12.04.2013

Der perfekte Putsch

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Der perfekte Putsch

von Gerhard Dilger

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Die Wahlen sind so gut wie verloren.“ Pa’í Oliva, ein 84-jähriger Jesuit, Aktivist, Journalist und scharfsinniger Beobachter der paraguayischen Gesellschaft, meint, nur noch ein „Deus ex machina wie in den griechischen Tragödien“ könne die Rückkehr der Colorados an die Macht verhindern – jener konservativen Partei, die Paraguay bis 2008 gut 61 Jahre ununterbrochen regiert hatte. Das Schreckensregime des deutschstämmigen Diktators Alfredo Stroessner in der Mitte dieser Periode dauerte von 1954 bis 1989.

Vor fünf Jahren, nach dem bemerkenswerten Wahlsieg des linken Bischofs Fernando Lugo, schien der Anbruch einer neuen Ära in Paraguay möglich. In der Tat versuchte der neue Präsident im Rahmen seiner engen Spielräume, Politik zugunsten der armen Bevölkerungsmehrheit zu machen – gegen Parlament, Justiz, Medien und die geballte Wirtschaftsmacht des einheimischen und transnationalen Kapitals. Doch mit dieser paraguayischen Variante des südamerikanischen Linksrucks ist es auf absehbare Zeit vorbei.

„Die Colorados werden versuchen, zehn oder zwanzig Jahre dranzubleiben, mit allen Tricks“, sagt Oliva. „Sie sind sehr gut organisiert. Ihre Regierung wird rechts sein, total vertikal, mit viel Vetternwirtschaft. Die verkaufen und kaufen alles, versorgen ihre Leute mit Posten – dabei gibt es jetzt schon zu viele Staatsangestellte.“ Der spanischstämmige Pater weiß, wovon er spricht: 1969 zwang ihn Stroessner ins argentinische Exil. Erst 1996 kehrte er zurück nach Paraguay und wirkt seither immer wieder als Katalysator der Basisbewegungen. Heute leitet er unter anderem die Bildungsstätte Mil Solidarios für 700 Kinder und Jugendliche in einem Armenviertel der Hauptstadt Asunción.

Die bevorstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 21. April nennt er einen „großen Putsch“, durch den der parlamentarische Staatsstreich vom 22. Juni 2012 legitimiert werden soll. Damals wurde Fernando Lugo nach einem rechtswidrigen politischen Schnellverfahren von der konservativen Parlamentsmehrheit abgesetzt. Aus diesem Grund suspendierten die Regierungen der Nachbarländer Paraguays Mitgliedschaft im Wirtschaftsbündnis Mercosur (Gemeinsamer Markt des Südens) und im Staatenbund Unasur (Union Südamerikanischer Nationen). Kurz zuvor hatte ausgerechnet der deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) dem neuen Regime als erster ausländischer Staatsgast seine Anerkennung signalisiert.

Für Francisco de Paula Oliva („Pa’í“ heißt in der Landessprecher Guaraní „Pater“) ist dieser „institutionelle“ Staatsstreich ein „Meisterwerk“ der paraguayischen Oligarchie. Auslöser war das Massaker auf einem Landgut nahe der Provinzstadt Curuguaty, bei dem elf Kleinbauern und sechs Polizisten unter offiziell immer noch ungeklärten Umständen erschossen wurden. Erst vor Kurzem forderte der UN-Menschenrechtsausschuss die paraguayische Regierung auf, einen unabhängigen, unparteiischen Bericht vorzulegen – angeklagt hat der federführende Staatsanwalt bislang lediglich vierzehn überlebende Kleinbauern.

Das Massaker sei der „perfekte Vorwand“ für den Putsch gewesen, sagt Oliva und verweist auf immer neue Widersprüche. Einiges deutet mittlerweile darauf hin, dass tödliche Schüsse aus einem Hubschrauber abgegeben wurden, der über dem Tatort kreiste – die entsprechenden Luftaufnahmen sind allerdings verschwunden. Eine Woche nach dem Blutbad wurde Fernando Lugo durch die Mehrheit der rechten Parteien in Parlament und Senat abgesetzt, allen voran sein Koalitionspartner, die Liberalen, und die Colorados. So verbesserten die Traditionsparteien, die auch sämtliche Reformbemühungen Lugos systematisch blockiert hatten, schlagartig ihre Ausgangsposition für die Wahlen im April 2013.

José Mujica, der Präsident von Uruguay, nahm damals kein Blatt vor den Mund: Hinter dem Putsch stecke der „Narcocoloradismo“, also die Allianz zwischen der größten Partei des Landes und der Drogenmafia. Einem von Wikileaks verbreiteten Kabel der US-Botschaft in Buenos Aires zufolge soll der Tabakunternehmer und Präsidentschaftskandidat der Colorado-Partei, Horacio Cartes, im Dreiländereck Paraguay, Argentinien und Brasilien Geldwäsche betrieben haben.

