11.11.2005

Troika der Unentschlossenen

zurück

Troika der Unentschlossenen

Die EU hat es im Streit um das iranische Atomprogramm versäumt, die Kritik an Teheran mit konkreten Schritten in Richtung einer atomaren Abrüstung der gesamten Region zu verbinden von Caroline Pailhe

Daniel Fried, Leiter der Abteilung für Europäische und Eurasische Angelegenheiten im US-Außenministerium, lobte unlängst die „Botschaft der Entschlossenheit“, welche die Europäische Union in Richtung Teheran sandte, als „angemessen“. Im Übrigen lobte Fried, dass Frankreich „vor einer abgewogenen Anwendung von Gewalt nicht zurückschreckt“, und wünschte sich „ein starkes Europa“ nicht als Rivalen, sondern als „Partner in der Welt“. 1 Seit dem Ende des Irakfeldzugs betonen die Europäer wieder die gemeinsamen Interessen mit Washington, ohne freilich eine konkrete Agenda vorzuschlagen. Ein erster Test für die proklamierte neue Partnerschaft ist der Streit um das iranische Nuklearprogramm.

Zwar hat die Troika aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien mit Teheran geduldiger verhandelt, doch mit dem selben Instrumentarium wie Washington: mit Diplomatie und der Androhung von Sanktionen oder gar Gewalt. Diese Politik verfolgt das gemeinsame Ziel, einen mutmaßlichen Feindstaat an der Entwicklung eines autonomen Nuklearkreislaufs zu hindern.

Nach der Pariser Vereinbarung der so genannten EU-Troika mit dem Iran vom 15. November 2004, wollte man zwei Ziele erreichen: Die Iraner sollten „objektive Garantien“ liefern, dass ihr Nuklearprogramm „ausschließlich zivilen Zwecken dient“, die Europäer sollten „feste Garantien“ für eine nukleare, technologische und wirtschaftliche Kooperation geben und in der Sicherheitspolitik „feste Zusagen“ machen.

Als Zeichen des guten Willens beschloss Teheran damals, alle Aktivitäten auf dem Gebiet von Urananreicherung und Wiederaufbereitung für die Dauer der Verhandlungen einzustellen und das im Dezember 2003 unterzeichnete, aber noch nicht ratifizierte IAEA-Zusatzprotokoll anzuwenden.

Im August 2005 legten die Europäer dem neu gewählten iranischen Staatspräsidenten Mahmud Ahmadinedschad jedoch eine neue Vereinbarung vor. Die war freilich nur, wie ein EU-Diplomat meinte, „eine hübsche leere Schachtel, eingewickelt in viel Geschenkpapier“ 2 . Der Vorschlag sah eine Fortführung des Dialogs und eine Kooperation in mehreren Bereichen vor. Doch erhielt der Iran keine verbindlichen Zusagen für den Import von spaltbarem Material, das er für sein ziviles Atomprogramm benötigt. 3

Damit ist die EU-Troika auf die Linie der USA und Israels eingeschwenkt: Die einzige „objektive Garantie, dass das iranische Programm ausschließlich zivilen Zwecken dient“, besteht jetzt auch in ihren Augen darin, dass der Iran dauerhaft auf die Anreicherung und Wiederaufbereitung von Uran und Plutonium verzichtet, obwohl der Atomwaffensperrvertrag (NPT) solche Aktivitäten als „unveräußerliches Recht“ erlaubt.

Auch bei den von Teheran geforderten Zusagen in Sicherheitsfragen machten die Europäer keine Zugeständnisse. Sie unterstrichen ihre Unterstützung der Resolution 687 des UN-Sicherheitsrats von 1991, die sich für einen Nahen Osten ohne Massenvernichtungswaffen ausspricht, formulierten aber keine konkreten Abrüstungsschritte. Der Konflikt mit dem Iran kann aber nur beigelegt werden, wenn Teheran vor einer militärischen Bedrohung sicher sein kann. Dazu muss die Abrüstung der gesamten Region in Angriff genommen werden – einschließlich der israelischen Nuklearsprengköpfe, deren Zahl auf 200 geschätzt wird und die keinerlei internationalen Kontrolle unterliegen.

Die Europäische Union ist also nicht gewillt, Teheran durch signifikante Gegenleistungen zum Einlenken zu bewegen. Die Krise beschränkt sich allerdings nicht auf die Atomfrage, sondern steht in einem politischen und strategischen Kontext, der von Washington definiert wird. Das Weiße Haus verhandelt nicht mit einem „Schurkenstaat“, es will einen „Regimewechsel“, wobei es die Anwendung von Gewalt nicht ausschließt.

