12.04.2013

Zypern träumt vom Erdgas

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Zypern träumt vom Erdgas

Der Schatz unter dem Meeresboden soll die Wirtschaft retten von Niels Kadritzke

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Die Idee hat viele besoffen gemacht. Zypern ist reich, eigentlich. Der kleine Inselstaat im östlichen Mittelmeer kann mit seinen – zuerst vermuteten, dann bestätigten, dann hochgerechneten – Erdgasvorkommen bis zu 50 Milliarden Euro einnehmen.

Die mutmaßliche Gas-Bonanza hat seit 2005 die Fantasie der griechischen Zyprioten ebenso beflügelt wie die Wahlversprechen ihrer Politiker. Wie ein Geschenk des Himmels erschien der ungehobene Schatz, als der neu gewählte Präsident Nikos Anastasiades und sein Finanzminister versuchten, das zypriotische Bankensystem zu retten und den Zyprioten genau jene Rezeptur zu ersparen, die ihnen am Ende von der Troika verpasst wurde. Der viel beschworene Plan B, mit dem er diese Rosskur abwenden wollte, basierte auf der Ausgabe neuer Staatsanleihen, deren Bonität vor allem durch die erwarteten Einnahmen aus der Erdgasförderung gesichert sein sollte. Auch der Versuch von Finanzminister Michalis Sarris, in Moskau einen Käufer für die bankrotte Laiki-Bank aufzutreiben, beruhte auf der Hoffnung, ein Institut wie die Gazprom-Bank ließe sich durch die Aussicht auf ein lukratives Gasgeschäft ködern.

Nachdem beide Versuche gescheitert sind und die Troika den zypriotischen Offshore-Banksektor schlagartig liquidiert hat, hofft Nikosia erst recht auf die Gasförderung als neue Wachstumslokomotive für Zyperns Wirtschaft. Aber nicht nur auf der Insel, auch bei den Europartnern hat das Zauberwort Erdgas die Fantasie angeregt. Selbst seriöse Medien und Politiker beschworen schon die Gefahr, die Russen könnten sich das ganze zypriotische Gas aneignen – und eine Marinebasis im östlichen Mittelmeer mit dazu. Träume und Albträume sind eine Sache, die Realität eine andere. Es gibt das Gas, gewiss. Aber wie viele Einnahmen es bringen wird, ist ebenso offen wie die Frage, wie, auf welchem Weg und vor allem wann es auf dem globalen Energiemarkt abgesetzt werden kann. Und ob überhaupt.

2006 begann die Republik Zypern mit der Erkundung potenzieller Öl- und Gasvorkommen in dem Teil ihrer „ausschließlichen Wirtschaftszone“ (AWZ), der sich südlich des griechischen Teils der Insel erstreckt (siehe Karte). Nach ersten positiven Anzeichen wurden 2007 Öl-Explorationsrechte für drei der zwölf Blöcke der AWZ ausgeschrieben. Den einzigen Zuschlag – für den südlichsten Block 12 – erhielt 2008 das US-Unternehmen Nobel Energy, das im September 2011 eine erste Explorationsbohrung niederbrachte. Drei Monate später verkündete Nobel, man habe ein Gasvorkommen im geschätzten Umfang von etwa 200 Milliarden Kubikmetern entdeckt.1

Dieses erste zypriotische Gasfeld – benannt ausgerechnet nach der „schaumgeborenen“ Aphrodite – liegt am östlichsten Rand von Block 12. Und damit nur 30 Kilometer vom israelischen Gasfeld „Leviathan“ entfernt, das auf knapp 500 Milliarden Kubikmeter geschätzt wird. Inzwischen hat Zypern weitere Explorationsrechte vergeben: die für Block 2,3 und 9 gingen an das italienisch-koreanische Konsortium ENI-Kogas, die für Block 10 und 11 an den französischen Konzern Total.

In diesem frühen Stadium des Explorationsprozesses lassen sich noch keine sicheren Aussagen über die Höhe der zypriotischen Gasreserven treffen. Der American Geological Service schätzt die Reserven im gesamten östlichen Mittelmeer auf 3,5 Billionen Kubikmeter.2 Selbst im Block 12 müssten noch mehr Aufschlussbohrungen stattfinden, ehe das geschätzte Volumen als „gesichertes Vorkommen“ gelten kann. Anschließend muss noch eine Verifizierung durch unabhängige professionelle Unternehmen erfolgen, die mehrere Jahre dauern kann.3

Gesicherte Informationen über zu erwartende Gasmengen sind im Fall Zypern besonders wichtig. Die Investitionskosten für die Förderung im Feld Aphrodite sind erheblich, das Meer ist fast 1 700 Meter tief.4 Die Kosten umfassen Bohrplattform und -gerät, eine Pipeline bis zur Südküste Zyperns sowie Anlagen, die für die Verarbeitung und Weitertransport zu potenziellen Endabnehmern nötig sind.

