Ferien von der Geschichte
„So weit weg und doch so nah“ – mit diesem Slogan lockte der Club Méditerranée seine Kunden und versah seine Parkanlagen mit exotischem Flair. Der „Club Arziv“ im Norden Israels war lange Zeit ein Paradies – auf historisch vermintem Gelände. von Peter Lagerquist
Der Club Méditerranée, der sich seit seinen Anfängen im Jahre 1950 zu einem weltweit operierenden Freizeitunternehmen entwickelt hat, macht heute 3 Milliarden Dollar Jahresumsatz mit der Vermarktung einer Fantasie. Dabei handelt es sich um ein ausgesprochen koloniales Konzept, insofern es eine neue Domäne des weißen Mannes in tropischen und subtropischen Breiten etabliert. Allerdings muss der Dschungel heute schon einigermaßen domestiziert sein: Das Urlaubserlebnis, das man im Club Med findet, soll Exotik bieten, doch ohne die dazugehörigen Unannehmlichkeiten. Die Eingeborenen stehen jederzeit zu folkloristischen Darbietungen oder als billiges Dienstpersonal zur Verfügung, sollen jedoch, wenn unerwünscht, weder zu sehen noch zu hören sein. Und meistens sind sie unerwünscht. Schließlich preist das Unternehmen seine Strand-Enklaven und Bergreservate als „Antidot gegen die Zivilisation“ an, als Orte, an denen man „alles hinter sich lässt“. Man kann es auch so sagen: Der Club-Med-Traum ist auf entvölkerte Räume angewiesen.
Eine der Club-Med-Anlagen befindet sich an der Nordküste Israels: Ein Ensemble von Sandsteinhäusern lagert malerisch an der mit Palmen, bizarr geformten Kakteen und einem zarten Blumenflaum bewachsenen Bergflanke. Der Ausblick vom Hügelkamm ist auf stille Art spektakulär: Nach Süden erstreckt sich ein sanft geschwungener kilometerlanger Sandstrand, im Norden ragen über dem Küstenstreifen die grünen Berge des Libanon empor, direkt unter uns liegen Sportanlagen und ein Pool, dazwischen einige Reihen strohgedeckter Hütten, auf dem Strand lagern ein paar Segelboote. Am Eingangstor zu dem Gelände steht ein Schild: „Willkommen im Club Arziv“.
Der Name verweist auf die kanaanitische Siedlung Akzib (was „Schwindler“ bedeutet), die früher an dieser Stelle, etwa zehn Kilometer nördlich von Akko, lag. In den mittelalterlichen Chroniken arabischer Geografen wird Akzib als „ein großes Dorf an der Küste der Levante“ beschrieben. Bis 1948 hieß das Dorf Az Zib, und seine etwa 2 000 palästinensischen Bewohner waren vor allem Fischer und Bauern. Nach 1948 verschwanden sie und mit ihnen der Name des Dorfes.1 Das israelische Tourismusministerium verbreitet die Version, die Leute von Az Zib seien im Zuge des israelischen Unabhängigkeitskrieges „in den Libanon gegangen“. In der offiziellen Geschichte der Hagana (der Militäreinheiten, aus denen dann die israelische Armee hervorging) heißt es: „Die Einwohner flohen beim Auftauchen der jüdischen Streitkräfte.“
Der israelische Historiker Benny Morris erzählt die Geschichte anders.2 Anhand der Militärarchive hat er die Offensive der Hagana rekonstruiert, die vom 13. bis 22. Mai 1948 unter dem Decknamen „Operation Ben Ami“ lief: „In den Befehlen stand die Eroberung und Zerstörung von al Bassa, al Zib und al Sumeriya im Mittelpunkt. Die Dorfbewohner klagten später, die Hagana habe bei der Besetzung von Bassa Jugendliche exekutiert und – wie schon in Sumeriya und Zib – mehrere Frauen belästigt und vergewaltigt.“ Nach den Aufzeichnungen eines Beobachters, der die Truppe damals begleitet hat, verfolgte der Kommandeur der Truppe zwei Ziele: „Die Dorfbewohner, speziell die von Zib und Kabri, für ihr Verhalten in der Vergangenheit zu bestrafen und dafür zu sorgen, dass sie nie zurückkehren.“
Die Dorfbewohner zerstreuten sich in alle Winde, aber nicht alle gingen in den Libanon. Einige flüchteten sich in nahe gelegene arabische Dörfer und Städte – etwa nach Akko und Nazareth – und versuchten von dort aus, nach dem Ende der Kampfhandlungen, ihre Rückkehr zu organisieren. Doch Militärpatrouillen sorgten dafür, dass Az Zib und hunderte ähnlicher Dörfer (auch nach der Staatsgründung) entvölkert blieben. Nur je eine Familie durfte bleiben, um die Häuser und Felder zu bewachen.
