Geld für alle in Panthbadodiya
Ein Pilotprojekt gegen die Armut in Indien von Benjamin Fernandez
Dreißig Kilometer südlich der Stadt Indore im zentralindischen Bundesstaat Madhya Pradesh teilt eine holprige Straße das Dorf Panthbadodiya in zwei staubige Hälften. Etwas abseits von den aus Erde und Stroh gebauten Häusern sitzen ein paar Frauen in der Sonne. Sie sind Bhil und gehören damit der Mehrheitsethnie in diesem Distrikt an. Nach der Unabhängigkeit Indiens wurden aus diesen „Ureinwohnern“, wie sie die englischen Kolonialherren nannten, „scheduled tribes“ – benachteiligte Ethnien und Kasten, deren Lage eine „positive Diskriminierungspolitik“ nach und nach verbessern sollte.1 Doch selbst im 21. Jahrhundert ist immer noch ein Großteil der Indigenen, die in diesen kargen Landschaften im „Herzen Indiens“ leben, unterernährt.
Mamatabai Punjraj rückt ihr violettfarbenes Kopftuch zurecht, das sie vor Sonne und Staub schützt – und vor den Blicken der Männer. Nachdem sie von der Regierung ein bigha, ein etwa viertelhektargroßes Stück Land bekommen hatte, ist sie ein paar Monate später beim Brennholzsammeln schwer gestürzt. Das linke Bein und die linke Hand waren gebrochen. „Allein die Aufnahmegebühr für die Klinik kostet schon 25 000 Rupien [etwa 345 Euro]“, berichtet sie. „Wir mussten eine Hypothek von 50 000 Rupien auf unser Land aufnehmen. Für die restlichen 25 000 haben wir ein halbes bigha gekauft, auf dem wir in der Regenzeit Mais und im Winter Bohnen anbauen wollten. Doch letztes Jahr hat es zu spät geregnet, und wir haben die gesamte Ernte verloren. Jetzt wissen wir nicht, wie wir dem Großgrundbesitzer die 25 000 Rupien zurückzahlen sollen.“
In Indien sind diese Großgrundbesitzer (Landlords), die als Erben der Ländereien aus einer hohen Kaste stammen, in vielen Dörfern die einzigen Arbeit- und Kreditgeber. Mamatabai Punjraj ist arbeitslos. Ihr Mann verdingt sich als Tagelöhner in der Stadt. Ihr ältester Sohn Vinod ist ein naukar, das heißt, er leistet für höchstens 15 000 Rupien im Jahr (etwa 207 Euro) Frondienste für den Großgrundbesitzer. Der zweite Sohn Laxman ist ein gwala, ein Kind, das für den Großgrundbesitzer arbeitet, um die Schulden seiner Eltern zu begleichen. Die einzige Tochter geht dank staatlicher Unterstützung zur Schule, und der jüngste Sohn soll ebenso wie sein Bruder als gwala dienen. Diese weit verbreiteten feudalähnlichen Verhältnisse haben dafür gesorgt, dass die zahlreichen staatlichen Maßnahmen zur Armutsbekämpfung seit der Unabhängigkeit immer wieder gescheitert sind. Heute leben in Indien über 77 Prozent der Bevölkerung von weniger als 20 Rupien (30 Eurocent) am Tag,2 obwohl die Wirtschaft weiterhin wächst.3
Ein Pilotprojekt in Panthbadodiya könnte nicht nur die Lebensbedingungen deutlich verbessern, sondern auch der Armutsbekämpfung eine völlig neue Richtung geben. Es handelt sich nämlich um ein Projekt zum bedingungslosen Grundeinkommen (Madhya Pradesh Unconditional Cash Transfer). Angestoßen wurde es von der Frauengewerkschaft Sewa (Self Employed Women’s Association), die seit vierzig Jahren – unterstützt von Unicef Indien – die Interessen von Frauen mit geringem Einkommen vertritt. „Es ist ein richtiges Experiment“, erklärt der Projektleiter Sarath Dewalab. „Wir wollen herausfinden, was in den Familien geschieht, die ohne jede Vorbedingung eine bescheidene, aber regelmäßig ausgezahlte Summe Bargeld bekommen, als Zuschuss zu jeder sonstigen Einkommensform.“
18 Monate lief das Projekt, an dem 4 000 Menschen aus acht Dörfern beteiligt waren. Unabhängig von Einkommen, Beschäftigung, Kaste, Geschlecht oder Alter wurde jedem Teilnehmer das Geld zur freien Verfügung ausgezahlt. Erwachsene bekamen jeden Monat zusätzlich zur Sozialhilfe 200 Rupien (2,70 Euro), jede Mutter erhielt darüber hinaus 100 Rupien pro Kind. Unter den Testdörfern waren vier, die bereits über mehrere Jahre von der Sewa unterstützt worden waren – mit Selbsthilfegruppen, Sparkooperativen, Bankkrediten, Kursen zum Finanzwesen und Hilfe bei Behördengängen. Zwölf weitere Dörfer, in denen kein Grundeinkommen ausgezahlt wurde, dienten als Vergleichsgruppe für die Studie.
