Vorsicht, Bank!
Europas zaghafte Zähmung des Finanzkapitals von Dominique Plihon
Betont optimistisch kommentierte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso die Vereinbarung über die Europäische Bankenunion, die der Gipfel der Staats- und Regierungschefs am 14. Dezember 2012 zustande gebracht hatte: „Das Jahr war äußerst hart, insbesondere für die Schwächsten in unserer Gesellschaft. Aber nun bekämpfen wir die Probleme tatsächlich an ihrer Wurzel: Die öffentlichen Finanzen sind auf dem Weg der Gesundung. Die bislang am wenigsten konkurrenzfähigen Volkswirtschaften haben die größten Fortschritte gemacht. Der Finanzsektor ist auf dem Weg der Sanierung. Die Reform unserer politischen Entscheidungsstrukturen beginnt zu greifen. Ohne selbstgefällig zu werden, können wir zu Recht optimistisch sein, und ich denke, dass die Investoren und unsere Partner diesen Fortschritt anerkennen.“
Unter dem Druck einer Finanzkrise, die sie bislang nicht zu meistern wussten, hatten die Regierungen seit Monaten fieberhaft daran gearbeitet, ihr System der Bankenaufsicht zu reformieren. Beim EU-Gipfel im Juni 2012 hatten sie die Kommission mit der Ausarbeitung konkreter Vorschläge beauftragt. Im September veröffentlichte die Kommission dann einen Plan, den sie als „Quantensprung“ für die Europäische Union anpries. Das Maßnahmenpaket, das die 27 EU-Mitgliedstaaten schließlich auf dem Dezembergipfel beschlossen, enthält drei wesentliche Elemente: eine durch die Europäische Zentralbank (EZB) ausgeübte Aufsicht über die Finanzinstitute, einen europäischen Einlagensicherungsfonds und eine Richtlinie zur Sanierung oder auch Abwicklung insolventer Banken.
Die Mehrheit der Mainstream-Ökonomen und der Politiker begrüßte die beschlossenen Maßnahmen als Fortschritt im Prozess der europäischen Integration. „Ein weiterer Schritt in Richtung Europa“, lobte Laurence Boone, die Chefökonomin der Bank of America Merrill Lynch. Und EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier sprach nach Beendigung des Gipfels gar von einem Erfolg „historischen Ausmaßes“.
Diese Krise hat erneut einen fatalen Widerspruch aufgezeigt: Die europäischen Banken entwickeln sich zwar immer mehr zu internationalen Institute, hingegen ist die Finanzaufsicht wie das System der Einlagensicherung nach wie vor national organisiert. Auch die Regelungen für Insolvenzverfahren bei Banken sind bislang auf der nationalstaatlichen Ebene angesiedelt, obwohl die Insolvenz von Banken angesichts der internationalen Dimensionen ihrer Geschäfte immer systemische Risiken einschließt. Die Krisen sind also grenzüberschreitend.
In dieser Lage ist der Versuch einer europaweiten Regulierung des Bankensektors sinnvoll. Jedoch nimmt der vorliegende Plan die wirklichen Probleme, die uns die Krise eingebrockt hat, nicht gründlich genug in Angriff. Zum Beispiel beschränkt er sich, indem er die Oberaufsicht über die Finanzinstitute der EZB überträgt, auf die Eurozone und ihre 17 Mitgliedstaaten. Und das, obwohl die schon 2010 geschaffene Europäische Bankenaufsichtsbehörde (European Banking Authority, EBA) mit dem Auftrag betraut worden war, die Banken aller 27 Eurostaaten zu überwachen – also auch der Länder jenseits der Eurozone.
Die Aufgabenteilung zwischen EZB und EBA ist bislang ungeklärt. Kann man unter diesen Umständen den Briten ernsthaft einen Vorwurf daraus machen, dass sie als Nichteuroland keine Lust haben, sich der Kontrollzuständigkeit der EZB zu unterwerfen, obzwar in London heute 40 Prozent der Geschäfte in Euro abgewickelt werden.