Dieser letzte Kostenfaktor hängt maßgeblich davon ab, wie das Gas auf den Weltmarkt gelangt. In Zypern werden zwei Modelle favorisiert: Zum einen der Bau eines LNG-Terminals, in dem das Erdgas in Flüssigerdgas umgewandelt wird, das dann Spezialtankschiffe weitertransportieren müssen. Die Alternative wäre eine weitere Unterwasser-Pipeline über Kreta zum griechischen Festland, wo das Gas in ein Leitungsnetz eingespeist würde.5

Die Pipeline nach Griechenland wäre 1 000 Kilometer lang, bei einer Wassertiefe von bis zu 2 000 Metern, die sehr dickwandige Röhren erfordert (die Ölpipeline Nord Stream durch die Ostsee ist in 200 Meter Tiefe verlegt). Experten von Noble Energy sehen zudem in den Gräben und Bruchzonen auf dem Meeresboden „abschreckende logistische Schwierigkeiten“.6

Aber auch die LNG-Lösung käme nicht billig. Eine detaillierte Studie der norwegischen NGO Prio enthält einen Kostenvergleich für beide Projekte. Demnach würde der Bau eines LNG-Terminals Investitionen von 8 bis 10 Milliarden Euro erfordern. Die Pipeline nach Griechenland wäre zwar rund 5 Milliarden Euro teurer, aber auf diesem Transportweg ginge weniger Gas verloren, als bei dem Verflüssigungsverfahren verbraucht wird. Die Prio-Autoren errechnen bei der Vermarktung des angenommen „Aphrodite“-Volumens als Flüssiggas (LNG) Einnahmen von 35 Milliarden, beim Pipeline-Transport von 38 Milliarden Euro.7 Gleichwohl halten sie das LNG-Modell für realistischer, weil Flüssiggas in alle Welt exportiert werden kann, also auch ins energiehungrige Ostasien.

Damit sind wir beim Preisproblem. Der Weltmarktpreis für Gas ist eine weitere Variable, die für die Absatzchancen zypriotischen Erdgases maßgeblich sein wird. Den Modellrechnungen der Prio-Studie liegt das heutige Preisniveau zugrunde. Wo es zu dem Zeitpunkt liegen wird, an dem das zypriotische Gas auf den globalen Energiemarkt gelangt, ist aber ziemlich ungewiss. Sicher ist, dass der Bedarf an Erdgas steigen wird, vor allem auf Grund der Nachfrage aus Ostasien, vor allem aus China. Weit weniger gewiss ist die Entwicklung des künftigen Angebots. Der wichtigste Faktor ist hier die rapide Erschließung von Schiefergasvorkommen, insbesondere in den USA, wo die Preise für Erdgas bereits rapide gesunken sind.

Wie stark dieser Trend auf den Weltmarkt durchschlagen wird, ist schwer abzusehen. Es gibt jedoch bereits Anzeichen, dass nicht alle geplanten Flüssiggas-Investitionen realisiert werden. Dabei gibt es eine für Zypern besonders beunruhigende Nachricht: Der indische Konzern ONGC hat 2011 seine Beteiligung am ägyptischen Erdgasfeld Nemed mit der Begründung abgestoßen, aufgrund der Schiefergaserschließung sei mit fallenden Preisen zu rechnen.8 Auch die Prio-Autoren vermuten, dass insbesondere das Interesse an „weiteren Explorationen in teureren Tiefseegebieten wie dem östlichen Mittelmeer“ nachlassen könnte. Als Indiz dafür werten sie, dass Gazprom für sein Erdgas auf den europäischen Märkten seit einiger Zeit Preisabschläge hinnehmen muss.9

Der israelische Leviathan mit der zypriotischen Aphrodite

Zwar gibt es starke Anzeichen dafür, dass der Schiefergasboom (siehe Artikel Seite 1) keineswegs die große Veränderung bedeutet, als die er in den USA gefeiert wird.10 Aber selbst wenn es sich nur um ein Strohfeuer handeln sollte – die Preisentwicklung für Erdgas wird durch die Ungewissheiten auf der Angebotsseite schwer kalkulierbar. Die meisten Experten gehen jedenfalls davon aus, dass sich der Weltmarktpreis für Erdgas künftig nicht mehr an den (höheren) Rohölpreisen orientieren wird.