Innerhalb Indiens ist das Panthbadodiya-„Experiment“ ein Folgeprojekt. Allerdings fand das erste angewandte Forschungsvorhaben zum bedingungslosen Grundeinkommen, das ebenfalls von der Sewa organisiert worden war, 2009 im städtischen Milieu von Neu-Delhi statt. Die Hypothese war in beiden Fällen die gleiche: Eine direkte Geldzahlung führt zu einer Verhaltensänderung, die eine Verbesserung der Lebensbedingungen zur Folge hat, was sich vor allem auf die Ernährung und Gesundheit der Kinder auswirkt.
Drei Umfragen, die am Anfang, in der Mitte und am Ende des Projekts stattfanden, zeigten Verbesserungen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem ausbezahlten Grundeinkommen standen. In den teilnehmenden Dörfern wurde zum Beispiel deutlich mehr Geld für Eier, Fleisch, Fisch und Medikamente ausgegeben. Und in 68 Prozent der Familien haben sich die schulischen Leistungen der Kinder verbessert, sie waren fast dreimal so häufig in der Schule wie vorher. Die Ersparnisse hatten sich teilweise verdreifacht, und die Beschäftigungsquote hatte sich verdoppelt.
„Mit diesem Geld können wir mehr Vorräte anlegen“, erklärt Mamatabai Punjraj. „Außerdem kann ich damit auch meine Medikamente bezahlen und muss mir endlich nichts mehr leihen. Und ich bin dem Sparverein der Frauen beigetreten. Ich werde alles Geld, was übrig bleibt, für die Hochzeit meines Sohnes zurücklegen.“
Die Idee kam von einer Frauengewerkschaft
Bahadua, der Bruder ihres Mannes, arbeitete bis zum Alter von 13 Jahren als gwala und verdiente 4 000 Rupien im Jahr. Anschließend wurde er naukar und bekam 13 000 Rupien. Für alle Güter des täglichen Bedarfs musste er sich Geld vom Großgrundbesitzer leihen. Heute ist er 22 Jahre alt und kann solche Arbeitsbedingungen dank des bedingungslosen Grundeinkommens ablehnen.
Soll man den Armen tatsächlich einfach so Geld geben, ohne dafür irgendeine Gegenleistung zu fordern? Sarath Dewala lacht: „Darüber haben sich schon viele aufgeregt. Dann heißt es gern, die Männer würden sich mit dem Geld nur betrinken, und die Frauen kauften Schmuck und Saris. In der Mittelschicht gibt es das weitverbreitete Vorurteil, dass die Armen nicht mit Geld umgehen können. Unsere Studie zeigt im Gegenteil, dass ein regelmäßiges Einkommen verantwortliches Handeln geradezu fördert. Wenn etwas selten ist, wird es umso mehr wertgeschätzt. Außerdem brennen sie in den Dörfern ihren eigenen Schnaps“, fügt er mit einem Augenzwinkern hinzu. „Das Wichtigste ist die Regelmäßigkeit. Erst Kontinuität ermöglicht Organisation, Sparen, Kredite. So setzt eine kleine Geldsumme enorme Energien frei.“
Ein paar Dutzend Kilometer hinter Panthbadodiya liegt Malibadodiya. Hier zahlt die Sewa schon seit zehn Jahren den Frauen das Geld direkt aus. Etwa zwanzig Frauen aus dem Sparverein, in kunstvoll verschlungene Stoffbahnen gehüllt, stehen unter einem Blechdach im Schatten. Die Stimmung ist gelöst. In der Gruppe sind alle Kasten und Ethnien vertreten. Das ist selten. Man spricht über gemeinsame Anschaffungen: ein Dach für den Tempel oder öffentliche Toiletten. „Na los, wer hat mit dem Geld Schmuck gekauft, gebt es zu“, scherzt Dewala. Eine der Frauen hat ihre Nähmaschine dabei, die sie sich mit den Ersparnissen von 12 Monaten gekauft hat. Eine andere berichtet stolz, sie habe die Raten für ihren Fernseher fast abbezahlt. Eine Familie schwenkt eine neue Decke für den Winter. Mangu, eine junge Frau aus dem Dorf, die der Sewa beigetreten ist, erzählt unter allgemeinem Gelächter von den Erlebnissen der Frauen, die mit einem Traktor in die Stadt gefahren waren, um gegen die teuren Preise zu demonstrieren, und wie sie sich gegen die Sticheleien der Männer und die Drohungen der Polizisten gewehrt haben.