Der Liberale Federico Franco, Lu-gos Vizepräsident, wurde Staatschef und verschaffte dem Agrobusiness und dem kanadischen Bergbaukonzern Rio Tinto Alcan freie Bahn. Geplant ist nun der Bau einer riesigen Aluminiumschmelze.1 In den ersten sieben Monaten ihrer Amtszeit genehmigte die Regierung Franco nicht weniger als acht Sorten von transgenem Saatgut, unter anderem für Soja, Mais und Baumwolle.

Last but not least liegt der Putsch im geostrategischen Interesse der USA, die während der Regierungszeit Lugos ihren Einfluss durch mehr wirtschaftliches Engagement in Paraguay ausgeweitet hatten.2 „Für uns war das kein nationaler, sondern ein regionaler Staatsstreich“, sagt der Bauernaktivist Jorge Galeano. „Paraguay hat ihn erlitten, weil hier die demokratischen Institutionen sehr geschwächt sind.“3

Für Paraguay ist eine Regierung der Mitte schon revolutionär

Unter dem Einfluss der USA und Kanadas vermied die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) jegliche Sanktionen gegen das neue Regime. Dennoch dürfte das ungestüme Vorgehen der Putschisten selbst in Washington für Bauchschmerzen gesorgt haben, denn es machte die Vollmitgliedschaft Venezuelas im Mercosur möglich, die der paraguayische Senat zuvor blockiert hatte. „In Wirklichkeit geht es bei Paraguay um Venezuela, es geht um wirtschaftlichen und politischen Einfluss in Südamerika und um seine Zukunft als eine unabhängige und entwickelte Region“, meint Samuel Pinheiro Guimarães, unter Präsident Lula die Nummer zwei im brasilianischen Außenministerium, danach Mercosur-Generalsekretär und einer der führenden Geostrategen Brasiliens.4

Auch der Aufschwung der Schmuggel- und Schattenwirtschaft im Dreiländereck und die offenkundige Nähe des Favoriten Cartes dazu ist nicht nach dem Geschmack der US-Regierung. Politisch sympathisiere sie mit der antichavistischen Rechten, meint der Soziologe José Carlos Rodríguez, doch wirtschaftlich und juristisch sei sie gegen diese „schwarze Wirtschaft“, die unter Franco weiter die Oberhand gewonnen hat. Das heftige Werben der paraguayischen Oligarchie um Sympathien des Nordens werde keineswegs mit gleichem Enthusiasmus erwidert.

So dürften tatsächlich innenpolitische Gründe ausschlaggebend gewesen sein – vor allem der Hass der Oberschicht auf die Politik Lugos und seiner Leute – trotz deren extrem behutsamen Vorgehens. „Wir haben eigentlich nur versucht, eine Regierung der moderaten Mitte zu führen“, erzählt Lugos Umweltminister Oscar Rivas, „aber in Paraguay ist schon eine Zentrumsregierung revolutionär.“5 Lugo habe sich denjenigen zugewandt, „die bis dahin vom Staat ausgeschlossen gewesen waren […] die Kleinbauern, die armen Leute in der Stadt, die im Dienstleistungssektor Tätigen, für die eine ernsthafte Sozialpolitik in Gang gesetzt wurde […]. Angesichts der sehr konservativen Struktur der paraguayischen Gesellschaft wurde dieser kleine Schritt in Richtung einer progressiven Regierung von den Machtgruppen schon als riesige Bedrohung empfunden.“

Für Pa’í Oliva war der größte Erfolg der vierjährigen Amtszeit Lugos die allmähliche Bewusstwerdung der paraguayischen Bevölkerung: „In dem Maße, wie Lugo den Ärmsten half, wurden ihnen die Augen geöffnet. Zum ersten Mal bekamen sie kostenlose Gesundheitsversorgung, Zugang zu ein bisschen Bildung und zu Sozialprogrammen wie in Brasilien. Es waren viele kleine Dinge, aber das Wichtigste war: Er hat das Tor aufgestoßen. Wenn man ihn gelassen hätte, hätte er die kommende Wahl wahrscheinlich gewonnen.“

Davon ist die Linke heute weit entfernt. Oliva sieht zwei Hauptgründe für die anhaltende Spaltung: die „Schwäche“ Lugos, der sich zudem weigerte, den Journalisten Mario Ferreiro, den chancenreichsten Präsidentschaftskandidaten des progressiven Lagers, zu unterstützen – und den Einfluss von Horacio Cartes, der eine linke Gruppierung „gekauft“ habe, um die Spaltung des fortschrittlichen Bündnisses Frente Guasu zu betreiben.

