Gute Worte und Placebos für Afrika
von Demba Moussa Dembélé
Make poverty history“ – „Armut überwinden“, so lautet der ehrgeizige Slogan, den sich die Teilnehmer des G-8-Gipfels Anfang Juli 2005 im schottischen Gleneagles auf ihre Fahne geschrieben hatten. Ein moderner „Marshallplan“ soll die Armut in Afrika für alle Zeiten zu Geschichte machen. Und um diese Wende in ihrer Afrikapolitik angemessen in Szene zu setzen, war den Veranstaltern nichts zu teuer. Der Gastgeber, Premierminister Tony Blair, hatte Popstars wie Bob Geldof und Bono für das hehre Ziel eingespannt. Mit gigantischen Konzerten sollten sie alle Welt auf das Problem des Hungers in Afrika aufmerksam machen.
Das übliche Theater, das man auch von anderen Veranstaltungen dieser Art kennt: Nach Verkündung der neuen Partnerschaft für die Entwicklung Afrikas (Nepad)1 2001 waren ähnliche Töne zu hören. Und auf dem Gipfel von 2002 im kanadischen Kananaskis hatten die G-8-Länder einen Aktionsplan verabschiedet, der wie die meisten dieser Pläne nur auf dem Papier existiert.
Die Initiative von Gleneagles mag zunächst wie etwas Neues aussehen. Doch das ist nicht der Fall. In der ständigen Neuinszenierung solcher Events wird vor allem eines deutlich: der entschiedene Wille der Industrienationen, den afrikanischen Ländern die Richtung der Entwicklungsdebatte aufzuzwingen, obwohl ihre Rezepte bisher stets kläglich versagt haben.2
Seit einigen Jahren hat sich Tony Blair an die Spitze des „Kampfs gegen die Armut“ in Afrika gestellt. 2004 setzte er eine Kommission für Afrika ein, die im Februar 2005 einen Bericht mit dem Titel „Our Common Interest“ – unser gemeinsames Interesse – vorgelegt hat. Auf diesen Bericht stützten sich die G 8 auf ihrem Gipfel.3
An der Spitze der 17-köpfigen Kommission steht der britische Premierminister. Zu den Mitgliedern zählen unter anderem der ehemalige Präsident des Internationalen Währungsfonds (IWF), Michel Camdessus, der Präsident von Tansania, Benjamin Mkapa, der südafrikanische Finanzminister Trevor Manuel, der äthiopische Premierminister Meles Zenawi und eben Bob Geldof.
Der Bericht der Kommission beginnt mit einigen nichtssagenden Phrasen wie: „Die Armut und der wirtschaftliche Stillstand in Afrika sind die größte Tragödie unserer Zeit.“ Das Elend des Kontinents, so der Bericht, sei auf ein „komplexes“ Bündel politischer, struktureller, ökologischer und menschlicher Faktoren zurückzuführen. Wichtigste Ursache seien jedoch die Geografie und die schlechte Governance. Alle anderen Faktoren – Konflikte zwischen den Staaten, die Abhängigkeit hinsichtlich grundlegender Produkte, die geringe Produktivität der Landwirtschaft, die Verschlechterung des Bildungswesens und der Gesundheitsversorgung, die eine Folge der horrenden Auslandsverschuldung der afrikanischen Staaten ist, Kapitalflucht, Verschlechterung der Terms of Trade, brain drain –, dies alles spielt, glaubt man diesem Bericht, eine lediglich untergeordnete Rolle.
Ein Konzept ohne Analyse der Machtverhältnisse
Diese Analyse bietet wieder nur die üblichen Plattitüden, die von westlichen „Experten“, ihren afrikanischen Helfern und den internationalen Institutionen nimmermüde verkündet werden. Vor allem aber sind wie immer die äußeren Faktoren unterbelichtet. Die Rolle des internationalen Umfelds (Verschlechterung der Terms of Trade und Kapitalflucht) zum Beispiel wird allenfalls gestreift; und auf die Machtverhältnisse, die in den internationalen Beziehungen vorherrschen, geht der Bericht überhaupt nicht ein, obwohl gerade sie für die dominierende Rolle der Industrieländer in den internationalen Institutionen verantwortlich sind.