Ein solcher „Präventivschlag“ scheint nun auch für die EU nicht mehr „unvorstellbar“ zu sein.4 Denn als Konsequenz aus dem Irakkrieg und angesichts der „neuen internationalen Bedrohungen“ erarbeiteten die Union und ihre Mitgliedstaaten neue Richtlinien, die auf der Linie der Bedrohungsanalyse der Vereinigten Staaten liegen.

So billigte der Rat im Dezember 2003 die „Strategie der EU gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen“, die für die Iran-Strategie relevant ist. 5 Die sieht zwar die Fortführung des politischen Dialogs und die Achtung internationaler Verträge vor, doch dann heißt es: „Sollten diese Maßnahmen […] scheitern, könnten in Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen und im Völkerrecht vorgesehene Zwangsmaßnahmen (selektive oder umfassende Sanktionen, Abfangen von Lieferungen und erforderlichenfalls Anwendung von Gewalt) erwogen werden.“

Ebenfalls auf dem Ratsgipfel im Dezember 2003 verabschiedete die Union das von ihrem außenpolitischen Beauftragten Javier Solana vorgelegte Sicherheitskonzept „Ein sicheres Europa in einer besseren Welt“ 6 . Als die fünf Hauptgefahren nennt das Papier Terrorismus, regionale Konflikten, zerfallende Staaten, organisierte Kriminalität und eben die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen. Zur Gefahrenabwehr ist ein „frühzeitiges, rasches und wenn nötig robustes Eingreifen“ auch ohne vorherige Zustimmung des UN-Sicherheitsrats vorgesehen. Die EU müsse zum Handeln fähig sein, „wenn Anzeichen für Proliferation“ erkennbar seien, denn „durch präventives Engagement können schwierigere Probleme in der Zukunft vermieden werden“.

Entsprechend erklärten die EU und die USA am 25. Juni 2003 bei ihrem Gipfeltreffen in Washington, hinsichtlich der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen gelte es, alle verfügbaren Mittel zu nutzen, „um die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und deren möglicherweise verheerenden Konsequenzen zu unterbinden“. 7

Da die USA trotz der verfahrenen Situation im Irak ein ähnliches Vorgehen gegen den Iran nicht ausschließen, bleibt die Option präventiver Militärschläge mit oder ohne israelische Unterstützung aktuell. Und den Europäern fehlt offenbar die Entschlossenheit, sich unabhängig von den Vereinigten Staaten als „stille Macht“ zu positionieren. Insbesondere hat es die EU versäumt, die – auf Ungleichbehandlung beruhenden – Abkommen über die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen mit neuem Leben zu erfüllen. Anstatt sich aber für Abrüstung stark zu machen, wozu der NPT alle „Atomwaffenstaaten“ verpflichtet, beschränken sich auch die Europäer auf den Kampf gegen die Weiterverbreitung. Die Sicherheit, die sie im Auge haben, soll im Grunde nur ihre technologische, militärische und strategische Vorherrschaft absichern.

Doch in einer zunehmend globalisierten Welt kommt Sicherheit nicht auf dem Wege der Konfrontation zustande. Zumal jedes Land, das in der Lage ist, eine zivile Atomindustrie aufzubauen, im Prinzip Atomwaffen entwickeln kann. Kollektive Sicherheit setzt voraus, dass die Definition der Risiken und Bedrohungen wie auch geeigneter Gegenmaßnahmen alle internationalen Akteure zufrieden stellt. Und nicht nur die wenigen privilegierte Staaten, die schon über Atomwaffen verfügen.

Fußnoten: 1 Le Monde, 21. September 2005. 2 Reuters, 27. Juli 2005. 3 Siehe Paul Ingram, „Preliminary Analysis of E3/EU Proposal to Iran“, Basic Notes, British-American Security Information Council, 11. August 2005. 4 So jedenfalls der britische Außenminister Jack Straw. BBC London, 28. September 2005. 5 „Strategie der EU gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen“, http://www.europarl.eu.int/meetdocs/2004_2009/documents/dv/council%20wmd%20strategy%2015708_/council%20wmd%20strategy%2015708_de.pdf. 6 „Ein sicheres Europa in einer besseren Welt“, http://ue.eu.int/uedocs/cmsUpload/031208ESSIIDE.pdf. 7 http://ue.eu.int/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/fr/er/76413.pdf. Aus dem Französischen von Bodo Schulze Caroline Pailhe ist Forscherin bei der „Groupe de Recherche et d’Information sur la Paix et la Sécurité“ (Grip), Brüssel.

Le Monde diplomatique vom 11.11.2005, von Caroline Pailhe