Die Schaffung eines EU-weiten Einlagesicherungsfonds, der die Sparer im Falle einer Bankenpleite bis zu einer bestimmten Grenze vor Schaden bewahren soll, wirft ebenfalls Fragen auf. Zwar kam der Prozess der Harmonisierung damit endlich in Gang, doch gelten für die Einlagensicherung nach wie vor 14 verschiedene Regelungen. So garantieren die französische und die europäische Aufsichtsbehörde, dass den Kunden im Insolvenzfall 100 000 Euro ersetzt werden, in Deutschland dagegen sind dank eines kombinierten Systems gesetzlicher und freiwilliger Einlagensicherung auch Millionenbeträge abgesichert.
Aber wie soll man mit solchen Problemfällen wie in Spanien, Griechenland oder Portugal umgehen? Tatsächlich könnten Deutschland oder Finnland sich weigern, einen Beitrag zum europäischen Sicherungsfonds zu leisten – etwa unter Verweis auf die Gefahr hoher Einkommenstransfers von Nord nach Süd, gegen die sich die meisten nordeuropäischen Länder aussprechen. Nicht zufällig hat Angela Merkel alles getan, um die europäische Bankenunion auf die größten Finanzinstitute zu begrenzen.1 Damit fallen nur noch die 200 größten Banken – von insgesamt 6 000 in der gesamten Eurozone – in die Zuständigkeit einer zentralen Regulierungsbehörde.
Solche Halbheiten und Widersprüche machen erneut das herrschende politische und ideologische Leitbild der EU sichtbar: ein von den Märkten, dem Wettbewerb und dem Finanzkapital dominiertes Europa. Nachdem nun aber die Krise das Umfeld verändert hat, stehen den Regierungen nur zwei Lösungswege offen: Entweder man europäisiert die Einlagengarantie und ist damit gegen das Risiko einer Insolvenz von Großbanken gewappnet – oder man begrenzt sowohl die Größe der Banken selbst als auch den Umfang des gesamten Bankensektors. Die Regierungen wählten die erste Lösung, um einem ernsthaften Konflikt mit den Banken aus dem Weg zu gehen.
Derselben Logik folgt die Ernennung der EZB zur zentralen und „unabhängigen“ Aufsichtsinstanz. Für liberale Ökonomen geht es dabei nur darum, eine direkte politische Einflussnahme zu mindern, um die Verträglichkeit der geplanten Maßnahmen für die Finanzmärkte zu erhöhen. Aber dieser Kompetenzzuwachs für die EZB verstärkt zugleich erheblich die Macht einer nicht gewählten, nicht demokratisch legitimierten Institution.
Die europäische Bankenunion markiert damit eine weitere Etappe der Entpolitisierung des Ökonomischen – insofern die ökonomischen Entscheidungen nur noch scheinbare Sachzwänge nachvollziehen – und demonstriert zugleich das wachsende demokratische Defizit beim Aufbau Europas.
Im Übrigen behaupten die Initiatoren der Reformen auch noch keck, die EZB werde in Sachen Transparenz besonders strenge Maßstäbe entwickeln. So soll etwa der Zentralbankpräsident regelmäßig vor dem Europäischen Parlament erscheinen, um sich den Fragen der Abgeordneten zu stellen. Aber natürlich werden solche Befragungen reine Formalität bleiben, und zwar auch beim Thema Bankenaufsicht. EZB-Präsident Mario Draghi, vormals Vizepräsident von Goldman Sachs Europe, wird jedenfalls weiter in aller „Unabhängigkeit“ das Wohl der Hochfinanz zulasten des Gemeinwohls pflegen können.
Allerdings könnten sich zwischen der EZB und den gewählten nationalen Regierungen neue Konfliktfelder auftun. Das gilt etwa für die wichtige Frage, wie die Rolle der EZB mit den Plänen zur Gründung staatlicher Investitionsbanken vereinbar ist (die Frankreichs Regierung nach dem Vorbild der deutschen KfW oder der Europäischen Investitionsbank plant) oder gar mit einem öffentlichen Bankensektors auf europäischer Ebene. Schlüssig und erfolgreich wäre die Reform daher nur, wenn sie mit einer Veränderung des EZB-Statuts einherginge, die etwa die Notenbank der demokratischen Kontrolle durch das Europaparlament unterstellen würde.