Der Bericht berücksichtigt ebenso wenig, welche Rolle die Strukturanpassungsprogramme der Weltbank und des IWF beim wirtschaftlichen und sozialen Niedergang des Kontinents gespielt haben.4 Unerwähnt bleibt auch das koloniale Vermächtnis, das in erster Linie für die „Balkanisierung“ des afrikanischen Kontinents verantwortlich ist. Für die Bad Governance werden ausschließlich die Afrikaner verantwortlich gemacht. Damit lassen sich die Folgen des neokolonialen Systems, das überall in Afrika nach der Unabhängigkeit entstanden ist, bequem verschleiern.
Etwas mehr Objektivität lässt dagegen die Kritik an der Entstehung der Auslandsverschuldung erkennen. So konzediert der Bericht in der Tat, dass „die Auslandsverschuldung in erster Linie auf das Konto von Diktatoren geht, die sich dank des Erdöls, der Diamanten und anderer Ressourcen ihrer Länder bereichert haben und die während des Kalten Krieges von den Ländern unterstützt wurden, an die heute die Schulden zurückgezahlt werden müssen. Viele dieser Herrscher haben Milliarden Dollar gehortet […], wobei sie sich der Finanzsysteme der Industrieländer bedient haben.“
Und wie soll nun nach Meinung der Autoren des Berichts die Verelendung des afrikanischen Kontinents gestoppt werden? Der Bericht formuliert fünf klassische Empfehlungen: die Durchsetzung von Good Governance, die Wiederherstellung von Frieden und Sicherheit, die Entwicklung der Humanressourcen, die Beschleunigung des Wirtschaftswachstums und die Erhöhung der Ausfuhren. Zu diesem Zweck soll die jährliche Entwicklungshilfe für Afrika verdoppelt werden. Bis 2010 solle man diese auf jährlich 25 Milliarden Dollar aufstocken. Danach soll Bilanz gezogen werden. Falls notwendig soll sich von 2011 bis 2015 eine zweite Tranche von 25 Milliarden Dollar jährlich anschließen.
Da sich jedoch nichts bei der Planung und der Umsetzung der Hilfe geändert hat, erscheint es mehr als zweifelhaft, ob dieses Vorhaben erfolgreich sein wird. So erklärt die britische Vereinigung Action Aid, dass die „Geberländer“ praktisch 90 Prozent der Hilfe wieder zurückerhalten, in Form von Warenlieferungen oder Rückzahlung der Kredite.5 Außerdem nutzt diese Hilfe – was mehrere Untersuchungen und Berichte belegen – den wirtschaftlichen, politischen und strategischen Interessen der Geberländer.6 Und schließlich bewirken die meisten der Bedingungen, unter denen die Hilfe gewährt wird (Liberalisierung der Wirtschaft, Integration in den Globalisierungsprozess usw.) tendenziell, dass jeder mögliche Nutzen wieder zunichte gemacht wird. Ein Resultat, das sogar von der Blair-Kommission eingeräumt wird.
Ein weiterer britischer Vorschlag geht dahin, die Aufstockung der Hilfe über Anleihen auf dem Kapitalmarkt zu finanzieren. Dafür soll ein Internationaler Finanzierungsfonds (IFF) etabliert werden. Jedes Land, das sich an diesem Fonds beteiligt, würde sich verpflichten, fünfzehn Jahre lang dem IFF jährlich eine bestimmte Summe zukommen zu lassen. Als Gegenleistung würden die Empfängerländer mehr wirtschaftlichen Verpflichtungen gegenüber den Geberländern eingehen. Damit wäre garantiert, dass sich die Entwicklungshilfe auf einen berechenbaren und stetigen Kapitalzufluss stützen könnte. Und der IFF könnte diese Hilfe sofort auf den internationalen Kapitalmärkten aufnehmen und sie dann den armen Staaten zukommen lassen.
