gewiss hat es auch bei der Kernfunktion des Sports bereits Korruptionsfälle gegeben. Bei der Fußball-WM 1978 in Argentinien musste die Mannschaft des Gastgebers das Spiel gegen Peru mit mindestens vier Toren Unterschied gewinnen, um statt des Gruppenrivalen Brasilien ins Finale einzuziehen. Argentinien gewann 6:0 gegen eine Mannschaft, die vorher gegen Schottland und den Iran souverän gewonnen und den Niederlanden ein Unentschieden abgetrotzt hatte.

Vieles spricht dafür, dass das Spiel von den Argentiniern gekauft wurde, meint nicht nur der Autor David Yaop8 , sondern ein Großteil der Fußballfans. Die Ergebnismanipulation von 1978 war aber eine Ausnahme, die nur durch die direkte Intervention des argentinischen Diktators Jorge Rafael Videla bei seinem peruanischen Amtskollegen möglich wurde. Wenn der Spielausgang vor allem von der Professionalität bei der Bestechung von Gegenspielern oder Schiedsrichtern abhängen würde statt von der Ballbeherrschung der Spieler und der Intelligenz der Trainer, würde das Interesse am Fußballbetrieb massiv abnehmen – und damit auch die Einnahmemöglichkeiten der ganzen Branche. Deshalb sorgen die Sponsoren dafür, dass sich Korruption auf die Randbereiche des Fußballs beschränkt.

In dem Maße, in dem die Fifa zum Symbol für weltweite Korruption geworden ist, hat sich allerdings auch der Druck auf die Organisation verstärkt. Das Hauptproblem der Fifa ist nicht, dass permanent gegen die formalen Standards der eigenen Organisation verstoßen wird. Die geduldeten kleinen und großen Abweichungen von den offiziellen Zielvorgaben der Organisation, die Missachtung der etablierten inneren Regelwerke, das Umgehen von Vorgesetzten, um einen Vorgang zu beschleunigen, gehören bei der Fifa wie bei jeder anderen Organisation zum Alltag.

Als weitaus problematischer erweisen sich für die Fifa Verstöße, die nicht nur die eigenen Regularien verletzen, sondern auch staatliche Gesetze brechen. Diese Fälle sind prekär, wenn sie von Mitgliedern der eigenen Organisation offenbart werden. Wird die Strafverfolgungsbehörde aufgrund der Äußerungen eines Mitarbeiters – eines sogenannten Whistleblowers – eingeschaltet, lassen sich strafrechtliche Ermittlungen kaum noch verhindern.9 Viele westliche Unternehmen mussten die peinliche Erfahrung machen, dass das systematische Schmieren von Auftraggebern – etwa wenn große Elektronikkonzerne Aufträge für den Bau von Kraftwerken, U-Bahnen oder Flughäfen ergattern wollen – im Fall der Aufdeckung keine interne Aufarbeitung, sondern eine öffentliche Strafverfolgung in Gang setzt.

Sepp Blatter war in seiner Amtszeit daher darauf bedacht, die Korruption wenigstens im Kern der Fifa zu legalisieren. Eine Hauptaufgabe der über Jahre für einen zweistelligen Millionenbetrag engagierten Beratungsfirma McKinsey bestand darin, die Finanzflüsse der Fifa so zu reorganisieren, dass sie vor Klagen von außen besser geschützt waren.

Der hauptamtliche Fifa-Präsident kann jährlich über mehrere Millionen Schweizer Franken verfügen. Wie viel er davon als Gehalt und Boni kassiert und wie viel er nutzt, um sich Mitglieder der „Fifa-Familie“ gefügig zu machen, weiß auch innerhalb der Fifa kaum jemand. Eine solche Heimlichtuerei ist für eine Metaorganisation ungewöhnlich, stellt aber keinen Straftatbestand dar. Der Verband zahlt den ehrenamtlichen Mitgliedern des Exekutivkomitees 100 000 Dollar Aufwandsentschädigung pro Jahr, zudem verfügt jedes Mitglied – ebenso wie der Präsident – über einen eigenen Etat.10