1949 wurde auf dem Grund und Boden von Az Zib der Kibbuz Gesher Haziv angesiedelt. Die Anhänger eines sozialistischen Utopia beschwerten sich bei der Regierung, die arabische Familie könne womöglich zum Kern einer neuen Eingeborenensiedlung werden; daraufhin wurden die letzten Bewohner von Az Zib „hinausgesäubert und das Dorf ausradiert“, wie es Morris formuliert. Nur ein paar malerische Ruinen blieben übrig.
In Gesher Haziv gibt es ein Denkmal für die jüdischen Widerstandskämpfer, die vor 1947 im Guerillakrieg gegen die Soldaten der britischen Mandatsverwaltung gefallen sind. Im Juni 1946 hatten britische Soldaten ganz in der Nähe eine Gruppe von Kämpfern angegriffen, die gerade eine Bombe unter einer Brücke platzierten. Die Brücke wurde zerstört, 14 Guerilleros fanden den Tod. Das Denkmal steht genau an der Zufahrt zum Club Arziv. Bis heute kommen Leute, um es zu besichtigen, und in den Reiseführern findet es ebenfalls Erwähnung. Nicht aller Tragödien der jüngeren Geschichte wird auf diese Weise gedacht.
Im „arabischen Dorf“ logierten anfangs die Angestellten
Ende der 1950er-Jahre verbreitete sich der Club Méditerranée über die ganze Mittelmeerregion und siedelte sich auch in Israel an. Die Einladung kam von Staatspräsident David Ben Gurion, aber die Idee stammte von seinem Tourismusminister Teddy Kollek, dem späteren Bürgermeister von Jerusalem.3
Ben Gurion und Kollek wollten damals unbedingt den Boykott der Arabischen Liga brechen, der große internationale Unternehmen von Investitionen in Israel abhielt. Bereitwillige Partner fanden sie in den Club-Med-Gründern, dem Belgier Gerard Blitz und seinem französischen Kompagnon Gilbert Trigano. „Beide waren Juden und wollten Israel helfen“, sagt Ze’ev Dahan, der heutige Generaldirektor von Club Med Israel. „Trigano war mit Ben Gurion befreundet, und so kam es, dass er 1960 hier eine Filiale gründete.“
1961 übertrug die Regierung dem Unternehmen die Rechte an dem herrlich gelegenen und idyllisch leeren Küstenstreifen, der heute den Namen Arziv trägt. Die Übertragung erfolgte in Form eines Pachtvertrags über 50 Jahre, ausgestellt vom Jüdischen Nationalfonds, der treuhänderisch den gesamten Grundbesitz des israelischen Staates verwaltet und dem es per Gesetz verboten ist, Grundstücke an Nichtjuden zu verkaufen oder zu verpachten, was auch für arabische Bürger Israels gilt. Die Regierung gewährte dem Club Med darüber hinaus eine Sondergenehmigung, die besagte, dass der Strand von Arziv – als einziger in ganz Israel – nicht für die Öffentlichkeit zugänglich sein muss.