Dieser Mechanismus bringt jedoch für die südlichen Länder nur noch weitere wirtschaftliche Auflagen. Und da sich der IFF auf die Entwicklung konzentriert, droht die Reform des Handelssystems oder die Herstellung von globalen öffentlichen Gütern in den Hintergrund zu treten.7 Der britische Vorschlag regt aber auch andere Maßnahmen an, etwa die Einführung von Abgaben auf Flugtickets, die auch Frankreich empfohlen hat.
Neben der Erhöhung der Entwicklungshilfe will die G 8 einigen Staaten einen hundertprozentigen Schuldenerlass gewähren. Dies geschieht im Rahmen der Initiative zugunsten der am stärksten verschuldeten armen Länder (PPTE). Dieser vollständige Schuldenerlass käme jedoch nur 18 der 62 Länder zugute, die von der UNO im Rahmen der Millenniumsziele für die Entwicklung (OMD) zu den ärmsten Ländern gezählt wurden. Zudem würde er sich über einen Zeitraum von vierzig Jahren erstrecken. Der tatsächliche Wert des Schuldenerlasses beläuft sich damit, nach Berechnungen von Eurodad (dem Dachverband europäischer Organisationen, die sich im Kampf gegen die Armut engagieren) auf nur 17 statt 40 Milliarden Dollar.8 Zudem wird für jeden Dollar erlassener Schulden ein Dollar weniger Hilfe gezahlt. Der Beschluss der G 8 erscheint daher, gemessen an den Millenniumszielen, nur als ein Tropfen auf den heißen Stein.9
Die wichtigste Voraussetzung für den Schuldenerlass ist jedoch, dass die Liberalisierung und die Privatisierung noch intensiver betrieben werden. Der größte Teil der Mittel für die Entwicklungshilfe kommt vom Privatsektor – daher auch die starke Betonung von Good Governance. Damit sollen günstige Bedingungen für die ausländischen Investitionen geschaffen werden. Die G 8 machen sich eine der Empfehlungen der Blair-Kommission zu Eigen und betonen, dass „Privatunternehmen der wichtigste Motor für Wachstum und Entwicklung sind“. Es fällt also kein Wort über die Rolle des Staates bei der Umverteilung des Reichtums, bei der Sicherung des Zugangs zu Basisgütern und -dienstleistungen wie Wasser oder Elektrizität oder im Kampf gegen die Ungleichheit.
Die afrikanischen Länder müssen also ihre Handelspolitik noch stärker liberalisieren, indem sie sich auf die G 8, die Weltbank und den IWF stützen, um „die physische, humane und institutionelle Kapazität zu schaffen, die für den Handel erforderlich ist“. Das sind dieselben Rezepte, die seit einem Vierteljahrhundert von den internationalen Organisationen und den Kreditgebern verordnet werden und die in der Vergangenheit, laut Aussage der Organisation Christian Aid, extrem hohe soziale und wirtschaftliche Kosten – wie Verlust von Arbeitsplätzen und Ruin kleiner Unternehmen – zur Folge hatten. Demnach habe die Liberalisierung des Handels für die afrikanischen Länder seit 1985 Verluste in Höhe von 270 Milliarden Dollar verursacht.
