15.01.2010

Kreuze in Honduras

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Kreuze in Honduras

Mit den Präsidentenwahlen ist der Übergang zur Nicht-Demokratie vollzogen von Anne Vigna

Die Polizisten sammelten schwarze Kreuze vom Boden auf, die die Demonstranten bei ihrer panischen Flucht zurückgelassen hatten. Jedes Kreuz mit dem Namen eines Toten, Erinnerungen an die Opfer, die bei den Protesten gegen den Staatsstreich vom 28. Juni 2009 ums Leben kamen.

Am 29. November, dem Tag der Präsidentschaftswahlen, zog die Menge friedlich ins Zentrum von San Pedro Sula, der zweitgrößten Stadt des Landes. Doch trotz Anwesenheit internationaler Pressevertreter wurde die Demonstration gewaltsam aufgelöst. Die Polizei schlug auf alles ein, was sich in Reichweite ihrer Schlagstöcke befand, nahm 46 Personen fest und zerstörte die Kreuze mit den Namen, die zu Symbolen des Widerstands gegen den Staatsstreich geworden sind.

Diese Vorgehensweise ist keineswegs ungewöhnlich: Bereits vor der Wahl gab es bei Straßenprotesten 30 Tote, 4 200 Festnahmen und unzählige Verletzte. Nach dem 29. November wurden nach Angaben des Komitees zur Verteidigung der Menschenrechte (CODEH) noch weitere 30 Angehörige der „Frente Nacional“1 , der Widerstandsbewegung gegen den Staatsstreich, in einer „geplanten Terrorwelle“ getötet. Es gibt zudem zahlreiche Zeugenaussagen von Frauen, die vergewaltigt wurden, von Aktivisten, die ständig mit dem Tode bedroht werden, und aus der übrigen von der Armee terrorisierten Bevölkerung. Die großen Demonstrationen, die fünf Monate lang das Land immer wieder lahmgelegt hatten, wurden so erfolgreich unterdrückt. „Im Augenblick ist es nicht mehr ratsam, auf die Straße zu gehen, denn das ist sehr gefährlich“, erklärt Rafael Alegría, Leiter der internationalen Bauernorganisation Vía Campesina in Honduras.

Bei den Präsidentschaftswahlen, die eigentlich die politische Krise beenden sollten, siegte Porfirio Lobo von der Nationalpartei. Die Putschregierung hatte die Wahlen organisiert, ohne Präsident Manuel Zelaya zuvor wieder in sein Amt einzusetzen, wie es das am 30. Oktober 2009 unter Vermittlung des US-Staatssekretärs für die westliche Hemisphäre (Lateinamerika), Thomas Shannon, unterzeichnete Abkommen von Tegucigalpa-San José vorsah.

Der Wahlkampf fand statt, obwohl den Bürgern seit Oktober per Dekret untersagt war, „an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen“, und den Medien, „zur Anarchie aufzuhetzen“. Da es keine Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung gab, rief die „Frente“ zum Boykott der Wahlen und zu einer „allgemeinen Sperrstunde“ anstelle von Demonstrationen auf. „Wir haben uns für die Vernunftlösung entschieden. Eine Demonstration vor einem Aufgebot von 30 000 bewaffneten Ordnungskräften an diesem Tag wäre Wahnsinn gewesen“, meint Juan Barahona, einer der Koordinatoren der „Frente“.

In der internationalen Presse war dann zu lesen, der Widerstand habe sich beruhigt und nur noch ein kleiner Teil der Bevölkerung sei aktiv. „Wir glauben, dass zumindest die Hälfte der Bevölkerung sich dem Widerstand zugehörig fühlt“, sagt Gustavo Irias vom Zentrum für Demokratiestudien.2 „Präsident Zelaya war sehr beliebt, allein schon deshalb, weil er das Mindesteinkommen verdoppelt hat. Und die Leute waren außerdem geschockt von den Methoden der De-facto-Regierung.“

Seine Analyse stützt sich auf die Angaben zahlreicher Organisationen, die gemeinsam die FRCG bilden: Gewerkschaften, Umwelt- und Studentenorganisationen, Indigenen- und Bauerngruppen. Sie haben in gewisser Weise von dem sogenannten Mitch-Effekt profitiert: Nach der flächendeckenden Zerstörung, die der Hurrikan „Mitch“ 1998 in Honduras hinterlassen hatte, mussten Vereine und Organisationen vor Ort im Auftrag der Regierung die Aufbauarbeit übernehmen. Seither spielen sie eine wichtige Rolle in der Gesellschaft, auch wenn sie über keine politische Vertretung verfügen.