Das neue Lehen des Club Med war eine schlummernde Idylle. Um sie wach zu küssen, musste man daraus einen jener immer gleich aussehenden Orte machen, die sich in Werbeprospekten als exotische Oasen vermarkten lassen. Den Auftrag vergab das Unternehmen an ein Architektenbüro, an dem auch ein Holocaust-Überlebender beteiligt war. Am Strand von Az Zib entstanden strohgedeckte, pseudopolynesische Bungalows, die inzwischen das Markenzeichen des Club Med waren.
Das Gelände rund um den zentralen Freizeitkomplex wurde gärtnerisch gestaltet – ein weitläufiges Ensemble aus Palmen und sattgrünen Rasenflächen, malerisch garniert mit Mühlsteinen und Amphorenscherben. Jene Überreste des eigentlichen Dorfes, die auf dem Gelände des Clubs lagen, wurden eigens restauriert, um den Ruinencharme zu bewahren. Zunächst waren nur Angestellte in diesem „Arabischen Dorf“ untergebracht, heute gibt es dort auch eine Bar und ein rustikales Restaurant mit Meeresblick.
Der „Club Arziv“ wurde 1962 mit großem Tamtam eröffnet und belegte fünf Jahre lang einen Spitzenplatz in der Beliebtheitsskala aller Ferienanlagen des Unternehmens. Das Erfolgsgeheimnis, meint Ze’ev Dahan, waren schon damals ein unaufdringlicher Charme und eine freundliche Atmosphäre. Der Pool wurde zwar erst in den 1990er-Jahren angelegt, und auch sonst hatte der Club zunächst nur wenig Aktivitäten im Angebot, aber die Gäste kamen. In den 1980er-Jahren waren es pro Saison schon 14 000, darunter viele Israelis. „In Arziv hatte jeder eine erste Liebschaft, manchmal auch mit dem späteren Ehepartner“, begeistert sich Sabine Sitruk, die bei Club Med Israel für Marketing zuständig ist: „Ob ich mit 30-Jährigen oder mit 65-Jährigen rede, alle schwärmen von Arziv wie vom Paradies.“
Auf die Vertreibung aus diesem Paradies kommen nur wenige zu sprechen. Der Architekt der Anlage, der aus Polen stammende Zvi Hecker, hat sich mittlerweile in ganz Europa einen Namen gemacht, vor allem mit Entwürfen für Museen und Gedenkstätten, die an das jüdische Leben erinnern. 2001 war er einer der sechs Architekten, die mit Entwürfen für das Holocaust-Mahnmal in Berlin beauftragt wurden. In Berlin hat er heute noch ein Büro.
Angesprochen auf die Vorgeschichte des Terrains, sagt Hecker mit Bedauern in der Stimme, über die hätten sich damals nur wenige Israelis Gedanken gemacht: „Ich muss sagen, dass das damals noch eine Art Tabu war. Eigentlich war es in unserem Bewusstsein gar nicht vorhanden. Auch der Holocaust war damals noch ein solches Tabu.“ Mit dem Bau der Club-Med-Anlage hatte Zvi Hecker nur begrenzt zu tun: „An dem Dorf haben wir nicht gearbeitet“, betont er, „aber insgesamt war mir das Problem nicht so bewusst, wie es nötig gewesen wäre.“
In Az Zib fand das Gewissen immer wieder Wege, sich am Schicksal von Menschen und an Geschichte vorbeizuwinden. 1952 kam ein im Iran geborener Seemann namens Eli Avivi in die Gegend und entdeckte, dass es hier Häuser ohne Menschen für einen Menschen ohne Haus gab. Drei Jahre später wurde er in Az Zib ansässig. Die lokalen Behörden hatten zwar etwas dagegen, aber die Gerichte fanden nicht den Mut, ihn zu vertreiben. 1970 griff die Regierung ein und ließ die verbliebenen Häuser abreißen. Eli Avivi antwortete damit, dass er sein Stück Felsküste zum „Unabhängigen Staat von Akhzivland“ erklärte. Er errichtete ein Gästehaus und ein improvisiertes Museum. Noch heute drückt er seinen Besuchern bei der „Einreise“ auf Verlangen einen Stempel in den Pass.