Dagegen stellt die begonnene Art der Regulierung die gegenwärtige, von der Logik der europäischen und internationalen Finanzmärkte geprägte Rolle der Banken keineswegs infrage. Deren Bonität hängt in erster Linie von dem Kapitalvolumen ab, das ihnen die Aktionäre zur Verfügung stellen, und damit letztlich vom Urteil der Aktienmärkte. Diese Abhängigkeit von der Kapitalzufuhr stärkt das Unternehmensmodell der Aktionärsbank, deren Erfolg sich ausschließlich an ihrer Rendite bemisst. Die Folge ist, dass sich die Geschäftsstrategien dieser Banken internationalisieren und immer weniger am Finanzbedarf von Staat, Unternehmen und Privathaushalten des eigenen Landes orientiert sind.
Dabei hätten die europäischen Entscheidungsträger gerade bei der Bankenregulierung auch andere Wege einschlagen können. Zum Beispiel wäre es an der Zeit gewesen, den großen Bereich der klassischen Bankenaufgaben (Verwaltung von Einlagen, Vergabe von Krediten an private Kunden, Finanzierung lokaler und nationaler Unternehmen) vor Ansteckungsgefahren zu schützen.
Wann sind Bankgeschäfte wirklich nützlich?
Die Solvenz dieses Sektors müsste durch verbindliche Vorschriften und insbesondere durch das Verbot spekulativer und hochriskanter Geschäfte gesichert werden. Die Alternative wäre, die Bereiche der Privatkundenbetreuung auf der einen und der Finanzinvestitionen auf der anderen Seite strikt voneinander zu trennen. Das würde das Ende von Geschäftsmodellen bedeuten, die alle finanziellen Aufgabenbereiche in einem einzigen Institut organisieren (siehe nebenstehenden Text).
Das von der Finanzwelt vehement verteidigte Geschäftsmodell der Universalbank hat international operierende Institute hervorgebracht, die ihrer schieren Größe wegen zu „systemrelevanten Unternehmen“ erklärt wurden. Die Krise von 2008 hat die Risiken offenbart, die diese Unternehmen – und die Gesellschaft – bedrohen: Das Eigenkapital und die Kundeneinlagen der Banken wurden durch die Verluste aus den Spekulationsgeschäften verschlungen. In Frankreich brachte die Investitionsbank Natixis ihren Eigentümer, die Banque Populaire Caisse d’Epargne (BPCE), an den Rand des Ruins, weil sie mit toxischen Papieren aus den USA 5 bis 8 Milliarden Euro Verlust angesammelt hatte.2 Diese gefährlichen Verflechtungen gingen also zulasten der Finanzierung von Investitionen in die Realwirtschaft. Hier liegt einer der wesentlichen Gründe für die Dauerrezession, unter der die Eurozone gegenwärtig leidet.
Und heute? Als wäre nichts passiert, schicken sich die europäischen Regierungen an, das Universalbankenmodell, dessen Ruf längst ruiniert ist, noch weiter zu stützen. Der von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene Liikanen-Bericht vom Oktober 2012 schlägt lediglich die Schaffung eines „Trennbanken-light-Modells“3 vor. Demnach müssten die großen Banken ihre spekulativen Geschäftsfelder – insbesondere den Eigenhandel mit Aktien und hochriskante Investmentgeschäfte –, falls diese mindestens 15 Prozent der Bilanzsumme ausmachen, in eigens zu gründende Tochtergesellschaften auslagern. Allerdings dürfen sie diese unter dem Dach einer Holding weiterhin selbst betreiben.