Der Putsch gab den Startschuss für ein nationales Bündnis dieser Organisationen. Es besitzt kein politisches Programm, sondern hat sich bislang nur auf einige Eckpunkte einigen können. Der wichtigste ist die Anfechtung der Präsidentschaftswahl, vor allem die angebliche Wahlbeteiligung von 61 Prozent, die das Oberste Wahlgericht noch am selben Abend verkündet hatte. Mit dieser Zahl konnte die Putschregierung von „massiven Wahlbeteiligung“ sprechen und die sofortige Anerkennung des neuen Staatschefs Lobo fordern. Die internationale Gemeinschaft – ausgenommen die USA und ihre engsten Verbündeten in der Region, Kolumbien, Peru und Panama – hatte keine Wahlbeobachter entsandt und war daher sehr vorsichtig, eine Wahlbeteiligung anzuerkennen, die sogar 10 Prozent höher liegen sollte als 2006. In der Tat hielt die Stimmauszählung so manche Überraschung bereit, wie der Reporter Jesse Freeston vom US-amerikanischen Netzwerk The Real News feststellen konnte.3 Er hatte sich in den Auszählungsraum des Wahlgerichts eingeschmuggelt und filmte die Zahlen auf der Anzeigetafel: Sie zeigten eine Wahlbeteiligung von 49 Prozent. Im selben Augenblick verkündete der Gerichtspräsident, sie läge bei 61 Prozent, „eine Zahl, die er selbst erfunden hat“, wie der Reporter erklärte, nachdem er mit mehreren Richtern gesprochen hatte. „Hagamos Democracia“, eine von der US-amerikanischen Stiftung National Endowment for Democracy finanzierte Organisation, führte eine eigene Hochrechnung durch. Sie kam auf eine Wahlbeteiligung von 47 Prozent.4

Zehn Tage nach der Wahl musste sich das Wahlgericht den Fakten beugen und eine Beteiligung von 49 Prozent einräumen. Die Anhänger von Präsident Zelaya schätzen nach ihren Zählungen am Ausgang von 1 400 Wahllokalen, sie habe lediglich bei 25 Prozent gelegen. „Wir werden die Wahrheit niemals erfahren, denn die Stimmzettel sind in den Händen der Regierung, die das Ergebnis bereits gefälscht hat“, meint Laura Carlsen, die Leiterin des Americas Policy Program, das vom Washingtoner Center for International Policy finanziert wird.5 „Aber die internationale Gemeinschaft kann keine Wahlen anerkennen, in deren Verlauf schwere Verstöße gegen die Menschenrechte begangen wurden.“

Die Internationale Beobachtermission zur Menschenrechtslage bezeichnete die Lage in Honduras schon im August als „sehr ernst“ und beklagte, dass der Drahtzieher der Repression und unmittelbare Berater in Sicherheitsfragen des Putschpräsidenten Micheletti, Billy Joya, derselbe Mann ist, der als ehemaliger Anführer einer in den USA ausgebildeten militärischen Todesschwadron für das Verschwinden hunderter Menschen in den 1980er-Jahren verantwortlich gemacht wird.6 Er war lange Zeit auf der Flucht und wurde schließlich in Honduras wegen Folter und Ermordung von insgesamt sechzehn Menschen angeklagt. Schon 2006 (unter Präsident Zelaya) wurde er Berater des Sicherheitsministers Álvaro Romero, der ebenfalls Mitglied dieser Todesschwadron war.