Akhzivland wurde zum Pilgerort für israelische Künstler und Aussteigertypen. Bei Eli Avivi, der mittlerweile über siebzig ist, sind Besucher auch heute noch willkommen. Und wie er sagt, hält er auch Kontakt mit Familien aus dem alten Dorf, die gelegentlich vorbeikommen, um nach ihrem Grund und Boden zu sehen. „Wenn es eines Tages ein Abkommen gibt und sie zurückkommen, ist das für mich in Ordnung“, meint der Siedler Eli Avivi. „Ich bin kein politischer Mensch. Ich hab hier keinen Krieg geführt, ich lebe hier nur.“
Das Haus, das sich Avivi genommen hat, gehört der Familie von Kamil Sa’adi. Und der erzählt die Geschichte, wie der Iraner hierher kam, ein bisschen anders: „Er ist einfach eingebrochen. Was soll man dazu sagen?“ Und Kamil betont: „Mein Vater und meine Brüder wurden in Az Zib geboren, nicht in ‚Akhziv‘. 1948 haben uns die Israelis aus unserer Ortschaft rausgeworfen und uns unser Land weggenommen.“ Ursprünglich sei Avivi ein Freund seines Vaters gewesen. Aber dann habe er sich den Besitz mit Gewalt angeeignet, „wie es in diesem Land immer passiert“. Heute lebt die Familie Sa’adi in der Altstadt von Akkon, in der verfallenden Kasbah. Mit dem Auto ist man von dort aus in wenigen Minuten in dem alten Dorf. Dabei kommt man durch die Neustadt, deren Hauptachse nach der Operation von 1948 Ben-Ami-Straße heißt.
In der Neustadt wohnen heute vor allem arme jüdische Immigranten aus dem Mittleren Osten, aus Afrika und aus Russland, die aber wieder wegziehen, sobald sie es sich leisten können. Die Wohnungen werden nach und nach von einheimischen Palästinenserfamilien übernommen, die das verfallende Ghetto der Kasbah hinter sich lassen wollen. Kamil sagt, er habe vor israelischen Gerichten jahrzehntelang um die Rückerstattung seines Grund und Bodens gekämpft, ohne Erfolg.
Eingeborene, die nicht lästig werden
Er stand vor einem unlösbaren Problem: Obwohl die Sa’adis zu Bürgern des neuen Staates geworden waren, konnten sie nach Auffassung dieses Staates keine hinreichende Anwesenheit in Az Zib vorweisen. Denn die Knesset hatte, damit die Enteignung von Besitz wie den der Familie Sa’adi nicht rückgängig gemacht werden musste, 1950 das „Gesetz über den Besitz Abwesender“ verabschiedet, das alle entwurzelten Palästinenser wie die Sa’adis als „gegenwärtig Abwesende“ definierte. Damit waren sie juristisch, aber zuweilen auch physisch von der Bildfläche geräumt, mithin zu idealen Eingeborenen mutiert, wie sie der Club Med sich wünscht. Zu Menschen, die anwesend sind, ohne lästig zu werden.
Kamils ältester Bruder Hossam war zehn, als die Familie von Az Zib fortmusste. Er kann sich noch gut erinnern: „Alle meinten, wir gehen für ein paar Tag in den Libanon und kommen dann zurück.“ Sie selbst zogen in das libanesische Dorf Sur, das gleich hinter der Grenze liegt, nur eine halbe Autostunde von Az Zib entfernt. Der Vater schwamm immer wieder, manchmal durch tosende Brandung, über die Grenze zu seinem Dorf zurück. In den frühen 1950er-Jahren rettete er dabei einen israelischen Piloten, der über dem Meer abgestürzt war. Zur Belohnung durfte er mit seiner Familie nach Israel zurückkehren. Eine Zeit lang kamen sie in dem arabischen Dorf Al Mazra’a unter, das zwischen Az Zib und Akko liegt.