Die G 8 hüten sich, das Thema Agrarsubventionen in den reichen Ländern anzuschneiden, obwohl gerade die Agrarsubventionen zumindest teilweise für die Armut in den afrikanischen Ländern verantwortlich sind. So führten etwa die umfangreichen Subventionen der USA für die 25 000 amerikanischen Baumwollproduzenten dazu, dass die Weltmarktpreise für Baumwolle um 25 Prozent sanken. Für Benin, Burkina Faso und Mali – die zu den am wenigsten entwickelten Ländern Afrikas gehören – bedeutete dies einen Ausfall von rund 300 Millionen Dollar an Exporteinnahmen. Die Blair-Kommission behauptet jedoch, dass sich durch eine Erhöhung der afrikanischen Exporte um 1 Prozent deren Gesamtwert auf jährlich 70 Milliarden steigern ließe. Diese Summe entspräche dem Vierfachen des Gesamtumfangs der westlichen staatlichen Entwicklungshilfe.
Über einen der wenigen originellen Vorschläge – im Grunde den einzigen – haben die G 8 geflissentlich hinweggesehen. Die Kommission für Afrika fordert nämlich, diejenigen Gelder, die den afrikanischen Völkern von diktatorischen Regimen entzogen und in westlichen Ländern angelegt wurden, zu repatriieren. Die entsprechenden Gelder machen mehr als die Hälfte der afrikanischen Auslandsschulden aus, also mehrere hundert Milliarden Dollar. Die Umsetzung dieser Maßnahme durch die Regierung Blair wäre ein guter Beweis dafür, dass es der britische Premierminister mit seinem Kampf gegen die Armut in Afrika ernst meint.
Afrikas Ressourcen für den Wirtschaftskrieg
In Wirklichkeit sind die Vorschläge zur Armutsbekämpfung der G 8 durch wirtschaftliche Interessen und geostrategisches Kalkül bestimmt. Die Kontrolle über die enormen natürlichen Ressourcen Afrikas könnte in dem Wirtschaftskrieg, den sich die westlichen Länder liefern, in der Tat eine erhebliche Rolle spielen.
„Wahrscheinlich werden“, schreibt die Blair-Kommission, „die riesigen Naturresourcen Afrikas im Zuge der weltweiten Veränderungen und Entwicklungen für den Wohlstand der Welt eine große Bedeutung erlangen können.“ Unter dem Vorwand, den Terrorismus zu bekämpfen, haben die USA bereits begonnen, sich die afrikanischen Länder zu „sichern“, die über reiche Erdölvorkommen verfügen.
Parallel dazu verstärken Washington und die Europäische Union ihren wirtschaftlichen Druck auf den afrikanischen Kontinent. Im Jahr 2000 hat Washington ein Instrument zur Penetration der afrikanischen Wirtschaft etabliert, den African Growth and Opportunity Act (Agoa). Ziel des Agoa ist, sämtliche Zoll- und andere Handelsschranken für US-amerikanische Produkte aufzuheben. Und die Europäische Union bemüht sich ebenfalls, Afrika „Freihandelsabkommen“ aufzuzwingen, die unter dem Titel „Abkommen zur Wirtschaftspartnerschaft“ (APE) laufen.
Die USA und Großbritannien haben auch begriffen, dass ein „armes“ Afrika mit bankrotten Staaten ein Nährboden für Terrorismus sein könnte. Einer der Londoner Attentäter vom 21. Juli 2005 wurde in Sambia verhaftet. George Bush, der im Bericht der Blair-Kommission zitiert wird, macht diese Befürchtung ganz offen deutlich: „Armut und Unterdrückung können ein Gefühl der Ohnmacht und der Verzweiflung auslösen. Und wenn die Regierungen nichts tun, um die elementarsten Bedürfnisse ihrer Bürger zu befriedigen, können diese bankrotten Staaten zu Zufluchtstätten für Terroristen werden.“
Trotz des gigantischen Medienspektakels und der Hoffnungen, die der G-8-Gipfel im Vorfeld geweckt hat, ist der Gipfel gescheitert. Und das ist kein Zufall. Die Armut historisch zu überwinden ist nicht möglich, wenn man sich nicht zugleich von den Politiken und Institutionen verabschiedet, die für diese Armut verantwortlich sind.