Was bedeutet das für Zypern? Der hoch verschuldete Staat muss für die Erschließung seiner Gasreserven auf jeden Fall einen Investor finden. Die Frage ist, ob man angesichts der unsicheren Marktentwicklung und der eher bescheidenen „gesicherten“ Gasvolumen das Interesse eines internationalen Investors oder Konsortiums wecken kann. Dabei ist eines sicher: Die Chancen liegen umso besser, je größer das Umsatzvolumen ist, denn damit würden die Investitionskosten für Erschließung und Vermarktung relativ sinken. Ein größeres Volumen wäre garantiert, wenn in den übrigen zypriotischen Blöcken weitere Gasfelder entdeckt und erschlossen würden.

Aber das ist nur langfristig eine Perspektive. Und Zypern braucht eine möglichst kurzfristige Lösung. Der Faktor Zeit ist angesichts des drohenden Zusammenbruchs seines Bankensystems und des gesamten Wirtschaftsmodells noch wichtiger geworden. Die Preisfrage lautet also, wie das Nutzungsvolumen einer LNG-Anlage auf andere, schnellere Weise erhöht werden könnte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass mit einem kommerziell tragfähigen Export zypriotischen Erdgases ohnehin frühestens 2020 zu rechnen ist. Als plausibelste Lösung für das Zeitproblem gilt in Nikosia die kommerzielle Integration der Gasfelder „Aphrodite“ und „Leviathan“. Dazu bedarf es eines Abkommens zwischen Israel und Zypern.11 Die Chancen für ein Zustandekommen hängen jedoch von politischen Entwicklungen ab, die durch Zypern kaum oder gar nicht zu beeinflussen sind.

Damit betreten wir das Feld der Geopolitik, auf dem sich das Schicksal der Insel in seiner konfliktreichen Geschichte immer wieder entschieden hat. Die traditionell eher araberfreundlichen griechischen Zyprioten haben ihre Beziehungen zu Israel seit einigen Jahren deutlich verbessert und ausgeweitet. Beim Staatsbesuch Netanjahus im Februar 2012 wurde in Nikosia eine Art „energiepolitischer Partnerschaft“ beschlossen, die sogar eine militärische Komponente implizierte.12

Diese Partnerschaft steht bislang allerdings nur auf dem Papier. Ob sie sich in einer gemeinsamen LNG-Anlage auf zypriotischem Boden materialisiert, ist ungewiss. Dabei liegt das Hauptproblem auf israelischer Seite. Hier gilt die Kontrolle über die eigenen Energiereserven geradezu als Staatsdoktrin. Das zuständige Regierungskomitee betrachtet es als „absolute Priorität“, dass die Ausfuhr israelischen Erdgases von einer Exportanlage „in einem Gebiet unter israelischer Kontrolle“ aus erfolgt.

Außerdem favorisiert Israel neuerdings eine Energiepolitik, die weit interessantere strategische Möglichkeiten eröffnet: eine erneuerte Kooperation mit der Türkei. Am 22. März erklärte Regierungschef Netanjahu gegenüber Ankara sein Bedauern über den Tod der türkischen Aktivisten, die ein israelisches Einsatzkommando im Mai 2010 auf einem Schiff des Hilfskonvois nach Gaza getötet hatte. Die Geste wurde von vielen im Zusammenhang mit dem syrischen Bürgerkrieg gedeutet. Sie ist aber auch ökonomisch bedeutsam.

Laut dem Wall Street Journal vom 26. März geht es um „den möglichen Export von israelischem Erdgas im Wert von Milliarden Dollar in die Türkei und darüber hinaus“. In dem Bericht bestätigt Alon Liel, vormals israelischer Botschafter in Ankara, dass über dieses Thema schon seit Längerem verhandelt wird. Eine Gaspipeline vom Leviathan-Feld zur Südküste der Türkei wird vor allem von der türkischen Zorlu Group befürwortet, die an israelischen Kraftwerken beteiligt ist. Aber auch andere türkische Konzerne sind am Ball.

Die Istanbuler Wirtschaftspresse spricht sogar von einer „heftigen Konkurrenz türkischer Unternehmen um dieses Projekt“.14 Wie der Wirtschaftsdienst oilprice.com vom 22. Februar meldete, sind die türkisch-israelischen Pläne auf Expertenebene bereits weit fortgeschritten. Für die Unternehmen sei die Pipeline in die Türkei „weitaus profitabler als die anderen Optionen“. Was dies konkret heißt, hat der im Wall Street Journal zitierte israelische Exdiplomat ausgesprochen: Das israelisch-türkische Projekt sei auch deshalb willkommen, weil der „ökonomische Zusammenbruch Zyperns“ für Israel bedeute, „dass man die Pläne für einen Export via Zypern nicht realisieren kann“.