In den 1960er-Jahren arbeitete Hossam auch für den Club Med. Mit seinem Fischerboot schipperte er Feriengäste zum Schnorcheln und Tauchen zu zwei kleinen Inseln nahe der Küste. Aber die Bezahlung war lausig, und Hossam gab den Job bald auf: „Das Fischen brachte mehr Geld.“
In seiner Freizeit besuchte Hossam auch den Nationalpark, den die israelische Regierung zu Beginn der 1970er-Jahre auf den weitläufigen, ehemals zu Az Zib gehörenden Feldern errichtet hatte. Am höchsten Punkt des Hügels steht die verfallene Dorfmoschee. Um sie herum Häuserruinen: Mauern mit leeren Fensterhöhlen, durch die man den Himmel sieht, Außentreppen, die im Nichts enden. Früher durften die Sa’adis als ehemalige Dorfbewohner den Park ohne Eintrittsgeld betreten, heute zahlen sie – wie jeder Besucher – pro Tag fünf Dollar. In der Nähe des Kassenhäuschen kann man auf Tafeln in Englisch und Hebräisch die Geschichte des Dorfes seit der Bronzezeit nachlesen. „Achziv ist das biblische Achsib“, heißt es da, „erwähnt wird der Ort in Josua 19, Vers 29 und im Buch der Richter 1, Vers 31. […] In der Periode des Zweiten Tempels und bis in die Zeiten des Talmud hatte der Ort eine blühende jüdische Gemeinde. Die Kreuzfahrer bauten die Burg L’Ambert.“ Dann folgt der Satz: „In späteren Zeiten schrumpfte es zu einem Küstendorf.“ Mit einer einzigen Zeile werden so tausend Jahre arabischer Geschichte abgetan. Dass der Ort von der Hagana erobert wurde, ist im hebräischen Text vermerkt, im englischen wird der Konflikt von 1948 nicht erwähnt.
Doch nicht alle haben vergessen. „Az Zib war die Braut von Galiläa“, erzählt Kamils Cousine Amni Sa’adi, „ein schöneres Dorf gab es nicht. Wir hatten alles: Äpfel, Feigen, Oliven, Orangenhaine. Unser Land reichte bis hinüber nach Tarshiha.“ Amni Sa’adi war neunzehn Jahre alt, als sie mit ihrer Familie fliehen musste. Heute wohnt die Großmutter mit dem verrunzelten Gesicht bei ihrem Sohn in Akko, in einem baufälligen Kaufmannshaus aus der osmanischen Zeit, das in mehrere Wohnungen unterteilt ist. Ihr Zimmer hat schmale Fenster zum Meer und verblasste Fotografien an den Wänden. „Frag mich nicht, wie viele umgebracht wurden“, sagt Amni. „Sie kamen nachts und zerstörten die Häuser. Von den Leuten, die sie antrafen, hat keiner überlebt. Mein Vater wurde getötet. Er hat das Dorf verteidigt. Sie warfen eine Handgranate ins Zimmer, dann haben sie ihn erschossen. Es gab Leute, die nur mit einem Packen Kleider auf dem Rücken geflohen sind: nach Nazareth, nach Arrabi, nach Kabul, nach Tamra, einige auch nach Jenin. Aber die meisten gingen in den Libanon. Ich habe im Libanon geheiratet. Als wir zurückkamen, war alles zerstört. Das war fünf oder sechs Jahre später. Heute ist da nichts mehr übrig. Meine Brüder leben heute in Kuwait und in Amerika.“
Mit dem Libanon gab es keine Postverbindung, doch über Verwandte im Ausland konnte der Sa’adi-Clan in Kontakt mit anderen Mitgliedern der Großfamilie bleiben. Etliche hatten sich in Sur und Sidon im Süden des Libanon niedergelassen und dort geheiratet. Andere lebten längere Zeit im Flüchtlingslager Tel Al Za’atar im Osten von Beirut, das heute in Trümmern liegt. 1976 wurde es von der schiitischen Amal-Miliz – unterstützt von der syrischen Armee – belagert. 