„Die Angehörigen des Widerstands sind sehr gefährdet. Das De-facto-Regime vernichtet die Opposition und erledigt damit die Drecksarbeit für die nächste Regierung. Das schwindende Interesse des Auslands stellt eine große Gefahr für die Köpfe des Widerstands dar“, sagt Laura Carlsen, die in Honduras ebenfalls angegriffen wurde, weil sie im Sender al-Dschasira die Wahlen kritisiert hatte.

Die Widerstandsbewegung, die in der internationalen Presse schon von Anfang an relativ wenig Aufmerksamkeit genossen hatte, wurde inzwischen auch aus der honduranischen Medienlandschaft verbannt. Da nur wenige Menschen Zugang zum Internet haben und die Medien zumeist Unternehmern gehören, die den Staatsstreich unterstützen, brauchte das De-facto-Regime nur fünfzehn Fernsehsender, Radios und Zeitungen auszuschalten7 , um sich die Informationshoheit zu sichern. Am Tag nach dem Putsch stürmte die Armee mehrere Gebäude, beschlagnahmte Film- und Tonausrüstungen, Telefone und Computer und unterbrach alle Leitungen nach außen. Die wichtigsten internationalen, über Kabel zu empfangenden Sender wie Telesur (Venezuela), Cubavisión (Kuba), Guatevisión (Guatemala), Teletica (Costa Rica) und das spanischsprachige CNN (USA) wurden ebenfalls abgeschaltet. Während des Wahlkampfs wurde der Fernsehsender Canal 36 zeitweise durch einen Störsender lahmgelegt.

Esdras Amado López, Inhaber und Leiter des Senders, ist sichtlich erschöpft. Er zeigt seine Reichweitenmessung: Die Frequenz wird immer wieder durch Satelliten-Interferenzen gestört8 und ist nur noch in der Hauptstadt zu empfangen. „Und wenn unser Ton zu kritisch ist, dann wird die Mattscheibe wieder schwarz, oft minutenlang. Bei jeder Abschaltung spielen sie mit unseren Nerven“, sagt Amado López. Die Eingriffe der Zensur scheinen willkürlich: Mal ist eine Reportage über die Mission von Amnesty International dran, mal ein Livekommentar eines Zuschauers, mal die Ankündigung einer Demonstration durch einen der Fernsehjournalisten.

Morddrohungen gegen oppositionelle Journalisten

Betrachtet man die Eingriffe insgesamt, besteht jedoch keinen Zweifel mehr, welche Strategie das Regime verfolgt: Organisationen zur Verteidigung einer freien Presse verzeichnen „acht geschlossene Medienbetriebe, bei zwanzig ist der Betrieb gestört; unter den Journalisten gibt es 30 Verletzte, 14 Verhaftete und einen Toten“.9 Wie viele seiner Kollegen spricht Amado López nicht gern über die Morddrohungen, die er erhält. Aber am Abend zuvor berichtete er in seinem Sender, vermummte Unbekannte hätten das Haus seiner Mutter beschossen.

Angst und Anspannung sind deutlich fühlbar. Die Aktivisten, die sich im Augenblick vor allem Sorgen machen, weil ständig Soldaten vor ihrer Haustür stehen, können nicht genau sagen, wie es in Zukunft weitergehen soll. „In unserem Land war der Kampf um Rechte immer ein Risiko“, sagt der Gewerkschafter Carlos Reyes. „Der Putsch hat unser Streben nach Demokratie nur noch bestärkt.“

Die „Frente“ hat sich nun auf die Fahnen geschrieben, was den Putschisten als Begründung für ihren Staatsstreich diente: Präsident Zelaya wollte ein Referendum abhalten über eine Reform der Verfassung, die 1982 unter dem Militärregime des Präsidenten Suazo Córdova verabschiedet worden war.10 „Schon vor dem Staatsstreich haben wir eine Verfassungsreform gefordert, und heute ist sie nötiger denn je. Diese Krise hat gezeigt, dass unser politisches System keine Teilung der Macht vorsieht“, erklärt Juan Almendares, der ehemalige Rektor der Universität Tegucigalpa.