Sollte dieser Satz das Kalkül der Regierung in Jerusalem wiedergeben, dürfte sich die Hoffnung Nikosias erledigt haben, dass Israel zur Überwindung der Krise beitragen wird. Im Gegenteil, gerade der umgekehrte Effekt wäre eingetreten: Die ökonomischen Probleme des Inselstaats drohen genau jene energiepolitische Perspektive zu zerschlagen, auf die er seine Hoffnungen gesetzt hat.

In diesem Fall stellt sich für die Regierung eine andere Frage, die bislang als tollkühn galt: Wäre es nicht sinnvoll, das Aphrodite-Gas über die Türkei zu exportieren – sei es über eine israelisch-türkische Leitung, sei es über eine Pipeline zwischen der Insel und der türkischen Südküste? Zum ersten Mal wurde diese Idee im April 2012 von der International Crisis Group aufgebracht15 und stieß bei den griechischen Zyprioten auf pure Verachtung. Doch sind sich alle Experten darin einig, dass dieser Weg der ökonomisch sinnvollste wäre, um das Erdgas zu seinen Kunden zu bringen. Zumal es in der Türkei in das bestehende oder geplante Leitungssystem Richtung Europa eingespeist werden könnte. Ein solches Projekt würde sich auch passgenau in die Energiepolitik der EU fügen, die ihre Abhängigkeit vom russischen Erdgas verringern will.

Doch die Hindernisse scheinen unüberwindlich. Das größte ist die ungelöste Zypernfrage. Seit der türkischen Invasion von 1974 ist der Norden der Insel quasi ein türkisches Protektorat namens „Türkische Republik Nordzypern“ (TRNC). Seither gibt es zwischen der Republik Zypern und der Türkei keine diplomatischen Beziehungen mehr. Was die Erdgasfrage betrifft, so bestreiten sowohl die Regierung in Ankara als auch die der TRNC den griechischen Zyprioten das Recht, die Ressourcen auf dem Meeresboden ohne Zustimmung der türkischen Zyprioten auszubeuten. Dabei berufen sie sich auf deren Rechte nach der alten Verfassung von 1960.

Aber dieser Einwand wird weder von der EU noch von der UN akzeptiert. Wäre er juristisch begründbar, hätte die Republik Zypern auch nicht das Recht zum EU-Beitritt gehabt, was eine politisch viel wichtigere Entscheidung war. Zudem haben die griechischen Zyprioten zugesichert, dass sie nach einer „Wiedervereinigung“ der Insel die Erdgaserträge mit den türkischen Zyprioten teilen werden. Im Übrigen weiß man auch in Ankara, dass der Einwand gegen eine Gasförderung weit südlich von Zypern völkerrechtlich unhaltbar ist.

Dennoch gab es mehrfach türkische Drohgebärden gegen die Aktivitäten in der zypriotischen Wirtschaftszone. Während des Staatsbesuchs von Netanjahu in Nikosia im Februar 2012 veranstaltete die türkische Kriegsmarine sogar Manöver im Seegebiet des Blocks 12. Und Ende März 2013 hat der türkische Energieminister Yildiz dem italienischen ENI-Konzern, der die Explorationsrechte in drei Blöcken erworben hat, den Ausschluss vom Projekt der Ölpipeline Samsun–Ceyhan angedroht.16 Doch solche Gesten sind nicht besonders ernst zu nehmen. Im Grunde dienen sie der Türkei nur dazu, ihrerseits das Recht auf Öl- und Gasvorkommen im Seegebiet zwischen der Türkei und der Nordküste Zyperns zu beanspruchen. Die TRNC hat dem türkischen Staatsunternehmen TPAO seit 2011 die Explorationsrechte vor der Nordküste Zyperns erteilt, was wiederum die Regierung in Nikosia für illegal hält.

Ein weiteres völkerrechtliches Problem sind die AWZ-Ansprüche Ankaras auf ein Seegebiet westlich von Zypern, das teilweise bereits die Republik Zypern für sich beansprucht (die Blöcke 1, 4, 6 und 7). Dieser territoriale Streit ist aber nicht akut, denn Nikosia hat bewusst davon abgesehen, Lizenzen für die umstrittenen Blöcke auszuschreiben. Eine Zusammenarbeit zwischen Ankara und Nikosia beim Pipeline-Projekt würde in jedem Fall die Abgrenzung der beiden AWZs auch im Westen der Insel voraussetzen. Eine solche Vereinbarung ist aber kaum denkbar, solange die Türkei nicht dem Internationalen Seerechtsabkommen von 1982 (UNCLOS) beigetreten ist, in dem Richtlinien für die Regelung konkurrierender AWZ-Ansprüche festgelegt sind.17

Dass die meisten griechischen Zyprioten eine energiepolitische Kooperation mit der Türkei ablehnen, die ja in ihren Augen einen Teil der Insel militärisch besetzt hält und ökonomisch kontrolliert, ist nur zu verständlich. Und die Krise wird solche nationalistisch verengten Wahrnehmungen zunächst wohl eher stärken. Aber auf mittlere Sicht könnte die nationale Verbitterung unter dem Druck der Krise einer realistischen Nüchternheit weichen.