4 200 der palästinensischen Lagerbewohner starben, am Ende wurden ihre Behausungen niedergerissen. In den darauf folgenden zehn Jahren brach der Kontakt zwischen Hossams Familie und ihren Verwandten im Libanon ab. Was Kamil betrifft, so hat er seinen juristischen Kampf irgendwann aufgegeben und sich der chassidischen Sekte der Chabad-Lubawitscher angeschlossen, die ihre Zentrale in Brooklyn hat. „Das sind gute Leute, die sich um alle Menschen kümmern, egal welche Religion sie haben“, erklärt Kamil. „Weißt du, wer in Ruanda als Erster Hilfe geleistet hat? Von denen könnten andere Israelis viel lernen.“
Mit Beginn der 1990er-Jahre hat dann die Geschichte sozusagen über die Grenze zurückgeschlagen. Bis zum Jahr 2000, als sich die Israelis aus der „Sicherheitszone“ im Süden des Libanon zurückzogen, gingen immer wieder Katjuscha-Raketen auf israelischem Gebiet nieder. Im Juni 1995 schlugen mehr als ein Dutzend Granaten der Hisbollah auch auf dem Club-Med-Gelände ein. Dabei wurde ein Angestellter getötet und acht Menschen wurden verletzt. Ausländische Touristen waren danach noch schwerer nach Arziv zu locken. Außerdem baute der Club Med den internationalen Pauschaltourismus, von dem die israelische Filiale gelebt hatte, nach und nach ab. 2001 wurde Arziv mit rund 100 weiteren Anlagen in aller Welt vorübergehend dichtgemacht. Das Gelände und seine Einrichtungen verblieben jedoch in der Hand des Club Med. 2004 wurde die Anlage für die kommende Saison an einen israelischen Hotelkonzern verpachtet. Das goldene Club-Med-Signet hat man diskret überklebt.
Wenn die Gäste ankommen, werden sie von dem 18-jährigen David Smedja begrüßt, dessen frankophone Eltern aus Tunesien eingewandert sind. Der sonnengebräunte Beachboy trägt einen lässigen Pullunder, eine Baseballmütze und an der Lippe eine Silberperle. Seine Aufgabe ist es, auf dem Clubgelände für gute Laune zu sorgen und ein kumpelhaftes Klima zu simulieren. Wie er sagt, war er selbst einmal als Feriengast hier und ist später wiedergekommen, weil es ihm „so gut gefallen hat“.
Tagsüber organisiert David Shows für Kinder oder sportliche Aktivitäten und Spiele rund um den Swimmingpool. Die Gäste sind fast ausnahmslos Israelis, die einen kurzen Urlaub gebucht haben. Neben einem Freiluftsportstudio, einem Einkaufszentrum und einem Kinderspielplatz bietet der Club eine kleine Open-Air-Bühne mit ein paar Zuschauerrängen und eine schalldichte DJ-Kabine für Diskoabende und Popkonzerte. „Hier ist es wirklich ganz wunderbar“, meint David, „wenn die Leute einmal hier sind, wollen sie gar nicht wieder weg. Und darauf kommt es doch an!“
Die besseren Angestellten lagern um den Pool
Auf dem Gelände treffen wir zwei junge Leute in staubiger Arbeitskleidung. Es sind israelische Palästinenser aus Akkon, die für Aufräum- und Wartungsarbeiten angestellt sind und verhalten lächeln, als wir sie auf Arabisch ansprechen. Aber sie wollen weder interviewt noch fotografiert werden. Sie blicken verstohlen über die Schulter, ob jemand vom Management sie beobachtet, und verdrücken sich still und leise in die Kulisse aus strohgedeckten Hütten und gepflegtem Gebüsch. Die besseren Angestellten – Animateure, Masseure und Barmixer – lagern um den Swimmingpool und genießen die mittägliche Ruhe und die Leere des Geländes. Im Bassin zieht ein einsamer Gast sein Baby durchs Wasser.