Auch wenn über das Ziel Einigkeit herrscht, ist noch längst nicht klar, welche Mittel die Widerstandsbewegung einsetzen soll. Soll sie sich als politische Partei formieren und ihren Vertretungsanspruch an den Urnen beweisen? Diese Lösung favorisiert die als links geltende Demokratische Union (UD): „Unsere Partei gibt es schon, wir stellen sie der Frente zur Verfügung“, erklärt der Abgeordnete Marvín Ponce. Doch die UD hat schon einen Teil ihrer Basis verloren, weil sie an den Wahlen teilgenommen und sie damit legitimiert hat. Man denkt auch nicht daran, die Liberale Partei von Präsident Zelaya neu zu gründen. „Diese Partei ist auch die Partei von Roberto Micheletti, wir müssen da jetzt austreten“, empfiehlt Zelayas ehemaliger Wirtschaftsberater Nelson Ávila.

Am meisten Angst hat die Widerstandsbewegung davor, sich in das politische System in Honduras einordnen zu müssen. „Die politischen Parteien haben einen so schlechten Ruf, die Leute denken sofort an Korruption“, sagt Rafael Alegría von der Bauernbewegung Vía Campesina. „Eine Bewegung, die für Demokratie kämpft, muss sich schon etwas anderes einfallen lassen.“

Bei einer der letzten Versammlungen wurden schon erste Forderungen laut. Das Komitee der Frauen aus den Maquiladoras (Fertigungsfabriken) und die Gewerkschaft CGT (Central General de Trabajadores) saßen darin Seite an Seite. Beide sind gegen die Reform des Arbeitsrechts, die unter Zelaya begonnen wurde. Die Frauen fordern vor allem konkrete Maßnahmen zum Schutz ihrer Gesundheit in den Maquiladoras, während die CGT nur für höhere Gehälter kämpft. Inzwischen haben sich die Frauen bereit erklärt, an der Seite der großen Gewerkschaften für eine Verfassungsreform einzutreten, wenn ihre Forderungen berücksichtigt werden. Eine von ihnen stand auf und erklärte: „Hier in unseren Vierteln, in unseren Familien müssen wir anfangen, Demokratie zu lernen. Wenn es wieder zu Blutvergießen kommt, dann soll das Blut für eine Verfassung fließen, in der niemand ausgeschlossen wird!“

Fußnoten: 1 Frente Nacional contra el Golpe de Estado, FRCG. 2 www.enlaceacademico.org. 3 Jesse Freeston, „Honduran elections exposed“, therealnews.com. 4 www.ndi.org/node/15942. 5 www.americaspolicy.org. 6 www.amerika21.de/hintergrund/2009/delegation-74843546-honduras und www.amerika21.de/nachrichten/inhalt/2009/aug/internationale-beobachter-453434365-honduras. 7 Diese sind: die Fernsehsender Canal 36, Canal 11, Canal 8 de Juticalpa und Canal 6; die Radiosender Globo, Cadena Voces, Progreso, America, Gualcho und Libertad; die Zeitungen El Libertador und Diario Tiempo sowie die Presseagentur Prensa Latina. 8 Nicht nur das: Die Sendeeinrichtungen werden ganz einfach zerstört, und das Personal wird physisch angegriffen; vgl. www.ifex.org/honduras/2009/09/16/canal_36_gas/ und www.newssafety.org/index.php?option=com_content&view=category&id=51&Itemid=100519. 9 Comité por la libre expresión (C-libre) / Fundación Democracia sin Fronteras, Tegucigalpa, November 2009; www.fdsf.hn/assets/Editor/File/PrimerInforme Libertad de Expresion.pdf. 10 Siehe auch: Maurice Lemoine, „Staatsstreich“, Le Monde diplomatique, August 2009, und: Maurice Lemoine, „Machtfrage Honduras“, Le Monde diplomatique, September 2009, sowie: www.monde-diplomatique.fr/carnet/2009-07-01-Honduras „Retour des ‚gorilles‘ au Honduras“ vom 1. Juli 2009.

Aus dem Französischen von Sabine Jainski

Anne Vigna ist Journalistin.

Le Monde diplomatique vom 15.01.2010, von Anne Vigna