Platinis Sohn hat einen lukrativen Job in Katar

Anders als sein Vorgänger Havelange hat Blatter begriffen, dass legale Formen der Korruption den illegalen Formen vorzuziehen sind.11 Wenn etwa Bewerber für die Austragung einer Weltmeisterschaft nationalen Fußballverbänden Gelder für Entwicklungshilfe- oder Infrastrukturprojekte oder auch eine engere Kooperation bei Veranstaltungen in Aussicht stellen, kann man das immer als eine Unterstützungsmaßnahme ausgeben, die man den ärmeren Sportpartnern sowieso gewährt hätte. Wenn die englische Nationalmannschaft im Umfeld einer Bewerbung für die Weltmeisterschaft den nationalen Verbänden von Fußballzwergen ein Länderspiel anbietet, mag dies anrüchig sein, aber um Korruption im strafrechtlichen Sinne handelt es nicht.

Die Fifa ist deswegen so interessant, weil sie eine solche Legalisierung von Korruption bei Geldflüssen zwischen Organisationen der westlichen und südlichen und östlichen Länder gestattet. Uefa-Präsident Michel Platini, der sich lange Zeit als Steigbügelhalter für Sepp Blatter betätigt hat und erst seit Kurzem von seinem Ziehvater abgerückt ist, hat die erfolgreiche WM-Bewerbung Katars unterstützt, zugleich allerdings darauf geachtet, dass keine direkte kausale Verbindung zum Einstieg seines Sohns in die staatliche Qatar Sport Investments nachzuweisen war. Auch Franz Beckenbauers Unterstützung für die russische WM-Bewerbung lässt einen engen Zusammenhang mit einem lukrativen Werbevertrag des russischen Gazprom-Konzerns vermuten, aber auch hier ließ sich keine direkte Absprache nachweisen.

Die Maßnahmen der Fifa zur Legalisierung der Korruption hatten offenbar den gewünschten Erfolg, weil strafrechtliche Verfehlungen damit personalisiert werden konnten. Die Zahlungen der Fifa flossen auf rechtlich unanfechtbaren Wegen an die Mitgliedsverbände. Damit konnten sich die Funktionäre in ihren Heimatländern persönlich bereichern, ohne strafrechtliche Verfolgung oder einen öffentlichen Skandal befürchten müssen. Die Schmiergeldzahlungen, mit denen beispielsweise eine WM-Bewerbung gefördert werden sollte, flossen – ohne offizielle Einschaltung der Fifa – direkt an die Mitglieder im Exekutivkomitee.

Wenn jemand aus diesem Kreis das Pech hatte, wie es bei Reynald Temarii oder Amos Adamu der Fall war, dass ihm passive Bestechung nachgewiesen wurde, konnte die Fifa dies als persönlichen Verstoß des jeweiligen Verantwortlichen hinstellen. Dann wurde eben ein anderer Funktionär, von dem man erwarteten durfte, dass er sich nicht erwischen lässt, ins Exekutivkomitee berufen.

Metaorganisationen sind in der Regel nur begrenzt veränderungsfähig, weil sich ihre Mitgliedsorganisationen selten auf grundlegende Reformen einigen können. Das zeigt sich etwa bei den Schwierigkeiten der Unesco oder des DGB, auch nur kleine Reformen gegen die Interessen ihrer Mitgliedsorganisationen durchzusetzen. Die Fifa hätte hier ganz andere Möglichkeiten, weil sie mittels Geldzahlungen an kleine Mitgliedsverbände auch ernsthafte Veränderungen durchsetzen könnte. Aber genau an dieser Stelle blockierte das „System Blatter“, weil jede grundlegende Veränderung das Kartenhaus aus gegenseitigen Gefälligkeiten zum Einsturz gebracht hätte.

