12.04.2013

Ein weißer Elefant?

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Ein weißer Elefant?

Ein weißer Elefant
Das LAPPSET-Projekt

Die Erinnerung an die Gewalttaten nach den letzten Wahlen im Dezember 2007 ist in Kenia noch sehr lebendig. Mit gutem Grund: In den Monaten nach der Wahl sollen 1 200 Menschen getötet und 300 000 vertrieben worden sein. Daher waren die Kandidaten der Präsidentschaftswahlen vom 4. März – Uhuru Kenyatta von der Jubilee Alliance und Raila Odinga vom Orange Democratic Movement – sehr darum bemüht, Bevölkerung und Investoren gleichermaßen zu beruhigen.

Im Wahlkampf wurden die Kenianer dann Zeugen und auch Mitwirkende „einer sorgfältig inszenierten Bußestunde, mit der sich die Politik am Vorbild der Pfingstler orientierte“, erzählt der Politikwissenschaftler Dominique Connan, der in Nairobi lebt. So fand beispielsweise Ende Februar eine riesige Friedenskundgebung im Uhuru Park statt, wo sich die Kandidaten, begleitet von Kirchenliedern und Ansprachen des populären Predigers David Edward Owuor, die Hände reichten.

Uhuru Kenyatta, Sohn von Kenias erstem Präsidenten Jomo Kenyatta und reichster Mann des Landes, triumphierte mit einem knappen – und umstrittenen – Wahlsieg über den bisherigen Premierminister Raila Odinga. Auch im Ausland wurde der Wahlerfolg mit Unbehagen aufgenommen, da sich Kenyatta und sein Vizepräsident William Ruto wegen mutmaßlicher Anstiftung zu Gewalttaten nach den Wahlen von 2007 vor dem Internationalen Strafgerichtshof verantworten müssen. Im Mai und Juli sollen die Gerichtsverhandlungen in Den Haag beginnen.

Gleich am 13. März erklärte der neue Präsident vor Mitgliedern des kenianischen Unternehmerverbands (Kepsa) in Nairobi: „Wir wollen eng mit der Privatwirtschaft zusammenarbeiten, um das Land wieder wettbewerbsfähig zu machen.“ Und die Investoren ermahnten alle Betriebe, die aus Angst vor Unruhen nach den Wahlen zugemacht hatten, ihre Arbeit wiederaufzunehmen. Schließlich geht es darum, die Ziele des 2008 gestarteten Reformprogramms „Vision 2030“ zu erreichen.

In Kenias Amt für Statistik (KNBS) sorgt man sich indes um die Wirtschaft des Landes: Die Zahlen verweisen auf eine beschleunigte Inflation, einen Einbruch der Währung und hohe Zinsen, die für die Ende 2011 aufgenommenen Kredite anstehen. Auf dem Human Development Index der Vereinten Nationen steht Kenia in der Rangliste für 2012 auf Platz 145 von 186 Ländern.

Von Mwai Kibaki, dem „Infrastrukturpräsidenten“, wie ihn seine Landsleute nannten, bis zu Uhuru Kenyatta setzt die politische Führung derweil unverdrossen auf den Lapsset-Korridor, auf dem der ganze Stolz des Landes ruhen soll. Nur existiert das Projekt bislang lediglich als Computersimulation. In dem unbedingten Wunsch, diese Vision endlich zu verwirklichen, drang Kenias Armee im Oktober 2011 sogar schon in Somalia ein, um die Al-Shabaab-Miliz im Nachbarland zu bekämpfen und eine riesige Pufferzone zu errichten, die den künftigen Hafenkomplex schützen soll.

In einem Büro in Nairobi ordnet ein Journalist „vertrauliche“ Dokumente, die auf einer Art Schreibtisch ausgebreitet sind. Dann zieht er seine kleine Show ab. In seinem makellosen, stahlblauen Anzug sinkt er in die Hocke und beginnt eine imaginäre Kuh zu melken. Er scheint ein wenig zu zögern, bevor er leise hinzufügt: „Der Lapsset-Korridor verschafft der Korruption freie Fahrt. Und die Politiker stehen in den Startlöchern, um den Staat zu melken.“ Ein Forscher, der sich mit dem Projekt gut auskennt, sagt: „ ‚Vision 2030‘ misst die wirtschaftliche Entwicklung in Kubikmetern Beton. Eigentlich geht es darum, das Geld der Kreditgeber und des Staates in andere Kanäle zu lenken.“

Bevor sich die Betonmischer überhaupt in Bewegung zu setzen begannen, geriet das Projekt schon auf Abwege. Die Machbarkeitsstudie für den Lapsset-Korridor war die teuerste in der gesamten Geschichte des Landes. Im Mai 2009 unterzeichnete der damalige Verkehrsminister einen Vertrag über 28 Millionen Euro mit dem japanischen Unternehmen JPC; der Finanzminister musste zwei Jahre später intervenieren, damit die Kosten für die Studie in Nachverhandlungen um 35 Prozent gesenkt werden konnten.

„Die Eliten sind daran interessiert, dass das Projekt umgesetzt wird, denn sie haben persönlich viel in der Region investiert. Ich glaube daher nicht, dass es sich um einen weißen Elefanten1 handelt“, meint der Politologe Hervé Maupeu. „Viele Politiker wussten von dem Lamu-Projekt, bevor es öffentlich bekanntgegeben wurde“, berichtet Ambreena Manji, Leiterin des British Institute in Ostafrika. „Das war eine Art Insidergeschäft. Sie haben von ihrem Wissen profitiert, um sich Land anzueignen und mit Grundstücken zu spekulieren.“

Tristan Coloma

1 Einen „weißen Elefanten“ nennt man in Kenia ein Projekt, das nicht umgesetzt wird oder das in einem Milliardengrab endet.

Das Lapsset-Projekt

Im Beisein der drei damaligen Staatsoberhäupter Kibaki (Kenia), Kiir (Südsudan) und Meles (Äthiopien) fand vor einem Jahr, am 3. März 2012, der Spatenstich in Lamu statt. In dem zukünftigen Tiefseehafen sollen bald zahlreiche Riesenschiffe anlegen – vom Supertanker bis zum Post-Panamax-Containerschiff. Man rechnet mit 23 Millionen Tonnen Warenumschlag pro Jahr. Der Hafen ist Teil des gigantischen, seit Jahren geplanten Infrastrukturprojekts Lapsset-Korridor (Lamu Port – South Sudan – Ethiopia Transport Corridor), zu dem außerdem eine Ölpipeline, eine Bahnstrecke und ein Autobahnnetz gehören. Die 2 250 Kilometer lange Ölpipeline soll vom Südsudan – unter Umgehung des nordsudanesischen Hafens Port Sudan – nach Lamu führen, inklusive der Nebenverbindungen zu Äthiopien, Tansania, Uganda und der Demokratischen Republik Kongo. 120 000 Barrel soll die Ölraffinerie auf dem Hafengelände täglich verarbeiten. Und quer über den Kontinent sollen Hochgeschwindigkeitszüge von Lamu nach Douala (Kamerun) rauschen. Zudem soll ein 3 500 Kilometer langes Autobahnnetz den Hafen Lamu mit den Hauptstädten von Äthiopien (Addis Abeba), Südsudan (Juba) und Kenia (Nairobi) verbinden. Parallel zum Highway wird eine Glasfaserleitung verlegt. Und zu guter Letzt sollen für die Touristenströme aus aller Welt Flughäfen gebaut und Badeorte eingerichtet werden.

Le Monde diplomatique vom 12.04.2013, von Tristan Coloma