Rashmani runzelt die Brauen, so dass der rote Punkt zwischen ihren funkelnden Augen hervortritt: „Die Frauen haben keine Angst mehr. Sie werden unabhängig, verwalten die Haushaltskasse und machen Pläne. In mehreren Dörfern haben sie den Landlord dazu gezwungen, ihren Lohn zu erhöhen.“ Rashmani hat zwanzig Jahre lang in einer Fabrik für beedies (Zigaretten) gearbeitet und betreut heute im Auftrag der Sewa fast 300 Dörfer. Manche Gewerkschafterinnen organisieren in ihren Bezirken Gruppen mit bis zu 75 000 Arbeiterinnen. „Wir wollen beweisen, dass das Geld besser verteilt wird, wenn das eine Gewerkschaft übernimmt, und dass man Erfolg haben kann, wenn man sich um die Menschen kümmert“, sagt sie. Und Dewala fügt hinzu: „Uns geht es vor allem um den Nachweis, dass zivilgesellschaftliche Institutionen der Dreh- und Angelpunkt sind.“
Am Ausgangspunkt des Projekts stand die Einsicht, dass die staatlich organisierte Armutsbekämpfung gescheitert ist. Regierungsstellen schätzen, dass nur 27 Prozent der Ausgaben die Zielgruppe der Geringstverdiener und Einkommensschwachen erreichen.4 Mit anderen Worten: Über zwei Drittel der Gelder bleiben in den zwischengeschalteten, notorisch korrupten Stellen hängen. Hinzu kommt, dass die Beschäftigten des informellen Sektors, und das sind in Indien immer noch 90 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung, über keinerlei soziale Absicherung verfügen.
„Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens entstand, weil die Maßnahmen, die an Bedingungen geknüpft waren, gescheitert sind“, erklärt Dewala. „Sobald Bedingungen gestellt werden, geht die Sache schief. Denn schließlich muss die Einhaltung der Bedingungen überprüft werden. Und dann gibt es Korruption.“ Nach Angaben der Sewa gibt es allein im Bundesstaat Madhya Pradesh 321 Regierungsprogramme zur Verteilung von Land, Nahrung, Gas, Schulstipendien, Fahrrädern oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Geschlecht, Kaste, Ethnie, Alter, Anzahl der Kinder oder Beruf entscheiden darüber, wer was und wie viel bekommt. „Den rundum Bedürftigen, der Hunger hat, krank ist, kein Dach über dem Kopf hat und so weiter, den gibt es so gar nicht“, meint Dewala. „Viele Menschen leben auf der Schwelle zur Armut und verlieren so ihr Anrecht auf staatliche Unterstützung.“ Nur mit bedingungsloser Hilfe könne man diesen verschiedenen Bedürfnislagen gerecht werden.
Das Panthbadodiya-Projekt hat in jedem Fall das Interesse der Behörden geweckt. Angesichts des überwältigenden Erfolgs forderte der Bundesstaat Madhya Pradesh die Sewa auf, ein isoliertes indigenes Dorf in das Programm aufzunehmen, und Unicef Indien erklärte sich bereit, das Grundeinkommen für weitere sechs Monate (von Juni bis Dezember 2012) zu finanzieren und zugleich die Unterstützung auf 300 Rupien pro Erwachsenen und 150 Rupien pro Kind zu erhöhen. Die Bundesregierung unter Premierminister Manmohan Singh sorgte für allgemeine Überraschung, als sie im November 2012 eine Reform der Sozialhilfe für arme Familien unter dem Namen „India‘s Cash Transfer for the Poors“ ankündigte.
