Die nächste Blase
Fracking löst das Energieproblem nicht von Nafeez Mosaddeq Ahmed
Demnächst werden die USA im Öl schwimmen. Zumindest, wenn man den Schlagzeilen in der US-amerikanischen Presse glaubt, die aufgrund der Schiefergas-„Revolution“ einen wirtschaftlichen Aufschwung vorhersagen. In einem Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA) vom November 2012 wird prophezeit, dass die USA bis 2017 Saudi-Arabien als weltgrößten Ölproduzenten abgelöst haben werden. Damit würde das Land bei der Energieversorgung „quasi autark“, folgert die Nachrichtenagentur Reuters. Nach Angaben der IEA soll sich der erwartete globale Produktionsanstieg bei fossilen Brennstoffen von 2011 (Äquivalent von 84 Millionen Barrel pro Tag) bis 2035 (97 mbpd) „ausschließlich aus Flüssigerdgas und nichtkonventionellen Quellen“ ergeben, womit vor allem Schieferöl und -gas gemeint sind. Für die konventionelle Ölgewinnung erwartet man ab 2013 sinkende Fördermengen.1
Das gängige Verfahren zur Förderung nichtkonventioneller fossiler Ressourcen ist die hydraulische Frakturierung (fracking): Dabei wird eine Mischung aus Wasser, Sand und anderen Zusätzen wie Säuren unter hohem Druck in das Bohrloch gepresst, wodurch Risse im Gestein entstehen, die das Gas oder Öl freigeben. Durch die Horizontalbohrtechnik können dabei von einem Bohrloch aus immer größere Reservoire angezapft werden.
Diese Technik bringt erhebliche Umweltschäden mit sich. Aber die Ausbeutung der nichtkonventionellen Öl- und Gasvorkommen hat in den USA Hunderttausende von Arbeitsplätzen geschaffen und verspricht billige Energie im Überfluss. Und ExxonMobil prognostiziert, die Schiefergasrevolution werde die USA bis 2025 zum Netto-Energieexporteur machen.
Aber was, wenn die vermeintliche Schiefergasrevolution, nicht die Weltwirtschaft stärkt, sondern bloß eine Spekulationsblase nährt? Die jüngsten Erfahrungen und die anhaltende Unsicherheit auf den Weltmärkten sollte zu denken geben. Spanien lag 2008 auf Rang vier unter den Volkswirtschaften der Eurozone, dann platzte die Immobilienblase. Aber die Politiker haben aus dem Crash von 2008 kaum etwas gelernt. Nun sind sie dabei, dieselben Fehler beim Energiesektor zu wiederholen.
Schon im Juni 2011 nährte ein Bericht in der New York Times erste Zweifel an der Saga vom „Ölschieferboom“: Offenbar hatten staatliche Geologen, Industrieanwälte und Marktanalysten in privaten Äußerungen angedeutet, dass die Ölfirmen „bewusst und sogar in strafbarer Weise überhöhte Angaben zur Produktivität ihrer Bohrungen und der Größe der Lagerstätten machen“.2 Das Gas sei vielleicht doch nicht so einfach und billig aus den tieferen Ölschieferschichten zu fördern, wie die Industrie behauptet. Als Beleg verwies die Zeitung auf „Hunderte von E-Mails und interne Dokumente aus der Branche“ und auf die „Datenanalyse mehrerer tausend Bohrungen“.
Anfang 2012 schlugen zwei US-Energieberater Alarm. In der Petroleum Review, der führenden Zeitschrift der britischen Ölindustrie, äußerten sie „begründete Zweifel an der Verfügbarkeit und Nachhaltigkeit der US-Schiefergasreserven“. Die Autoren deckten auf, dass die Angaben der Ölunternehmen über die Größe der Vorkommen verdächtig schnell gestiegen sind, seit die US-Security and Exchange Commission (SEC) 2009 neue Regeln einführte, die es Energieunternehmen erlauben, solche Zahlen ohne jede Begutachtung durch unabhängige Instanzen anzugeben.3 Mit den überhöhten Angaben zu den Vorkommen wollen die Ölfirmen von den Risiken ablenken, die mit der Ausbeutung verbunden sind. Die Fracking-Methode wirft dabei nicht nur Fragen des Umweltschutzes auf, sondern ist auch wirtschaftlich zweifelhaft, denn diese Fördermethode ist alles andere als nachhaltig.