Eine Veränderung der Fifa-Spitze war lange Zeit ausgeschlossen, weil Blatters Netzwerk, gestützt auf die Präsidenten kleinerer afrikanischer, asiatischer und amerikanischer Fußballverbände, offensichtlich stabil war. Statutenänderungen wie beispielsweise eine Amtszeitbegrenzung für Delegierte beim Fifa-Kongress (nach dem Motto: nach zweimaliger Teilnahme ist Schluss) waren bis zum Rücktritt Blatters faktisch ausgeschlossen, weil sie die existierenden Netzwerke aufgelöst hätten. Deshalb wurde die Reparatur nur als Show inszeniert: Man berief ein Independent Governance Committee, das Reformvorschläge erarbeiten durfte, die letzten Endes die wesentlichen Strukturmerkmale nicht infrage stellten.

Blatter ist letztlich daran gescheitert, dass er das Konzept der legalisierten Korruption nicht konsequent genug umgesetzt hat. Im Zuge der Strafverfolgung von Mitgliedern nationaler Fußballverbände stellte sich immer klarer heraus, dass ein Teil der Schmiergeldzahlungen – zum Beispiel bei der Vergabe der Weltmeisterschaft an Südafrika – direkt über die Fifa geflossen ist. Zudem ließ sich anhand von Unterschriften nachweisen, dass die Fifa-Führung über diese Geldflüsse informiert war. Damit machte Blatter denselben Fehler, der seinem Vorgänger João Havelange zum Verhängnis wurde, bei dem illegale Zahlungen nachweisbar über ein Fifa-Konto gelaufen waren. Wäre dieser Fehler nicht passiert, wäre das Fifa-System der legalisierten Korruption womöglich noch viele Jahre lang stabil geblieben.

1 Siehe Andrew Jennings, „FOUL! The Secret World of Fifa: Bribes, Vote-Rigging and Ticket Scandals”, London (HarperSport) 2006; Thomas Kistner, „Fifa-Mafia. Die schmutzigen Geschäfte mit dem Weltfußball“, München (Droemer) 2012.

2 Göran Ahrne und Nils Brunsson, „Organizations and Meta-organizations“, in: Scandinavian Journal of Management 21, S. 429–449, hier S. 443.

3 Sylvie Kaufmann, „Scandale de la Fifa, un psychodrame géopolitique“, Le Monde, 5. Juni 2015. Siehe auch Paul Darby, „Africa, Football and Fifa. Politics, Colonialism and Resistance“, London/Portland (Frank Cass) 2002, S. 43 ff.

4 René Lemarchand, „The State, the Parallel Economy, and the Changing Structure of Patronage Systems”, in: Donald Rothchild und Naomi Chazan (Hg.), „The Precarious Balance. State and Society in Afrika“, Boulder (Westview Press) 1980.

5 Oliver Fritsch, „Der Erfinder der modernen Sportkorruption“, Die Zeit, 21. Mai 2014.

6 Niklas Luhmann, „Organisation und Entscheidung“, Opladen (WDV) 2000, S. 258.

7 Barbara Kuchler, „Korruption und funktionale Differenzierung“ (unveröffentlichtes Manuskript), Bielefeld 2014.

8 David A. Yallop, „Wie das Spiel verlorenging. Die korrupten Geschäfte zwischen Fifa und Medien“, München (Econ) 1998.

9 Siehe Alford C. Fred, „Whistleblowers. Broken Lives and Organizational Power”, Ithaca (Cornell University Press) 2001.

10 Thomas Kistner, siehe Anmerkung 1, S. 28.

11 Zur Fifa-Präsidentschaftsära von Havelange siehe John Sugden und Alan Tomlinson, „Fifa and the Contest for World Football. Who Rules the People‘s Game?“, Cambridge (Polity Press) 1998.

Stefan Kühl ist Professor für Soziologie an der Universität Bielefeld. Sein Buch „Sisyphos im Management. Die vergebliche Suche nach der optimalen Organisationsstruktur“ ist gerade bei Campus in Neuauflage erschienen.

© Le Monde diplomatique, Berlin

Le Monde diplomatique vom 13.08.2015, von Stefan Kühl