Seit dem 1. Januar 2013 wurden die Leistungen von 29 Hilfsprogrammen in direkte Überweisungen auf Bankkonten umgewandelt. Bis Juni sollen 20 Distrikte in 16 Bundesstaaten davon profitieren. Danach wird die Aktion auf das gesamte Land ausgeweitet. Indiens neues Reformprogramm orientiert sich an Brasiliens erfolgreicher Familienbeihilfe „Bolsa Familia“, durch die fast 13 Millionen Haushalte aus der Armut geholt wurden und die 2006 zur Wiederwahl des damaligen Präsidenten Lula da Silva beitrug.
Ein Jahr vor den Wahlen macht sich die Ankündigung einer solchen Reform zur Armutsbekämpfung sicher gut. Das könnte sogar den Neoliberalen gefallen, da die Regierung sich zugleich verpflichtet hat, die Sozialausgaben von 3,5 auf 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu kürzen.5 Manch einer reagierte indes mit Skepsis. So hat etwa der Minister für Öl- und Erdgasproduktion bereits um einen Aufschub gebeten für die Umwandlung der Gassubventionen in Geldzahlungen.6 Und die wirtschaftsnahe Economic Times schätzt, dass die landesweite Reform frühestens im Herbst umgesetzt wird.7
Es wundert nicht, dass das Cash-Transfer-Projekt der Sewa Misstrauen hervorruft, auch wenn es vollkommen unabhängig von der Regierung ist. Es kam sogar das Gerücht auf, mit dem Projekt würde die Streichung der staatlichen Beihilfen vorbereitet werden. „Uns geht es nicht darum, die staatliche Unterstützung zu ersetzen, sondern um ein zusätzliches Einkommen“, erklärt Projektleiter Dewala.
Der an der Studie beteiligte Wirtschaftswissenschaftler und Mitbegründer des globalen Netzwerks „Basic Income Earth Network“ (BIEN), Guy Standing, engagiert sich seit 25 Jahren für das Grundeinkommen. „Die Idee wird wieder hoffähig“, sagt er. „Angesichts der Ausdehnung des informellen Sektors, der wachsenden Ungleichheit und der existenziellen Unsicherheit ist ein Grundeinkommen das zentrale Fundament, um wieder soziale Sicherheit zu generieren.“ Nach Standing gibt es zwei Grundeinkommensschulen: Während es die einen nur als Instrument zur Verwirklichung ihrer individuellen Freiheit betrachten, sähen fortschrittliche Kräfte darin in erster Linie eine soziale Grundsicherung.
Delhi denkt über Grundeinkommen nach
Es sei an der Zeit, dass „die Linke ihr Bild von der Gesellschaft revidiert. Heute muss man vom Prekariat ausgehen und nicht mehr vom Proletariat. Man sollte eine finanzielle Umverteilung mit einer verstärkten Beteiligung und Vertretung der Prekären verbinden.“ Ist ein Grundeinkommen für ganz Indien möglich? „Es scheint zunächst ungerecht und sehr kostspielig, das Grundeinkommen an die gesamte Bevölkerung auszuzahlen“, meint Standing. „Aber warum sollte die Regierung das notwendige Geld nicht von den Vermögenden eintreiben können, über die Einkommenssteuer oder höhere Mehrwertsteuern für Luxusgüter und Luxusdienstleistungen?“ Renana Jabhvala, die Leiterin des Sewa-Landesbüros, ist da skeptischer: „Nur 10 Prozent der Inder zahlen Steuern. 50 Prozent sind selbständig, unter 20 Prozent verfügen über einen regulären Arbeitsplatz. Da ist es schwer, ein allgemeines Grundeinkommen einzuführen. Aber der Staat könnte es für die Hälfte der Bevölkerung planen, nämlich für diejenigen, die es wirklich brauchen.“