Ein israelisch-türkischer Gasdeal auf Kosten der Republik Zypern könnte diesen Prozess beschleunigen. In dem Fall blieben den Inselgriechen nur zwei Optionen, argumentiert Fiona Mullen, Koautorin der Prio-Studie: „Sie müssten weit länger auf den Export ihres Gases warten, weil sie größere Mengen erschließen müssten, um die Infrastruktur zu finanzieren. Oder sie müssten ernsthaft über eine Energiekooperation mit der Türkei nachdenken.“18

Für die zweite Option gibt es einen weiteren ökonomischen Anreiz. Der Ausbau eines qualitativ hochwertigen Tourismus, auf den der Süden jetzt noch stärker angewiesen ist, droht an dem periodisch wiederkehrenden Wassermangel zu scheitern. Der Norden Zyperns aber wird demnächst mit Wasser aus der Türkei versorgt, der Bau einer Leitung hat soeben begonnen. Von diesem Wasser könnte in Zukunft auch der Süden profitieren – und im Gegengeschäft Erdgas liefern.

Ist eine solche Idee angesichts der aktuellen Stimmung in Nikosia nicht völlig utopisch? Bis zum 15. März wäre so etwas undenkbar gewesen, gibt Fiona Mullen zu. „Aber die Lage hat sich eben verändert.“

Fußnoten: 1 Eine detaillierte Darstellung bieten: Ayla Gürel, Fiona Murren und Harry Tzimitras, „The Cyprus Hydrocarbons Issue: Context, Positions and Future Scenarios“, Peace Research Centre Oslo (Prio) Cyprus Center, Nikosia 2013, S. 3. 2 Siehe Hubert Faustmann, „Öl und Gas vor Zypern“, in: Wissenschaft und Frieden, 2/2012. 3 Siehe Constantinos Hadjistassou, „Gas Cash too far off to offer real light in the Gloom“, Cyprus Mail, 24. März 2013. 4 Die erste Bohrung erreichte eine Tiefe von 5 860 Metern: www.subseaiq.com/. 5 Theoretisch wäre auch die Umwandlung in komprimiertes Gas (CNG) oder in Strom möglich, der über Unterwasserkabel via Griechenland exportiert wird. Beide Lösungen sind nach der Prio-Studie ökonomisch nicht tragfähig. 6 Cyprus Mail, 27. Januar 2012. 7 Prio-Studie, Anmerkung 1, S. 80 ff. Die Autoren haben bei ihrer Rechnung den in Zypern selbst verbrauchten Erdgasanteil abgezogen. 8 The Telegraph, Calcutta, 21. Februar 2011. 9 Prio-Studie, Anmerkung 1, S. 77 f. 10 New York Times vom 12. Dezember 2012. 11 Für ein solches „unitisation agreement“ wäre zunächst zu ermitteln, welcher Anteil der „Aphrodite“-Vorkommen in die israelische Wirtschaftszone hineinreicht (siehe Anm. 3). 12 Nach Faustmann (Anm. 2) wurde in Nikosia sogar erwogen, Israel militärische Anlagen zum Schutz israelischer Investitionen anzubieten. 13 Prio-Studie, Anmerkung 1, S. 82. 14  Istanbul Gazette, 31. März 2013; siehe auch: Cyprus Mail, 15. Februar 2013, wo israelische Medienberichte zu dem Thema zitiert werden. 15 International Crisis Group (ICG), „Aphrodite’s Gift: Can Cypriot Gas Power a New Dialogue?“, Europe Report, Nr. 216, 2. April 2012. 16 Kathimerini, Athen, 27. März 2013. 17 Siehe Harry Tzimitras in: „Cyprus Offshore Hydrocarbone: Regional Politics and Wealth Distribution“, Oslo, Nikosia (Friedrich-Ebert-Stiftung/Prio) 2012. 18 Financial Times, 24. März 2013. © Le Monde diplomatique, Berlin

Le Monde diplomatique vom 12.04.2013, von Niels Kadritzke