„Es war absurd“, erinnert sich Oliva, „vier Monate lang haben sie sich um die vier ersten Senatslistenplätze gestritten. An einem Punkt hätten wir es fast geschafft, da kamen Lugo und Ferreiro mit jeweils zwei Leuten, und wir sagten, entweder ihr einigt euch, oder wir erzählen alles, was wir wissen. Am folgenden Tag präsentierte Lugo seinen Präsidentschaftskandidaten Aníbal Carrillo. Damit hat er die letzte Lücke geschlossen, über die man noch hätte verhandeln können. Nach Curuguaty, dem Putsch, der Spaltung wird nun der große Putsch am 21. April stattfinden.“

Lugo selbst bezeichnet es als seinen größten Fehler, während seiner Regierungszeit die Beziehungen zu den sozialen Bewegungen auf dem Lande vernachlässigt zu haben, ja, er gab dem Drängen der Agrarunternehmer zur Kriminalisierung des Protests der Landlosen nach und schwächte dadurch seine Basis noch mehr. Sein Versprechen einer Landreform konnte er nicht einlösen, und die Versuche, im Agrarbereich eine Reformagenda umzusetzen, seien zu zaghaft und zu spät erfolgt, meint Andrés Wehrle, zuletzt Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium.6

Seit dem Putsch hat sich vor allem in den abgelegenen ländlichen Gegenden die Menschenrechtssituation drastisch verschlechtert, die Repression gegen Bauernaktivisten nimmt zu. Mehr denn je werden die indigenen Völker diskriminiert, ihre Gesundheitsversorgung ist katastrophal. Die Ayoreo im Chaco-Gebiet werden durch die rapide voranschreitende Waldzerstörung existenziell bedroht.7 Die Sojafront rückt unaufhaltsam gen Westen vor, die Landflucht hält an.

Sämtliche Meinungsumfragen sagen den Sieg des Colorado-Kandidaten Horacio Cartes voraus, gefolgt von dem Liberalen Efraín Alegre, der unter Lugo Minister war. Trotz ihrer Spaltung würde die Linke zumindest im Senat zur drittgrößten Kraft – dort könnte die von Lugo angeführte Liste 6 von 45 Mandaten erringen (2008 war es nur eines). Mario Ferreiro wird bestenfalls ein Achtungserfolg zugetraut.

Aus den weiteren fünf linken Listen ragen die Frauen von Kuña Pyrenda (auf Guruaní: Frauenplattform) heraus, die die traditionelle Männer- und Klüngelwirtschaft auch innerhalb der linken Gruppierungen kritisieren. „Diese Politiker haben sich bereits innerhalb des Colorado-Systems positioniert“, findet auch Oliva, „die klammern sich an ihre Machtpositionen, die lassen nicht einfach los.“

Und die internationale Gemeinschaft? Schon seit Monaten drängt die neoliberale Rechte innerhalb der EU auf die Anerkennung des paraguayischen Regimes, um die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit dem Mercosur fortsetzen zu können. Im März wurde José Félix Fernández Estigarribia, Federico Francos Außenminister, von seinen Kollegen in Berlin und in London empfangen. Franco durfte kurz darauf dem neuen Papst und dem spanischen Regierungschef Rajoy seine Aufwartung machen.

Früher oder später dürften sich auch Mercosur und Unasur der Macht des Faktischen beugen und Paraguay wieder aufnehmen – wahrscheinlich aber nur dann, wenn der paraguayische Senat den zwischenzeitlich erfolgten Mercosur-Beitritt Venezuelas ratifiziert.

Legionen ausländischer Wahlbeobachter werden bei den Wahlen am 21. April ein Auge auf die technischen Abläufe haben – nicht zu sehen bekommen werden sie wohlbekannte Phänomene wie Stimmenkauf, mit denen die Colorados die Wählerschaft fast immer sicher im Griff haben. Bald wird der Putsch perfekt sein.

Fußnoten: 1 Vgl. Gerhard Dilger, „Im Auftrag der Agrarmultis“, WOZ – Die Wochenzeitung, 9. August 2012: www.woz.ch/1232/paraguay/im-auftrag-der-agrarmultis. 2 Cristina Coronel u. a., „USAID en Paraguay – La asistencia como estrategia de dominación“, Asunción 2012, mastermundo.com/librosbase/usaid%20en%20paraguay.pdf. 3 Elizabeth Duré u. a., „Golpe a la democracia – Antecedentes y perspectivas“, Asunción (Rosa-Luxemburg-Stiftung) 2012, S. 50: mastermundo.com/librosbase/golpe%20a%20la%20democracia.pdf. 4 Samuel Pinheiro Guimarães, „The United States, Venezuela and Paraguay“, alainet, 19. Juli 2012: alainet.org/active/56612 5 Gert Eisenbürger und Gaby Küppers, „Plötzlich war da keine korrumpierbare Regierung mehr“, Interview mit dem früheren paraguayischen Umweltminister Oscar Rivas, ila 363, März 2013: www.proparaguay.de/html/neues.php?id=42&cat_id=8&p=#ontitle. 6 „Golpe a la democracia“, S. 280 ff., siehe Anmerkung 3. 7 Christina M. Fetterhoff, „General Situation of Human Rights in Paraguay“, The Human Rights Brief, 25. März 2013: hrbrief.org/2013/03/general-situation-of-human-rights-in-paraguay. Gerhard Dilger leitet das Regionalbüro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in São Paulo. © Le Monde diplomatique, Berlin

Le Monde diplomatique vom 12.04.2013, von Gerhard Dilger