In der Zeitschrift Nature legten Experten dar, dass die Förderleistung einer Bohrung im ersten Jahr um 60 bis 90 Prozent zurückgeht.4 Bei einem derart raschen Rückgang wird jedes Rentabilitätsziel unerreichbar. Mit sinkenden Fördermengen müssen die Betreiber, um die Produktion insgesamt zu halten, immer neue Bohrungen niederbringen. Die anfänglich sensationellen Produktionszahlen und der Konjunkturrückgang sorgten in den USA dafür, dass der Preis für Erdgas 2012 auf unter 3 Dollar pro Million BTU (British Thermal Unit) absackte, nachdem er im Jahr 2008 noch bei 7 bis 8 Dollar gelegen hatte.
Doch die Finanzexperten ließen sich nicht täuschen. „Wirtschaftlich ist das Fracking eine Katastrophe“, schreibt der US-Finanzjournalist Wolf Richter im Business Insider. „Die Bohrungen vernichten Kapital in erstaunlichem Tempo, und wenn der fatale Förderrückgang einsetzt, sitzen die Betreiber auf einem Berg von Schulden. Damit dieser Rückgang ihnen nicht die Bilanz verhagelt, muss der Ausfall der alten Quellen durch immer neue Bohrungen ersetzt werden – bis auch die trocken sind. Früher oder später stößt ein solches System an eine Grenze: die der Realität.“5
Auch Arthur Berman, ein Geologe, der für das US-Ölunternehmen Amoco tätig war, wundert sich über das „unglaublich hohe Tempo“, in dem sich die Quellen erschöpfen. Er verweist auf das Beispiel des Eagle-Ford-Ölschieferfelds in Texas, die „Mutter aller Ölschiefergebiete“. Dort gehe die Produktion jährlich um 42 Prozent zurück. Damit die Gesamtfördermenge nicht sinkt, muss der Betreiber „jedes Jahr fast 1 000 neue Bohrungen im selben Fördergebiet durchführen. Das kostet 10 bis 12 Milliarden US-Dollar jährlich, nur für ein Feld. Wenn man das alles zusammenrechnet, kommen Summen heraus, wie sie zur Bankenrettung benötigt wurden. Wo soll dieses Geld herkommen?“6
Die Schiefergasblase löst bereits bei einigen der größten Energiekonzerne Kopfzerbrechen aus. Im Juni 2012 klagte Exxon-Chef Rex Tillerson, die aus der Erdgasschwemme resultierenden Preisstürze in den USA würden zwar die Energiekosten für die Konsumenten reduzieren, zugleich aber die Profite der Energieunternehmen drastisch verringern. Den Exxon-Aktionären versicherte Tillerson gleichwohl, man habe im Gasgeschäft keinen einzigen Cent verloren. Doch vor dem US-Thinktank Council on Foreign Relations redete er Klartext: „Wir verlieren gerade unser letztes Hemd. Wir verdienen kein Geld. Nichts als rote Zahlen.“7
Ebenfalls letzten Sommer musste das britische Gasunternehmen BG Group bei seinen Beteiligungen am US-Erdgasgeschäft eine Wertberichtigung in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar vornehmen, was zu einer deutlichen Verringerung der Quartalsgewinne beigetragen hat.8 Und nachdem Royal Dutch Shell für das dritte Quartal 2012 mäßige Geschäftszahlen vorgelegt hatte (wobei die Gewinne um 24 Prozent unter denen des Vorjahrsquartals lagen), kommentierte das Wall Street Journal vom 1. November: „Im zweiten Quartal in Folge macht Shell die Schwemme an Schiefergas in den USA zu schaffen.“
Die Krise traf sogar Chesapeake Energy, den Pionier im Schiefergasgeschäft. Das Unternehmen musste Gasfelder und Pipelines im Wert von 6,9 Milliarden US-Dollar verkaufen, um seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. „Ein weiterer Schritt in der Schrumpfung eines Unternehmens, das sich unter Führung seines schneidigen Chefs an die Spitze der US-Schiefergasrevolution gesetzt hatte“, kommentierte die Washington Post.9
Wie konnte es so weit kommen? In der Financial Times vom 6. Mai 2012 hatte der Analyst John Dizard darauf hingewiesen, dass die Schiefergasproduzenten „selbst vor dem jüngsten Absturz des Gaspreises Gelder in Höhe des Zwei-, Drei-, Vier- oder gar Fünffachen ihres operativen Cashflow ausgegeben haben, um ihre Landkäufe, Bohrungen und andere laufende Kosten zu finanzieren“.