Diese Minimallösung führt gerade nicht zur strengen Trennung des riskanten Investmentbanking vom klassischen Einlagen- und Kreditgeschäft, wie sie 1933 in den USA unter Präsident Roosevelt mit dem Glass-Steagall Act durchgesetzt wurde, oder 1944 in Frankreich mit dem Programm des Nationalen Widerstandsrats (CNR). Diese Maßnahmen und Kontrollen der Banken haben mehrere Jahrzehnte größere Bankkrisen verhindert, bis die entsprechenden Gesetze wieder abgeschafft wurden (in Frankreich 1984, in den USA 1999). Doch offenbar wollen unsere herrschenden Eliten nicht einmal heute aus der Geschichte lernen.
Ende 2012 entschloss sich die französische Regierung zu einer eigenen nationalen Bankenreform. Sie riskierte damit einen Konflikt mit dem Projekt einer gemeinsamen Reform im europäischen Rahmen. Am 22. Januar 2012 hatte der spätere Präsident François Hollande in einer Wahlkampfrede versprochen, „den Finanzsektor durch die Verabschiedung eines Gesetzes zu zähmen, das die Banken zwingt, ihr normales Kreditgeschäft von ihren spekulativen Operationsfeldern zu trennen“.
Was ist aus diesem Versprechen geworden? Unter dem Druck der einschlägigen Lobby hat die Regierung inzwischen einen Gesetzentwurf erarbeitet, der sogar noch hinter die Empfehlungen des Liikanen-Berichts zurückfällt. Der dem Ministerrat am 19. Dezember 2012 vorgelegte Text führt im Artikel 1 die höchst schwammige Unterscheidung zwischen „nützlichen“ und „spekulativen“ Bankgeschäften ein.
Das Wort Kreditgeschäft wird also durch den willkürlich auslegbaren Begriff des „nützlichen Geschäfts“ ersetzt. Das führt unvermeidlicherweise, wie die Organisation Finance Watch in einem offenen Brief an Finanzminister Pierre Moscovici4 kritisiert, zu „einer kosmetisch verbrämten Nichtreform“, denn was ein „nützliches“ Bankgeschäft ist, darüber würden sich die beteiligten Interessengruppen wohl niemals einig werden.
Der Regierungsentwurf würde es erlauben, dass „das Angebot von Investitionsdienstleistungen“ – an den Finanzmärkten, versteht sich – ebenso wie „die Durchführung von Marktoperationen mit Finanzinstrumenten“ – also insbesondere die Spekulation mit Derivaten – unter dem gemeinsamen Dach eines Kreditinstituts verbleiben. Denn auch von solchen Geschäften kann man dank der elastischen Begriffe des Gesetzes behaupten, dass sie für die Kunden und die Finanzierung der Wirtschaft „nützlich“ seien.
Immerhin sieht der französische Gesetzentwurf in zwei Geschäftsbereichen der Finanzinstitute auch Verbote vor: beim spekulativen Handel mit Agrarderivaten und beim Hochfrequenzhandel, also bei der Abwicklung von Börsengeschäften mittels Computern, die in Millisekunden auf Kursveränderungen reagieren und daraus Gewinne erzielen. Diese Verbote gehen zwar in die richtige Richtung, aber sie erfassen nur einen geringen Teil der heutigen Spekulationsgeschäfte. Nach Schätzungen aus Bankenkreisen würden sie sich lediglich auf 2 bis 4 Prozent der gesamten Bankgeschäfte in Frankreich auswirken.
Durch die Gesetzesnovelle wird die Macht der Banken- und der Finanzmarktaufsicht gestärkt, argumentieren ihre Befürworter. Aber welche realen Machtmittel können die Behörden gegen die Finanzkolosse einsetzen? Die Bilanzsumme der drei französischen Großbanken beträgt zusammengenommen das 2,5-Fache des Bruttoinlandsprodukts. Nur eine vollständige institutionelle Trennung zwischen Privatkundengeschäft und Investmentbanking würde die Wirtschaft und letztlich die Gesellschaft etwas sicherer machen und zuverlässiger vor großen Finanzkrisen bewahren.
Die auf der Ebene der Europäischen Union und der Eurozone wie auch in Frankreich eingeleiteten Reformen weisen eine große Gemeinsamkeit auf: Sie stellen weder die Macht noch das Schadenspotenzial der großen Universalbanken infrage, die nach wie vor die globale Finanzwelt beherrschen.