Ich frage David, den jungen Animateur, ob er weiß, was hier war, bevor sich der Club breit gemacht hat. „Hier war ein Wald“, sagt er, „im Büro hängt ein Bild, auf dem man den Wald sehen kann.“ Er führt mich in die Büroräume der Verwaltung. Über dem großen Schreibtisch hängt eine Luftaufnahme von der Küste um Az Zib, die ein paar Jahre nach dem Krieg entstanden ist, nachdem die Bulldozer abgezogen waren. Auf dem Bild sieht man nur Bäume und Sand. Als David meine Verwirrung bemerkt, strahlt er mich tröstend an: Es gebe viele Leute, die auf die Illusion eines echten „Dorfes“ hereinfallen, versichert er mir. Es amüsiere ihn jedes Mal, wenn neue Gäste ankommen: „Am Anfang denken sie, dies sei ein sehr alter Ort. Die Leute haben das Gefühl, es stimme wirklich, dass es diesen Ort seit den Zeiten der Römer gegeben hat. Aber das ist nicht wahr! Er ist ganz neu! Es sieht nur aus wie ein ‚arabisches‘ Dorf. Aber es ist kein arabisches Dorf. Es bietet eine Art ‚orientalisches‘ Flair. Ich glaube, das ist ganz toll gelungen.“
Wir besichtigen die Häuser. Einen der Innenhöfe hat man zu einem Open-Air-Massage- und -Entspannungszentrum gemacht, mit Blick aufs Meer. Dort hängt eine Stoffbahn mit der Aufschrift „Therapie“.
Als ich die Club-Med-Verwaltung in Tel Aviv anrufe, teilt mir Ze’ev Dahan mit, es sei immer noch nicht entschieden, ob man die Anlage in Arziv wieder eröffnen solle oder nicht. Das Unternehmen betreibt inzwischen auch eine Anlage in Eilat am Roten Meer, und die lässt sich erfolgreich an. Aber Dahan gibt zu, dass das Thema Arziv nicht nur eine Frage des Geldes ist: „Wenn ich Israelis auf Arziv anspreche, haben sie beim Erzählen regelmäßig Tränen in den Augen.“ Das bestätigt auch Sabine Sitruk, die Leiterin der Marketingabteilung: „Für die Israelis ist das gefühlsmäßig so wichtig, dass es eine Schande wäre, wenn wir die Anlage nicht wieder eröffnen würden.“
Mit den früheren Bewohnern des Dorfes haben beide Vertreter von Club Med Israel nie Kontakt gesucht. „Es ist nicht unser Eigentum. Das Land gehört dem Staat. Wir haben da nichts zu sagen“, meint Dahan. Die Club-Med-Anlage existiert bereits seit über vierzig Jahren. Wenn man sich lang genug an einem Ort herumgetrieben hat, beginnt man irgendwann zu glauben, dass alles mit rechten Dingen zugegangen ist.
„Wir Israelis beklagen immer, was man uns angetan hat“, meint der Architekt Zvi Hecker. „Aber nie geben wir zu, wie viel Unrecht wir anderen zugefügt haben. Wir wissen heute mehr über das Unrecht, das geschehen ist, aber wir tun einfach nichts.“
Die Saison 2005 ist mittlerweile vorüber, und die Häuser stehen wieder leer. Der Ferienslogan „So weit weg und doch so nah“ wird auf besondere Weise wahr. Manche kehren aus den Ferien eben nie zurück.