Um diese Defizitfinanzierung durchzuhalten, wurde „zu viel Geld zu unübersichtlichen und problematischen Konditionen ausgeliehen“. Und anstatt die Leute aus der Schiefergasbranche auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, stellte ihnen die Wall Street immer neue „Schecks mit vielen Nullen“ aus. Dizard glaubt allerdings, die wachsende Abhängigkeit der USA von dieser wirtschaftlich fragwürdigen Ressource werde dafür sorgen, dass diese Blase noch weiter anschwillt: „Weil die Schiefergasquellen sich weit schneller erschöpfen als konventionelle Quellen, werden die Bohrungen weitergehen müssen. Und um nicht nur die alten Schulden abzuzahlen, sondern auch realistische Produktionskosten decken zu können, werden sich die Preise nach oben bewegen müssen, und zwar erheblich.“
Das schwarze Gold wird zu teuer
Dennoch ist nicht auszuschließen, dass mehrere große Ölfirmen gleichzeitig in finanzielle Turbulenzen geraten. „Das könnte einige größere Fälle von Insolvenzen oder Übernahmen zur Folge haben“, meint der Geologe Arthur Berman. „In diesem Fall würden sich die Investoren zurückziehen, das Kapital würde abwandern. Das wäre das Worstcase-Szenario.“
Der Schiefergasboom bewahrt also weder die USA noch den Rest der Welt vor dem Eintritt des „Peak Oil“. So nennt man den Umschlagpunkt, ab dem die geologischen Gegebenheiten und wirtschaftliche Faktoren gemeinsam dafür sorgen, das es immer schwieriger und teurer wird, das schwarze Gold aus dem Boden zu holen. Mehrere unabhängige wissenschaftliche Studien, die letztes Jahr publiziert wurden, aber in den Medien kaum Beachtung fanden, haben belegt, dass die Schiefergasproduktion den Eintritt des Peak Oil nicht hinauszögern kann.
David King und sein Team aus Oxford stellen in einer in der Zeitschrift Energy Policy veröffentlichten Studie fest, dass die Ölindustrie die weltweiten Vorkommen fossiler Energieträger um etwa ein Drittel zu hoch angegeben hat. Sie empfahlen, die Schätzungen von 1 150 bis 1 350 Milliarden Barrel auf 850 bis 950 Milliarden Barrel zu korrigieren. Die Autoren kommen zu dem Ergebnis: „Zweifellos sind die nicht erschlossenen Vorkommen fossiler Energieträger in der Erde noch immer sehr groß, aber die Menge an Öl, die zu einem für die Weltwirtschaft akzeptablen Preis gefördert werden kann, ist begrenzt und wird rasch abnehmen.“10
Trotz der zusätzlichen Erschließung unkonventioneller Öl- und Gasvorkommen durch Fracking schrumpfen die weltweit bekannten Reserven kontinuierlich um 4,5 bis 6,7 Prozent jährlich. Die Vorstellung, dass der Schiefergasboom die Energiekrise abwenden könne, weisen King und seine Kollegen deshalb energisch zurück.
Die Finanzanalystin Gail Tverberg hat daran erinnert, dass die konventionelle Ölproduktion weltweit seit 2005 nicht mehr zunimmt (was sie übrigens für eine der Hauptursachen für die Krise von 2008/2009 hält). Diese Stagnation ist für sie der Vorbote eines Rückgangs der konventionellen Ölförderung, der zur Verschärfung der aktuellen Krise beitragen könne.11 Und damit nicht genug: Eine 2012 veröffentlichte Studie der New Economics Foundation sagt warnend voraus, dass der Peak Oil 2014 oder 2015 erreicht werden könnte, wenn die Kosten für Förderung und Lieferung, „den Preis übersteigen, den die Volkswirtschaften zahlen können, ohne dass eine deutliche Störung der Wirtschaftstätigkeit eintritt“.12
Solche Positionen fanden weder bei Journalisten noch bei Politikern besondere Beachtung. Gegen die ausnehmend erfolgreiche PR-Kampagne der Ölindustrie kamen sie nicht an. Dabei ist die Botschaft nicht schwer zu verstehen: Der neue Gasüberfluss kündigt keineswegs die nächste Phase dauerhaften Wohlstands an. Es handelt sich um eine künstliche Blase, die die grundlegenden strukturellen Instabilitäten nur kurzzeitig verdecken kann. Wenn diese Blase platzt, wird sie eine Versorgungskrise und eine Preisexplosion auslösen, die für die Weltwirtschaft schwere Folgen haben könnte.