08.02.2013

Die Winterwolke

zurück

Die Winterwolke

Audio: Artikel vorlesen lassen

Athener erleben die Rückkehr eines berüchtigten Phänomens, das ihnen die 1990er Jahre verleidet hatte. Die „Wolke“ (Griechisch: néfos) war eine gelbbraune Dunstglocke, die an windarmen Sommertagen auf der Betonlandschaft lastete. Sie war ein Produkt der rasanten Automobilisierung im Vor-Katalysator-Zeitalter.

Die graue Wolke von heute ist ein Phänomen des Winters und stammt aus den Kaminen der Privathäuser und Etagenwohnungen. Wegen der ins Unerschwingliche gestiegenen Heizölpreise verbrennen die Athener alles mögliche Holz – aufgesammelte Äste, abgeschleppte Paletten, alte und womöglich lackierte Möbelteile – im Kamin oder in jenen klassischen Bulleröfen, die aus dem städtischen Leben längst verschwunden waren.

Solche Heizmethoden sind in urbanen Zonen mit extrem hoher Bevölkerungskonzentration der reine Wahnsinn. Der zeigt sich in der Belastung mit gesundheitsgefährdenden Schwebstoffen, die alle Rekorde bricht. Sie stieg in kalten Januarnächten bis auf 300 Mikrogramm pro Kubikmeter; die offizielle Alarmschwelle liegt bei 25 Mikrogramm pro Kubikmeter.1 Ein gemeingefährliches Umweltproblem ist zum Symbol der Krise geworden. Und zum Beleg für das notorische Versagen des griechischen Staats. Denn der Athener Wintersmog steht am Ende einer Kausalkette, die wie folgt aussieht:

– Eine von 60 auf 329 Euro (pro 1 000 Liter) erhöhte Steuer ließ den Heizölpreis zum 1. Oktober 2012 schlagartig um 40 Prozent ansteigen.

– Die Erhöhung resultierte aus der Harmonisierung der Heizölsteuer mit der Steuer für Dieselkraftstoff.

– Diese Harmonisierung hielt die Regierung für notwendig, weil mafiöse Großhändler im Verein mit Raffineriebetrieben jahrelang Heizöl als Kraftstoff verkauft hatten, um die unterschlagenen Steuersummen als Extraprofit einzusacken. Dadurch entgingen der öffentlichen Hand jährlich bis zu 1,5 Milliarden Euro an Dieselsteuern.2

– Die griechische Regierung hatte sich zuvor jahrelang als unfähig erwiesen, ein Kontrollsystem (namens Ifaistos), das diesen Steuerbetrug unterbinden sollte, gegen die mafiösen Großhändler durchzusetzen. Dieses System, eine aufwendige „elektronische Spurenkontrolle“ der Diesel- und Heizöllieferungen, wurde vom Großhandel systematisch torpediert. Und am Ende aufgegeben, nachdem die Händler mehrfach mit Lieferstreiks gedroht hatten.3

Resultat: Die Kapitulation der Regierung vor einer Mafia mit hoher krimineller Energie und großem politischen Erpressungspotenzial geht zu Lasten der Bevölkerung, der trotz ständig schrumpfender Einkommen ausgerechnet zu Beginn des Winters drastisch erhöhte Heizölkosten zugemutet wurden. Dieses Versagen des Staats resultiert aus einer Mischung von Unfähigkeit und komplizenhafter Untätigkeit.

Und das Versagen geht weiter: Die Regierung versäumt es, die Gesellschaft darüber aufzuklären, dass die „alternativen“ Heizmethoden nicht nur hochgefährlich, sondern letztlich teurer als das verteuerte Heizöl sind.

Niels Kadritzke

Fußnoten: 1 Ta Nea, 12. Januar 2013. 2 Schätzung der griechischen Steuerfahnder, Ta Nea, 24. September 2010. 3 Die Betrugspraktiken und das Versagen der Regierung schildere ich auf den „Nachdenkseiten“ vom 26. September 2012: www.nachdenkseiten.de.

Le Monde diplomatique vom 08.02.2013, von Niels Kadritzke