Die Frauengewerkschaft Sewa wurde 1972 in den Textilfabriken von Gujarat gegründet und hat heute 1,7 Millionen Mitglieder. Sie unterhält 112 genossenschaftliche Unternehmen, Dutzende Spar- und Kreditgruppen, Kliniken, Rechtsberatungsstellen und eine eigene Bank. Wie kommt eine Frauengewerkschaft dazu, mit dem bedingungslosen Grundeinkommen zu experimentieren? „Die Diskussion begann vor vier Jahren“, erzählt Jabhvala. „Die Neoliberalen befürworteten das Grundeinkommen, um zu sparen, und die Linke kritisierte es, weil sie es als Angriff auf die staatliche Sozialhilfe betrachtete. Aber wir besitzen eine Bank, wir verwalten Geld, und wir wissen, dass es viel ausmacht, wenn man über sein eigenes Geld frei verfügen kann.“
Ein solches Experiment wirft natürlich Fragen auf. Zunächst zur öffentlichen Daseinsvorsorge: „Sobald die Leute mehr Geld verdienen, wenden sie sich an private Dienstleister. Die sind zwar nicht unbedingt besser als die öffentlichen, aber sie wissen, wie man gutes Marketing macht“, meint Renana Jabhvala. „Die öffentlichen Schulen in Madhya Pradesh sind zum Beispiel eine Katastrophe. Der Staat müsste sich viel mehr ins Zeug legen, um seine Investitionen in Bildung und Gesundheit zu verbessern.“
Die zweite Frage betrifft die Logistik. Um Missbrauch vorzubeugen, will die Regierung jedem Empfänger des Grundeinkommens eine zwölfstellige Identifikationsnummer zuweisen. Zurzeit haben erst 222 Millionen der 720 Millionen Betroffenen eine solche Nummer.8 Wenn das Geld nicht regelmäßig und pünktlich bei den Empfängern eintrifft, könnte die von der Regierung verkündete große Revolution schnell scheitern. „Die Regierung versäumt da gerade etwas Wichtiges“, meint Guy Standing. „Das Geld muss den Leuten in die Hand ausgezahlt werden. Darauf müssen die Banken jetzt nach und nach vorbereitet werden.“ Man müsse davon ausgehen, dass Geldinstitute davor zurückschrecken, Kunden zu bedienen, die sie sonst ablehnen würden. „Deshalb muss man sie jetzt auffordern, mobile Bankschalter in den Dörfern einzurichten, oder sich überhaupt Wege zu überlegen, wie das Geld ausgezahlt werden soll.“
84 Kilometer südlich von Malibadodiya, im äußersten Winkel von Madhya Pradesh, liegt das kleine Dorf Ghodakhurd mit 700 Einwohnern, allesamt Bhil. Stille und Langsamkeit werden hier nur durch die kleinen Kinder unterbrochen, die um die Büffel und Ziegen herumspringen. Doch im Inneren der bescheidenen Hütten kann man die jüngsten Veränderungen schon besichtigen: Die Mauern wurden mit Ziegeln und Zement verstärkt, und für die Trockenzeit hat man bereits beträchtliche Maisvorräte angelegt.
Ghodakhurd, das auf Drängen der Regierung in das Grundeinkommensprojekt aufgenommen wurde, ist wegen seiner extrem abgeschiedenen Lage und der drückenden Armut ein besonders interessanter Fall. Traditionelle Haupteinnahmequelle sind die Tendublätter, die die Dörfler während der Hitzeperiode pflücken. 75 Rupien zahlt das staatliche Tabakunternehmen ITC Limited für ein Bündel, das aus 5 000 Blättern zusammengeschnürt wird. Bis vor Kurzem besaß hier praktisch niemand Bargeld. Dank des Grundeinkommens konnte zum Beispiel der 21-jährige Dinesh Nachhilfeunterricht nehmen und seinen Schulabschluss machen. Jetzt geht er auf die Universität. Sein jüngerer Bruder Umesh folgte seinem Beispiel und hat es geschafft, in die Abiturklasse aufgenommen zu werden. Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen sei es wie mit den Eltern, meint Umesh: „Jeder bekommt das Gleiche.“
Als wir Ghodakhurd verlassen, schaut der Projektleiter Dewala auf die von kleinen weißen Blüten durchsetzten grünen Weizenfelder. „Das sind besharams, ‚unzüchtige Blumen‘. Man nennt sie so, weil sie überall wachsen und kein Eigentum anerkennen.“